Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Verwaltungsrecht»Nichtigkeit von Verwaltungsakten

Nichtigkeit von Verwaltungsakten


Begriff und rechtliche Grundlagen der Nichtigkeit von Verwaltungsakten

Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten bezeichnet im deutschen Verwaltungsrecht den Zustand, in dem ein Verwaltungsakt von Anfang an (ex tunc) ohne rechtliche Wirkung ist. Die Nichtigkeit hebt die ansonsten bestehende Vermutung der Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes (vgl. § 43 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG) auf und führt dazu, dass der Verwaltungsakt als von Anfang an unwirksam gilt. Die Regelungen zur Nichtigkeit finden sich in § 44 VwVfG sowie in entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften für Landesverwaltungsakte.

Voraussetzungen und Tatbestände der Nichtigkeit

Absolute Nichtigkeitsgründe

Ein Verwaltungsakt ist nach § 44 Abs. 1 VwVfG nichtig, wenn er an einem besonders schweren Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Nichtigkeitsgründe sind typisiert in § 44 Abs. 2 bis 5 VwVfG aufgeführt. Die Vorschrift unterscheidet zwischen absoluten und relativen Nichtigkeitsgründen:

Beispiele für absolute Nichtigkeitsgründe

Im Gesetz werden beispielsweise folgende absolute Nichtigkeitsgründe genannt:

  • Erlass eines Verwaltungsaktes durch eine sachlich unzuständige Behörde in Form einer Strafandrohung (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG)
  • Inhaltliche Unmöglichkeit des Verwaltungsaktes (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG), etwa wenn eine Leistung gefordert wird, die naturgesetzlich oder rechtlich ausgeschlossen ist
  • Gesetzesverstöße, bei denen eine gesetzliche Vorschrift dies ausdrücklich bestimmt

Relativität und Offenkundigkeit des Fehlers

Nicht jeder Fehler führt zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes. Entscheidend ist, ob der Fehler als besonders schwerwiegend zu qualifizieren ist und dies für einen objektiven Dritten auch offenkundig ist. Ein bloßer Verstoß gegen Verfahrens- oder Formvorschriften genügt meist nicht.

  • Besonders schwerer Fehler: Er liegt vor, wenn ein Verstoß gegen eine Vorschrift besteht, die so wesentlich ist, dass die Maßnahme als nicht existent angesehen werden muss.
  • Offenkundigkeit: Offenkundig ist der Fehler, wenn er sich einem verständigen Dritten bei Betrachtung der Sachlage ohne Weiteres aufdrängt.

Rechtsfolgen der Nichtigkeit

Wirkung ex tunc

Ein nichtiger Verwaltungsakt entfaltet von Anfang an keinerlei Rechtswirkung. Er ist so zu behandeln, als sei er nie erlassen worden. Daraus folgt:

  • Es entstehen keine Pflichten oder Rechte aus dem Verwaltungsakt.
  • Auch Dritte müssen sich nicht auf den Verwaltungsakt berufen oder ihn beachten.

Behandlung im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren

Die Feststellung der Nichtigkeit kann von jedermann geltend gemacht werden. Gerichte und Behörden haben die Nichtigkeit von Amts wegen zu beachten. Es bedarf keiner Anfechtung, sondern der Verwaltungsakt ist von Beginn an unwirksam.

Abgrenzung zur Anfechtbarkeit

Ein fehlerhafter Verwaltungsakt ist nicht automatisch nichtig – vielmehr ist er in der Regel lediglich anfechtbar. Die Nichtigkeit stellt damit die Ausnahme dar. Anfechtbare Verwaltungsakte entfalten rechtliche Wirkung, bis sie aufgehoben werden. Die Abgrenzung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit ist ein Kernpunkt des Verwaltungsverfahrens.

  • Nichtigkeit: Unwirksamkeit von Anfang an, keine Rechte und Pflichten entstehen.
  • Anfechtbarkeit: Wirksamkeit bleibt bis zur Aufhebung bestehen, Rechte und Pflichten treten zunächst ein.

Besonderheiten und Sondertatbestände

Teilnichtigkeit

Ein Verwaltungsakt kann auch nur zum Teil nichtig sein, sofern der nichtige Teil abtrennbar ist und der verbleibende Teil rechtlich bestehenbleiben kann (§ 44 Abs. 5 VwVfG).

Nichtigkeit in besonderen Verwaltungsbereichen

Einige Bereiche kennen spezifische Nichtigkeitsvorschriften, etwa im Steuerrecht (§ 125 Abgabenordnung), Baurecht oder Beamtenrecht. Hier gelten neben den allgemeinen Vorschriften ergänzende Sonderregelungen.

Heilung und Bestätigung nichtiger Verwaltungsakte

Ein nichtiger Verwaltungsakt kann grundsätzlich nicht geheilt werden. Im Gegensatz zu lediglich anfechtbaren, formell rechtswidrigen Verwaltungsakten, bei denen oft eine Heilung der Fehler möglich ist (§§ 45, 46 VwVfG), bleibt die Nichtigkeit dauerhaft bestehen. Eine spätere Bestätigung des Verwaltungsaktes ist unwirksam.

Rechtsfolgen in der Praxis und Folgeentscheidungen

Nichtigkeit hat weitreichende Folgen für das Verwaltungshandeln:

  • Amtshaftung: Handlungen aufgrund nichtiger Verwaltungsakte können Schadensersatzansprüche auslösen.
  • Strafrechtliche Konsequenzen: Maßnahmen auf Basis nichtiger Verwaltungsakte sind nichtig, sodass etwaige Zwangsmaßnahmen rechtswidrig erfolgen.
  • Folgebescheide: Werden Folge- oder Dauerverwaltungsakte auf der Grundlage eines nichtigen Verwaltungsaktes erlassen, so sind auch diese regelmäßig nichtig.

Schlussbetrachtung

Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten bildet eine entscheidende Sicherung des Rechtsstaatsprinzips im deutschen Verwaltungsrecht. Sie sorgt dafür, dass besonders gravierende Gesetzesverstöße im Verwaltungshandeln keine rechtliche Wirkung entfalten und gewährleistet so die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz. Die genaue Prüfung des Vorliegens von Nichtigkeitsgründen ist daher für die Wirksamkeit und Rechtskraft von Verwaltungsakten von zentraler Bedeutung.


Weiterführende Schlagworte: Verwaltungsakt, Verwaltungsrecht, Wirksamkeit, Rechtswidrigkeit, Anfechtung, Rechtskraft, Abgabenordnung, Amtshaftung, Verwaltungsverfahrensgesetz.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes im Verwaltungsrecht?

Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Akt von Anfang an (ex tunc) keinerlei rechtliche Wirkung entfaltet. Ein nichtiger Verwaltungsakt wird rechtlich so behandelt, als wäre er niemals erlassen worden. Erbindet weder Bürger noch Verwaltung und löst grundsätzlich keine Rechtsfolgen aus, auch wenn er faktisch zunächst umgesetzt oder befolgt wurde. Die Feststellung der Nichtigkeit kann sowohl von der Behörde selbst (Evidenznichtigkeit) als auch durch gerichtliche Entscheidung erfolgen. Dies ist insbesondere relevant, weil nichtige Verwaltungsakte keine Rechtskraft entfalten, nicht durch nachträgliche Heilung, Bestandskraft oder Fristablauf rechtswirksam werden und daher jederzeit – und unbeachtet etwaiger Fristen – angegriffen oder ignoriert werden können. Zudem haben Dritte, die durch den Verwaltungsakt betroffen sind, ebenfalls einen Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit.

Wie wird die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes rechtlich festgestellt?

Die Feststellung der Nichtigkeit erfolgt im Regelfall entweder durch die Verwaltungsbehörde selbst, sofern diese das Vorliegen eines besonders schweren Fehlers (§ 44 Abs. 1 VwVfG) erkennt (Evidenznichtigkeit), oder durch ein Verwaltungsgericht im Rahmen eines entsprechenden gerichtlichen Verfahrens (z.B. Feststellungsklage). Jeder Beteiligte kann die Nichtigkeit rügen, da im Fall eines nichtigen Verwaltungsakts kein Vertrauenstatbestand in dessen Gültigkeit entstehen kann. Eine formelle Feststellung der Nichtigkeit ist aber im Gesetz nur in bestimmten Fällen zwingend vorgesehen (§ 44 Abs. 5 VwVfG). Im gerichtlichen Verfahren kann die Nichtigkeit auch inzident geprüft werden, etwa im Rahmen der Anfechtung eines Folgebescheids.

Welche materiellen Voraussetzungen müssen für die Nichtigkeit vorliegen?

Für die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes müssen die Voraussetzungen eines besonders schwerwiegenden Fehlers vorliegen, der offensichtlich ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG). Die Fehlerhaftigkeit muss nach Art und Ausmaß so gravierend sein, dass sie die Annahme rechtfertigt, der Verwaltungsakt könne auch im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes keinem Bestand im Rechtsleben haben. Beispiele hierfür sind die Unzuständigkeit der erlassenden Behörde in besonders krasser Form, das Fehlen jeglicher gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, ein unmöglicher oder gegen die guten Sitten verstoßender Inhalt oder die Missachtung fundamentaler Verfahrensregeln. Die Fehlerbewertung bedarf einer differenzierten Abwägung unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und unter Heranziehung der Rechtsprechung.

Welche Unterschiede bestehen zwischen der Nichtigkeit und der bloßen Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes?

Während ein nichtiger Verwaltungsakt ex tunc unwirksam und ohne jedwede rechtliche Wirkung ist, bleibt ein lediglich rechtswidriger Verwaltungsakt zunächst wirksam, solange er nicht aufgehoben wird. Die bloße Rechtswidrigkeit führt im Unterschied zur Nichtigkeit nicht automatisch zur Unwirksamkeit, sondern erfordert die Beseitigung durch einen Widerspruch, eine Anfechtungsklage oder durch einen Rücknahmebescheid. Rechtswidrige, aber wirksame Verwaltungsakte entfalten somit grundsätzlich alle typischen Rechtsfolgen eines Verwaltungsaktes bis zu ihrer Aufhebung, wohingegen nichtige Verwaltungsakte niemals Rechtswirkungen entfalten können.

Welche besonderen Nichtigkeitsgründe nennt das Verwaltungsverfahrensgesetz?

§ 44 Abs. 2 und 3 VwVfG regeln spezifische, besonders gewichtige Nichtigkeitsgründe, die stets zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes führen. Hierzu zählen insbesondere Verwaltungsakte, die schriftlich oder elektronisch erlassen werden, aber die Behörde nicht hinreichend erkennen lassen (§ 44 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG), die gegen die guten Sitten verstoßen (§ 44 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG), oder Verwaltungsakte, die aus tatsächlichen Gründen offensichtlich nicht ausführbar sind (§ 44 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). § 44 Abs. 3 VwVfG normiert hingegen Fälle, in denen die Nichtigkeit unabhängig von der Schwere des Fehlers ausgeschlossen ist, speziell etwa bei der Verletzung wesentlicher Verfahrens- oder Formvorschriften, wenn nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.

Wer ist berechtigt, sich auf die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes zu berufen?

Auf die Nichtigkeit kann sich grundsätzlich jeder berufen, der durch den Verwaltungsakt betroffen ist, da ein nichtiger Verwaltungsakt keinerlei Rechtswirkungen entfaltet. Auch Personen, die am Verfahren unbeteiligt waren und deren Rechte durch den nichtigen Akt beeinträchtigt werden, können die Nichtigkeit geltend machen. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit tritt kraft Gesetzes ein und ist nicht an die Einlegung eines Rechtsmittels oder das Vorliegen eines besonderen Feststellungsakts gebunden, was insbesondere auch für gerichtliche Überprüfungen Relevanz besitzt.

Wie ist das Verhältnis von Nichtigkeit und Bestandskraft?

Die Bestandskraft schützt nur wirksame Verwaltungsakte. Über einen Verwaltungsakt, dem die Nichtigkeit anhaftet, kann keine formelle oder materielle Bestandskraft entstehen. Auch wenn ein nichtiger Verwaltungsakt nicht angefochten wird, entfaltet er keine rechtlichen Wirkungen, und eine Bestandskraft kann sich unabhängig vom Zeitablauf oder vom Vertrauen in die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes nicht entwickeln. Dies ist besonders relevant für Verwaltung und Gerichte, da sie jederzeit – und sogar von Amts wegen – zur Prüfung und Feststellung der Nichtigkeit verpflichtet sind und keine Bindungswirkung an einen offenkundig nichtigen Verwaltungsakt besteht.