Nachfluchttatbestände: Definition und Überblick
Nachfluchttatbestände sind ein zentrales Konzept im deutschen Strafrecht und bezeichnet solche Straftatbestände, die Täter häufig zur Sicherung des Erfolges oder zur Ermöglichung der Straffreiheit nach Begehung einer Haupttat begehen. Typischerweise bezieht sich der Begriff auf bestimmte Handlungen, die im zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer bereits verwirklichten Straftat stehen und darauf gerichtet sind, deren Aufdeckung zu verhindern oder die Beute zu sichern. Das Konzept der Nachfluchttatbestände ist vor allem im Zusammenhang mit Raubdelikten (§ 252 StGB), Diebstahl (§ 257 StGB), Hehlerei und verwandten Strafvorschriften relevant.
Gesetzliche Verankerung der Nachfluchttatbestände
Relevante Tatbestände im StGB
Nachfluchttatbestände finden sich in mehreren Vorschriften des Strafgesetzbuchs (StGB):
- Räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB)
- Räuberische Erpressung (§ 255 StGB)
- Begünstigung (§ 257 StGB)
- Hehlerei (§ 259 StGB)
- Strafvereitelung (§ 258 StGB)
- Verstrickungsbruch (§ 288 StGB)
Gemeinsam ist diesen Vorschriften, dass sie auf Handlungen Bezug nehmen, die nach Vollendung einer Haupttat begangen werden, um zum Beispiel die Beute zu sichern, die Verfolgung zu erschweren oder gar die Bestrafung zu verhindern.
Systematische Einordnung
Abgrenzung zu anderen Tatbeständen
Nachfluchttatbestände sind von anderen Deliktskategorien abzugrenzen:
- Vorbereitungsdelikte erfassen Handlungen vor der Tatbestandsverwirklichung.
- Begleitdelikte werden im unmittelbaren Zusammenhang mit der Haupttat begangen; Nachfluchttatbestände hingegen setzen eine bereits vollendete Haupttat voraus.
Tatbestandsmäßigkeit und Konkurrenzen
Für die Verwirklichung eines Nachfluchttatbestands ist erforderlich, dass eine rechtswidrige Vortat vorliegt. Der Täter muss sich aktiv verhalten, um deren Folgen zu sichern oder deren Aufdeckung zu erschweren. Die Abgrenzung zu Tatbestandskonkurrenzen, etwa zwischen räuberischem Diebstahl und Raub, ist in Rechtsprechung und Literatur von besonderer Bedeutung.
Räuberischer Diebstahl (§ 252 StGB) als klassischer Nachfluchttatbestand
Tatbestandsvoraussetzungen
Beim räuberischen Diebstahl handelt es sich um einen Prototyp des Nachfluchttatbestandes. § 252 StGB normiert, dass ein Dieb, der beim Diebstahl auf frischer Tat betroffen wird und gegen eine Person Gewalt anwendet oder Drohungen anwendet, ebenfalls nach den Vorschriften über den Raub bestraft wird. Der Zweck ist hierbei die Sicherung des Diebesguts nach bereits vollendetem Diebstahl.
„Auf frischer Tat betroffen“
Voraussetzung ist die Annahme, dass der Täter beim Diebstahl „auf frischer Tat betroffen“ wird, was nach herrschender Meinung dann vorliegt, wenn der Täter noch in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit der Wegnahme steht.
Gewalt oder Drohung
Die Gewaltanwendung oder Drohung muss dazu dienen, die Beute zu sichern oder die Verfolgung zu verhindern.
Begünstigung (§ 257 StGB) und Strafvereitelung (§ 258 StGB)
Begünstigung
Nach § 257 StGB macht sich strafbar, wer einem anderen hilft, die Vorteile einer rechtswidrigen Tat gegen eine Bestrafung zu sichern. Diese Vorschrift ist ein klassischer Nachfluchttatbestand, da sie auf die Handlung nach Begehung einer Straftat abzielt.
Strafvereitelung
Auch die Strafvereitelung nach § 258 StGB steht im engen Zusammenhang mit Nachfluchttatbeständen. Durch aktive Tathandlung wird nach bereits erfolgtem Delikt die Bestrafung oder Ergreifung des Täters zu verhindern gesucht.
Zweite Reihe: Hehlerei (§ 259 StGB)
Hehlerei bezieht sich darauf, einen aus einer rechtswidrigen Vortat stammenden Gegenstand anzunehmen oder sich oder einem Dritten zu verschaffen. Auch hier ist die Tatbestandsvoraussetzung eine vollendete Vortat, auf deren Sicherung oder Weiterverwertung gezielt wird.
Objektiver und subjektiver Tatbestand
Objektive Voraussetzungen
Alle Nachfluchttatbestände verlangen das Vorliegen einer vollendeten, rechtswidrigen Vortat. Zeitliche, persönliche und sachliche Nähe zwischen beiden Taten spielen eine zentrale Rolle.
Subjektive Voraussetzungen
Neben dem objektiven Tatbestand ist zumeist strafbare Absicht sowie das Wissen um die Vortat erforderlich. Dies unterscheidet Nachfluchttatbestände von beispielsweise fahrlässigen Begehungsformen.
Konkurrenzen und Strafzumessung
Die Verwirklichung eines Nachfluchttatbestandes führt regelmäßig zu sogenannten Tateinheitlichen Konkurrenzverhältnissen, sofern die Nachfluchttat mit derselben Vortat begangen wird. Bei mehreren Nachfluchttatbeständen zur selben Vortat ist eine Abgrenzung zum Grundsatz „Konsumtion“ nötig, wonach ein schwererer Tatbestand einen minder schweren „verdrängt“.
Strafrechtspolitische und praktische Bedeutung
Nachfluchttatbestände dienen vor allem dem Schutz der Durchsetzbarkeit des staatlichen Strafanspruchs sowie dem Schutz individueller Rechtsgüter (z.B. Eigentum). Sie verdeutlichen, dass strafbares Verhalten nicht mit der Ausführung der Haupttat endet, sondern auch sich anschließende Handlungen erfasst werden können.
In der Praxis haben Nachfluchttatbestände besonders im Bereich der Eigentums- und Vermögensdelikte eine große Relevanz, da Täter häufig versuchen, die Beute zu sichern oder sich durch Drohung und Gewalt der Verfolgung zu entziehen.
Literatur und Rechtsprechung
In Rechtsprechung und Fachliteratur wird immer wieder die genaue Abgrenzung bestimmter Nachfluchttatbestände, deren Anwendungsvoraussetzungen und ihre Bedeutung für das Strafzumessungsrecht diskutiert. Insbesondere die Auslegung des Begriffs „auf frischer Tat betroffen“ in § 252 StGB und die Voraussetzungen einer vollendeten Vortat sind Kernpunkte aktueller Diskussionen.
Zusammenfassung
Nachfluchttatbestände stellen eine bedeutende Kategorie im deutschen Strafrecht dar, die darauf abzielt, auch nachträgliche Straftaten im Zusammenhang mit einer bereits verübten Haupttat zu erfassen. Die Besonderheit dieser Tatbestände liegt darin, Handlungen zu erfassen, die unmittelbar an die Vollendung einer Straftat anschließen und deren Ziel die Sicherung des Taterfolgs oder die Verhinderung staatlicher Sanktionen ist. Die Kenntnis ihrer Voraussetzungen, ihrer Abgrenzung zu anderen Delikten sowie praxisrelevante Subsumtionsprobleme ist wesentlich für das Verständnis und die Anwendung des deutschen Strafrechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen haben Nachfluchttatbestände im Strafverfahren?
Nachfluchttatbestände können im Strafverfahren erhebliche rechtliche Konsequenzen für den Beschuldigten oder Angeklagten haben. Sie werden insbesondere beim Untersuchungshaftbefehl relevant (§ 112 Strafprozessordnung – StPO). Die Tatbestände, wie etwa Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr, dienen dazu, das Risiko zu begründen, dass durch das Verhalten der beschuldigten Person nach der ersten Tat die Strafverfolgung gefährdet oder weitere strafbare Handlungen begangen werden könnten. Wird etwa angenommen, dass der Beschuldigte Beweismittel vernichten oder Zeugen beeinflussen wird, kann dies die Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigen. Nachfluchttatbestände spielen auch bei der Prüfung der Haftgründe eine herausragende Rolle, denn sie betreffen nicht das ursprüngliche Delikt, sondern beziehen sich auf Verhaltensweisen nach dessen Begehung, die im Verfahren eine autonome rechtliche Bedeutung entfalten.
Wann liegt ein Nachfluchttatbestand im Sinn des deutschen Strafprozessrechts vor?
Ein Nachfluchttatbestand liegt vor, wenn sich nach Begehung einer Straftat eine Handlung oder Unterlassung anschließt, die den Zweck hat, die Durchführung des Strafverfahrens zu vereiteln, zu erschweren oder zu beeinflussen. Dies wird juristisch an den in § 112 Abs. 2 StPO geregelten Haftgründen wie Verdunkelungsgefahr, Flucht- und Wiederholungsgefahr veranschaulicht. Beispielsweise erfasst die Verdunkelungsgefahr Verhalten, das auf die Beeinflussung von Zeugen, die Vernichtung oder Veränderung von Beweismitteln oder eine sonstige Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren gerichtet ist. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung, ob ein Nachfluchttatbestand vorliegt, ist der Zeitraum nach Tatbegehung, wobei das Verhalten des Beschuldigten oder Angeklagten im besonderen Maße zu bewerten ist.
Wie unterscheiden sich Nachfluchttatbestände von anderen strafprozessualen Haftgründen?
Während die klassischen Haftgründe, wie die Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO) oder die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO), vorrangig die Sicherung des Strafverfahrens gewährleisten sollen, indem sie die physische Anwesenheit des Beschuldigten sichern, zielen Nachfluchttatbestände wie Verdunkelungsgefahr darauf ab, eine Manipulation des Strafverfahrens durch nachfolgende Handlungen zu verhindern. Nachfluchttatbestände stehen somit nicht direkt im Zusammenhang mit der eigentlichen Straftat, sondern beziehen sich auf das prozessuale Verhalten danach. Sie verfolgen das Ziel, eine Beeinträchtigung des Strafverfahrens durch Handlungen des Beschuldigten im Anschluss an die Straftat oder während des laufenden Verfahrens zu unterbinden.
Welche typischen Verhaltensweisen begründen Nachfluchttatbestände in der Praxis?
Typische Verhaltensweisen, die im Strafverfahren als Nachfluchttatbestände bewertet werden, sind vielfältig. Sie umfassen beispielsweise die Einflussnahme auf potenzielle Zeugen, etwa durch Bedrohung, Nötigung oder Bestechung, den Versuch, Beweismittel zu vernichten oder zu verfälschen (z.B. Dokumentenfälschung oder Datenträgervernichtung) sowie die Verabredung mit Mittätern zur einheitlichen Aussage oder Verteidigungsstrategie. Auch die Flucht aus dem Gewahrsam oder der bewusste Versuch, sich dem Strafverfahren zu entziehen, zählen dazu. Für die Annahme eines Nachfluchttatbestandes kommt es maßgeblich auf das konkrete Verhalten und die daraus resultierende Gefahr für das Strafverfahren an, wobei Gerichte eine einzelfallbezogene Würdigung vornehmen.
Welche Rolle spielen Nachfluchttatbestände bei der Entscheidung über Untersuchungshaft?
Nachfluchttatbestände sind essenziell für die Prüfung der Haftgründe gemäß § 112 StPO, insbesondere im Hinblick auf Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO). Liegen Anhaltspunkte für ein prozessschädigendes Verhalten des Beschuldigten vor, kann die Untersuchungshaft zur Sicherung des Verfahrens angeordnet oder fortgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft und das Gericht müssen dabei sorgfältig abwägen, ob tatsächlich eine abstrakte oder konkrete Gefahr besteht, dass durch das Verhalten des Beschuldigten nach der Tat beispielsweise Zeugen beeinflusst werden könnten oder Beweismaterial manipuliert würde. Hierfür genügt nicht jede Handlung, sondern es bedarf spezifischer, nachweisbarer Umstände, aus denen auf eine erhöhte Gefahr für den Verfahrensablauf geschlossen werden kann.
Können Nachfluchttatbestände selbstständig strafbar sein?
Nachfluchttatbestände begründen zunächst keine eigenständige Strafbarkeit, sondern stellen haftrelevante Umstände im Rahmen des Strafverfahrens dar. Allerdings können Handlungen, die als Nachfluchttatbestand gewertet werden, gleichzeitig Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuchs sein, wie z.B. Strafvereitelung (§ 258 StGB), Urkundenfälschung (§ 267 StGB), falsche uneidliche Aussage (§ 153 StGB), Nötigung (§ 240 StGB) oder Bedrohung (§ 241 StGB). In diesen Fällen kann die betreffende Handlung sowohl einen Nachfluchttatbestand für haftrechtliche Maßnahmen als auch eine eigenständige strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen.
Wie überprüft das Gericht das Vorliegen eines Nachfluchttatbestandes?
Die Überprüfung eines Nachfluchttatbestandes obliegt den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht im Rahmen einer Einzelfallprüfung. Es müssen konkrete, objektiv nachprüfbare Tatsachen vorliegen, die über bloße Vermutungen hinausgehen und eine Gefahr für den Verfahrensverlauf wahrscheinlich machen. Hierzu wertet das Gericht sowohl die tatsächlichen Handlungen des Beschuldigten nach der Tat, vorhandene Indizien (z.B. versuchte Kontaktaufnahme zu Zeugen, beobachtete Manipulationen an Beweismitteln) als auch frühere Verhaltensweisen aus, um zu einer sachgerechten Entscheidung über die Haftfrage zu kommen. Im Zweifelsfall sind die Grundsätze des § 112 StPO restriktiv auszulegen, da Freiheitsentziehungen stets das ultima ratio darstellen.