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Notwendige Streitgenossenschaft

Notwendige Streitgenossenschaft: Begriff und Grundprinzip

Die notwendige Streitgenossenschaft beschreibt eine prozessuale Konstellation, in der mehrere Personen gemeinsam an einem Zivilverfahren beteiligt sein müssen, weil über den Streitgegenstand nur einheitlich entschieden werden kann. Das Gericht darf also nicht für die einen Beteiligten so und für die anderen anders entscheiden, ohne Widersprüche zu erzeugen. Die Einheitlichkeit der Entscheidung ist sachlich geboten, weil das zugrunde liegende Rechtsverhältnis unteilbar ist oder nur gemeinsam gestaltet werden kann.

Abgrenzung zur einfachen Streitgenossenschaft

Bei der einfachen Streitgenossenschaft treten mehrere Personen zwar zusammen in einem Verfahren auf, die Entscheidung kann aber für jede Person unterschiedlich ausfallen. Demgegenüber verlangt die notwendige Streitgenossenschaft zwingend eine einheitliche Entscheidung für alle betroffenen Personen. Fehlt eine der betroffenen Personen im Verfahren, ist die Sache in der Regel nicht entscheidungsreif.

Gründe und Erscheinungsformen

Gesetzlich angeordnete notwendige Streitgenossenschaft

In bestimmten Bereichen ist die gemeinsame Beteiligung mehrerer Personen am Verfahren unmittelbar angeordnet. Das betrifft typischerweise Sachverhalte, in denen ein Recht nur allen gemeinsam zusteht oder sie nur gemeinsam verpflichtet sind. Die Einheit der Beteiligung folgt hier aus der Struktur des betroffenen Rechtsverhältnisses.

Materiell-rechtlich bedingte einheitliche Entscheidung

Auch ohne ausdrückliche Anordnung kann sich aus dem Inhalt eines Rechtsverhältnisses ergeben, dass nur eine einheitliche Entscheidung sachgerecht ist. Das ist etwa der Fall, wenn ein Rechtsverhältnis nur insgesamt gestaltet, festgestellt oder beendet werden kann. Dann führt das Erfordernis der einheitlichen Sachentscheidung zu einer notwendigen Streitgenossenschaft.

Aktive und passive notwendige Streitgenossenschaft

Die notwendige Streitgenossenschaft kann aktiv (mehrere Personen müssen gemeinsam klagen) oder passiv (mehrere Personen müssen gemeinsam verklagt werden) ausgestaltet sein. Maßgeblich ist, ob der geltend gemachte Anspruch oder die angestrebte Rechtsgestaltung nur gemeinsam durchgesetzt oder abgewehrt werden kann.

Prozessuale Besonderheiten

Teilnahme aller Beteiligten und Folgen fehlender Beteiligung

Das Gericht prüft, ob alle erforderlichen Personen beteiligt sind. Fehlt eine Person, wird regelmäßig auf eine Ergänzung der Beteiligten hingewirkt. Solange nicht alle notwendigen Streitgenossen beteiligt sind, kann über den Streitgegenstand grundsätzlich nicht abschließend entschieden werden, weil sonst widersprüchliche Ergebnisse drohen.

Wirkung von Vorbringen, Geständnis und Säumnis

Obwohl jeder Streitgenosse eigenständig prozessuale Erklärungen abgeben kann, ist das Gericht an einzelne Einlassungen nicht gebunden, soweit sie der erforderlichen Einheitlichkeit der Entscheidung widersprechen würden. Ein Geständnis eines Streitgenossen kann daher nicht dazu führen, dass allein gegenüber dieser Person anders entschieden wird, wenn die Sache unteilbar ist. Entsprechendes gilt bei Säumnis: Ein bloßes Ausbleiben eines Streitgenossen führt nicht automatisch zu einer Entscheidung zu dessen Nachteil, wenn eine einheitliche Sachprüfung erforderlich ist. Das Gericht würdigt den gesamten Streitstoff mit Blick auf alle notwendigen Beteiligten.

Rechtsmittel und Bindungswirkung

Ein Rechtsmittel kann in Fällen notwendiger Streitgenossenschaft Auswirkungen auf sämtliche beteiligte Personen haben. Da das Urteil einheitlich sein muss, kann eine erfolgreiche Anfechtung durch einzelne Beteiligte die Entscheidung insgesamt erfassen. Umgekehrt kann eine Teilrechtskraft, die nur einzelne betrifft, ausscheiden, wenn dadurch die Einheitlichkeit der Entscheidung verloren ginge. Die Bindungswirkung der Entscheidung erstreckt sich dem Grund nach auf alle notwendigen Streitgenossen.

Kostenfolgen

Unterliegen notwendige Streitgenossen, werden die Kosten regelmäßig gemeinschaftlich auferlegt. In der Praxis bedeutet dies häufig eine Haftung als Gesamtschuldner für die Kostenlast. Die interne Verteilung richtet sich nach dem Verhältnis der Beteiligten zueinander, das aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis folgt.

Typische Fallkonstellationen (beispielhaft)

Streit um gemeinschaftliches Eigentum

Geht es um Rechte an gemeinschaftlich gehörenden Sachen, ist eine isolierte Entscheidung nur gegenüber einzelnen Miteigentümern häufig nicht möglich. Eine einheitliche Klärung vermeidet widersprüchliche Feststellungen über denselben Gegenstand.

Auseinandersetzung einer Erbengemeinschaft

Bei Fragen, die den Nachlass als Gesamtheit betreffen (zum Beispiel die Aufteilung oder Belastung des Nachlasses), kann die Entscheidung regelmäßig nur gegenüber allen Mitgliedern der Gemeinschaft wirksam getroffen werden.

Einheitliche Gestaltung eines Rechtsverhältnisses

Wird ein Rechtsverhältnis insgesamt geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt, kann die Gestaltung nicht nur gegenüber einzelnen Beteiligten erfolgen, wenn sie das gesamte Verhältnis prägt. Die Beteiligung aller, die hiervon unmittelbar betroffen sind, ist dann erforderlich.

Rechtskraft und Drittwirkung

Reichweite der Bindung

Die materielle Bindung eines Urteils erfasst in Fällen notwendiger Streitgenossenschaft regelmäßig alle notwendigen Beteiligten. Damit wird vermieden, dass in parallel gelagerten Verfahren abweichende Entscheidungen ergehen. Außenstehende Dritte sind hiervon nicht automatisch betroffen, es sei denn, ihr Rechtsverhältnis ist untrennbar mit dem entschiedenen Sachverhalt verknüpft.

Verhältnis zu Nebenintervention und Streitverkündung

Die notwendige Streitgenossenschaft unterscheidet sich von der Unterstützung einer Partei durch einen Dritten (Nebenintervention) und von der formellen Benachrichtigung eines Dritten über den Streit (Streitverkündung). Während Nebenintervenienten und Streitverkündete nicht zwingend Partei des laufenden Verfahrens werden müssen, verlangt die notwendige Streitgenossenschaft die unmittelbare Beteiligung aller, deren Rechtslage nur einheitlich geregelt werden kann.

Abwicklung im Verfahren

Klageerhebung und Zustellung

Die Klage wird so erhoben, dass alle notwendigen Streitgenossen als Kläger oder als Beklagte erfasst sind. Die Zustellung der Klage und der gerichtlichen Entscheidungen erfolgt an sämtliche beteiligten Personen, damit sie Gelegenheit zur Beteiligung am Verfahren haben.

Streitgenössische Vertretung und Prozesshandlungen

Jeder Streitgenosse bleibt grundsätzlich selbstständige Partei. Prozesshandlungen (zum Beispiel Vorbringen, Beweisanträge, Erklärungen) wirken jedoch im Rahmen der erforderlichen Einheitlichkeit so, dass Widersprüche vermieden werden. Das Gericht achtet auf ein in sich stimmiges Entscheidungsergebnis.

Verbindung, Trennung und Aussetzung

Zur Sicherung einer einheitlichen Sachentscheidung werden Verfahren, die denselben unteilbaren Streitgegenstand betreffen, häufig verbunden. Eine Trennung kommt nicht in Betracht, wenn dadurch die Einheitlichkeit gefährdet wäre. Bei fehlender Beteiligung kann eine Aussetzung in Betracht kommen, bis alle notwendigen Parteien einbezogen sind.

Häufig gestellte Fragen

Wann liegt eine notwendige Streitgenossenschaft vor?

Sie liegt vor, wenn über den Streitgegenstand nur einheitlich entschieden werden kann. Das ist der Fall, wenn ein Recht oder eine Verpflichtung unteilbar ist oder ein Rechtsverhältnis nur insgesamt gestaltet oder festgestellt werden kann. Eine isolierte Entscheidung gegenüber einzelnen Beteiligten würde zu widersprüchlichen Ergebnissen führen.

Worin besteht der Unterschied zur einfachen Streitgenossenschaft?

Bei der einfachen Streitgenossenschaft können mehrere Personen gemeinsam prozessieren, ohne dass eine einheitliche Entscheidung zwingend ist. Jede Person kann gewinnen oder verlieren, unabhängig von den anderen. Bei der notwendigen Streitgenossenschaft muss das Ergebnis gegenüber allen Beteiligten identisch sein.

Welche Folgen hat es, wenn nicht alle notwendigen Streitgenossen beteiligt sind?

Fehlen erforderliche Beteiligte, ist eine abschließende Entscheidung über den unteilbaren Streitgegenstand in der Regel nicht möglich. Das Verfahren wird darauf ausgerichtet, alle erforderlichen Personen einzubeziehen, um eine widerspruchsfreie Entscheidung zu gewährleisten.

Wie wirkt sich Säumnis eines Streitgenossen aus?

Bleibt ein notwendiger Streitgenosse aus, führt das nicht automatisch zu einem formellen Erfolg der Gegenseite allein wegen der Säumnis. Das Gericht prüft den Streitstoff in der Sache, um die Einheitlichkeit der Entscheidung sicherzustellen.

Gilt die Entscheidung für alle Beteiligten gleichermaßen?

Ja. Die Entscheidung entfaltet ihre Bindung einheitlich gegenüber allen notwendigen Streitgenossen. Teilweise unterschiedliche Rechtskraftstände werden vermieden, um Widersprüche zu verhindern.

Wer trägt die Prozesskosten?

Unterliegen notwendige Streitgenossen, werden die Kosten regelmäßig gemeinschaftlich auferlegt, häufig mit gesamtschuldnerischer Haftung. Die interne Verteilung richtet sich nach dem Verhältnis der Beteiligten zueinander, das aus ihrem rechtlichen Verhältnis folgt.

Können Rechtsmittel einzeln eingelegt werden?

Ein Rechtsmittel kann von einzelnen Streitgenossen eingelegt werden. Aufgrund der erforderlichen Einheitlichkeit der Entscheidung kann dessen Erfolg oder Misserfolg jedoch Auswirkungen auf alle Beteiligten haben, da die Entscheidung insgesamt zu überprüfen ist.

Welche Rolle spielen Nebenintervention und Streitverkündung?

Sie sind von der notwendigen Streitgenossenschaft zu unterscheiden. Nebenintervenienten unterstützen eine Partei, ohne selbst notwendige Partei zu sein. Die Streitverkündung dient der Information eines Dritten. In der notwendigen Streitgenossenschaft müssen hingegen alle betroffenen Personen selbst Partei des Verfahrens sein.