Neuartige Lebensmittel – Rechtliche Definition und Einordnung
Der Begriff Neuartige Lebensmittel beschreibt Lebensmittel und Lebensmittelzutaten, die vor dem 15. Mai 1997 in der Europäischen Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Die rechtliche Grundlage sowie die Zulassung und das Inverkehrbringen solcher Produkte sind in der Europäischen Union umfassend reguliert. Die besonderen rechtlichen Anforderungen zielen darauf ab, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten und einen funktionierenden Binnenmarkt sicherzustellen.
Rechtlicher Rahmen für neuartige Lebensmittel in der Europäischen Union
EU-Verordnung über neuartige Lebensmittel (Verordnung (EU) 2015/2283)
Die maßgebliche Rechtsquelle für neuartige Lebensmittel bildet die Verordnung (EU) 2015/2283 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über neuartige Lebensmittel. Sie hat die frühere Verordnung (EG) Nr. 258/97 abgelöst und zielt auf eine effizientere, zentralisierte und transparentere Genehmigungspraxis ab.
Definition gem. Verordnung (EU) 2015/2283
Art. 3 Abs. 2 lit. a der Verordnung (EU) 2015/2283 definiert „neuartige Lebensmittel“ als:
Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 in der Union nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in mindestens eine der folgenden Kategorien fallen:
– Lebensmittel mit neuer oder gezielt veränderter Molekularstruktur,
– Lebensmittel, die aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehen, diese enthalten oder daraus isoliert wurden,
– Lebensmittel aus Material mineralischen Ursprungs,
– Lebensmittel aus Pflanzen oder deren Teilen, für die bisher in der EU kein erheblicher Verzehr nachgewiesen werden kann,
– Lebensmittel aus Tieren oder Teilen davon, die bisher nicht üblich konsumiert wurden,
– Lebensmittel aus Zell- oder Gewebekultur von Pflanzen, Tieren, Mikroorganismen, Pilzen oder Algen,
– Lebensmittel, die durch ein neuartiges Herstellungsverfahren mit maßgeblichem Einfluss auf Struktur, Zusammensetzung oder Nährwert gewonnen wurden,
– Lebensmittel mit veränderten Nährstoffwerten, etwa durch neue Prozesse oder Technologien.
Weitere rechtliche Grundlagen
Neben der Verordnung (EU) 2015/2283 finden auch folgende unionsrechtliche Regelwerke Anwendung:
- Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (Lebensmittelinformationsverordnung)
- Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Basisverordnung über Lebensmittelsicherheit)
- Durchführungsverordnungen und Leitlinien der Europäischen Kommission
Im deutschen Recht sind Regelungen aus dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) sowie ergänzende nationale Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zu beachten.
Zulassungsverfahren und Pflichten für Inverkehrbringer
Antragsverfahren für neuartige Lebensmittel
Hersteller, Importeure oder andere Verantwortliche, die neuartige Lebensmittel in der Europäischen Union erstmals in den Verkehr bringen möchten, sind verpflichtet, einen Zulassungsantrag bei der Europäischen Kommission einzureichen. Das Verfahren ist zentralisiert und erfolgt über das elektronische Einreichungssystem der Kommission.
Anforderungen an den Antrag
Der Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels muss folgende Unterlagen enthalten:
- Beschreibung und Charakterisierung des Lebensmittels,
- Analysemethoden,
- Angaben über beabsichtigte Verwendungen,
- Nachweis über die Unbedenklichkeit für Verbraucherinnen und Verbraucher, insbesondere im Hinblick auf toxikologische, allergene und ernährungsphysiologische Risiken,
- Angaben zur Herstellungsmethode,
- Daten zur Exposition und zum voraussichtlichen Verbrauch,
- Kennzeichnungsvorschläge,
- ggf. Nachweise für den Verzehr vor dem Stichtag (15. Mai 1997).
Bewertung durch EFSA
Nach Eingang des vollständigen Antrags wird die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit der Prüfung der vorgelegten Daten zur Lebensmittelsicherheit beauftragt. Nach erfolgter wissenschaftlicher Bewertung trifft die Europäische Kommission die Entscheidung über die Zulassung bzw. Listung im Unionsregister für neuartige Lebensmittel.
Spezielle Fallgruppen
Traditionelle Lebensmittel aus Drittländern
Für Produkte mit langer Tradition des Verzehrs außerhalb der EU existiert ein vereinfachtes Antragsverfahren, sofern deren Sicherheit nachweislich gewährleistet ist. Auch hierfür sieht die Verordnung spezifische Anforderungen und Fristen vor.
Kennzeichnung und Marktzugang
Kennzeichnungspflichten
Neuartige Lebensmittel dürfen nur in den Verkehr gebracht werden, sofern sie den regulatorischen Kennzeichnungsvorschriften genügen. Die Kennzeichnung muss insbesondere:
- Verbraucherinnen und Verbraucher über die Art und Herkunft des neuartigen Bestandteils informieren,
- Hinweise auf potenzielle Allergene oder Risiken enthalten,
- sämtliche rechtlich vorgeschriebenen Angaben nach der Lebensmittelinformationsverordnung umfassen.
Marktzugangsvoraussetzungen
Die Vermarktung neuartiger Lebensmittel ist nur zulässig, wenn:
- eine Zulassung durch die Europäische Kommission vorliegt,
- das entsprechende Lebensmittel im Unionsregister für neuartige Lebensmittel gelistet ist,
- alle spezifischen Auflagen aus dem Zulassungsbescheid erfüllt werden (z. B. Beschränkungen für Verwendungszwecke oder Verbrauchergruppen).
Sanktionen und Folgen bei Verstößen
Sanktionen nach europäischem und nationalem Recht
Wird ein neuartiges Lebensmittel ohne Zulassung oder unter Verstoß gegen die entsprechenden Vorgaben in den Verkehr gebracht, drohen:
- Bußgelder,
- Vertriebsverbote,
- Rückrufe,
- weitergehende Maßnahmen der Lebensmittelüberwachung.
Die jeweiligen Sanktionsregelungen basieren sowohl auf europäischen als auch auf nationalen Vorschriften, etwa dem LFGB.
Zusammenfassung und Ausblick
Neuartige Lebensmittel unterliegen einem umfangreichen, unionsweit einheitlichen Rechtsrahmen, der hohe Anforderungen an die Sicherheit, Zulassung und Kennzeichnung stellt. Die Verordnung (EU) 2015/2283 gewährleistet mit ihrem zentralisierten Zulassungsverfahren und klaren Vorgaben den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie einen reibungslosen Binnenmarkt. Hersteller und Importeure sind angehalten, sämtliche Anforderungen detailliert zu erfüllen, um rechtliche Risiken zu vermeiden.
Literatur und weiterführende Informationen
- Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Amtsblatt der EU)
- Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) – Leitlinien und Bewertungsverfahren
- Unionsregister für neuartige Lebensmittel (öffentliche Datenbank der Europäischen Kommission)
- Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB)
Hinweis: Dieser Lexikonartikel bietet eine umfassende rechtliche Übersicht zum Begriff „neuartige Lebensmittel“. Für individuelle Fragen oder konkrete Einzelfälle empfiehlt sich eine tiefergehende rechtliche Analyse auf Basis der aktuellen Gesetzeslage sowie einschlägiger Rechtsprechung.
Häufig gestellte Fragen
Welche zuständigen Behörden sind für die Zulassung neuartiger Lebensmittel in Deutschland und der EU verantwortlich?
In Deutschland ist primär das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) für die Mitwirkung am Zulassungsprozess neuartiger Lebensmittel zuständig. Auch die jeweils zuständigen Landesbehörden können in die Überwachung und Kontrolle eingebunden sein. Auf europäischer Ebene liegt die zentrale Verantwortung jedoch bei der Europäischen Kommission, die auf Grundlage der Verordnung (EU) 2015/2283 über neuartige Lebensmittel (Novel Food-Verordnung) agiert. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) übernimmt hierbei die wissenschaftliche Risikobewertung. Das Zulassungsverfahren selbst sieht vor, dass Anträge bei der Kommission eingereicht werden und von dieser, unter Berücksichtigung der EFSA-Bewertung, eine Entscheidung getroffen wird, ob das neuartige Lebensmittel in die entsprechende Unionsliste aufgenommen wird. Erst nach formeller Aufnahme in diese Liste dürfen die Produkte im Binnenmarkt vertrieben werden. Die Einhaltung der daraus resultierenden Vorschriften wird anschließend sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene überwacht.
Welche Unterlagen und Nachweise müssen Unternehmen im Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel vorlegen?
Um eine Zulassung für ein neuartiges Lebensmittel zu erhalten, müssen Unternehmen einen umfassenden Dossier-Antrag bei der Europäischen Kommission einreichen. Die vorgeschriebenen Unterlagen sind in Anhang II der Durchführungsverordnung (EU) 2017/2469 näher bestimmt. Darunter fallen genaue Angaben zur Zusammensetzung und zum Herstellungsprozess des Produkts, Daten zur geplanten Verwendung und den Verzehrsmengen, sowie umfassende wissenschaftliche Daten zur Sicherheit. Insbesondere sind toxikologische Studien, Nachweise zur Allergenität, mikrobiologische und chemische Analysen sowie gegebenenfalls Daten zur ernährungsphysiologischen Bedeutung vorzulegen. Zusätzlich ist ein Nachweis zu erbringen, dass das Lebensmittel vor dem 15. Mai 1997 innerhalb der EU nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurde, sofern dies zur Einstufung als neuartig erforderlich ist. Die Nachweise müssen den aktuellen wissenschaftlichen Standards entsprechen und nachvollziehbar dokumentiert sein.
Welche rechtlichen Folgen hat der Vertrieb nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel?
Der Inverkehrbringen nicht zugelassener neuartiger Lebensmittel stellt eine klare Rechtsverletzung dar und kann zu erheblichen Sanktionen führen. Gemäß Art. 6 der Verordnung (EU) 2015/2283 dürfen neuartige Lebensmittel erst nach Aufnahme in die Unionsliste und unter Einhaltung etwaiger Bedingungen auf dem EU-Markt vertrieben werden. Der Vertrieb nicht zugelassener Produkte gilt als Ordnungswidrigkeit nach dem Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) und kann mit empfindlichen Bußgeldern geahndet werden. Im Falle einer schwerwiegenden Gefährdung der Verbrauchergesundheit oder bei Vorsatz drohen zudem strafrechtliche Konsequenzen wie Geld- oder sogar Freiheitsstrafen. Darüber hinaus kann die zuständige Behörde einen sofortigen Vertriebsstopp verhängen und Produkte vom Markt nehmen lassen. Schadensersatzforderungen betroffener Dritter, insbesondere von Verbrauchern, sind ebenfalls möglich.
Inwiefern spielen Kennzeichnungspflichten eine Rolle bei neuartigen Lebensmitteln?
Für neuartige Lebensmittel gelten umfangreiche und detaillierte Kennzeichnungsvorgaben, die teilweise über die allgemeinen Vorschriften hinausgehen, wie sie etwa in der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) geregelt sind. Zusätzliche Anforderungen können sich unmittelbar aus der Zulassungsentscheidung der Europäischen Kommission ergeben. Insbesondere müssen Hinweise auf mögliche Allergene, besondere Verarbeitungsmethoden oder spezifische verwendete Zutaten gegeben werden, sofern sie für die sichere Verwendung wesentlich sind. Auch verpflichtende Warnhinweise oder Anweisungen für bestimmte Verbrauchergruppen können angeordnet werden. Die Kontrolle der korrekten Kennzeichnung erfolgt durch die Überwachungsbehörden der Länder.
Welche Anforderungen werden hinsichtlich der Rückverfolgbarkeit und Überwachung gestellt?
Da neuartige Lebensmittel oft aus internationalen Märkten stammen oder mit speziellen Herstellungsprozessen verbunden sind, bestehen erhöhte Anforderungen an Rückverfolgbarkeit und Überwachungsmaßnahmen. Gemäß der General Food Law-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 müssen alle Unternehmen der Lebensmittelkette nachweisen können, woher ihre Produkte stammen (one step back – one step forward-Prinzip) und diese Informationen im Bedarfsfall den Behörden unverzüglich bereitstellen. Für neuartige Lebensmittel können im Rahmen der Zulassung zudem zusätzliche Melde- oder Berichtspflichten auferlegt werden, etwa zur Marktbeobachtung oder Meldung gesundheitlicher Vorkommnisse, die mit dem Produkt in Verbindung stehen. Die Einhaltung dieser Anforderungen wird regelmäßig durch amtliche Kontrollen überwacht.
Welche Rolle spielt der Datenschutz im Zulassungsverfahren?
Im Rahmen des Zulassungsverfahrens für neuartige Lebensmittel werden zahlreiche wissenschaftliche und wirtschaftliche Daten erhoben. Der Schutz vertraulicher Geschäftsinformationen ist durch die Novel Food-Verordnung sowie durch die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten geregelt. Antragsteller können die Vertraulichkeit bestimmter Informationen beantragen, sofern deren Offenlegung ihre Wettbewerbsposition gefährden könnte. Die Europäische Kommission prüft solche Anträge gewissenhaft und gewährt Vertraulichkeit nur im notwendigen Umfang. Gleichzeitig stellt sie sicher, dass alle für die Lebensmittelsicherheit relevanten Informationen veröffentlicht werden und Verbraucherschutzinteressen nicht beeinträchtigt sind. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) findet auf personenbezogene Daten Anwendung, zum Beispiel soweit Mitarbeiter oder Versuchspersonen betroffen sind.
Welche Möglichkeiten gibt es, gegen eine Ablehnung der Zulassung rechtlich vorzugehen?
Wird ein Antrag auf Zulassung eines neuartigen Lebensmittels abgelehnt, steht dem Antragsteller der Rechtsweg offen. Nach Art. 35 der Verordnung (EU) 2015/2283 kann gegen die Entscheidung zunächst eine erneute Prüfung (remonstration) bei der Europäischen Kommission beantragt werden. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage gegen die Entscheidung zu erheben. Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens wird unter anderem geprüft, ob die Kommission das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt und ob sie den Antragsteller ausreichend angehört hat sowie ob die Entscheidung mit dem europäischen Recht und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist.