Nichtveranlagungsbescheinigung: Bedeutung, Zweck und Einordnung
Die Nichtveranlagungsbescheinigung (NV-Bescheinigung) ist eine von der Finanzverwaltung ausgestellte Bescheinigung, mit der inländische Zahlstellen – insbesondere Banken – angewiesen werden, auf bestimmte Kapitalerträge keine Kapitalertragsteuer, keinen Solidaritätszuschlag und keine Kirchensteuer einzubehalten. Sie richtet sich an Personen, bei denen voraussichtlich keine Einkommensteuer festgesetzt wird, weil keine oder nur sehr geringe zu versteuernde Einkünfte anfallen. Die NV-Bescheinigung dient damit der Vermeidung eines Steuerabzugs an der Quelle, wenn nach der gesetzlichen Systematik eine spätere Veranlagung keine Steuer ergeben würde.
Zweck und systematische Stellung
Der Zweck der NV-Bescheinigung liegt in der Entlastung von Personen mit niedrigen Einkünften, für die eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht vorgesehen ist. Im Bereich der Kapitalerträge wird die Steuer grundsätzlich im Wege des Quellenabzugs erhoben. Die NV-Bescheinigung durchbricht diesen Mechanismus für den begünstigten Personenkreis und ordnet an, dass auf inländische Kapitalerträge kein Abzug erfolgt. Die steuerliche Beurteilung der Einkünfte bleibt hiervon unberührt: Entstehen im Nachhinein doch steuerpflichtige Einkünfte, kann eine Veranlagung mit Nachzahlung erforderlich sein.
Abgrenzung zu Freistellungsauftrag und Steuerveranlagung
Ein Freistellungsauftrag befreit Kapitalerträge nur bis zum Sparer-Pauschbetrag; darüber hinausgehende Erträge werden weiterhin einbehalten. Die NV-Bescheinigung bewirkt demgegenüber eine umfassende Freistellung vom Einbehalt auf inländische Kapitalerträge innerhalb ihrer Geltungsdauer. Eine Einkommensteuerveranlagung wird durch die NV-Bescheinigung nicht ausgeschlossen; sie bleibt möglich, wenn sich die Verhältnisse ändern oder weitere Einkünfte hinzutreten.
Persönlicher Anwendungsbereich
Begünstigte Personengruppen
Begünstigt sind natürliche Personen, bei denen auf absehbare Zeit keine Einkommensteuer festgesetzt wird. Typische Fallgruppen sind Minderjährige ohne weitere Einkünfte, Studierende oder Auszubildende mit geringen Einnahmen sowie Ruhestandsbeziehende mit niedrigen Renten und begrenzten Kapitalerträgen. Entscheidend sind die individuellen wirtschaftlichen Verhältnisse und die Prognose, dass eine Veranlagung zur Einkommensteuer nicht zu erwarten ist.
Nicht erfasst
Nicht begünstigt sind Unternehmen und Körperschaften. Für Personen ohne inländische Steuerpflicht gelten besondere Regelungen; die NV-Bescheinigung ist primär für Personen mit inländischem Wohnsitz und unbeschränkter Steuerpflicht vorgesehen.
Gegenständlicher Anwendungsbereich
Erfasste Einkunftsarten und Zahlstellen
Die NV-Bescheinigung wirkt gegenüber inländischen Zahlstellen, insbesondere Kreditinstituten und inländischen Depotbanken. Erfasst sind Kapitalerträge mit grundsätzlich inländischem Steuerabzug, etwa Zinsen, Dividenden, Erträge aus Investmentfonds sowie realisierte Kursgewinne, soweit der Einbehalt durch die inländische Bank erfolgt. Bei wirksam vorgelegter NV-Bescheinigung unterbleibt der Abzug von Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Nicht erfasste Konstellationen
Keine Wirkung entfaltet die NV-Bescheinigung gegenüber ausländischen Zahlstellen oder bei Erträgen, die keiner inländischen Abzugsverpflichtung unterliegen. Ausländische Quellensteuern werden durch die NV-Bescheinigung nicht beeinflusst. Sie erfasst ferner keine Lohnsteuer aus nichtselbständiger Arbeit.
Verfahren und Dokumentation
Antragstellung und Zuständigkeit
Die NV-Bescheinigung wird auf Antrag von der örtlich zuständigen Finanzbehörde ausgestellt. Dem Antrag sind regelmäßig Angaben zu den persönlichen Verhältnissen und den voraussichtlichen Einkünften beizufügen. Die Prüfung erfolgt auf Basis einer Prognose, ob im beantragten Zeitraum eine Veranlagung zur Einkommensteuer zu erwarten ist.
Form und Inhalt der Bescheinigung
Die Bescheinigung enthält unter anderem den Namen der berechtigten Person, die steuerliche Identifikationsnummer sowie eine Befristung. Sie wird in der Regel im Original erteilt.
Vorlage bei der Zahlstelle
Damit der Steuerabzug unterbleibt, ist die NV-Bescheinigung der inländischen Zahlstelle vorzulegen. Kreditinstitute dokumentieren die Freistellung und berücksichtigen sie bei der Abrechnung der Kapitalerträge für den Geltungszeitraum.
Geltungsdauer, Widerruf und Änderungen
Befristung und Verlängerung
Die NV-Bescheinigung ist befristet und gilt regelmäßig für einen mehrjährigen Zeitraum. Nach Ablauf der Frist kann eine erneute Prüfung und Ausstellung erfolgen, wenn die Voraussetzungen weiterhin vorliegen.
Widerruf, Rückgabe und Mitwirkungspflichten
Ändern sich die tatsächlichen Verhältnisse während der Laufzeit so, dass eine Veranlagung zur Einkommensteuer zu erwarten ist, kann die NV-Bescheinigung widerrufen werden. In der Praxis ist vorgesehen, dass Änderungen zeitnah berücksichtigt werden, um einen unzutreffenden Verzicht auf den Steuerabzug zu vermeiden. Eine missbräuchliche Verwendung kann zu steuerlichen Korrekturen und weiteren Maßnahmen führen.
Rechtsfolgen und Wechselwirkungen
Auswirkungen auf Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer
Bei wirksamer NV-Bescheinigung werden einbehaltener Kapitalertragsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer auf inländische Kapitalerträge nicht erhoben. Die Einnahmen erscheinen in der Abrechnung der Bank ohne Abzüge.
Spätere Veranlagung und Nachversteuerung
Fallen während des Geltungszeitraums der NV-Bescheinigung steuerpflichtige Einkünfte in einer Höhe an, die eine Einkommensteuer auslöst, kann es zu einer nachträglichen Veranlagung kommen. In diesem Fall werden die Kapitalerträge ohne Quellenabzug in die Berechnung einbezogen. Es können Nebenfolgen wie Zinsbelastungen entstehen, wenn Zahlungen erst zeitversetzt geleistet werden.
Ordnungswidrigkeiten und Missbrauch
Unrichtige oder unvollständige Angaben im Zusammenhang mit der Ausstellung oder Verwendung der NV-Bescheinigung können zu steuerlichen Mehrbeträgen, Zinsen und weiteren rechtlichen Konsequenzen führen. Die Finanzverwaltung ist berechtigt, unzutreffende Bescheinigungen zu widerrufen und Festsetzungen zu korrigieren.
Besonderheiten und Praxisfragen
Minderjährige und Verwahrkonten
Für Kinder- und Jugendkonten wird die NV-Bescheinigung häufig genutzt, wenn keine weiteren steuerpflichtigen Einkünfte zu erwarten sind. Die Bescheinigung gilt personengebunden und erfasst die über die jeweilige inländische Zahlstelle erzielten Kapitalerträge.
Gemeinschaftskonten
Bei Gemeinschaftskonten ist zu beachten, dass die NV-Bescheinigung personenbezogen wirkt. Liegt sie für eine Person vor, richtet sich die Freistellung an der Quelle nach den abrechnungstechnischen Vorgaben der Zahlstelle und der zugeordneten Inhaberstruktur des Kontos oder Depots.
Ausländische Kapitalerträge und Quellensteuer
Kapitalerträge, die über ausländische Zahlstellen erzielt werden, unterliegen häufig einer ausländischen Quellenbesteuerung. Die NV-Bescheinigung entfaltet insoweit keine Wirkung. Eine Anrechnung oder Erstattung ausländischer Steuern richtet sich nach den jeweils einschlägigen Regelungen.
Investmentfonds und Kursgewinne
Seit der Reform der Investmentbesteuerung erfolgt der Steuerabzug auf Fondserträge und reale Wertzuwächse grundsätzlich auf Ebene der inländischen Depotbank. Die NV-Bescheinigung bewirkt, dass auch in diesem Bereich der inländische Abzug unterbleibt, solange die Bescheinigung gültig ist.
Häufig gestellte Fragen
Wer kann eine Nichtveranlagungsbescheinigung erhalten?
Eine NV-Bescheinigung kommt für natürliche Personen in Betracht, bei denen voraussichtlich keine Einkommensteuer entsteht. Maßgeblich ist die Prognose der zu erwartenden Einkünfte im Geltungszeitraum, etwa bei Minderjährigen, Studierenden oder Ruhestandsbeziehenden mit geringem Einkommen.
Für welche Einkünfte wirkt die Nichtveranlagungsbescheinigung?
Sie wirkt gegenüber inländischen Zahlstellen für Kapitalerträge wie Zinsen, Dividenden, Ausschüttungen und bestimmte realisierte Kursgewinne. Lohn- und Gehaltseinkünfte sind nicht erfasst. Gegenüber ausländischen Zahlstellen entfaltet sie keine Wirkung.
Wie lange ist eine Nichtveranlagungsbescheinigung gültig?
Die Geltungsdauer ist befristet, typischerweise über mehrere Jahre. Nach Ablauf kann eine erneute Prüfung durch die Finanzverwaltung erfolgen, ob die Voraussetzungen weiterhin vorliegen.
Kann eine Nichtveranlagungsbescheinigung widerrufen werden?
Ja. Ändern sich die Verhältnisse so, dass eine Veranlagung zur Einkommensteuer zu erwarten ist, kann die Bescheinigung widerrufen werden. Der Widerruf hat zur Folge, dass der Steuerabzug durch die Zahlstellen wieder einsetzt.
Wie verhält sich die Nichtveranlagungsbescheinigung zum Freistellungsauftrag?
Ein Freistellungsauftrag befreit Kapitalerträge nur bis zum Sparer-Pauschbetrag. Die NV-Bescheinigung führt zu einem vollständigen Unterbleiben des Steuerabzugs auf inländische Kapitalerträge während ihrer Geltung. In der Praxis wird die NV-Bescheinigung bei der Abrechnung vorrangig berücksichtigt.
Was passiert, wenn trotz Nichtveranlagungsbescheinigung steuerpflichtige Einkünfte anfallen?
Entstehen steuerpflichtige Einkünfte in einer Höhe, die Einkommensteuer auslöst, kann eine nachträgliche Veranlagung erfolgen. Die ohne Abzug zugeflossenen Kapitalerträge werden dann in die Steuerberechnung einbezogen; es können Nebenfolgen wie Zinsbelastungen entstehen.
Gilt die Nichtveranlagungsbescheinigung auch für Gemeinschaftskonten?
Die Wirkung ist personenbezogen. Bei Gemeinschaftskonten richtet sich die Abwicklung danach, wie die Zahlstelle die Inhaberschaft und die Freistellung technisch umsetzt. Eine individuelle Prüfung der Kontostruktur ist maßgeblich.
Hat die Nichtveranlagungsbescheinigung Auswirkungen auf ausländische Quellensteuern?
Nein. Ausländische Quellensteuern werden durch die NV-Bescheinigung nicht berührt. Eine Anrechnung oder Erstattung richtet sich nach den einschlägigen Regelungen des jeweiligen Staates und den inländischen Vorschriften zur Entlastung.