Rechtliche Grundlagen des Niedrigstenergiegebäudes
Definition und Begriffsklärung
Ein Niedrigstenergiegebäude ist ein Gebäude, das eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aufweist, wobei der nahezu bei Null liegende oder sehr niedrige Energiebedarf zu einem wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen gedeckt wird. Der Begriff findet zentrale Bedeutung im europäischen und deutschen Energierecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem Bemühen um energieeffizientes Bauen und Sanieren.
Europäische Rechtsvorgaben
Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (EPBD)
Die Einführung und rechtliche Verankerung des Begriffs Niedrigstenergiegebäude erfolgte auf europäischer Ebene mit der Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD). Nach Artikel 2 Nummer 2 der EPBD ist ein Niedrigstenergiegebäude („nearly zero-energy building“, NZEB) ein Gebäude, das eine sehr hohe Gesamtenergieeffizienz aufweist, gemessen nach den in Anhang I der Richtlinie festgelegten Kriterien. Der noch erforderliche sehr geringe Energiebedarf sollte in erheblichem Umfang durch erneuerbare Energien, einschließlich am Standort oder in der Nähe erzeugte Energie, gedeckt werden.
Zeitlicher Umsetzungsrahmen
Laut Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie müssen seit dem 31. Dezember 2018 alle neuen Gebäude, die von Behörden genutzt oder im Besitz von Behörden sind, als Niedrigstenergiegebäude errichtet werden. Ab dem 31. Dezember 2020 gilt die Anforderung für alle neuen Gebäude.
Umsetzung im deutschen Recht
Gebäudeenergiegesetz (GEG)
Mit Inkrafttreten des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) am 1. November 2020 wurde das zentrale deutsche Regelwerk für Energieeffizienz von Gebäuden in Umsetzung der europäischen Vorgaben geschaffen. Der Begriff Niedrigstenergiegebäude ist im GEG rechtlich relevant und in § 2 Absatz 14 GEG definiert. Demnach ist ein Niedrigstenergiegebäude ein Gebäude, das den Anforderungen des GEG für Neubauten entspricht. Das GEG legt technische Mindestanforderungen für Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien fest.
Wichtige Regelungsinhalte im GEG
- Anforderungen an Neubauten: § 10 GEG legt fest, dass Neubauten als Niedrigstenergiegebäude errichtet werden müssen.
- Primärenergiebedarf: Der zulässige Jahres-Primärenergiebedarf darf die Referenzwerte gemäß GEG nicht überschreiten.
- Einsatz erneuerbarer Energien: Nach §§ 34 ff. GEG sind anteilige Nutzung erneuerbarer Energien oder Ersatzmaßnahmen verbindlich.
- Energetische Qualität der Gebäudehülle: Anforderungen an Wärmedämmung, Luftdichtheit und Wärmebrücken nach Anhang 1 und 2 des GEG.
- Technische Systeme: Normen zu Heizungs-, Lüftungs- und Klimaanlagen, Warmwasserbereitung und Mess-, Steuer- und Regelungstechnik gemäß §§ 60 ff. GEG.
Anforderungen und Nachweisführung
Verpflichtende Nachweise
Für die Einhaltung der Anforderungen und die Klassifizierung als Niedrigstenergiegebäude ist gemäß GEG ein entsprechender Energieausweis erforderlich (§ 80 GEG), der die Einhaltung der energetischen Kennwerte dokumentiert. Der Nachweis kann rechnerisch über ein von der Verordnung anerkanntes Nachweisverfahren erbracht werden.
Überwachung und Sanktionen
Die Einhaltung der Anforderungen wird durch die zuständigen Landesbehörden im Rahmen von Stichprobenkontrollen überwacht (§ 99 GEG). Verstöße gegen die baurechtlichen Vorgaben des Niedrigstenergiegebäudes können als Ordnungswidrigkeiten verfolgt und mit Bußgeldern geahndet werden.
Technische Vorschriften und Normen
Bezugsnormen
Für die Ermittlung der energetischen Qualität eines Gebäudes und die Nachweisführung sind verschiedene technische Normen maßgeblich:
- DIN V 18599: Energetische Bewertung von Gebäuden
- DIN EN 16247: Energieaudits
- DIN EN 15232: Energieeffizienz von Gebäuden – Einfluss von Gebäudeautomation
Darüber hinaus finden weitere technische Richtlinien und europäische Normen Anwendung, sofern sie im GEG oder nachrangigen Verordnungen in Bezug genommen sind.
Spezialfälle und Ausnahmen
Nicht alle Gebäude unterliegen uneingeschränkt den Anforderungen an ein Niedrigstenergiegebäude. Das GEG sieht u.a. Ausnahmen für denkmalgeschützte Gebäude, bestimmte Betriebsgebäude und temporär genutzte Bauwerke vor (§ 2 Absatz 2 und 3 GEG).
Bedeutung im öffentlichen und privaten Gebäudebestand
Mit der vollständigen Umsetzung der Niedrigstenergiegebäude-Anforderungen für alle Neubauten seit Ende 2020 wurde ein entscheidender Schritt hinsichtlich Klimaschutz und Energieeffizienz des Gebäudebestands vollzogen. Öffentliche Auftraggeber unterliegen strengen Regelungen, welche in § 11 GEG gesondert normiert sind.
Weiterführende Entwicklung
Die Anforderungen an Niedrigstenergiegebäude werden turnusmäßig überprüft und an den technischen Fortschritt sowie die klimapolitischen Zielsetzungen auf deutschem und europäischem Niveau angepasst. Künftige Novellierungen des GEG beziehungsweise der einschlägigen europäischen Richtlinien könnten die Anforderungen an energetische Mindeststandards und den Einsatz erneuerbarer Energien weiter erhöhen.
Literatur und Rechtsquellen
- Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden
- Gebäudeenergiegesetz (GEG) vom 8. August 2020 (BGBl. I S. 1728)
- DIN V 18599: Energetische Bewertung von Gebäuden
- Amtliche Begründung zum GEG
Dieser Artikel bietet eine umfassende rechtliche Beschreibung des Begriffs Niedrigstenergiegebäude und beleuchtet sowohl europäische als auch deutsche Rechtsgrundlagen, technische Normen, Ausnahmen und zukünftige Entwicklungsperspektiven im Kontext des energetischen Bau- und Immobilienrechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Anforderungen an Niedrigstenergiegebäude in Deutschland?
Für Niedrigstenergiegebäude in Deutschland ist die maßgebliche rechtliche Grundlage das Gebäudeenergiegesetz (GEG). Das GEG, das seit November 2020 gilt, setzt die europäische Energieeffizienz-Richtlinie 2010/31/EU (EPBD) sowie deren Novellierungen in nationales Recht um. Es fordert, dass alle Neubauten ab dem 01.01.2021 mindestens den Standard eines Niedrigstenergiegebäudes erfüllen. Darüber hinaus existieren zahlreiche Verordnungen auf EU-Ebene, ergänzt durch landesrechtliche Regelungen wie die jeweiligen Landesbauordnungen, die weitere Anforderungen, beispielsweise an die konkrete Nachweisführung oder die Zuständigkeiten von Behörden, definieren. Die Rechtstexte beschreiben explizit bauliche, technische und energetische Mindeststandards, die bei Planung und Bau, aber auch im Genehmigungsprozess einzuhalten sind. Eine besondere Rolle kommt dabei der technischen Nachweisführung zu, die in verschiedenen Normen (z. B. DIN V 18599, EnEV-alt) konkretisiert wird und deren Einhaltung durch Sachverständige bzw. anerkannte Experten überprüft und bestätigt werden muss. Bei Nichtbeachtung drohen Sanktionen nach den Vorgaben des Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenrechts.
Welche Pflichten ergeben sich für Bauherren und Eigentümer im Zusammenhang mit Niedrigstenergiegebäuden?
Bauherren und Eigentümer von Neubauten sind dazu verpflichtet, bereits bei der Antragstellung für eine Baugenehmigung nachzuweisen, dass ihr Bauvorhaben den Anforderungen an ein Niedrigstenergiegebäude entspricht. Dies umfasst die Vorlage energetischer Berechnungen und die Einhaltung aller Mindestanforderungen gemäß GEG. Während der Bauausführung sind sie dafür verantwortlich, alle technischen und planerischen Vorgaben umzusetzen. Nach Abschluss der Bauarbeiten müssen sie die erbrachten Nachweise im Rahmen der Fertigstellungsanzeige oder Abnahme erneut vorlegen. Eigentümer sind außerdem gesetzlich verpflichtet, im Falle eines Eigentümerwechsels einen gültigen Energieausweis bereit zu halten, der die Einhaltung des Niedrigstenergiegebäudestandards dokumentiert. Bei bestehenden Gebäuden gelten bestimmten Pflichten zur Nachrüstung oder Sanierung nur, wenn größere Renovierungen vorgenommen werden; ansonsten besteht kein unmittelbarer Umrüstungszwang, jedoch eine Nachrüstpflicht bei bestimmten Anlagen (z. B. Heiztechniken).
Welche Nachweispflichten bestehen und wie wird die Einhaltung überprüft?
Für die Erfüllung der Vorgaben an Niedrigstenergiegebäude sind ausführliche Nachweise zu erbringen. Diese beinhalten insbesondere die Energiebedarfs- bzw. Energieverbrauchsberechnungen gemäß DIN V 18599 und den zugehörigen Berechnungssoftwaretools. Der Nachweis ist von qualifizierten Personen, etwa Energieeffizienz-Experten oder bauvorlageberechtigten Architekten und Ingenieuren, zu erstellen und bei der Baubehörde einzureichen. Die Einhaltung wird sowohl im Rahmen der Baugenehmigung als auch bei der Bauabnahme durch die Behörden überprüft. Zudem müssen Bauherren und Eigentümer einen Energieausweis erstellen lassen, der in bestimmten Fällen auch öffentlich zugänglich gemacht werden muss. Bei wesentlichen Änderungen oder Sanierungen ist auch eine Aktualisierung dieses Nachweises erforderlich. Die zuständigen Landes- oder Kommunalbehörden sind befugt, sowohl die Einhaltung als auch die ordnungsgemäße Nachweisführung zu kontrollieren und bei Verstößen entsprechende Sanktionen zu verhängen.
Welche rechtlichen Sanktionen drohen bei Verstößen gegen die Niedrigstenergiegebäudestandards?
Verstöße gegen die gesetzlichen Anforderungen an Niedrigstenergiegebäude können als Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 108 ff. GEG geahndet werden. Typische Verstöße sind beispielsweise die Errichtung oder Nutzung eines Gebäudes ohne Einhaltung der festgelegten Energieeffizienzstandards, das Fehlen erforderlicher Nachweise oder das Ausstellen eines fehlerhaften oder ungültigen Energieausweises. Je nach Schwere und Ausmaß des Verstoßes drohen empfindliche Bußgelder, die bis zu fünfstelligen Beträgen reichen können. Darüber hinaus kann die zuständige Bauaufsichtsbehörde die Nutzung des Gebäudes untersagen oder im Extremfall den Rückbau anordnen. In besonders schweren Fällen, etwa bei vorsätzlicher Falschaussage oder Täuschung gegenüber der Behörde, können zudem zivil- und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Welche Ausnahmen und Übergangsregelungen gelten für bestehende Bauten und bestimmte Gebäudetypen?
Das GEG sieht für bestimmte Gebäudearten und Nutzungskonstellationen Ausnahmen oder Erleichterungen vor. Beispielsweise gelten erleichterte Anforderungen für denkmalgeschützte Gebäude, Gebäude mit besonderer Nutzung (wie Kirchen oder untergeordnete Betriebsgebäude) sowie temporäre Bauten. Für vor dem Inkrafttreten des GEG begonnene Bauvorhaben gelten großzügige Übergangsregelungen: Wer bereits vor Stichtag eine Baugenehmigung oder Kenntnisgabebestätigung erhalten hat, kann nach altem Recht fertigstellen. Bei grundlegenden Renovierungen greift das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz, das ebenfalls unter dem Dach des GEG zusammengeführt wurde, mit speziellen Nachrüstpflichten – hiervon gibt es auf Antrag jedoch Ausnahmen, etwa wenn eine Nachrüstung technisch unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar ist, wobei diese Gründe nachzuweisen sind.
Wie beeinflussen rechtliche Vorgaben zu Niedrigstenergiegebäuden die Finanzierung und Fördermittelvergabe?
Rechtliche Vorgaben an Niedrigstenergiegebäude sind eng mit der Vergabe öffentlicher Fördermittel, insbesondere durch die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) und das BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle), verknüpft. Viele Kredite und Zuschüsse sind daran gebunden, dass ein Gebäude mindestens den Standard eines Niedrigstenergiegebäudes nachweist. Hierzu muss ein rechtskonformer Energieausweis sowie die Einhaltung der technischen Mindestanforderungen vorgelegt werden. Nicht-Einhaltung oder die nachträgliche Feststellung von Abweichungen führen vielfach zu Rückforderungen oder gar dem Verlust bereits ausbezahlter Förderungen, verbunden mit zusätzlichen Strafzahlungen oder Zinsforderungen. Auch private Finanzierungsinstitute orientieren sich zum Teil an den Standards des GEG, wenn es um die Bewertung ökologischer Risiken und Sicherheiten geht.
Welche Rolle spielen EU-Richtlinien und wie erfolgt deren Umsetzung in nationales Recht?
Die rechtlichen Vorgaben zu Niedrigstenergiegebäuden basieren maßgeblich auf europäischen Richtlinien, insbesondere der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden und ihren Novellierungen. Diese Richtlinien geben verbindliche Ziele und Mindeststandards vor, lassen den Mitgliedstaaten aber Ermessen, wie sie diese Ziele umsetzen (sogenannte „Spielräume der Umsetzung“). In Deutschland erfolgt die Umsetzung dieser Vorgaben seit 2020 durch das Gebäudeenergiegesetz (GEG) sowie zugehörige Verordnungen und Normen. Die Bundesregierung ist verpflichtet, die Umsetzung regelmäßig der EU-Kommission zu melden und die Einhaltung der Vorgaben sicherzustellen. Werden die Mindeststandards auf nationaler Ebene unterschritten oder nicht umgesetzt, kann die Europäische Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten, das zu erheblichen finanziellen Sanktionen führen kann.