Begriff und Rechtsgrundlagen von Natura 2000
Natura 2000 ist ein zusammenhängendes Netz von Schutzgebieten innerhalb der Europäischen Union (EU), das auf der Grundlage der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG, vormals 79/409/EWG) und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie, Richtlinie 92/43/EWG) entstanden ist. Ziel von Natura 2000 ist der langfristige Erhalt der biologischen Vielfalt durch die Sicherung und Wiederherstellung natürlicher Lebensräume sowie wildlebender Tiere und Pflanzen von gemeinschaftlichem Interesse in Europa.
Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG)
Die Vogelschutzrichtlinie ist das älteste Naturschutzinstrument der Europäischen Union. Sie verpflichtet alle Mitgliedstaaten, Lebensräume für bestimmte, besonders bedrohte oder seltene Vogelarten auszuweisen und zu sichern. Diese besonderen Schutzgebiete werden als „Besondere Schutzgebiete“ (Special Protection Areas, SPA) bezeichnet.
Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG)
Die FFH-Richtlinie zielt darauf ab, natürliche Lebensräume sowie wildlebende Tier- und Pflanzenarten zu schützen, die für die EU von gemeinschaftlichem Interesse sind. Im Rahmen dieser Richtlinie werden „Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung“ (Sites of Community Importance, SCI) und darauf aufbauend „Besondere Erhaltungsgebiete“ (Special Areas of Conservation, SAC) festgelegt.
Verfahren zur Ausweisung von Natura 2000-Gebieten
Die Auswahl der Gebiete, die in das Netz aufgenommen werden, erfolgt in mehreren Schritten:
Identifikation und Meldung der Gebiete
Die Mitgliedstaaten identifizieren auf wissenschaftlicher Grundlage geeignete Gebiete. Die Auswahl beruht auf bestimmten naturschutzfachlichen Kriterien, unter anderem:
- Vorkommen geschützter Arten und Lebensraumtypen
- Erhaltungszustand
- Flächengröße und Repräsentativität
Die Vorschläge werden an die Europäische Kommission gemeldet.
Prüfung und Festlegung durch die Europäische Kommission
Die Europäische Kommission prüft die gemeldeten Gebiete auf Übereinstimmung mit den europarechtlichen Vorgaben und nimmt sie abschließend in die europäischen Listen auf. Nach diesem Schritt sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, entsprechende nationale Schutzgebiete rechtlich festzulegen.
Rechtliche Verpflichtungen aus der Natura 2000-Ausweisung
Mit der Festlegung bzw. Ausweisung eines Natura 2000-Gebiets entstehen umfangreiche rechtliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten.
Sicherungs- und Erhaltungsverpflichtungen
Die Mitgliedstaaten müssen die erforderlichen Maßnahmen treffen, um den günstigen Erhaltungszustand der Lebensräume und Arten sicherzustellen (§ 33 Bundesnaturschutzgesetz in Deutschland). Dazu gehören sowohl Schutzmaßnahmen als auch ggf. Wiederherstellungsmaßnahmen.
Managementpläne
Die FFH-Richtlinie sieht vor, für jedes Natura 2000-Gebiet Managementpläne zu erstellen, welche die Erhaltungsziele und die zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen darstellen. Die Pläne werden unter Beteiligung relevanter Interessengruppen erarbeitet und veröffentlicht.
Verschlechterungsverbot
Gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede Verschlechterung von Naturtypen und den Lebensräumen geschützter Arten in Natura 2000-Gebieten zu verhindern. Dies gilt unabhängig davon, ob die Verschlechterung durch ein Projekt, eine Tätigkeit oder andere Maßnahmen verursacht wird.
Verträglichkeitsprüfung (FFH-Verträglichkeitsprüfung)
Für Pläne und Projekte, die ein Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, ist eine spezielle Prüfung nötig (§ 34 Bundesnaturschutzgesetz, Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie). Die Vorschriften besagen:
- Es ist vor Durchführung des Vorhabens zu prüfen, ob eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele vorliegt.
- Sofern eine Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Zulassung des Projekts in der Regel unzulässig.
Ausnahmen und Abweichungen
Eine Ausnahme ist unter engen Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie möglich, etwa bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses. In solchen Fällen müssen jedoch Ausgleichsmaßnahmen („Kompensationsmaßnahmen“) getroffen werden, um den Schutzzielen Rechnung zu tragen.
Rechtliche Umsetzung in Deutschland
Für die nationale Umsetzung von Natura 2000 sind in Deutschland insbesondere das Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sowie ergänzende Durchführungsbestimmungen der Bundesländer maßgeblich.
Schutzgebietskategorien
In Deutschland werden Natura 2000-Gebiete oft als „europäische Vogelschutzgebiete“ und „FFH-Gebiete“ ausgewiesen. Diese Gebiete überlagern häufig bestehende nationale Schutzgebiete wie Naturschutzgebiete oder Landschaftsschutzgebiete, können aber auch eigenständig bestehen.
Rechtsschutz und Durchsetzung
Rechtsakte zur Gebietsausweisung sowie nachfolgende Genehmigungsverfahren unterliegen verwaltungsrechtlicher Kontrolle und können von Umweltverbänden nach Maßgabe der Aarhus-Konvention und des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes überprüft werden.
Bedeutung und Auswirkungen
Die Einbeziehung von Natura 2000 in räumliche Planungen (z.B. Bauleitplanung, Infrastrukturprojekte) hat das deutsche und europäische Naturschutzrecht entscheidend geprägt. Natura 2000 ist maßgeblich für die Steuerung von Eingriffen und Entwicklungsvorhaben innerhalb der Schutzgebietsgrenzen und stellt ein effektives Instrument zur Bewahrung der biologischen Vielfalt dar.
Literatur und weiterführende Bestimmungen
- Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG)
- Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG)
- Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG)
- Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG)
- Aarhus-Konvention
Schlussbemerkung
Natura 2000 ist das zentrale rechtliche Instrument zum Schutz gefährdeter Arten und Lebensräume innerhalb der Europäischen Union. Seine rechtlichen Grundlagen umfassen komplexe Vorgaben der europäischen Richtlinien, die in den EU-Mitgliedstaaten durch nationale Gesetze konkretisiert werden. Die rechtssichere Umsetzung und dauerhafte Sicherung von Natura 2000-Gebieten erfordern eine fortlaufende Weiterentwicklung des Naturschutzrechts sowie eine effektive Koordination zwischen europäischer, nationaler und regionaler Ebene.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln das Natura 2000-Netzwerk in Europa?
Das Natura 2000-Netzwerk basiert rechtlich wesentlich auf zwei zentralen Rechtsakten der Europäischen Union: der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, kurz FFH-Richtlinie) und der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, Neufassung der Richtlinie 79/409/EWG). Diese Rechtsakte verpflichten die Mitgliedstaaten, Schutzgebiete zu benennen sowie Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes von Arten und Lebensraumtypen von gemeinschaftlichem Interesse zu ergreifen. Die rechtliche Umsetzung erfolgt auf europäischer, nationaler und meist auch regionaler Ebene durch entsprechende Rechtsvorschriften und Verwaltungspraxis. Verstöße gegen diese Verpflichtungen können von der EU-Kommission im Vertragsverletzungsverfahren verfolgt werden.
Wie erfolgt die Auswahl und Ausweisung von Natura 2000-Gebieten rechtlich?
Die Auswahl und offizielle Ausweisung von Natura 2000-Gebieten folgt einem verbindlichen Verfahren, das europaweit einheitlich geregelt ist. Für die FFH-Gebiete melden die Mitgliedstaaten zunächst mögliche Gebiete an die Europäische Kommission, die diese in einem wissenschaftlichen Auswahlprozess („Biogeografische Seminare“) prüft. Die schließlich akzeptierten Gebiete werden von der Kommission offiziell als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (Gebiete gemäß FFH-Richtlinie, Art. 4) gelistet. Anschließend sind diese Gebiete von den Mitgliedstaaten innerhalb von sechs Jahren als besondere Schutzgebiete (Special Areas of Conservation, SAC) rechtsverbindlich auszuweisen. Für die europäischen Vogelschutzgebiete genügt die Ausweisung durch die nationalen Behörden nach Art. 4 der Vogelschutzrichtlinie, eine gesonderte Bestätigung durch die Kommission ist hier nicht erforderlich. Die Ausweisung erfolgt in der Regel im Wege von Rechtsverordnungen, Verwaltungsakten oder durch Eintrag in amtliche Karten und Register, verbunden mit rechtsverbindlichen Schutzzielen.
Welche rechtlichen Verpflichtungen ergeben sich für Nutzer und Eigentümer von Grundstücken innerhalb von Natura 2000-Gebieten?
Eigentümer und Nutzer von Flächen innerhalb von Natura 2000-Gebieten unterliegen spezifischen rechtlichen Einschränkungen und Pflichten. Insbesondere sind nach Art. 6 der FFH-Richtlinie alle Pläne und Projekte, die ein Natura 2000-Gebiet erheblich beeinträchtigen könnten, einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Verboten sind Tätigkeiten, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der maßgeblichen Schutzgüter führen könnten. Dies betrifft etwa Bautätigkeiten, Änderungen der Landnutzung oder Infrastrukturprojekte. Verpflichtend ist zudem die Duldung und gegebenenfalls Mitwirkung an Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen, wobei für bestimmte Nutzungsbeschränkungen Ausgleichsregelungen, Entschädigungen oder Förderprogramme auf nationaler Ebene vorgesehen sein können. Pauschale Nutzungsverbote bestehen allerdings nicht, maßgeblich ist stets die tatsächliche Beeinträchtigung von Schutzzielen.
Wie wird sichergestellt, dass neue Projekte in oder nahe Natura 2000-Gebieten rechtlich zulässig sind?
Die rechtliche Zulässigkeit neuer Projekte in oder in der Nähe von Natura 2000-Gebieten wird durch die verpflichtende Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung (gemäß Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie) gewährleistet. Im Rahmen dieser Prüfung wird geprüft, ob das Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf die Erhaltungsziele und den Schutzzweck des Schutzgebiets haben kann. Führt die Prüfung zu dem Ergebnis, dass erhebliche Beeinträchtigungen nicht ausgeschlossen werden können, darf das Vorhaben grundsätzlich nicht zugelassen werden. Nur unter engen, gesetzlich geregelten Ausnahmevoraussetzungen – etwa bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses sowie bei Fehlen von Alternativen – kann ausnahmsweise zugelassen werden, wobei in diesen Fällen auch Ausgleichsmaßnahmen vorgeschrieben sind (Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie).
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen die Natura 2000-Vorschriften?
Verstöße gegen die Natura 2000-Vorschriften können je nach nationaler Umsetzung verschiedene rechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Möglich sind Verwaltungsakte zur Herstellung des rechtmäßigen Zustandes, Bußgelder, behördliche Anordnungen und sogar strafrechtliche Sanktionen bei besonders schweren Verstößen. Zudem kann die Europäische Kommission Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten einleiten, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Dies kann im Extremfall zu finanziellen Sanktionen und Zwangsgeldern führen, sollte ein Mitgliedstaat die rechtswidrigen Zustände nicht beseitigen. Daneben besteht in vielen Ländern auch die Möglichkeit für Einzelpersonen, Umweltverbände oder betroffene Dritte, gegen unzulässige Eingriffe in Natura 2000-Gebiete gerichtlich vorzugehen.
Welche Rolle spielen Managementpläne aus rechtlicher Sicht für Natura 2000-Gebiete?
Managementpläne sind nach europäischem Recht nicht zwingend vorgeschrieben, sie werden jedoch von der Europäischen Kommission und Rechtsprechung als geeignetes Instrument zur Erfüllung der Sicherungs- und Erhaltungsverpflichtungen nach Art. 6 FFH-Richtlinie angesehen. Sie enthalten Festlegungen zu den konkreten Erhaltungszielen und zu den notwendigen Maßnahmen für den jeweiligen Standort und bilden oftmals die rechtliche Grundlage für nachfolgende Verwaltungsentscheidungen, etwa im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung. Auch im nationalen Recht werden Managementpläne vielfach als verbindlich vorgeschrieben oder als behördliche Verwaltungsvorschriften ausgestaltet, mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Bewirtschaftungsmaßnahmen oder Planungen innerhalb des Gebiets.
Inwieweit bestehen rechtliche Möglichkeiten für Ausnahmen sowie für wirtschaftliche Kompensationen im Zusammenhang mit Nutzungsbeschränkungen?
Das Natura 2000-Recht sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, unter engen Voraussetzungen Ausnahmen von den Nutzungsbeschränkungen zuzulassen – beispielsweise zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Gesundheit oder aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses inkl. wirtschaftlicher oder sozialer Art. In diesen Fällen ist ein formales Ausnahmeverfahren mit Alternativenprüfung und Ausgleichsmaßnahmen zwingend vorgesehen (Art. 6 Abs. 4 FFH-Richtlinie). Hinsichtlich wirtschaftlicher Nachteile aufgrund von Flächen- und Nutzungseinbußen existieren in vielen Mitgliedstaaten gesetzliche Regelungen für Entschädigungen oder Förderprogramme, die die wirtschaftlichen Belastungen für Betroffene mindern sollen, etwa im Zuge der Gemeinsamen Agrarpolitik oder nationaler Förderprogramme für Naturschutzmaßnahmen. Die konkrete Ausgestaltung dieser Kompensationsregelungen obliegt dem nationalen Gesetzgeber.