Legal Lexikon

Notruf


Begriff und Bedeutung des Notrufs

Der Notruf bezeichnet im Rechtssinne jede Mitteilung, die mit dem Ziel erfolgt, Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit, Eigentum oder eine andere bedeutende Rechtsposition durch Inanspruchnahme staatlicher Hilfe abzuwenden. Notrufe sind ein zentrales Element der Gefahrenabwehr und der öffentlichen Sicherheit und ermöglichen es Bürgerinnen und Bürgern, in akuten Notsituationen Hilfe durch Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste oder andere zuständige Behörden zu erhalten.

Rechtliche Grundlagen des Notrufs

Verfassungsrechtliche Verankerung

Die Verpflichtung des Staates zur Gefahrenabwehr, insbesondere zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, ergibt sich aus Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG). Daraus leitet sich das Recht der Gesellschaft auf effektive Notrufsysteme ab.

Gesetzliche Regelungen

Strafgesetzbuch (StGB)

Das Strafgesetzbuch regelt den Notruf in mehreren Bestimmungen:

  • § 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung: Eine Strafbarkeit besteht, wenn jemand „bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und den Umständen nach zumutbar ist“.
  • § 145 StGB – Missbrauch von Notrufen: Die „Vortäuschung einer Gefahr für Leib oder Leben oder einer gemeinen Gefahr“ oder der Missbrauch von Notrufen an Polizei, Feuerwehr oder andere Stellen wird bestraft.

Telekommunikationsgesetz (TKG)

Das Telekommunikationsgesetz sichert die Erreichbarkeit von Notrufnummern in Deutschland und trifft Bestimmungen zur Pflicht von Diensteanbietern, Notrufe unentgeltlich zu ermöglichen und Standortdaten zu übermitteln.

Landesrecht

Landesgesetze wie die Polizeigesetze, Feuerwehrgesetze und Rettungsdienstgesetze der einzelnen Bundesländer konkretisieren weitere Zuständigkeiten und Pflichten im Umgang mit Notrufen.

Notrufnummern in Deutschland

Die zentralen gesetzlichen Notrufnummern nach § 108 TKG sind:

  • 110: Polizei (Sicherheitsnotruf)
  • 112: Feuerwehr und Rettungsdienste (Rettungsnotruf, europaweit gültig)
  • 116117: Ärztlicher Bereitschaftsdienst (nicht als akuter Notruf)

Pflichten und Rechte bei einem Notruf

Verpflichtung zur Notrufabgabe

Personen, die einen Notfall beobachten, sind nach § 323c StGB sowie nach Landesgesetzen verpflichtet, Hilfe zu leisten, was insbesondere das Absetzen eines Notrufs beinhaltet. Die Pflicht besteht jedoch nur, wenn dies ohne erhebliche eigene Gefahr oder Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist.

Datenschutz und Melderechte

Bei Notrufen gilt in der Regel Vorrang des Schutzes von Leben und Gesundheit. Die Übermittlung personenbezogener Daten im Rahmen eines Notrufs ist datenschutzrechtlich nach Artikel 6 Absatz 1 lit. d DSGVO zulässig.

Anonymität und Identitätsfeststellung

In der Praxis ist ein anonymer Notruf möglich, die Angabe des Namens ist weder strafbar noch zwingend erforderlich. Behörden können unter bestimmten Voraussetzungen die Standortdaten des Anrufers ermitteln.

Technische und organisatorische Aspekte

Notrufsysteme und -einrichtungen

Notrufe können telefonisch (Festnetz, Mobilfunk), über Notrufsäulen oder mittels moderner digitaler Systeme (E-Call, Notruf-App) abgesetzt werden. Seit 2021 ist mit dem Notrufsystem „Nora“ eine behördliche Smartphone-App bundesweit verfügbar.

Standortübermittlung

Gemäß § 108 Telekommunikationsgesetz und der europäischen Datenschutz-Grundverordnung besteht bei Mobilfunknotrufen die Verpflichtung zur Übermittlung der Standortdaten des Anrufers an die Notrufabfragestelle.

Straftatbestände im Zusammenhang mit dem Notruf

Missbrauch von Notrufen

Nach § 145 StGB macht sich strafbar, wer vorsätzlich einen Notruf missbraucht, z. B. durch Anrufen und Vortäuschen eines Notfalls. Es drohen Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

Unterlassene Hilfeleistung

Wer es unterlässt, in einer Notlage einen Notruf abzusetzen und dadurch keine Hilfe herbeiruft, kann nach § 323c StGB bestraft werden.

Besonderheiten im internationalen und europäischen Kontext

Europäischer Notruf 112

Die Europäische Union schreibt die kostenfreie Erreichbarkeit des europaweiten Notrufs 112 aus allen Netzen vor (z. B. Richtlinie (EU) 2018/1972). In allen EU-Mitgliedstaaten ist dadurch die 112 als standardisierte Notrufnummer nutzbar.

Grenzüberschreitende Notrufabwicklung

Auch im europäischen Ausland können deutsche Bürger die 112 für Feuerwehr und Rettungsdienste verwenden, die Weiterleitung zu lokalen Diensten muss gewährleistet sein.

Rechtsprechung und aktuelle Entwicklungen

Gerichte haben mehrfach betont, dass das fahrlässige Zurückhalten eines Notrufs trotz Erkennbarkeit einer Gefahr strafbar sein kann. Die zunehmende Digitalisierung, etwa durch automatische Notrufsysteme (E-Call), bringt neue Herausforderungen für Technik und Recht, beispielsweise hinsichtlich Datenschutz und technischer Verfügbarkeit.

Zusammenfassung

Der Notruf ist ein wesentliches Instrument des Bevölkerungsschutzes und der Gefahrenabwehr. Er unterliegt umfassenden gesetzlichen Vorgaben, sichert die Erreichbarkeit staatlicher Hilfsdienste und unterliegt zugleich strafrechtlicher Kontrolle, um Missbrauch zu verhindern. Moderne Entwicklungen erweitern die Möglichkeiten zur Notfallmeldung, stellen jedoch auch neue Fragen an die rechtliche Rahmenordnung. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Notruf dient dem Schutz der Allgemeinheit und ist integraler Bestandteil der Rechtsordnung.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist ein Notruf rechtlich zulässig?

Ein Notruf ist rechtlich zulässig, wenn eine akute Gefahr für Leib, Leben, Gesundheit, Eigentum oder andere bedeutende Rechtsgüter besteht, die sofortiges Eingreifen staatlicher Stellen, insbesondere von Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst, erfordert. Die Zulässigkeit ergibt sich insbesondere aus den Straftatbeständen zur unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) sowie aus spezialgesetzlichen Regelungen der jeweiligen Bundesländer. Der Notruf darf jedoch nur dann getätigt werden, wenn die Gefahrenlage nicht auf andere, weniger eingreifende Weise bewältigt werden kann und der Melder sich weder ihrer Ursache noch ihrer Beseitigung sicher gewachsen sieht. Die Rechtsordnung toleriert auch ein subjektives Fehlurteil Desjenigen, der im guten Glauben eine Notsituation meldet; Missbrauch ist jedoch ausgeschlossen (siehe dazu unten). Entscheidend ist das Vorliegen eines sogenannten „rechtfertigenden Notstandes“ (§ 34 StGB), also die Notwendigkeit, erhebliche Gefahren für diese Rechtsgüter abzuwenden.

Welche rechtlichen Folgen hat ein Missbrauch des Notrufs?

Der Missbrauch von Notrufen ist in Deutschland als Straftat nach § 145 StGB ausdrücklich unter Strafe gestellt. Wer missbräuchlich Notrufe oder Notrufeinrichtungen benutzt, muss mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr rechnen. Der Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn vorsätzlich oder wissentlich eine Gefahr vorgetäuscht oder ein Notruf ohne tatsächlichen Notfall abgesetzt wird. Zusätzlich zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen oft auch zivilrechtliche Haftungsfolgen hinzu, etwa wenn durch den Missbrauch vermeidbare Kosten für die Einsatzkräfte entstehen oder gar andere Personen zu Schaden kommen, weil Einsatzkräfte unnötig gebunden wurden. Neben Polizei und Rettungsdienst können auch private Kläger Schadensersatzansprüche geltend machen.

Ist man verpflichtet, einen Notruf abzusetzen?

Rechtlich gesehen besteht gemäß § 323c StGB eine Pflicht zur Hilfeleistung, wobei hierzu auch das Absetzen eines Notrufs zählt, wenn dies zumutbar ist. Wer eine Notsituation erkennt und keine Hilfe herbeiruft, obwohl dies möglich und zumutbar wäre, macht sich strafbar und kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Die Pflicht entfällt jedoch, wenn z.B. eigene erhebliche Gefahr besteht oder die Hilfe unmöglich ist. Der Umfang der Pflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und der Zumutbarkeit unter Berücksichtigung persönlicher Fähigkeiten und Möglichkeiten. Bei Mitarbeitern in staatlichen oder besonders beauftragten Positionen bestehen oft erweiterte Mitteilungspflichten.

Welche rechtlichen Vorgaben gibt es beim Umgang mit Notrufaufnahmen?

Notrufaufnahmen dürfen von den zuständigen Stellen – insbesondere Polizei- und Rettungsleitstellen – aus Beweis- und Dokumentationszwecken produziert, gespeichert und ausgewertet werden. Die Verarbeitung dieser personenbezogenen Daten unterliegt strengen datenschutzrechtlichen Regelungen, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie den jeweiligen Landesdatenschutzgesetzen. Die Aufnahmen dürfen ausschließlich zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben verwendet werden und unterliegen einer definierten Aufbewahrungsdauer. Eine unberechtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist grundsätzlich untersagt und stellt regelmäßig eine Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat dar.

Inwiefern haftet man für Fehler oder Irrtümer bei der Einschätzung einer Notlage?

Wer in einer objektiv nicht vorliegenden Notlage den Notruf verständigt, haftet rechtlich nur dann, wenn dies vorsätzlich oder grob fahrlässig geschieht. Bloße Fehleinschätzungen, etwa weil eine Situation irrtümlich als Notfall wahrgenommen wurde, sind straffrei, sofern der Irrtum entschuldbar erscheint und der Handelnde im guten Glauben gehandelt hat. Eine Haftung entsteht erst, wenn der Anrufer die Unwahrheit bewusst meldet oder Fahrlässigkeit vorliegt, die deutlich über das übliche Maß hinausgeht. Im Zweifel ist im Sinne der Hilfspflicht eher zur Mitteilung zu raten, da das Recht Irrtümer grundsätzlich toleriert, sofern sie nachvollziehbar sind.

Gibt es besondere rechtliche Regelungen für minderjährige Notrufende?

Nach deutschem Recht sind auch Minderjährige grundsätzlich zur Hilfeleistung verpflichtet und berechtigt, einen Notruf abzusetzen. Bei sehr jungen Kindern ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie oftmals weder die sachliche noch die rechtliche Tragweite ihres Handelns vollständig erfassen können. Strafrechtliche Sanktionen greifen erst ab dem vollendeten 14. Lebensjahr (§ 19 StGB, Schuldunfähigkeit des Kindes). Anders liegt es bei älteren Jugendlichen (ab 14 Jahren); hier kann, insbesondere beim Missbrauch, strafrechtliche Verantwortlichkeit bestehen. Zivilrechtliche Haftung besteht grundsätzlich nach Maßgabe der Deliktsfähigkeit (§§ 827, 828 BGB).

Was sind die rechtlichen Anforderungen an die Identifikation des Notrufenden?

Nach geltender Rechtslage ist der Anrufer nicht verpflichtet, seinen Namen anzugeben, sofern dies seine Sicherheit oder berechtigte Interessen gefährden könnte. Allerdings erleichtert eine Identifikation die Bearbeitung und Nachverfolgung des Einsatzes. In bestimmten Fällen kann eine spätere Kontaktaufnahme erforderlich sein, zum Beispiel zur Zeugenbefragung oder zur Präzisierung der Sachlage. Macht der Anrufer beabsichtigt falsche Angaben zur Person, kann dies als Ordnungswidrigkeit oder gar als strafbare Handlung gewertet werden. Anonyme Notrufe werden dennoch bearbeitet; die Rechtsordnung berücksichtigt stets die Schutzbedürfnisse des Meldenden.