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Nachprüfungsverfahren


Begriff und Grundlagen des Nachprüfungsverfahrens

Das Nachprüfungsverfahren ist ein zentrales Instrument des Vergaberechts und dient der Kontrolle von öffentlichen Auftragsvergaben hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit. Es ermöglicht Unternehmen, die sich durch das Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt sehen, die Überprüfung durch unabhängige Nachprüfungsinstanzen. Das Verfahren ist dabei vor allem im deutschen und europäischen Vergaberecht von erheblicher Bedeutung und ist in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen detailliert geregelt.

Rechtsgrundlagen

Das Nachprüfungsverfahren ist vorrangig im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), insbesondere in den §§ 155 ff. GWB, sowie in der Vergabeverordnung (VgV) und ergänzenden Regelwerken, wie der SektVO (Sektorenverordnung), VSVgV (Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit) und der KonzVgV (Konzessionsvergabeverordnung) normiert. Darüber hinaus spielen europarechtliche Vorgaben, insbesondere die Vergaberichtlinien der EU, eine wichtige Rolle.

Zweck und Funktion des Nachprüfungsverfahrens

Das Nachprüfungsverfahren dient dem Zweck, die Einhaltung der Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen und effektiven Rechtsschutz zu gewähren. Unternehmen erhalten damit die Möglichkeit, sich gegen etwaige Vergaberechtsverstöße zur Wehr zu setzen und die Rechtmäßigkeit des Verfahrens durch unabhängige Stellen überprüfen zu lassen.

Rechtsschutz für Unternehmen

Das Verfahren bietet insbesondere Bietern und Interessenten, die eine Verletzung von Vergaberechtsvorschriften geltend machen, die Chance, einen Zuschlag zu verhindern oder das Vergabeverfahren auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu überprüfen.

Ablauf des Nachprüfungsverfahrens

Zulässigkeit und Antragsvoraussetzungen

Ein Nachprüfungsantrag ist zulässig, wenn der Antragssteller eine Verletzung subjektiver Rechte durch eine nicht ordnungsgemäße Vergabeentscheidung darlegen kann. Voraussetzung ist in der Regel, dass zunächst eine sogenannte „Rüge“ gegenüber dem Auftraggeber erhoben wird, in der der vermeintliche Verstoß beanstandet wird. Erst nach erfolgloser Rüge ist das Nachprüfungsverfahren statthaft.

Ausschlussfristen

Das Vergaberecht sieht für die Erhebung von Rügen und Nachprüfungsanträgen strenge Fristen vor, beispielsweise nach § 160 GWB. Werden diese nicht gewahrt, ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig.

Zuständigkeit der Vergabekammern

Für die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens sind in erster Instanz die Vergabekammern des Bundes und der Länder zuständig. Ihre Aufgabe besteht in der Prüfung der Vergabeakten und der Entscheidung über den Nachprüfungsantrag.

Ablauf im Detail

  • Einleitung: Das Verfahren beginnt mit dem schriftlichen Antrag bei der zuständigen Vergabekammer.
  • Vorverfahren: Die Vergabekammer kann ein Vorverfahren durchführen, um eine gütliche Einigung zu ermöglichen.
  • Hauptverfahren: Im weiteren Verlauf prüft die Vergabekammer die Sach- und Rechtslage, fordert die Akten an, hört Beteiligte an und trifft eine Entscheidung.

Eilwirkung und Zuschlagsverbot

Mit Eingang des Nachprüfungsantrags tritt regelmäßig ein Zuschlagsverbot (§ 169 GWB) ein, d. h. der Auftraggeber darf den Auftrag vorerst nicht vergeben.

Entscheidung und Rechtsfolgen

Die Vergabekammer trifft ihre Entscheidung durch Beschluss. Sie kann

  • Verstöße feststellen,
  • den Auftraggeber zur Einhaltung von Vergabevorschriften verpflichten,
  • Korrekturen im Vergabeverfahren anordnen oder
  • den Nachprüfungsantrag zurückweisen, falls kein Verstoß feststellbar ist.

Rechtsmittel: Beschwerde zum Oberlandesgericht

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer steht dem Antragsteller und dem Auftraggeber die sog. „sofortige Beschwerde“ zum zuständigen Oberlandesgericht offen (§ 171 GWB).

Anwendungsbereich des Nachprüfungsverfahrens

Das Nachprüfungsverfahren kommt insbesondere bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte zur Anwendung. Bei Auftragswerten darunter ist nur ein eingeschränkter Rechtsschutz vorgesehen; hier müssen nationale oder landesrechtliche Regelungen beachtet werden.

Kosten des Nachprüfungsverfahrens

Für Nachprüfungsanträge werden Gebühren gemäß Vergabekammernkostengesetz erhoben, die sich nach dem Gegenstandswert und dem Umfang des Verfahrens richten. Auch etwaige Beschwerdeverfahren vor den Oberlandesgerichten sind mit Gebühren verbunden.

Bedeutung des Nachprüfungsverfahrens im Vergaberecht

Das Nachprüfungsverfahren trägt maßgeblich zur Transparenz, Gleichbehandlung und Rechtskonformität bei öffentlichen Auftragsvergaben bei. Es gewährleistet einen effektiven Rechtsschutz und schafft Anreize zur Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften.

Typische Streitpunkte im Nachprüfungsverfahren

Zu den häufigsten Streitgegenständen gehören:

  • Fehlerhafte Ausschreibungsbedingungen
  • Fehler bei der Eignungs- und Zuschlagswertung
  • Diskriminierende Bedingungen oder Formulierungen in den Vergabeunterlagen
  • Verstöße gegen Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsätze

Nachprüfungsverfahren im europäischen Kontext

Im Rahmen des europäischen Vergaberechts sieht das Nachprüfungsrecht der EU mit den Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG vergleichbare Nachprüfungsmechanismen vor. Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Unternehmen einen wirksamen Rechtsschutz gegen Vergaberechtsverstöße zu ermöglichen.

Literatur und Quellen

Für umfassende Informationen zum Nachprüfungsverfahren bieten sich neben Gesetzestexten und der Rechtsprechung der Vergabekammern und Oberlandesgerichte insbesondere die Bundesanzeiger Verlagspublikationen, Kommentare zum GWB sowie Veröffentlichungen der Europäischen Kommission und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz an.


Zusammenfassung:
Das Nachprüfungsverfahren ist ein elementares Verfahren des Vergaberechts, das der Sicherung objektiver und transparenter Vergabeprozesse bei öffentlichen Aufträgen dient. Durch die Möglichkeit der Überprüfung durch unabhängige Stellen wird ein wirksamer Rechtsschutz gewährt und die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften gestärkt.

Häufig gestellte Fragen

In welchem rechtlichen Rahmen ist das Nachprüfungsverfahren geregelt?

Das Nachprüfungsverfahren findet seine gesetzliche Grundlage im deutschen Vergaberecht, insbesondere im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), dort in den §§ 155 ff. GWB, sowie ergänzend in der Vergabeverordnung (VgV), der Sektorenverordnung (SektVO), der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV) und der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV). Auf europäischer Ebene sind die Mindeststandards im Rechtschutz durch die EU-Vergaberichtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU und 2014/25/EU geregelt. Zentrale Rolle spielt in Deutschland die Vergabekammer, die als erster Instanz für Nachprüfungen zuständig ist. Die Vorschriften regeln detailliert Fragen zum Anwendungsbereich, Verfahrensablauf, Zuständigkeit, Beteiligtenrechte sowie den Rechtsschutz im Falle von Vergabeverstößen. Das Nachprüfungsverfahren dient der effektiven Durchsetzung der Vergaberechtskonformität von öffentlichen Aufträgen und gewährt betroffenen Unternehmen einen speziellen Rechtsschutz oberhalb der EU-Schwellenwerte.

Wer ist antragsbefugt und welche Fristen sind zu beachten?

Antragsberechtigt im Nachprüfungsverfahren sind gemäß § 160 Abs. 2 GWB ausschließlich Unternehmen, die ein Interesse am Auftrag haben und durch die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften eine Beeinträchtigung ihrer Rechte geltend machen. Der Antragsteller muss darlegen, dass er entweder durch eine unterlassene oder fehlerhafte Anwendung von Vergabevorschriften konkret in seinen Bieterrechten verletzt ist oder zumindest verletzt sein könnte. Die Antragsstellung unterliegt strikten Fristen: Offensichtliche Vergaberechtsverstöße müssen grundsätzlich unverzüglich gerügt werden, spätestens jedoch innerhalb von zehn Kalendertagen nach Kenntniserlangung (§ 160 Abs. 3 GWB). Für die Beantragung des Nachprüfungsverfahrens gilt: Der Antrag muss innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers über die Nichtabhilfe einer Rüge, spätestens aber vor Zuschlagserteilung, gestellt werden. Nach Zuschlagserteilung ist ein Nachprüfungsantrag grundsätzlich unzulässig.

Welche Wirkungen hat die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens auf das Vergabeverfahren?

Die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens hat erhebliche aufschiebende Wirkung für das Vergabeverfahren. Nach § 169 GWB darf der Auftraggeber nach form- und fristgerechtem Eingang des Nachprüfungsantrags keinen Zuschlag erteilen (sogenannter Zuschlagsstopp). Dieser Zuschlagsstopp gilt automatisch, sobald die Vergabekammer den Eingang des Antrags dem Auftraggeber mitteilt. Im weiteren Verlauf kann die Vergabekammer auf Antrag des Auftraggebers die aufschiebende Wirkung aufheben, wenn überwiegende öffentliche oder zwingende Interessen dies erfordern. Das Ziel dieser Regelung ist, effektiven Rechtsschutz für Bieter sicherzustellen, deren Rechte vor Zuschlagserteilung gesichert werden sollen.

Wie ist das Nachprüfungsverfahren strukturiert und ab welcher Instanz kann Beschwerde eingelegt werden?

Das Nachprüfungsverfahren ist als zweistufiges Verwaltungsverfahren ausgestaltet. Die erste Instanz bildet die Vergabekammer des Bundes oder der Länder, abhängig davon, ob Bundes- oder Landesbehörden involviert sind. Das Verfahren ist grundsätzlich schriftlich ausgestaltet, die Parteien haben jedoch Anspruch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die Vergabekammer entscheidet durch einen förmlichen Beschluss, gegen den binnen zwei Wochen nach Zustellung Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) eingelegt werden kann (§ 171 GWB). Das OLG prüft die Entscheidung nicht nur auf Rechtsfehler, sondern auch auf erhebliche Verfahrensmängel und kann die Entscheidung der Vergabekammer aufheben, abändern oder bestätigen.

Welche Kosten entstehen und wie werden diese verteilt?

Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens setzen sich aus den Gebühren der Vergabekammer sowie den notwendigen Aufwendungen der Beteiligten zusammen. Die Verwaltungsgebühren werden durch die Vergabekammer nach dem Streitwert bemessen und betragen mindestens 2.500 Euro, maximal 50.000 Euro, in bestimmten Fällen bis zu 100.000 Euro (§ 182 GWB). Hinzu können Anwaltskosten und eigene Aufwendungen (z. B. für Gutachten) kommen. Die Verteilung der Kosten erfolgt nach dem Maßstab des Obsiegens und Unterliegens: Grundsätzlich trägt die unterlegene Partei sowohl die Gebühren der Vergabekammer als auch die notwendigen Aufwendungen der obsiegenden Partei. Die Vergabekammer kann jedoch eine abweichende Kostenverteilung anordnen, wenn Gründe der Billigkeit dies erfordern.

Welche Rechtsfolgen kann die Vergabekammer im Nachprüfungsverfahren anordnen?

Die Vergabekammer hat weitgehende Entscheidungsbefugnisse: Sie kann das Vergabeverfahren aufheben, den Auftraggeber zur Korrektur fehlerhafter Maßnahmen verpflichten oder zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer anweisen (§ 168 GWB). In Einzelfällen kann die Vergabekammer innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten auch direkte Maßnahmen treffen, wie die Untersagung des Zuschlags oder die Anordnung zur Rückversetzung des Vergabeverfahrens in einen früheren Stand. Die Entscheidungen sind für den Auftraggeber bindend, sofern sie nicht im Beschwerdeverfahren vor dem OLG aufgehoben oder geändert werden.

Gibt es Sanktionen gegen den Auftraggeber bei Vergabeverstößen trotz Nachprüfungsverfahren?

Verstößt der Auftraggeber trotz laufenden oder erfolgreich abgeschlossenem Nachprüfungsverfahren gegen vergaberechtliche Vorschriften, können auf Grundlage des GWB und der zugrundeliegenden Rechtsprechung verschiedene Sanktionen verhängt werden. Zu nennen sind etwa die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags (Nichtigkeitswirkung) nach § 135 GWB, wenn der Zuschlag ohne Beachtung des Nachprüfungsverfahrens erteilt wurde. Darüber hinaus können Schadensersatzansprüche des betroffenen Bieters gemäß § 181 GWB entstehen, wobei dieser im Einzelfall den Nachweis eines tatsächlich entstandenen Schadens führen muss. Die drohenden Sanktionen dienen der Sicherstellung der Effektivität des Rechtsschutzes im öffentlichen Vergaberecht.