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Negatorischer Anspruch


Negatorischer Anspruch

Der Begriff Negatorischer Anspruch ist ein zentraler Rechtsbegriff im deutschen Sachenrecht und beschreibt die Möglichkeit des Eigentümers einer Sache, von einem Störer die Beseitigung einer Beeinträchtigung sowie die Unterlassung zukünftiger Störungen zu verlangen. Der Negatorische Anspruch ist insbesondere in § 1004 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) normiert und bildet das rechtliche Instrument zur Durchsetzung des Abwehrrechts des Eigentümers gegen unbefugte Eingriffe Dritter.

Rechtliche Grundlagen

§ 1004 BGB als gesetzliche Grundlage

Der negatorische Anspruch ist im Bürgerlichen Gesetzbuch in § 1004 verankert. Dort heißt es:

„(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

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(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.“

Dieser Wortlaut stellt klar, dass Voraussetzung für die Entstehung eines negatorischen Anspruchs eine Beeinträchtigung des Eigentums ist, die nicht im Entzug oder in der Vorenthaltung des Besitzes besteht (hierfür dient der Herausgabeanspruch aus § 985 BGB).

Verhältnis zu anderen sachenrechtlichen Ansprüchen

Der Negatorische Anspruch ist vom Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) abzugrenzen, da dieser ausschließlich auf die Wiedererlangung des unmittelbaren Besitzes gerichtet ist. Während beim Herausgabeanspruch der vollständige Entzug des Besitzes erforderlich ist, knüpft der Negatorische Anspruch an andere Beeinträchtigungsformen an.

Voraussetzungen und Anwendungsbereich

Beeinträchtigung des Eigentums

Eine Beeinträchtigung im Sinne des § 1004 BGB liegt vor, wenn der Eigentümer an der Ausübung der nach § 903 BGB gewährten Befugnisse über seine Sache gehindert wird. Typische Beispiele sind das unbefugte Betreten eines Grundstücks (Grundstücksbetretung), Überbau, Immissionen (z. B. Lärm, Gerüche, Rauch) oder Beeinträchtigungen durch das Anbringen von Gegenständen an fremdem Eigentum.

Keine Besitzentziehung oder -vorenthaltung

Liegt eine vollständige Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes vor, ist der Negatorische Anspruch nicht einschlägig. In diesen Fällen ist auf den Herausgabeanspruch (§ 985 BGB) abzustellen.

Störergesamtheit

Störer im Sinne des negatorischen Anspruchs kann jede Person sein, die die Beeinträchtigung entweder willentlich (Handlungsstörer) oder durch pflichtwidriges Unterlassen (Zustandsstörer) verursacht. Auch mehrere Personen können als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden.

Keine Duldungspflicht

Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Eine Duldungspflicht kann sich aus Gesetz, Vertrag, öffentlichem Recht (z. B. Baulasten) oder aus nachbarrechtlicher Gemeinschaft ergeben.

Rechtsfolgen

Beseitigungsanspruch

Ist die Beeinträchtigung bereits eingetreten, richtet sich der Anspruch auf Beseitigung des störenden Zustands (§ 1004 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Störer ist verpflichtet, die tatsächliche Störung zu entfernen – etwa das Entfernen baulicher Anlagen, das Unterlassen weiterer Immissionen oder die Beseitigung entsprechender Vorrichtungen.

Unterlassungsanspruch

Sind zukünftige beeinträchtigende Handlungen zu besorgen, besteht ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB. Hierbei handelt es sich um eine vorbeugende Maßnahme gegen drohende oder wiederholende Störungen.

Anwendungsfälle im Überblick

Immissionsabwehr

Ein besonders praxisrelevantes Anwendungsfeld sind Nachbarstreitigkeiten wegen Immissionen. Dazu zählen etwa Lärm, Gerüche, Rauch, Erschütterungen oder ähnliches, die das Eigentum beeinträchtigen. Diese Fälle werden neben § 1004 BGB häufig auch in Zusammenhang mit Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) sowie den allgemeinen nachbarrechtlichen Vorschriften (§§ 906 ff. BGB) beurteilt.

Grenzüberbau und Leitungsrechte

Beispielhaft ist der Anspruch auch beim unerlaubten Überbau, der grenzüberschreitenden Baumaßnahmen oder unrechtmäßig verlegten Leitungen einschlägig. Auch das Abschneiden von Ästen, die vom Nachbargrundstück über die Grenze ragen, wird darunter subsumiert.

Besitzstörungen ohne Besitzentzug

Die Beeinträchtigung durch Parken auf Privatgrundstücken, das Ablegen von Gegenständen oder das kurzfristige Betreten (z. B. durch Hundebesitzer) fällt unter den negatorischen Anspruch, sofern keine Besitzentziehung vorliegt.

Abgrenzung zu anderen Ansprüchen

Herausgabeanspruch (§ 985 BGB)

Der Herausgabeanspruch dient ausschließlich dazu, den vollständigen Besitz zurückzuerlangen. Weitere Störungen (wie Immissionen, Überbau etc.) können hierüber nicht abgewehrt werden.

Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche aus anderen Rechtsgebieten

Auch im öffentlichen Recht oder im Mietrecht können dem Eigentümer Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung zustehen, beispielsweise aus dem Nachbarrecht, dem Baurecht oder spezialgesetzlichen Regelungen.

Durchsetzung des negatorischen Anspruchs

Anspruchsberechtigte

Nur der Eigentümer (gegebenenfalls auch der Mit- oder Gesamteigentümer) einer Sache ist befugt, den negatorischen Anspruch geltend zu machen. In bestimmten Konstellationen können auch Erbbauberechtigte, Nießbraucher oder andere dinglich Berechtigte eingeschränkt Anspruchsteller sein.

Anspruchsgegner

Der Anspruch richtet sich stets gegen den Störer. Bei mehreren Störern besteht gesamtschuldnerische Haftung.

Gerichtliche Geltendmachung

Der Anspruch kann außergerichtlich und, falls erfolglos, gerichtlich durchgesetzt werden. Im Rahmen einer einstweiligen Verfügung ist insbesondere der Unterlassungsanspruch als Eilrechtsschutz relevant. Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsfolgen bei unberechtigter Geltendmachung

Wird ein negatorischer Anspruch zu Unrecht geltend gemacht (z. B. Grund zur Duldung besteht), kann dies Schadenersatzansprüche zugunsten des Störers begründen, etwa wenn diesem durch die unberechtigte Durchsetzung ein finanzieller Nachteil entsteht.

Bedeutung und Zweck des negatorischen Anspruchs

Der Negatorische Anspruch dient dem Eigentumsschutz und der effektiven Abwehr von unberechtigten Eingriffen. Er setzt das Rechtsschutzinteresse des Eigentümers gegen jede Form der Beeinträchtigung durch, vermittelt aber gleichzeitig einen fairen Interessenausgleich durch die Möglichkeit zur Duldungspflicht im Rahmen des allgemeinen Zusammenlebens und des Nachbarrechts.

Literaturhinweise

Zum negatorischen Anspruch gibt es eine umfangreiche Literatur. Standardwerke des deutschen Sachenrechts sowie einschlägige Kommentierungen, insbesondere zu § 1004 BGB, bieten weiterführende Informationen:

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, § 1004 BGB
  • Münchener Kommentar zum BGB, § 1004 BGB
  • Staudinger, BGB-Kommentar, § 1004 BGB
  • Bamberger/Roth, BGB, § 1004 BGB

Fazit

Der negatorische Anspruch ist ein essenzielles Instrument des deutschen Eigentumsschutzes und bietet dem Eigentümer einen weitreichenden Schutz vor unbefugten Beeinträchtigungen seines Eigentums. Die Systematik, die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen sind in § 1004 BGB klar normiert und durch eine umfangreiche Rechtsprechung weiter konkretisiert. Seine Bedeutung erstreckt sich auf zahlreiche praktische Anwendungsfelder, insbesondere im Bereich des Nachbarrechts, der Abwehr von Immissionen und bei der Sicherung des ungestörten Eigentumsgebrauchs.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist berechtigt, einen negatorischen Anspruch geltend zu machen?

Der negatorische Anspruch steht ausschließlich dem Eigentümer einer Sache zu. Im Falle von gemeinschaftlichem Eigentum (z.B. bei Gesamthand- oder Bruchteilseigentum) können die Miteigentümer grundsätzlich nur gemeinschaftlich vorgehen, es sei denn, der einzelne Miteigentümer ist im Namen aller zur Geltendmachung des Anspruchs ermächtigt. Der Besitz oder eine bloße Nutzung reicht für die Aktivlegitimation nicht aus. Bei mehreren Berechtigten am Eigentum (beispielsweise einer Erbengemeinschaft) müssen diese sich regelmäßig auf die Durchsetzung einigen. Wichtig ist ferner, dass ein gutgläubiger Erwerber, der zum Zeitpunkt der Geltendmachung noch als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist, bis zur Berichtigung berechtigt sein kann, den negatorischen Anspruch durchzusetzen, sofern er gutgläubig ist.

Gegen wen kann sich der negatorische Anspruch richten?

Der negatorische Anspruch kann sich gegen jede Person richten, die das Eigentum des Anspruchstellers in unzulässiger Weise beeinträchtigt, unabhängig davon, ob es sich hierbei um den unmittelbaren Störer (Handlung oder Unterlassung führt direkt zur Beeinträchtigung) oder den mittelbaren Störer (ermöglicht oder fördert die Störung lediglich) handelt. Voraussetzung ist, dass der Störer willentlich und adäquat-kausal zum Schadenseintritt oder zur beeinträchtigenden Handlung beigetragen hat. Eigentümer, Besitzer, Mieter oder auch Dritte kommen als Anspruchsgegner in Betracht, sofern sie die Beeinträchtigung zu vertreten haben oder diese von ihrer Rechtsstellung ausgeht.

Welche Arten von Beeinträchtigungen können vom negatorischen Anspruch erfasst werden?

Der negatorische Anspruch schützt das Eigentum vor jeder rechtswidrigen Beeinträchtigung, die nicht Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes ist (hier greifen die Besitzschutz- oder Herausgabeansprüche). Dazu zählen beispielsweise wiederholte unbefugte Betretungen, Lärm-, Geruchs-, Staub- und Lichteinwirkungen, Beeinträchtigungen in Form von Ablagerungen, Überbau, Überwuchs von Pflanzen, sowie sonstige Handlungen oder Zustände, welche die Nutzung und den Wert des Eigentums beeinträchtigen. Auch immaterielle Eingriffe wie die Verweigerung des Zugangs zu gemeinschaftlichen Einrichtungen eines Grundstücks können darunterfallen, sofern eine erhebliche Störung vorliegt.

Inwieweit dürfen ortsübliche oder zugelassene Beeinträchtigungen abgewehrt werden?

Nicht jeder Eingriff in das Eigentum rechtfertigt einen negatorischen Anspruch. Beeinträchtigungen, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften, behördlicher Genehmigung, öffentlich-rechtlicher Duldungspflicht oder ortsüblich und deshalb zumutbar sind (§ 906 BGB), sind hinzunehmen. Hierzu zählen übliche Emissionen wie zum Beispiel normale Lärmbelästigungen bei Tag in Wohngebieten oder geringe Rauch- und Geruchsbelastungen. Der Eigentümer ist nur dann zur Abwehr berechtigt, wenn die Beeinträchtigung das ortsübliche Maß überschreitet oder die nach öffentlichem Recht gebotenen Werte übersteigt und sich dadurch die Nutzung des Eigentums wesentlich beeinträchtigt.

Welche Rechte kann der Eigentümer im Rahmen des negatorischen Anspruchs geltend machen?

Der Eigentümer kann im Wege des negatorischen Anspruchs die Beseitigung einer gegenwärtigen, andauernden oder wiederholenden rechtswidrigen Beeinträchtigung verlangen und hat ferner Anspruch auf Unterlassung zukünftiger Beeinträchtigungen, sofern eine Wiederholungsgefahr besteht. Die Beseitigung kann dabei sowohl materieller (z.B. Entfernung eines Bauwerks oder einer Ablagerung) als auch immaterieller Natur (z.B. Unterlassung einer Handlung) sein. Der Anspruch kann gerichtlich durch Klage auf Unterlassung oder Beseitigung durchgesetzt und bei Gefahr im Verzug durch einstweilige Verfügung gesichert werden. Daneben kann, bei schuldhafter Beeinträchtigung, unter Umständen ein Schadensersatzanspruch bestehen.

Entfällt der Anspruch bei Mitverschulden oder Einwilligung des Eigentümers?

Der negatorische Anspruch entfällt oder wird zumindest eingeschränkt, soweit der Eigentümer selbst zur Beeinträchtigung beigetragen oder in diese eingewilligt hat. Im Falle eines Mitverschuldens (§ 254 BGB) kann ein Anspruch ganz oder teilweise ausgeschlossen sein. Bei ausdrücklicher Einwilligung – etwa durch Gestattung einer Nutzung oder Duldung bestimmter Einwirkungen – ist die Rechtswidrigkeit der Beeinträchtigung zu verneinen, sodass der Anspruch entfällt, es sei denn, die Einwilligung wurde wirksam widerrufen, sofern dies möglich ist.

Wie verhält sich der negatorische Anspruch zu anderen nachbarrechtlichen Vorschriften?

Der negatorische Anspruch besteht neben den besonderen nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüchen (§§ 906, 910, 912, 923 BGB). Vorrangig sind jedoch spezielle Regelungen, beispielsweise zu Immissionen oder Überbau, zu prüfen. Ist etwa durch nachbarrechtliche Vorschriften eine Duldungspflicht des Eigentümers begründet, wird der Anspruch eingeschränkt oder ausgeschlossen. Führt die nachbarrechtliche Vorschrift zu einem Ausgleichsanspruch, kann der Eigentümer diesen anstelle des negatorischen Anspruchs geltend machen, sofern die Voraussetzungen vorliegen. Das Verhältnis zu possessorischen Ansprüchen ist dahingehend abzugrenzen, dass der Negatorische Anspruch auf den Schutz des Eigentums, nicht des Besitzes, gerichtet ist.