Begriff und Funktion von Nebenabreden beim Vertragsschluss
Nebenabreden beim Vertragsschluss bezeichnen zusätzliche Vereinbarungen der Vertragsparteien, die neben die im Hauptvertrag niedergelegten Regelungen treten. Sie haben zum Ziel, das Hauptvertragsverhältnis durch weitere Absprachen zu ergänzen, zu modifizieren oder bestimmte Einzelaspekte abweichend zu regeln. Nebenabreden können bereits bei Vertragsschluss getroffen oder nachträglich vereinbart werden. Sie sind sowohl im Zivilrecht als auch im Handelsrecht von erheblicher praktischer Bedeutung und können in unterschiedlichsten Vertragsarten sowohl formlos als auch schriftlich erfolgen, sofern keine besonderen Formvorschriften greifen.
Arten und Erscheinungsformen von Nebenabreden
Formelle und informelle Nebenabreden
Nebenabreden können als eigenständige Klauseln im Hauptvertrag enthalten oder außerhalb des Vertragsdokuments etwa in separater Korrespondenz oder mündlich wirksam vereinbart werden. Man unterscheidet zwischen:
- Formellen Nebenabreden: Schriftlich dokumentierte und als Bestandteil des Vertrags ausdrücklich erwähnte Ergänzungen, zum Beispiel als Anlagen, Nachträge oder Zusatzvereinbarungen.
- Informellen Nebenabreden: Mündlich oder fernmündlich getroffene Zusatzabsprachen ohne explizite Dokumentation im Vertragstext.
Ausdrückliche und konkludente Nebenabreden
Nebenabreden können ausdrücklich, also mit klarer Willensäußerung, oder stillschweigend (konkludent) entstehen, wenn das Verhalten der Parteien zwingend auf eine zusätzliche Absprache schließen lässt.
Einseitige und gegenseitige Nebenabreden
Je nach Inhalt der Vereinbarung unterscheidet man zwischen einseitigen Nebenabreden (nur eine Vertragspartei übernimmt eine zusätzliche Verpflichtung oder erhält ein spezifisches Recht) und gegenseitigen Nebenabreden (beide Parteien vereinbaren wechselseitig Rechte und Pflichten).
Rechtliche Einordnung und Wirksamkeit
Abgrenzung zum Hauptvertrag
Nebenabreden entfalten ihre Wirkung stets im Kontext eines Hauptvertrags. Sie modifizieren diesen jedoch nur insoweit, als dies zwischen den Parteien vereinbart und rechtlich zulässig ist. Eine Nebenabrede darf dem Hauptvertrag nicht derart widersprechen, dass die verbindlichen Hauptinhalte des Vertrags in Frage gestellt oder durch die Zusatzvereinbarung aufgehoben werden.
Voraussetzungen der Wirksamkeit
Die Wirksamkeit von Nebenabreden richtet sich nach denselben Voraussetzungen wie für Hauptverträge:
- Übereinstimmende Willenserklärung: Auch Nebenabreden benötigen eine Einigung durch Angebot und Annahme.
- Geschäftsfähigkeit der Parteien: Beide Parteien müssen geschäftsfähig sein.
- Beachtung gesetzlicher Formvorschriften: Falls für den Hauptvertrag eine bestimmte Form vorgeschrieben ist (z. B. notarielle Beurkundung bei Immobiliengeschäften, § 311b BGB), gilt dies grundsätzlich auch für Nebenabreden.
- Zulässigkeit im Sinne des Inhalts: Nebenabreden, die gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen, sind laut § 134, § 138 BGB nichtig.
Schriftformklauseln und deren Auswirkungen
In Verträgen werden häufig sogenannte Schriftformklauseln aufgenommen, die jegliche Nebenabreden nur dann als verbindlich anerkennen, wenn sie schriftlich festgehalten wurden („Nebenabreden bedürfen der Schriftform“). Solche Klauseln bezwecken Rechtssicherheit und Klarheit über die Vertragsinhalte.
Allerdings sind auch mündliche Nebenabreden prinzipiell wirksam, sofern keine strengere Form gesetzlich oder vertraglich erforderlich ist. Schriftformklauseln können durch individuelle Vereinbarung durchbrochen werden, sofern eine nachträgliche Absprache darüber besteht.
Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Besonderes Augenmerk gilt Nebenabreden im Zusammenhang mit AGB, welche regelmäßig darauf abstellen, individuelle Abmachungen vorrangig vor den AGB gelten zu lassen (§ 305b BGB). Individuell ausgehandelte Nebenabreden gehen daher regelmäßig vor standardisierte Vertragsbedingungen.
Typische Anwendungsbereiche und Beispiele
Mietverträge
In Mietverträgen werden häufig Nebenabreden zu Renovierungsverpflichtungen, Tierhaltung, Untervermietung oder Nutzung besonderer Einrichtungen getroffen. Diese Absprachen können sowohl den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache als auch Rechte und Pflichten zwischen Vermieter und Mieter ergänzen oder modifizieren.
Arbeitsverträge
Bei Arbeitsverhältnissen handelt es sich zum Beispiel bei Regelungen über variable Vergütungsbestandteile, Dienstwagenvereinbarungen oder Wettbewerbsverbote um klassische Nebenabreden.
Kaufverträge und Unternehmenskauf
Im Kaufrecht erfahren Nebenabreden eine besondere Bedeutung, etwa hinsichtlich Zahlungsmodalitäten, Lieferterminen, Gewährleistungszusagen oder Rücktrittsrechten. Im Unternehmenskaufvertrag werden Nebenabreden häufig über Garantie- und Haftungsklauseln, Wettbewerbsverbote und Beratungsleistungen ausgehandelt.
Auslegung und Beweislast bei Nebenabreden
Auslegung bei Unklarheiten
In der Praxis kann es zu Auslegungsschwierigkeiten kommen, wenn der Wortlaut von Nebenabreden mehrdeutig ist oder mit dem Hauptvertrag in Widerspruch tritt. Hierbei gilt das Prinzip der ergänzenden Vertragsauslegung: Nebenabreden sind im Sinne der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorliegenden Umstände und des beiderseitigen Parteiwillens auszulegen.
Beweislast
Die Partei, die sich auf das Bestehen einer mündlichen oder nicht dokumentierten Nebenabrede beruft, trägt grundsätzlich die Beweislast für deren Abschluss und Inhalt. Dies führt bei informellen Nebenabsprachen besonders in Prozessen regelmäßig zu Beweisproblemen.
Grenzen und Unwirksamkeit von Nebenabreden
Gesetzliche Verbote und AGB-Kontrolle
Nebenabreden dürfen keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften unterlaufen oder gegen geltendes Recht verstoßen. Insbesondere unterliegen sie, wenn sie unter Verwendung von vorformulierten Vertragsbedingungen geschlossen werden, der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB.
Sittenwidrigkeit und Umgehungsverbot
Sittenwidrige oder rechtsmissbräuchliche Nebenabreden werden nach § 138 BGB als nichtig angesehen. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn Parteien versuchen, gesetzliche Schutzvorschriften mittels Nebenabrede zu umgehen.
Schriftformerfordernisse bei spezifischen Vertragsarten
Gesetzlich vorgeschriebene Formvorschriften (z. B. notarielle Beurkundung, öffentliche Beglaubigung) müssen stets eingehalten werden. Eine formwidrige Nebenabrede ist gemäß § 125 BGB nichtig.
Bedeutung im internationalen Vertragsrecht
Auch im internationalen Kontext kommen Nebenabreden eine wesentliche Rolle zu. Maßgeblich für deren Wirksamkeit ist das anzuwendende Recht, das entweder ausdrücklich im Hauptvertrag vereinbart wird oder sich nach den Regeln des internationalen Privatrechts richtet. Einheitliche Standards bestehen nicht, weshalb der expliziten Ausgestaltung und Dokumentation von Nebenabreden hier besonders große Bedeutung zukommt.
Zusammenfassung und praktische Hinweise
Nebenabreden beim Vertragsschluss sind elementarer Bestandteil komplexer Vertragsgestaltungen. Sie ergänzen oder modifizieren das Hauptvertragsverhältnis und unterliegen grundsätzlich denselben rechtlichen Anforderungen wie der Hauptvertrag. Einen besonderen Stellenwert haben dokumentierte, klar formulierte Nebenabreden. Bei Unsicherheit empfiehlt es sich, Nebenabreden schriftlich festzuhalten und im Vertragsdokument ausdrücklich aufzuführen oder als Anhang beizufügen, um spätere Auslegungs- oder Beweisprobleme zu vermeiden.
Nebenabreden genießen im Grundsatz Vertragsfreiheit, stoßen aber an die Grenzen des zwingenden Rechts, der AGB-Kontrolle und etwaiger Formvorschriften. Die sorgfältige Handhabung und Transparenz bei der Ausgestaltung solcher Abreden ist zentrale Voraussetzung für ihre rechtliche Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen müssen Nebenabreden beim Vertragsschluss erfüllen, damit sie wirksam sind?
Nebenabreden, die zusätzlich zu einem ursprünglich geschlossenen Vertrag getroffen werden, müssen grundsätzlich die gleichen rechtlichen Voraussetzungen erfüllen wie der Hauptvertrag selbst. Dies betrifft unter anderem Formvorschriften – ist für den Hauptvertrag eine bestimmte Form, beispielsweise Schriftform oder notarielle Beurkundung, gesetzlich vorgeschrieben (wie etwa beim Grundstückskauf), müssen auch die Nebenabreden diese Form einhalten, um wirksam zu sein (§ 311b Abs. 1 BGB). Zudem dürfen Nebenabreden nicht gegen gesetzliche Verbote oder die guten Sitten verstoßen (§§ 134, 138 BGB). Weiterhin ist erforderlich, dass zwischen den Parteien ein Konsens über die Nebenabrede besteht, der auch rechtlich bindend gemeint ist. Bloße unverbindliche Absprachen oder höfliche Hinweise genügen nicht. Besteht eine salvatorische Klausel im Hauptvertrag, werden Nebenabreden im Zweifel nur dann wirksam, wenn sie ausdrücklich als verbindlicher Bestandteil des Vertrags vereinbart werden.
Welche Rolle spielt die Schriftform bei Nebenabreden, die während oder nach Vertragsschluss getroffen werden?
Die Schriftform kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn der Hauptvertrag eine Schriftformklausel enthält. Diese kann ausdrücklich bestimmen, dass sämtliche Nebenabreden und Änderungen des Vertrags zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen. Wird eine solche Klausel ignoriert und eine mündliche Nebenabrede getroffen, ist diese nach allgemeiner Meinung – jedenfalls im kaufmännischen Rechtsverkehr – nicht ohne weiteres unwirksam, da die Vertragsparteien durch schlüssiges Verhalten auch von der Formklausel abweichen können (sogenannte konkludente Abbedingung). Allerdings entsteht im Streitfall ein Beweisproblem hinsichtlich der Existenz und des Inhalts einer mündlichen Nebenabrede. Besteht für den Hauptvertrag kraft Gesetzes Schriftformgebot, wäre ein Verstoß gegen die Formvorschrift jedoch stets formnichtig. Daher empfiehlt sich grundsätzlich, Nebenabreden immer schriftlich festzuhalten.
Können Nebenabreden den Hauptvertrag abändern oder ergänzen, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Nebenabreden können sowohl den Inhalt des Hauptvertrags konkretisieren, ergänzen oder sogar abändern. Voraussetzung hierfür ist jedoch stets die ausdrückliche oder zumindest konkludente Einigung der Vertragsparteien über die Nebenabrede. Die Nebenabrede darf dem Hauptvertrag nicht widersprechen, sofern keine ausdrückliche Änderung beabsichtigt ist. Ist jedoch erkennbar, dass die Parteien eine Abweichung gewollt haben, so genießt die jüngere oder speziellere Abrede im Zweifel Vorrang vor der allgemeinen Regelung des Hauptvertrags. Auch hier ist auf die Einhaltung etwaiger Formerfordernisse zu achten. Ferner können AGB-rechtliche Bestimmungen zu beachten sein, sofern eine Nebenabrede als Allgemeine Geschäftsbedingung anzusehen ist.
Welche rechtlichen Konsequenzen haben unwirksame Nebenabreden?
Ist eine Nebenabrede unwirksam, bleibt dies im Regelfall ohne Einfluss auf die Wirksamkeit des Hauptvertrags (§ 139 BGB: Teilnichtigkeit). Die übrigen Vertragsbestimmungen gelten weiterhin, sofern nicht anzunehmen ist, dass der Vertrag ohne die Nebenabrede insgesamt nicht abgeschlossen worden wäre. Die betroffene Nebenabrede entfaltet dann keinerlei verbindliche Wirkung und kann auch nicht einseitig durch eine der Parteien durchgesetzt werden. Im Falle von Salvatorischen Klauseln wird häufig versucht, die unwirksame Nebenabrede durch eine Regelung zu ersetzen, die dem Willen der Parteien am nächsten kommt.
Wann sind Nebenabreden für Dritte, insbesondere Rechtsnachfolger oder Gläubiger, verbindlich?
Grundsätzlich wirken Nebenabreden nur inter partes, das heißt ausschließlich zwischen den Vertragsparteien, es sei denn, die Nebenabrede ist ausdrücklich als Vertrag zugunsten Dritter ausgestaltet oder enthält eine entsprechende Übertragungs- oder Bindungsanordnung. Im Falle der Gesamtrechtsnachfolge (beispielsweise bei Erbschaft oder Verschmelzung von Gesellschaften) treten die Rechtsnachfolger in die durch die Nebenabrede begründeten Rechte und Pflichten ein. Gläubiger, denen lediglich ein Anspruch gegen eine der Parteien zusteht, können aus der Nebenabrede in der Regel keine eigenen Rechte herleiten, es sei denn, ihnen wurde in der Nebenabrede ausdrücklich ein entsprechendes Recht eingeräumt (Drittschutz im Sinne des Vertrages zugunsten Dritter, § 328 BGB).
Wie ist die Beweislast für das Vorliegen einer Nebenabrede geregelt?
Die Beweislast für das Zustandekommen und den Inhalt einer Nebenabrede trägt grundsätzlich diejenige Partei, die sich zu ihren Gunsten auf die Existenz der Nebenabrede beruft. Im Falle schriftlich festgehaltener Absprachen ist der Nachweis meist unproblematisch. Anders gestaltet sich die Situation bei mündlichen Nebenabreden oder konkludent getroffenen Vereinbarungen. Hier kann im Streitfall insbesondere derjenige, der aus der Nebenabrede Rechte herleiten will, in Beweisnot geraten. Dies gilt umso mehr, wenn eine Schriftformklausel besteht und die mündliche oder konkludente Nebenabrede zwischen den Parteien streitig ist. In solchen Fällen kann im Prozessfall lediglich der Beweis durch Zeugen oder Indizien geführt werden, was grundsätzlich schwieriger ist als der Nachweis durch eine Urkunde.