Nachforderungsklage: Begriff, rechtliche Grundlagen und praktische Bedeutung
Die Nachforderungsklage ist ein zivilprozessuales Instrument, welches es ermöglicht, nachträglich Ansprüche geltend zu machen, die in einem früheren Urteil, Vergleich oder Anerkenntnis nicht berücksichtigt wurden. Die Nachforderungsklage spielt insbesondere im Schuldrecht sowie bei Werkverträgen und Kaufverträgen eine maßgebliche Rolle. Sie steht im engen Bezug zu den Grundsätzen der materiellen Rechtskraft und der Prozessökonomie. Nachfolgend wird der Begriff umfassend erläutert und im rechtlichen Kontext eingeordnet.
Definition und Abgrenzung der Nachforderungsklage
Begriffsklärung
Die Nachforderungsklage bezeichnet die gerichtliche Geltendmachung von Forderungen, die zwar bereits vor Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens bestanden, im damaligen Prozess jedoch nicht einbezogen oder geltend gemacht wurden. Die Nachforderungsklage ermöglicht es, diese bislang unerledigten Forderungen gerichtlich durchzusetzen.
Abgrenzung zur Nachbesserungsklage und Klageerweiterung
Im Unterschied zur Klageerweiterung, die im laufenden Prozess erfolgt, und zur Nachbesserungsklage, welche nach Erfüllung Mängelbeseitigung beansprucht, bezieht sich die Nachforderungsklage auf Ansprüche, die nach Abschluss eines Prozesses (Urteil, Vergleich) nachträglich erhoben werden. Im Gegensatz zur sogenannten Stufenklage, die auf Auskunft und nachfolgenden Zahlungsanspruch gerichtet ist, betrifft die Nachforderungsklage isolierte Forderungsanteile.
Rechtsgrundlagen der Nachforderungsklage
Zivilprozessordnung und materielle Rechtskraft
Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Nachforderungsklage finden sich insbesondere in den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO). Maßgeblich ist § 322 ZPO, der die Rechtskraft von Urteilen regelt. Die materielle Rechtskraft umfasst grundsätzlich nur den Streitgegenstand des bereits entschiedenen Verfahrens und die damals gestellten Anträge. Forderungen, die im vorangegangenen Prozess nicht Teil des Streitgegenstandes waren, sind nicht von der Rechtskraft umfasst und können im Wege der Nachforderungsklage selbständig verfolgt werden.
Grundsatz der Anspruchshäufung und Prozessökonomie
Die Anspruchshäufung (objektive Klagehäufung) gemäß § 260 ZPO erlaubt es grundsätzlich, mehrere Forderungen in einer Klage zu verbinden. Werden jedoch einzelne Forderungen nicht rechtshängig gemacht, können diese nachträglich isoliert eingeklagt werden, ohne dass eine Präklusion durch das vorangegangene Verfahren eintritt.
Anwendungsbereiche der Nachforderungsklage
Werkvertragsrecht
Im Werkvertragsrecht tritt die Nachforderungsklage häufig auf, wenn beispielsweise der Besteller im ersten Prozess lediglich einen Teil der Vergütung geltend macht und später weitere, ursprünglich bereits bestehende Zahlungsansprüche erhebt.
Kaufrecht
Ähnlich kann im Kaufrecht eine Nachforderungsklage erhoben werden, wenn nach Automobilkauf oder Immobilienkauf im ursprünglichen Verfahren nicht sämtliche Mängel oder Ansprüche berücksichtigt wurden.
Mietrecht und Dienstvertragsrecht
Nachforderungsklagen sind weiterhin im Mietrecht (Nebenkosten, Mieterhöhungen) sowie im Dienstvertragsrecht von Bedeutung, etwa bei vergessenen Gehalts- oder Honoraransprüchen.
Voraussetzungen und Zulässigkeit einer Nachforderungsklage
Objektsidentität und Rechtskraft
Zentral für die Zulässigkeit einer Nachforderungsklage ist, dass der neue Klageanspruch nicht bereits Bestandteil der Rechtskraft des vorherigen Urteils ist. Maßgeblich ist die Objektsidentität, das heißt, es dürfen keine identischen Ansprüche aus denselben Rechtsgründen für denselben Zeitraum erneut geltend gemacht werden.
Präklusion und Prozessverschleppung
Eine Nachforderungsklage ist unzulässig, wenn der Anspruch unter den Grundsatz der Präklusion fällt, beispielsweise dann, wenn Verzicht oder Erledigungserklärungen vorliegen. Auch darf kein Verstoß gegen das Verbot doppelter Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) vorliegen.
Ablauf und Besonderheiten im Verfahren
Klageeinreichung und Beweislast
Die Nachforderungsklage wird durch Erhebung einer neuen Klage beim zuständigen Gericht eingeleitet. Die Beweislast richtet sich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, das heißt, der Anspruchsteller muss die anspruchsbegründenden Tatsachen darlegen und beweisen.
Einwände und Verteidigungsmöglichkeiten
Der Beklagte kann Einwendungen gegen die Nachforderungsklage erheben, insbesondere die Einrede der Rechtskraft oder den Einwand des Verzichts auf weitere Ansprüche aus demselben Lebenssachverhalt.
Rechtsprechung zur Nachforderungsklage
Mehrere Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) haben die Grundlinien der Nachforderungsklage bestätigt. Nach ständiger Rechtsprechung erstreckt sich die Rechtskraft eines Urteils nur auf die konkret eingeklagten Ansprüche. Nachforderungen können daher selbständig eingeklagt werden, wenn sie nicht Gegenstand des Vorprozesses waren (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 1987 – V ZR 29/86).
Literatur und Literaturhinweise
- Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, 21. Aufl., § 322
- BGH NJW 1987, 3250
- MüKoZPO/Zöller, ZPO, § 322
Bedeutung der Nachforderungsklage in der Praxis
Die Nachforderungsklage bietet Parteien eine Möglichkeit, nicht vollständig verfolgte oder übersehene Ansprüche nachträglich wirksam durchzusetzen, ohne durch frühere gerichtliche Entscheidungen gehindert zu sein. Gleichzeitig fördert sie die sorgfältige Prozessführung und schützt vor Verlust von Ansprüchen aufgrund formaler Fehler.
Zusammenfassung
Die Nachforderungsklage ist ein essenzielles Instrument des deutschen Zivilprozessrechts und ermöglicht die nachträgliche Durchsetzung vergessener, übersehener oder bisher nicht eingeklagter Forderungen. Sie unterliegt klaren rechtlichen Grenzen, orientiert sich an den Grundsätzen der Rechtskraft und der Anspruchsidentität und ist besonders für die Praxis von großer Bedeutung, um vollständige Rechtssicherheit und Anspruchswahrung zu gewährleisten.
Häufig gestellte Fragen
Wie läuft das gerichtliche Verfahren bei einer Nachforderungsklage ab?
Das gerichtliche Verfahren bei einer Nachforderungsklage beginnt mit der formgerechten Einreichung der Klageschrift bei dem zuständigen Gericht. Maßgeblich sind hier die Zivilprozessordnung (ZPO) und ggf. besondere Verfahrensregelungen, etwa bei arbeitsgerichtlichen Nachforderungen. Die Klageschrift muss insbesondere den Kläger, den Beklagten, den Klagegrund sowie das konkrete Nachforderungsbegehren benennen. Das Gericht prüft zunächst die Zulässigkeit der Klage, insbesondere die Zuständigkeit sowie das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses. Nach erfolgter Zustellung der Klageschrift an den Beklagten setzt das Gericht Fristen zur Klageerwiderung und etwaigen weiteren Schriftsätzen. Es folgt der schriftliche oder – je nach Streitwert – mündliche Vorbereitungsprozess, der auf die Hauptverhandlung hinausläuft. Hierbei werden etwaige Beweise erhoben, Zeugen vernommen und Urkunden geprüft. Das Verfahren endet mit einer Entscheidung durch Urteil, Versäumnisurteil oder Vergleich. Im Nachforderungsprozess ist es üblich, dass das Gericht auch prüft, ob die Nachforderung hinreichend substantiiert begründet und ggf. fällig gestellt wurde.
Welche Fristen sind bei der Nachforderungsklage zu beachten?
Bei der Erhebung einer Nachforderungsklage sind verschiedene Fristen relevant, insbesondere die Verjährungsfristen gemäß §§ 194 ff. BGB. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre und beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Tatsachen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen. In bestimmten Fällen, wie zum Beispiel Werklohnforderungen oder kaufrechtlichen Nachforderungen, gelten abweichende Verjährungsfristen, wenn das Gesetz Sonderregelungen vorsieht. Die Klage muss vor Ablauf dieser Fristen beim zuständigen Gericht eingehen, ansonsten ist die Forderung verjährt und damit nicht mehr durchsetzbar. Soweit der Anspruch bereits in einem Urteil oder vollstreckbaren Vergleich festgestellt wurde, verlängert sich die Verjährungsfrist auf 30 Jahre (§ 197 BGB). Daneben sind gerichtliche Fristen, wie etwa für die Klageerwiderung oder für Beweisangebote, strikt einzuhalten, da ansonsten prozessuale Rechte verloren gehen können.
Welche Beweislast trifft die Parteien bei einer Nachforderungsklage?
Bei einer Nachforderungsklage trägt grundsätzlich der Kläger die Beweislast für das Bestehen und die Höhe seiner Nachforderung, also für Tatsachen, die seinen Anspruch begründen. Dazu gehören insbesondere Nachweise über Leistungsverträge, erbrachte Leistungen, Zahlungsbelege oder Abrechnungen. Der Beklagte hingegen trägt die Beweislast für alle Tatsachen, die zur Ablehnung oder Minderung des Anspruchs führen, etwa eine bereits erfolgte Zahlung, Gegenforderungen oder Einwendungen wie Verjährung oder Erfüllung. Im gerichtlichen Verfahren ist es daher besonders wichtig, alle relevanten Beweismittel, etwa Verträge, Quittungen, Schriftverkehr oder Zeugenaussagen, rechtzeitig vorzulegen. Die Anforderungen an die Substantiierung der Nachforderung sind hoch; das Gericht muss im Zweifel im Rahmen der Würdigung aller vorgelegten Beweise eine Entscheidung treffen.
Kann eine Nachforderungsklage auch dann erhoben werden, wenn der Anspruch bisher nicht eingefordert wurde?
Grundsätzlich ja, eine Nachforderungsklage kann auch dann erhoben werden, wenn der Kläger seine Forderung bislang nicht ausdrücklich angefordert oder angemahnt hat, vorausgesetzt die Forderung ist bereits rechtlich entstanden und fällig. In bestimmten Fällen sieht das Gesetz jedoch vor, dass eine vorherige Mahnung oder Fälligstellung notwendig ist (z. B. § 286 BGB bei Verzug). Ohne eine solche Fälligstellung läuft der Schuldner nicht in Verzug, was etwa für Zinsforderungen oder Ersatz von Verzugsschäden von Bedeutung ist. In der Praxis ist es ratsam, bereits außergerichtlich die Forderung anzumahnen, auch um eine Einigung zu erzielen oder die Erfolgsaussichten der Klage zu erhöhen. Das Gericht prüft bei Eingang der Klage, ob der Anspruch fällig ist und ob ggf. eine Mahnung erforderlich gewesen wäre.
Welche Rolle spielen Einreden wie Verjährung oder Erfüllung im Rahmen der Nachforderungsklage?
Einreden wie Verjährung oder Erfüllung spielen eine zentrale Rolle im Nachforderungsprozess. Der Beklagte kann sich im gerichtlichen Verfahren auf diese Einreden berufen, was dazu führt, dass das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag prüft, ob die Forderung trotz Bestehens des Grundanspruchs nicht mehr durchsetzbar ist (z. B., weil sie verjährt ist oder bereits erfüllt wurde). Die Einrede der Verjährung muss vom Schuldner ausdrücklich erhoben werden; das Gericht berücksichtigt sie grundsätzlich nicht von Amts wegen. Die Erfüllung dagegen ist grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen, sofern sich dies aus dem Prozessstoff ergibt. Der Beklagte trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Einrede, etwa durch Vorlage von Zahlungsnachweisen. Eine erfolgreiche Einrede führt in aller Regel zur Abweisung der Klage.
Was ist bei der Bezifferung des Nachforderungsbetrags im Prozess zu beachten?
Die Bezifferung des Nachforderungsbetrags ist prozessual von zentraler Bedeutung, da eine unbestimmte oder ungenaue Angabe zur Unzulässigkeit der Klage führen kann. Der Kläger muss den Nachforderungsbetrag konkret beziffern und nachvollziehbar aufschlüsseln, d. h., er muss genau darlegen, wie sich die Nachforderung zusammensetzt (etwa Hauptforderung, Zinsen, Nebenkosten). Dies beinhaltet die genaue Angabe von Rechnungsnummern, Zeiträumen, Leistungsdaten und ggf. bereits geleisteten Zahlungen. Im Detail müssen alle Einzelpositionen so bezeichnet werden, dass sowohl das Gericht als auch der Beklagte die Berechnung und Grundlage der Forderungsaufstellung nachprüfen können. Bei wiederkehrenden Leistungen, Teilzahlungen oder Teilleistungen sind die jeweiligen Abrechnungszeiträume klar auszuweisen. Nur bei vollständiger und nachvollziehbarer Bezifferung ist eine erfolgreiche Nachforderungsklage möglich.
Inwiefern ist ein Vorverfahren bzw. eine außergerichtliche Geltendmachung der Nachforderung erforderlich?
Im Regelfall ist ein Vorverfahren oder eine außergerichtliche Geltendmachung der Nachforderung keine zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage. In einigen Konstellationen, etwa bei öffentlich-rechtlichen Forderungen oder besonderen gesetzlich geregelten Vorverfahren (z. B. Widerspruchsverfahren im Verwaltungsrecht), kann jedoch ein Vorverfahren vorgeschrieben sein. Im zivilrechtlichen Bereich wird jedoch regelmäßig erwartet, dass vor Klageerhebung eine außergerichtliche Klärung zumindest versucht wird, um das Prozessrisiko zu minimieren und mögliche Einigungen zu erzielen. Erfolgt eine vorherige Geltendmachung, so kann dies auch für die Wirksamkeit von Verzugszinsen und Kostenfolgen relevant sein (§§ 286, 288 BGB). Die außergerichtliche Mahnung ist zudem oft Voraussetzung für die Geltendmachung weiterer Schadensfolgen des Verzugs. Werden solche außergerichtlichen Bemühungen unterlassen, kann dies – je nach Einzelfall – zu Nachteilen in Bezug auf die Prozesskosten führen.