Definition und Bedeutung des digitalen Nachlasses
Der digitale Nachlass umfasst sämtliche digitalen Vermögenswerte, Rechte und Verpflichtungen einer verstorbenen Person. Dieser Begriff bezieht sich auf elektronische Daten, digitale Konten sowie immaterielle Rechte, die im Internet oder auf elektronischen Geräten gespeichert sind und nach dem Tod des Inhabers verwaltet oder vererbt werden. Der digitale Nachlass gewinnt angesichts der voranschreitenden Digitalisierung des privaten und wirtschaftlichen Lebens zunehmend an Bedeutung und wirft vielfache rechtliche Fragestellungen auf.
Inhalt und Abgrenzung des digitalen Nachlasses
Begriffsabgrenzung
Der digitale Nachlass ist Teil des Gesamtnachlasses im Sinne von § 1922 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er setzt sich aus allen digitalen Positionen zusammen, die dem Verstorbenen zugeordnet werden können. Hierzu zählen insbesondere Zugänge, Inhalte und Rechte an digitalen Diensten, Speichermedien und Kommunikationsmitteln.
Beispiele für digitale Nachlassgegenstände
- E-Mail-Konten und Kommunikationsverläufe
- Profile in sozialen Netzwerken (Facebook, Instagram, X, LinkedIn usw.)
- Cloud-Speicher und Online-Backup-Dienste
- Digitale Guthaben und Vermögenswerte (z.B. Kryptowährungen, PayPal-Konten, Online-Banking-Zugänge)
- Online-Abonnements und Mitgliedschaften
- Eigene Websites, Blogs, Domains
- Digitale Fotos, Videos, Texte und sonstige Multimediadateien
- Softwarenutzungsrechte sowie In-App-Käufe
Abgrenzung zu analogen Nachlassbestandteilen
Der digitale Nachlass unterscheidet sich vom klassischen, physischen Nachlass (z.B. Immobilien, Fahrzeuge, Schmuck) durch die ausschließlich elektronische Existenz oder Verwaltung der Vermögenswerte und Rechte. Während physische Nachlassgegenstände direkt zugänglich sind, bedarf es beim digitalen Nachlass oft technischer Hilfsmittel und Zugangsdaten.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Erbrechtliche Einordnung
Der digitale Nachlass unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Regeln des deutschen Erbrechts. Mit dem Tod einer Person geht das gesamte Vermögen, somit auch der digitale Nachlass, als Ganzes auf den oder die Erben über (§ 1922 BGB). Erben treten in die Rechtspositionen des Verstorbenen ein und erhalten nach anerkanntem Verständnis auch die Verfügungsgewalt über dessen digitale Vermögenswerte und Daten.
Zugang und Verwaltung des digitalen Nachlasses
Zugangsverschaffung
Für Erben ist der Zugang zu digitalen Konten und Inhalten essenziell. Die Verschaffung des Zugangs ist oftmals mit rechtlichen und praktischen Problemen verbunden, insbesondere wenn Zugangsdaten oder Passwörter fehlen. Anbieter digitaler Dienste fordern häufig einen Erbnachweis, wie das Testament oder einen Erbschein, bevor Zugangsdaten herausgegeben oder Konten entsperrt werden.
Rechtslage zu Nutzerkonten bei Online-Diensten
Verschiedene Anbieter regeln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), ob und wie ein Nutzerkonto nach dem Tod fortgeführt oder gelöscht wird. In Deutschland hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2018 entschieden, dass etwa der Zugang zu einem Facebook-Konto Teil des Nachlasses ist und auf die Erben übergehen kann (BGH, Urteil vom 12. Juli 2018, Az. III ZR 183/17). Erben stehen nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten zu, wie sie dem Verstorbenen zugestanden hätten.
Geheimnisschutz und Datenschutz
Der Umgang mit dem digitalen Nachlass berührt auch datenschutzrechtliche Fragestellungen. Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gilt grundsätzlich nicht für Verstorbene. Allerdings sind die Rechte Dritter (insbesondere Dritte, die mit dem Verstorbenen kommuniziert haben) weiterhin zu beachten, sodass beim Zugriff auf private Kommunikationsdaten besondere Vorsicht geboten sein kann.
Vertragliche und strafrechtliche Aspekte
Persönliche und höchstpersönliche Rechte
Einige digitale Rechte und Konten sind auf höchstpersönliche Interessen (zum Beispiel Mitgliedschaften in Dating-Plattformen oder persönliche E-Mail-Konten) beschränkt und nicht übertragbar. Diese Rechte erlöschen in der Regel mit dem Tod des Kontoinhabers, sofern in den Vertragsbedingungen nichts anderes geregelt ist.
Vertragsfortsetzung bzw. Kontenschließung
Bei Abos, Lizenzen oder sonstigen Verträgen können Ansprüche gegen und von Dienstanbietern bestehen. Oft ist in den AGB geregelt, ob das Vertragsverhältnis mit dem Tod endet oder von den Erben fortgeführt werden kann. Im Zweifelsfall sind vertragliche Regelungen maßgeblich.
Strafrechtliche Relevanz
Das Zugreifen auf Konten des Verstorbenen kann ggf. tatbestandliche Relevanz entfalten, sofern unbefugt gehandelt wird. Erben, die im Rahmen ihrer Erbenstellung Zugang nehmen, handeln jedoch grundsätzlich rechtmäßig.
Vorsorgemöglichkeiten und Praxisempfehlungen
Vorsorge durch testamentarische Verfügung
Um Klarheit über den Umgang mit dem digitalen Nachlass zu schaffen, empfiehlt es sich, bereits zu Lebzeiten Regelungen im Testament zu treffen. Dies beinhaltet auch die Benennung einer Person zur Nachlassabwicklung sowie die sichere Dokumentation von Zugangsdaten (beispielsweise in einem Passwortmanager oder einer sicheren digitalen Notiz).
Verwaltungshilfen und digitale Nachlassdienste
Speziell für den digitalen Nachlass existieren Online-Dienste und Softwarelösungen, die eine geordnete Verwaltung und Übergabe der Zugangsinformationen an Erben oder Bevollmächtigte ermöglichen.
Gerichtliche und außergerichtliche Streitigkeiten
Streitigkeiten über den digitalen Nachlass entstehen regelmäßig bei Uneinigkeit zwischen Erben oder zwischen Erben und Plattformbetreibern. Sofern keine einvernehmliche Regelegung gefunden wird, können gerichtliche Auseinandersetzungen, zum Beispiel auf Zugang zu digitalen Konten, erforderlich werden. Wichtige Bezugspunkte hierfür sind gerichtliche Entscheidungen, wie die des BGH von 2018.
Internationales Privatrecht
Im internationalen Kontext sind unterschiedliche Nachlassregelungen möglich, insbesondere wenn ausländische Serviceanbieter betroffen sind oder der Verstorbene Auslandsvermögen in Form von digitalen Gütern hielt. Die Anwendbarkeit des deutschen Erbrechts ist regelmäßig zu prüfen, ebenso die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen gegenüber Dienstleistern im Ausland.
Fazit
Der digitale Nachlass ist integraler Bestandteil des heutigen Erbrechts und betrifft eine Vielzahl von Rechtsgebieten. Die rechtliche Handhabbarkeit stellt sowohl Erben als auch Plattformbetreiber vor erhebliche Herausforderungen, die von Zugangsbeschaffung über Datenschutz bis hin zu länderspezifischen Besonderheiten reichen. Es ist daher empfehlenswert, den digitalen Nachlass vorausschauend zu strukturieren und rechtzeitig Regelungen zur Verwaltung und Weitergabe zu treffen.
Siehe auch:
Literatur:
- Herbers/Frank, „Digitaler Nachlass“, ZEV 2019, 484
- Reimann, Digitaler Nachlass, NJW 2019, 3372
Häufig gestellte Fragen
Wer erhält Zugriff auf digitale Nachlasswerte wie E-Mails, Cloud-Speicher oder Social Media-Konten nach dem Tod einer Person?
Im Todesfall gehen grundsätzlich auch digitale Nachlasswerte auf die Erben über, da sie rechtlich wie andere Vermögensgegenstände als Teil des Nachlasses betrachtet werden. Das bedeutet, dass die Erben rechtmäßigen Zugang zu den Online-Konten, digitalen Archiven und gespeicherten Daten der verstorbenen Person erhalten. Allerdings müssen sie sich häufig zunächst gegenüber den jeweiligen Diensteanbietern legitimieren, etwa durch Vorlage des Erbscheins oder eines Testaments. Bei Social Media-Plattformen hängt die Zugriffsgewährung zudem oft von den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters ab; einige Anbieter bieten Funktionen wie Gedenkzustände oder Kontolöschungen an. Teilweise können Anordnungen des Erblassers (z.B. in einer Vorsorgevollmacht oder einem digitalen Testament) den Zugang konkret regeln. Dennoch kann es zu Konflikten mit Datenschutzvorschriften kommen, insbesondere wenn Dritte in der Kommunikation des Erblassers involviert sind. In solchen Fällen müssen die Erben berechtigen Interessen darlegen oder es bedarf einer Interessenabwägung nach Maßgabe des jeweiligen Datenschutzrechts.
Was passiert mit laufenden Online-Abonnements oder digitalen Verträgen im Nachlassfall?
Online-Abonnements, wie etwa Streaming-Dienste, Cloud-Abos oder Softwarelizenzen, gehen mit dem Tod des Inhabers nicht automatisch auf die Erben über. Vielmehr handelt es sich meist um höchstpersönliche, nicht übertragbare Verträge, die mit dem Tod des Vertragspartners enden. Die Erben sind dennoch verpflichtet, den Tod dem Anbieter anzuzeigen, um eine Vertragsbeendigung herbeizuführen. Häufig sehen die Vertragsbedingungen auch spezielle Regelungen zur Laufzeit bei Tod des Kunden vor. Nicht gekündigte Abonnements können zu Nachlassverbindlichkeiten werden, sodass die Erben gegebenenfalls für offene Forderungen haften. Bei Verträgen, die Guthaben oder finanzielle Werte aufweisen (z.B. Prepaid-Konten), besteht Anspruch der Erben auf Auszahlung des Restwerts.
Wie können Erben die Zugangsdaten zu digitalen Konten des Erblassers erhalten, wenn sie ihnen nicht vorliegen?
Falls keine zentrale Sammlung oder ausdrückliche Übergabe der Zugangsdaten erfolgte, können Erben beim jeweiligen Anbieter Einsicht oder Zugang beantragen. Voraussetzung ist in der Regel ein Nachweis über die Erbenstellung (z.B. Vorlage des Erbscheins oder eines notariellen Testaments). Die meisten Anbieter haben inzwischen Verfahren für den Erbfall etabliert und verlangen häufig zusätzliche Dokumente wie eine Sterbeurkunde. Allerdings kann der Zugang erschwert werden, wenn der Erblasser eine Zwei-Faktor-Authentifizierung aktiviert hatte und für den zweiten Faktor keine Zugangsmöglichkeit besteht. In solchen Situationen sind Erben auf die Kooperation des Anbieters angewiesen; es kann sogar ein gerichtliches Verfahren notwendig sein. Eine Verpflichtung der Anbieter zur Herausgabe der Zugangsdaten besteht typischerweise nicht, wohl aber zur Übertragung relevanter Inhalte (z.B. E-Mail-Verläufe oder gespeicherte Daten) auf die Erben.
Welche datenschutzrechtlichen Aspekte sind beim Zugriff auf digitale Nachlasswerte zu beachten?
Beim Zugriff auf digitale Nachlasswerte spielen Datenschutzvorschriften eine erhebliche Rolle. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) endet der Persönlichkeitsschutz der betroffenen Person mit deren Tod. Allerdings können Rechte Dritter, die in Kommunikationsdaten oder gespeicherten Dateien involviert sind, weiterhin beeinträchtigt sein. Anbieter müssen deshalb eine Interessenabwägung zwischen dem schutzwürdigen Interesse der Erben am Nachlass und dem Schutz der Daten Dritter vornehmen. Erben erhalten oft keine weitergehenden Rechte als der Erblasser selbst hatte; sie treten lediglich in bestehende Vertragsverhältnisse ein. Sensible Daten mit Bezug zu Dritten dürfen nicht ohne Weiteres an die Erben ausgegeben werden, es sei denn, eine entsprechende rechtliche Grundlage liegt vor.
Inwieweit kann der Erblasser verfügen, wie mit seinen digitalen Nachlasswerten umgegangen wird?
Der Erblasser kann grundsätzlich testamentarisch oder durch spezielle Nachlassverfügungen festlegen, welche Personen Zugang zu einzelnen digitalen Konten oder Daten erhalten sollen. Dabei können sogenannte „digitale Testamente“ helfen, in denen detailliert aufgeführt wird, wie mit Online-Konten, Passwörtern und Datenbanken zu verfahren ist. Solche Verfügungen sind bindend, soweit sie nicht gegen zwingende gesetzliche Vorgaben (z.B. Datenschutzgesetze) oder gegen die Bedingungen der jeweiligen Diensteanbieter verstoßen. Ein Testament sollte eindeutige und umfassende Regelungen enthalten, um Interpretationsspielräume zu vermeiden. Eine wirksame Anordnung sollte auch Anweisungen zur Löschung oder Weitergabe bestimmter Daten enthalten, sofern dies gewünscht ist.
Welche Besonderheiten gelten beim sogenannten „digitalen Erbschein“?
Ein „digitaler Erbschein“ im klassischen Sinne existiert im deutschen Recht derzeit noch nicht. Der Nachweis der Erbenstellung erfolgt weiterhin durch den konventionellen Erbschein, der auch für den Zugriff auf digitale Vermögenswerte maßgeblich ist. Allerdings streben einige Länder und die EU langfristig digitale Verfahren an, um Erbfolgen und Nachweise auch online abzuwickeln. Bis zu einer entsprechenden Rechtsentwicklung bleibt der physische Erbschein das zentrale Dokument, das den Erben gegenüber digitalen Dienstleistern legitimiert.
Wer haftet im Fall entstandener Kosten oder Schäden durch digitale Konten nach dem Erbfall?
Nach deutschem Erbrecht gehen mit dem Nachlass sowohl die Vermögenswerte als auch die Verbindlichkeiten auf die Erben über. Das bedeutet, dass Erben auch für etwaige laufende Kosten (wie etwa unbeendete Abonnements) oder mögliche Schäden durch Missbrauch digitaler Konten haften, sofern sie die Erbschaft nicht ausschlagen. Die Erben trifft daher eine Pflicht zur unverzüglichen Prüfung und Abwicklung der digitalen Konten, um unnötige Kosten oder Risiken zu vermeiden. Bei Verletzung dieser Pflicht kann sich die Haftung der Erben weiter ausdehnen. Es empfiehlt sich, bereits im Erbfall professionelle Unterstützung einzuholen, um etwaige Haftungsrisiken frühzeitig zu klären und digitale Nachlasswerte ordnungsgemäß zu verwalten.