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Novel food

Begriff und rechtlicher Rahmen von Novel Food

Novel Food bezeichnet Lebensmittel, Zutaten oder Bestandteile, die vor einem festgelegten Stichtag innerhalb der Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Der Begriff dient als Sammelkategorie für neuartige Quellen, Herstellungsverfahren oder Strukturen, deren Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher zunächst behördlich bewertet und deren Verwendung gegebenenfalls zugelassen werden muss. Ziel ist ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit sowie ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts.

Einordnung und Zielsetzung

Der Rechtsrahmen für neuartige Lebensmittel verfolgt zwei Hauptziele: Erstens die Sicherstellung, dass neue oder veränderte Lebensmittel sicher sind und angemessen gekennzeichnet werden. Zweitens die einheitliche Handhabung im Binnenmarkt, damit gleiche Produkte unter gleichen Bedingungen vermarktet werden können. Hierzu existieren EU-weit geltende Regeln, die Zulassungsanforderungen, Bewertungsverfahren und die spätere Marktüberwachung vorgeben.

Abgrenzung zu anderen Lebensmittelkategorien

Novel Food ist von anderen spezialisierten Regelungsbereichen abzugrenzen. Für Zusatzstoffe, Aromen, Enzyme oder gentechnisch veränderte Organismen gelten eigene Genehmigungssysteme. Nahrungsergänzungsmittel sind keine eigene Produktkategorie im Hinblick auf die Neuartigkeit: Enthalten sie neuartige Zutaten, greifen die Vorgaben für Novel Food zusätzlich. Erzeugnisse mit pharmakologischer Wirkung können ferner dem Arzneimittelrecht zugeordnet werden; dann ist der Lebensmittelrahmen nicht anwendbar.

Was gilt als neuartiges Lebensmittel?

Neuartigkeit wird grundsätzlich daran gemessen, ob ein Lebensmittel oder eine Zutat vor dem maßgeblichen Stichtag in der EU in nennenswertem Umfang verzehrt wurde. Fehlt ein solcher Verzehr, liegt Novel Food nahe.

Typische Kategorien neuartiger Lebensmittel

  • Neue oder bislang unübliche Quellen, etwa bestimmte Pflanzen, Pilze, Algen, Insekten oder Zellkulturen.
  • Neue oder gezielt veränderte Molekülstrukturen, zum Beispiel isolierte oder modifizierte Stoffe aus bekannten Quellen.
  • Erzeugnisse, deren Struktur durch neuartige Herstellungs- oder Verarbeitungstechniken verändert wurde, etwa durch bestimmte physikalische Prozesse.
  • Lebensmittel, die Nanomaterialien enthalten oder daraus bestehen.

Neuheit durch Produktionsverfahren

Auch wenn die Ausgangsstoffe bekannt sind, kann ein Produkt als neuartig gelten, wenn ein neues Verfahren die Zusammensetzung, Struktur oder Nährstoffverfügbarkeit so verändert, dass sich die Sicherheit oder das Ernährungsprofil wesentlich unterscheidet. Maßgeblich ist der potenzielle Einfluss auf Verbraucherinnen und Verbraucher.

Traditionelle Lebensmittel aus Drittstaaten

Produkte mit sicherer, historisch belegter Verwendung als Nahrung außerhalb der EU unterliegen einem speziellen Verfahren. Dabei steht nicht die Neuheit im Inland, sondern die belegte sichere Verwendung in einem Drittland über einen längeren Zeitraum im Fokus. Unterbleiben begründete Einwände, kann eine vereinfachte Zulassung erfolgen; andernfalls ist eine umfassende Bewertung erforderlich.

Zulassungsverfahren und Sicherheitsbewertung

Neuartige Lebensmittel benötigen vor dem Inverkehrbringen eine EU-weite Zulassung. Diese ist produkt- oder kategoriespezifisch und an Bedingungen geknüpft, die in einer öffentlichen Positivliste geführt werden.

Antragstellung und Dossier

Für die Zulassung wird ein Antrag mit einem umfassenden Dossier eingereicht. Dieses enthält unter anderem Angaben zur Identität und Zusammensetzung, zur Herstellung, zu Spezifikationen, vorgeschlagenen Verwendungsbedingungen und Aufnahmemengen sowie Daten zur toxikologischen und ernährungsphysiologischen Bewertung und zur Stabilität. Gegebenenfalls werden auch Allergenitäts- und Expositionsdaten gefordert.

Wissenschaftliche Bewertung

Die wissenschaftliche Sicherheitsbewertung erfolgt durch die zuständige EU-Behörde auf Grundlage der eingereichten Unterlagen und gegebenenfalls weiterer Erkenntnisse. Bewertet wird, ob das Produkt bei den vorgesehenen Verwendungen sicher ist und ob besondere Verbrauchergruppen oder Bedingungen berücksichtigt werden müssen. Die Bewertung kann zusätzliche Untersuchungen oder Klärungen erforderlich machen.

Entscheidung und Positivliste

Auf Basis der Bewertung wird über die Aufnahme in die EU-weite Positivliste entschieden. Der Eintrag beschreibt das neuartige Lebensmittel, legt Bedingungen der Verwendung, Kennzeichnungsvorgaben, gegebenenfalls Höchstmengen und Zielgruppen fest und kann Anforderungen an die Überwachung enthalten. Nur gelistete Produkte dürfen in Verkehr gebracht werden.

Eigentums- und Datensschutzaspekte

Daten, die erheblichen Aufwand erfordern und eindeutig einem Antragsteller zugeordnet sind, können für eine begrenzte Zeit besonders geschützt werden. In diesem Zeitraum dürfen sie nicht zugunsten eines späteren Antrags eines Dritten verwendet werden, sofern keine Zustimmung vorliegt. Dieser Schutz betrifft nicht die Sicherheitsanforderungen als solche, sondern die Nutzung bestimmter Unterlagen.

Kennzeichnung, Verwendung und Marktüberwachung

Die Bedingungen der Verwendung und Kennzeichnung ergeben sich aus dem Zulassungseintrag. Die Etikettierung muss die sichere Verwendung unterstützen und darf Verbraucherinnen und Verbraucher nicht irreführen.

Bedingungen der Verwendung und Kennzeichnung

  • Produktkategorien und Lebensmittel, in denen das neuartige Erzeugnis verwendet werden darf.
  • Höchstmengen oder Konzentrationen, wenn erforderlich.
  • Hinweise auf Ziel- oder Risikogruppen, sofern relevant.
  • Besondere Kennzeichnungsvorgaben, etwa zur Art der Zutat oder zu potenziellen Allergenen.

Rückverfolgbarkeit und Überwachung nach dem Inverkehrbringen

Unternehmen müssen die Rückverfolgbarkeit gewährleisten. Je nach Zulassung kann eine begleitende Beobachtung nach Markteintritt vorgesehen sein, um tatsächliche Verzehrsmuster und Sicherheitsaspekte zu überprüfen. Nationale Behörden führen Kontrollen durch und greifen bei Unregelmäßigkeiten ein.

Zuständigkeiten und Durchsetzung

Die Zuständigkeiten sind zwischen EU-Ebene und Mitgliedstaaten verteilt, um einheitliche Entscheidungen mit wirksamer Marktaufsicht zu verbinden.

Rolle der EU-Institutionen

Die wissenschaftliche Bewertung erfolgt auf EU-Ebene. Die Entscheidung über Zulassungen, Einträge in die Positivliste und etwaige Änderungen oder Widerrufe wird ebenfalls zentral getroffen, damit eine EU-weit einheitliche Rechtslage gewährleistet ist.

Nationale Behörden und Kontrollen

In den Mitgliedstaaten überwachen die zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörden die Einhaltung der Vorgaben. Sie prüfen insbesondere den Novel-Food-Status, die Konformität mit den Zulassungsbedingungen, die Kennzeichnung sowie die Rückverfolgbarkeit.

Sanktionen bei Verstößen

Das Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel ist unzulässig. Sanktionen werden national festgelegt und müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Neben Bußgeldern kommen Maßnahmen wie Vertriebsverbote, Rückrufe oder die Anordnung von Korrekturkennzeichnungen in Betracht.

Grenzfälle und Statusabklärung

Die Einordnung als neuartiges Lebensmittel kann in Einzelfällen komplex sein. Maßgeblich ist der Nachweis eines nennenswerten Verzehrs in der EU vor dem maßgeblichen Stichtag und die Beurteilung, ob Herstellungsverfahren relevante Veränderungen bewirken.

Nachweis des historischen Verzehrs

Belege können aus unterschiedlichen, glaubwürdigen Quellen stammen und sollten den üblichen Konsum in der EU vor dem Stichtag abbilden. Einzelne Spezialanwendungen oder die Nutzung als Nicht-Lebensmittel ersetzen keinen breiten Verzehrnachweis.

Neue Herstellungsverfahren bei bekannten Lebensmitteln

Führt ein Verfahren zu erheblichen Änderungen der Zusammensetzung oder Bioverfügbarkeit, kann ein bislang bekanntes Lebensmittel den Status eines neuartigen Erzeugnisses erlangen. Maßstab ist der potenzielle Einfluss auf Sicherheit und Ernährung.

Abgrenzung zu angrenzenden Regimen

Produkte mit technologischer Funktion können unter Zusatzstoffrecht fallen; solche mit therapeutischem Zweck unter Arzneimittelvorschriften. Für genetisch veränderte Organismen gilt ein gesondertes System. Diese Regime schließen die Einordnung als Novel Food aus oder überlagern sie, je nach Hauptzweck und Produkteigenschaften.

Wechselwirkungen mit anderen Rechtsbereichen

Neuartige Lebensmittel berühren mehrere rechtliche Themenfelder, die ergänzend zu beachten sind.

Gesundheitsbezogene Angaben

Werbeaussagen zu gesundheitlichen Wirkungen unterliegen einem eigenständigen Zulassungs- und Prüfregime. Eine Novel-Food-Zulassung bedeutet nicht, dass gesundheitsbezogene Angaben zulässig sind; diese bedürfen gesonderter Bewertung.

Materialien und Nanostrukturen

Werden Nanomaterialien verwendet, gelten erhöhte Anforderungen an Charakterisierung, Sicherheitsdaten und Kennzeichnung. Die Bewertung berücksichtigt Größe, Oberflächenchemie, Agglomeration und Exposition.

Kontaktmaterialien und Prozesshilfsstoffe

Materialien mit Lebensmittelkontakt sowie bestimmte Prozesshilfsstoffe haben eigene Regelwerke. Sie können zusätzliche Pflichten auslösen, ohne den Novel-Food-Status zu verändern.

Aktuelle Entwicklungen

Die Kategorie entwickelt sich dynamisch. Im Fokus stehen unter anderem kultivierte Zellkulturerzeugnisse, Insekten als Proteinquelle, Mikro- und Makroalgen, fermentationsbasierte Zutaten sowie neue Ballaststoffe. Digitale Nachweise und verbesserte Dokumentation erleichtern die Beurteilung von Verzehrhistorie und Rückverfolgbarkeit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann gilt ein Lebensmittel als Novel Food?

Als neuartig gilt ein Lebensmittel, wenn es vor dem maßgeblichen Stichtag in der EU nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurde oder wenn ein neues Verfahren seine Eigenschaften so verändert, dass sich die Sicherheits- oder Ernährungsbewertung wesentlich unterscheidet.

Wer entscheidet über die Zulassung von Novel Food?

Die wissenschaftliche Bewertung erfolgt auf EU-Ebene, und die Entscheidung über die Aufnahme in die Positivliste wird zentral getroffen. Die Zulassung gilt danach in allen Mitgliedstaaten einheitlich.

Gilt eine Zulassung für alle oder nur für den Antragsteller?

Grundsätzlich ist eine Zulassung produkt- oder kategoriespezifisch und gilt EU-weit. Soweit im Einzelfall schutzwürdige Daten eines Erstantragstellers erfasst sind, können diese Daten zeitlich begrenzt vor Nutzung durch Dritte geschützt sein; die generelle Zulassung bleibt davon unabhängig.

Benötigen traditionelle Lebensmittel aus Drittstaaten eine vollständige Zulassung?

Für traditionelle Lebensmittel mit nachgewiesener sicherer Verwendung außerhalb der EU existiert ein vereinfachtes Verfahren. Erheben Behörden begründete Einwände, ist eine umfassende Bewertung erforderlich.

Was passiert bei Inverkehrbringen ohne Zulassung?

Das Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel ist unzulässig. Nationale Behörden können Maßnahmen wie Vertriebsverbote, Rückrufe und Bußgelder anordnen.

Welche Kennzeichnungsvorgaben gelten für Novel Food?

Die Positivliste legt im Einzelfall Kennzeichnungsanforderungen fest, zum Beispiel Hinweise auf die Art der Zutat, besondere Verwendungsbedingungen, Höchstmengen oder Hinweise für bestimmte Bevölkerungsgruppen.

Wie wird der Novel-Food-Status eines Produkts geklärt?

Die Klärung erfolgt anhand des Verzehrnachweises vor dem Stichtag und der Bewertung, ob Herstellungsverfahren relevante Änderungen bewirken. Bei Unklarheiten kann eine behördliche Prüfung veranlasst werden.

Sind gesundheitsbezogene Angaben durch eine Novel-Food-Zulassung abgedeckt?

Nein. Aussagen zu gesundheitlichen Wirkungen unterliegen einem gesonderten Prüf- und Zulassungsrahmen, der unabhängig von der Novel-Food-Zulassung anzuwenden ist.