Begriff und rechtliche Einordnung der Nichtveranlagungsbescheinigung
Die Nichtveranlagungsbescheinigung (abgekürzt: NV-Bescheinigung) ist ein behördliches Dokument, das in Deutschland von den Finanzämtern ausgestellt wird. Sie dient dem Nachweis, dass für eine Person aktuell keine Einkommensteuerpflicht besteht bzw. voraussichtlich keine Einkommensteuer zu entrichten sein wird. Die Bescheinigung ist insbesondere für Kapitalerträge relevant, da sie den automatischen Steuerabzug bei bestimmten Einkünften, wie beispielsweise Zinsen, aussetzt. Die maßgeblichen rechtlichen Regelungen finden sich insbesondere im Einkommensteuergesetz (EStG) und den zugehörigen Verwaltungsvorschriften.
Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen
Gesetzliche Grundlagen
Die rechtliche Grundlage für die Nichtveranlagungsbescheinigung bildet § 44a Abs. 2 Satz 1 EStG. Ergänzende Vorschriften finden sich im Einkommensteuergesetz (EStG), insbesondere im Zusammenhang mit dem Steuerabzug bei Kapitalerträgen sowie im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer (§§ 43 ff. EStG). Hinzu kommen Verwaltungsanweisungen, die im Anwendungserlass zum Einkommensteuergesetz (EStAE) niedergelegt sind.
Voraussetzungen für die Ausstellung
Eine Nichtveranlagungsbescheinigung kann auf Antrag bei dem zuständigen Finanzamt erteilt werden, wenn voraussichtlich im laufenden Kalenderjahr und den beiden darauf folgenden Jahren keine oder nur eine sehr geringe Einkommensteuer festgesetzt wird. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn das Einkommen des Antragstellers den Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs. 1 EStG nicht überschreitet. Besonders betroffen sind Rentnerinnen und Rentner, Studierende sowie Personen mit sehr geringem Einkommen, deren Einkünfte sich hauptsächlich aus steuerpflichtigen Kapitalerträgen zusammensetzen.
Prüfung durch das Finanzamt
Vor der Erteilung prüft das Finanzamt die Angaben des Antragstellers, insbesondere seine voraussichtlichen Einkünfte und Veranlagungsdaten. Für die Antragstellung sind regelmäßig entsprechende Nachweise vorzulegen, wie etwa Rentenbescheide, Lohnabrechnungen oder Nachweise über geplante Einnahmen.
Bedeutung und Funktion im Steuerrecht
Sinn und Zweck
Die Nichtveranlagungsbescheinigung dient der Vermeidung einer unnötigen Vorbelastung mit Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag auf Kapitalerträge. Banken und andere inländische Auszahlungsstellen sind gesetzlich verpflichtet, 25 % Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag und gegebenenfalls Kirchensteuer einzubehalten und abzuführen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 EStG). Mit Vorlage der NV-Bescheinigung entfällt dieser Steuerabzug.
Anwendungsbereich
Die NV-Bescheinigung kommt in erster Linie bei folgenden Sachverhalten zum Einsatz:
- Erträge aus Sparbüchern, Tagesgeld- oder Festgeldkonten
- Dividenden und Zinsausschüttungen aus Wertpapieren
- Kapitaleinkünfte bei Minderjährigen, sofern die Einkünfte deren persönlichen Grundfreibetrag nicht übersteigen
Form und Gültigkeit der Nichtveranlagungsbescheinigung
Ausgestaltung und Ausstellung
Die NV-Bescheinigung ist ein amtliches Schriftstück, das vom Finanzamt auf Antrag für maximal drei Jahre ausgestellt wird. Nach Ablauf der bescheinigten Frist ist eine erneute Antragstellung erforderlich. Die Bescheinigung wird dem Antragsteller übersandt und kann bei Banken und anderen Auszahlungsstellen zur Freistellung von der Kapitalertragsteuer vorgelegt werden.
Geltungsdauer und Verlängerung
Die maximale Geltungsdauer beträgt nach aktueller Verwaltungspraxis drei Jahre ab Ausstellungsdatum. Änderungen in den Einkommensverhältnissen, die zu einer Steuerpflicht führen, sind dem Finanzamt unverzüglich mitzuteilen. In diesen Fällen kann das Finanzamt die NV-Bescheinigung widerrufen oder zurückfordern (§ 130, § 131 AO).
Praktische Auswirkungen und Bedeutung für Steuerpflichtige
Vorteile für Berechtigte
Die Nichtveranlagungsbescheinigung ermöglicht es berechtigten Personen, auf einfache Weise Kapitalerträge steuerfrei zu vereinnahmen, ohne auf eine nachgelagerte Erstattung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zu warten. Dies führt zu einer zeitlichen Entlastung und vermeidet Liquiditätsnachteile.
Verfahrensregeln bei Banken und Auszahlungsstellen
Nach Erhalt der NV-Bescheinigung sind Banken und andere Institute verpflichtet, den Steuerabzug auf Kapitaleinnahmen auszusetzen. Die Bescheinigung ist im Original vorzulegen; Kopien werden in der Regel nicht akzeptiert. Banken sind im Rahmen des § 44a Abs. 4 EStG verpflichtet, den Eingang und die Gültigkeit der NV-Bescheinigung zu dokumentieren.
Abgrenzung zur Freistellungsauftrag und zur Steuererklärung
Unterschiede zur NV-Bescheinigung
Ein Freistellungsauftrag (§ 44a Abs. 1 EStG) ist eine Weisung an den Steuerabzugsverpflichteten, Kapitalerträge bis zu einem bestimmten Freibetrag von der Steuer freizustellen (Sparerpauschbetrag von 1.000 Euro für Ledige, 2.000 Euro für Verheiratete/Lebenspartner). Die Nichtveranlagungsbescheinigung hebt im Gegensatz dazu den Steuerabzug vollständig auf, unabhängig von der Höhe der Kapitalerträge, solange keine Steuerpflicht entsteht.
Verhältnis zur Einkommensteuerveranlagung
Wird trotz bestehender NV-Bescheinigung eine Steuerpflicht festgestellt (z.B. durch zwischenzeitliche Einkommenssteigerung), ist eine Einkommensteuererklärung einzureichen und gegebenenfalls Steuer nachzuzahlen. Besteht hingegen weiterhin keine Steuerpflicht, bleibt die NV-Bescheinigung maßgeblich.
Vorgangsweise bei unberechtigtem Bezug und Sanktionen
Rücknahme und Widerruf
Stellen sich nachträglich die Voraussetzungen für die NV-Bescheinigung als nicht erfüllt heraus, kann das Finanzamt die Bescheinigung gemäß §§ 130, 131 AO zurücknehmen oder widerrufen. Zu Unrecht nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer kann nachträglich eingefordert werden.
Rechtsfolgen bei Fehlgebrauch
Die unberechtigte Verwendung der NV-Bescheinigung kann steuerrechtliche Folgen bis hin zur Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO nach sich ziehen, wenn Steuern vorsätzlich oder leichtfertig verkürzt werden.
Zusammenfassung
Die Nichtveranlagungsbescheinigung ist ein bedeutsames Instrument im deutschen Einkommensteuerrecht, das einer bestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen die Freistellung von Kapitalerträgen vom Abzug der Kapitalertragsteuer ermöglicht. Sie bedarf eines Antrags, ist befristet gültig und setzt voraus, dass keine Steuerpflicht besteht. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die genauen Voraussetzungen sowie die praktische Handhabung sind streng geregelt und dienen sowohl dem Schutz der Steuerpflichtigen als auch der ordnungsgemäßen Umsetzung des deutschen Steuerrechts.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist berechtigt, eine Nichtveranlagungsbescheinigung (NV-Bescheinigung) beim Finanzamt zu beantragen?
Eine NV-Bescheinigung kann grundsätzlich von natürlichen Personen beantragt werden, die keine Einkommensteuer zahlen müssen, weil ihre Einkünfte den Grundfreibetrag nicht überschreiten oder weil eine Steuerbefreiung aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften vorliegt. Im rechtlichen Kontext richtet sich der Anspruch insbesondere an Personen mit ausschließlich steuerfreien oder sehr niedrigen Einkünften, wie z. B. Rentner, Minderjährige mit Kapitalerträgen oder Geringverdiener. Rechtsgrundlage ist § 44a Abs. 2 Satz 1 EStG, nach dem das Finanzamt die NV-Bescheinigung auf Antrag erteilen kann, wenn zu erwarten ist, dass keine Einkommensteuer entsteht. Die Antragstellenden müssen dem Finanzamt darlegen und nachweisen, aus welchen Einkunftsarten und -höhen sich ihr zu versteuerndes Einkommen zusammensetzt. Der Antrag ist formlos oder über bereitgestellte Formulare (z. B. „Antrag auf NV-Bescheinigung“) beim Wohnsitzfinanzamt zu stellen. Eine rechtliche Verpflichtung zur Erteilung der Bescheinigung besteht nur, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen eindeutig erfüllt sind.
Wie lange ist eine NV-Bescheinigung gültig und welche rechtlichen Vorgaben sind dabei zu beachten?
Die Gültigkeit einer NV-Bescheinigung ist gesetzlich nicht konkret terminiert, sie wird jedoch in der Regel befristet für maximal drei Jahre vom Finanzamt ausgestellt, wie es aus § 44a Abs. 2 Satz 3 EStG hervorgeht. Die Dauer kann jedoch je nach prognostizierter Einkommenssituation auch kürzer vom Finanzamt angesetzt werden. Formal endet die Gültigkeit der Bescheinigung entweder mit Ablauf der auf der NV-Bescheinigung genannten Frist oder wenn sich die Verhältnisse beim Berechtigten wesentlich ändern, sodass die Voraussetzungen künftig nicht mehr vorliegen. In diesem Fall ist die Bescheinigung gemäß § 130 AO (Abgabenordnung) unverzüglich an das Finanzamt zurückzugeben. Darüber hinaus verpflichtet § 44a Abs. 2 Satz 4 EStG die auszahlenden Stellen, die Kapitalerträge vor Auszahlung daraufhin zu prüfen, ob die NV-Bescheinigung noch gültig ist.
Auf welche steuerrechtlichen Einkünfte erstreckt sich die Wirkung der NV-Bescheinigung?
Die rechtliche Wirkung der NV-Bescheinigung erstreckt sich gemäß § 44a EStG ausschließlich auf Kapitalerträge, für die ein automatischer Steuerabzug nach § 43 EStG vorgesehen ist. Dazu zählen vor allem Zinserträge, Dividenden und sonstige Erträge aus Kapitalvermögen bei inländischen Banken, Kreditinstituten und sonstigen steuerabzugsverpflichteten Stellen. Die NV-Bescheinigung bewirkt, dass weder Kapitalertragsteuer noch Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer einbehalten werden, wenn sie bei Vorlage der gültigen Bescheinigung vorliegen. Die NV-Bescheinigung hat jedoch keine Auswirkungen auf andere Einkunftsarten wie zum Beispiel Mieteinkünfte, gewerbliche Einkünfte oder nicht von § 44 Abs. 1 EStG erfasste Zahlungen.
Welche Pflichten treffen den Inhaber einer NV-Bescheinigung bei Änderungen der Einkommensverhältnisse?
Rechtlich ist der Inhaber einer NV-Bescheinigung nach § 130 AO verpflichtet, eine wesentliche Änderung seiner steuerlichen Verhältnisse umgehend dem Wohnsitzfinanzamt mitzuteilen. Dies gilt insbesondere, wenn sich das zu versteuernde Einkommen künftig so verändert, dass eine Steuerpflicht entstehen würde und damit die Voraussetzungen für die Erteilung der NV-Bescheinigung entfallen. Die Bescheinigung ist in diesem Fall unverzüglich an das Finanzamt zurückzugeben. Werden solche Änderungen nicht angezeigt und der Steuerabzug bleibt irrtümlich unterlassen, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit oder Steuerordnungswidrigkeit nach § 378 AO oder ggf. eine Steuerhinterziehung nach § 370 AO dar und kann straf- oder bußgeldrechtlich verfolgt werden. Die steuerliche Sorgfaltspflicht verlangt daher eine fortwährende Prüfung und ggf. Anzeige von Änderungen an das Finanzamt.
Welche Mitwirkungspflichten bestehen bei der Beantragung und Nutzung einer NV-Bescheinigung?
Bei Beantragung einer NV-Bescheinigung treffen den Steuerpflichtigen gemäß den allgemeinen Mitwirkungspflichten nach §§ 90 ff. AO umfassende Auskunfts- und Offenlegungspflichten gegenüber dem Finanzamt. Er muss alle relevanten Angaben zu seinen Einkünften, Freibeträgen und etwaigen steuerfreien Beträgen machen und Unterlagen auf Verlangen vollständig vorlegen. Auch im Verlauf der Gültigkeitsdauer besteht die Verpflichtung zur Offenlegung aller wesentlichen Veränderungen in den steuerlichen Verhältnissen. Zudem darf die NV-Bescheinigung rechtlich ausschließlich demjenigen Kreditinstitut oder der Stelle vorgelegt werden, bei dem bzw. der Kapitalerträge erzielt werden. Eine missbräuchliche, etwa zweifache Verwendung oder Weitergabe ist ausgeschlossen und möglicherweise strafbar.
Unter welchen Umständen kann eine bereits erteilte NV-Bescheinigung widerrufen werden?
Das Finanzamt kann eine bereits erteilte NV-Bescheinigung nachträglich aufheben oder widerrufen, wenn sich herausstellt, dass die für die Erteilung maßgebenden Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 AO). Dies ist etwa der Fall, wenn nachträglich steuerpflichtige Einkünfte erzielt werden, die den Grundfreibetrag übersteigen, oder wenn unzutreffende Angaben gemacht wurden. Der Widerruf erfolgt durch einen formellen Verwaltungsakt. Ab dem Zeitpunkt des Widerrufs verliert die NV-Bescheinigung ihre Gültigkeit und es wird ein entsprechender Steuerabzug auf Kapitalerträge wieder vorgenommen. Steuerlich nachträglich zu Unrecht gutgeschriebene Beträge werden im Wege der Steuerfestsetzung zurückgefordert.
Gibt es besondere Verjährungsfristen oder Ordnungsvorschriften im Zusammenhang mit der NV-Bescheinigung?
Die NV-Bescheinigung unterliegt in Hinblick auf zu Unrecht unterlassenen Steuerabzug und nachträgliche Steuerfestsetzung den allgemeinen Verjährungsfristen des § 169 ff. AO. Das bedeutet, Steueransprüche können in der Regel vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, festgesetzt werden; bei Steuerhinterziehung oder leichtfertiger Steuerverkürzung verlängert sich diese Frist auf fünf bzw. zehn Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO). Ordnungsvorschriften regeln dabei auch die Aufbewahrungspflicht der Bescheinigung (vgl. § 147 AO für Banken/auszahlende Stellen) und Weiterleitungspflichten an das zuständige Finanzamt, falls etwa Zweifel an der Gültigkeit bestehen oder Missbrauch zu vermuten ist.