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Nacherbschaft


Begriff und Wesen der Nacherbschaft

Die Nacherbschaft ist ein gesetzlich geregeltes Rechtsinstitut des Erbrechts gemäß §§ 2100 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Sie zeichnet sich dadurch aus, dass der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung einen Erben – den sogenannten Vorerben – einsetzt, dessen Erbrecht nach Ablauf eines bestimmten Ereignisses durch das Erbrecht eines anderen, dem Nacherben, abgelöst wird. Die Nacherbschaft ist somit eine erbrechtliche Anordnung, die es ermöglicht, den Nachlass zunächst für eine Übergangszeit vom Vorerben und anschließend vom Nacherben erben zu lassen.

Gesetzliche Grundlagen der Nacherbschaft

Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch

Das Bürgerliche Gesetzbuch behandelt die Nacherbschaft insbesondere in §§ 2100 bis 2146 BGB. Kernvorschrift ist § 2100 BGB, wonach der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen bestimmen kann, dass der Erbe nur für eine bestimmte Zeit Erbe ist und nach Ablauf dieser Zeit ein anderer Erbe wird.

Die Nacherbschaft ist von anderen erbrechtlichen Gestaltungen, wie etwa der Vorvermächtnis- oder Ersatznacherbschaft, zu unterscheiden. Die gesetzlichen Bestimmungen regeln detailliert die Rechte und Pflichten des Vorerben und des Nacherben sowie die Befugnisse des Erblassers.

Voraussetzungen und Errichtung

Die Anordnung der Nacherbschaft ist formbedürftig und kann ausschließlich durch Testament oder Erbvertrag erfolgen. Der Erblasser muss sowohl Vorerben als auch Nacherben eindeutig bestimmen. Das Ereignis, bei dem die Nacherbschaft eintritt (sogenanntes Nacherbfallereignis), muss klar und objektiv bestimmbar sein, z. B. der Tod des Vorerben, das Erreichen eines bestimmten Alters durch eine Person oder ein sonstiges zukünftiges Ereignis.

Rechtsstellung des Vorerben

Stellung und Rechte

Der Vorerbe wird mit dem Erbfall unmittelbar Erbe im Rechtssinne und erhält damit sämtliche Rechte und Pflichten am Nachlass. Allerdings ist seine Erbenstellung durch eine Vielzahl von Beschränkungen geprägt, insbesondere zum Schutz der Rechte des Nacherben. Der Vorerbe ist verpflichtet, den Nachlass im Interesse des Nacherben zu verwalten und diesen möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Zu den wichtigsten Beschränkungen zählt das sogenannte Verfügungsverbot nach § 2113 BGB, das dem Vorerben untersagt, über Nachlassgegenstände unentgeltlich zu verfügen oder belastende Verfügungen vorzunehmen, sofern nicht eine entsprechende Befreiung (sog. „befreite Vorerbschaft“ nach §§ 2136 ff. BGB) durch den Erblasser erteilt wurde.

Verwaltungspflichten

Der Vorerbe hat den Nachlass so zu verwalten, wie es einem ordentlichen Erben entspricht. Er haftet dem Nacherben gegenüber für eine ordnungsgemäße Verwaltung und kann unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherheitsleistung verpflichtet werden (§ 2120 BGB).

Rechte und Rechtsstellung des Nacherben

Anwartschaftsrecht des Nacherben

Mit Anordnung der Nacherbschaft begründet der Nacherbe eine gesicherte, vererbliche und nicht abtretbare Anwartschaft auf den Nachlass. Bis zum Eintritt des Nacherbfalls ist der Nacherbe jedoch noch nicht Erbe im rechtlichen Sinne, sondern Anwartschaftsberechtigter.

Eintritt des Nacherbfalls

Mit Eintritt des bestimmten Ereignisses (z. B. Tod des Vorerben) wird der Nacherbe automatisch Erbe des Erblassers mit unmittelbarer Wirkung. Der Nachlass geht, abzüglich etwaiger vom Vorerben getätigter Verfügungen, auf den Nacherben über. Der Nacherbe kann sich beim Nachlassgericht einen Erbschein als Nacherbe ausstellen lassen (§ 2369 BGB).

Praktische Ausgestaltung

Befreite und nicht befreite Vorerbschaft

Der Erblasser kann den Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen teilweise oder komplett befreien („befreite Vorerbschaft“). In diesem Fall sind dem Vorerben weitergehende Verfügungen über den Nachlass möglich, wobei der Schutz des Nacherben eingeschränkt wird. Die genauen Voraussetzungen und Wirkungen ergeben sich aus § 2136 BGB.

Mögliche Kombinationen

Die Nacherbschaft kann mit Vermächtnissen, Auflagen und anderen letztwilligen Verfügungen kombiniert werden. Zudem kann der Erblasser mehrere Nacherben einsetzen und deren Erbquoten bestimmen.

Besonderheiten bei der Testamentsvollstreckung und der Auseinandersetzung

Besonders relevant ist die Verwaltung und Verteilung des Nachlasses während der Vorerbschaft. Der Einsatz eines Testamentsvollstreckers kann die Umsetzung des Willens des Erblassers sichern. Erst mit Eintritt des Nacherbfalls ist eine endgültige Auseinandersetzung mit dem Nacherben möglich.

Steuerliche Aspekte

Die Nacherbschaft unterliegt erbschaftsteuerrechtlichen Sonderregeln. Grundsätzlich werden sowohl der Erwerb des Vorerben als auch der Erwerb des Nacherben als eigenständige Erwerbsvorgänge betrachtet (§ 6 ErbStG). Dies kann zu einer doppelten Steuerbelastung führen, wobei steuerliche Entlastungen und Besonderheiten zu beachten sind.

Abgrenzung zu ähnlichen Rechtsinstituten

Unterschied zur Ersatz- und Schlusserbschaft

Abzugrenzen ist die Nacherbschaft insbesondere von der Ersatz- und Schlusserbschaft. Während bei der Nacherbschaft der Nacherbe nach dem Vorerben erbt, tritt bei der Ersatz- oder Schlusserbschaft der Ersatz- oder Schlusserbe nur für den Fall ein, dass der eigentliche Erbe vor oder mit dem Erblasser verstirbt.

Differenzierung zu Vermächtnis und Auflage

Das Vermächtnis verschafft dem Vermächtnisnehmer lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den oder die Erben, ohne ihn zum Erben zu machen. Die Nacherbschaft ist demgegenüber eine erbrechtliche Stellung, die durch das Anwartschaftsrecht vor dem Nacherbfall und das Vollrecht nach dessen Eintritt gekennzeichnet ist.

Beendigung und Wegfall der Nacherbschaft

Die Nacherbschaft endet automatisch mit Eintritt des Nacherbfalls. Sie kann ferner durch enterbungsähnliche Anordnungen, Anfechtungen oder durch den Wegfall des Nacherben (z. B. durch Verzicht oder Tod vor Eintritt des Nacherbfalls) hinfällig werden. Im Einzelfall können komplexe Fragen bezüglich der Anwartschaft und des Nachlasses auftreten, etwa bei mehreren Nacherben oder aufeinander folgenden Nacherbschaften.

Zusammenfassung

Die Nacherbschaft ist ein zentrales Instrument der Nachlassgestaltung. Sie bietet die Möglichkeit, die rechtliche Nachfolge über mehrere Generationen zu steuern und dabei individuelle Wünsche und Schutzmechanismen verbindlich umzusetzen. Das deutsche Erbrecht hält hierfür detaillierte und differenzierte Regelungen bereit, um die Interessen aller Beteiligten, insbesondere des Erblassers, des Vorerben und des Nacherben, in angemessener Weise zu wahren.

Häufig gestellte Fragen

Wie wirkt sich die Nacherbschaft auf die Verfügungsmacht des Vorerben über den Nachlass aus?

Der Vorerbe ist im deutschen Erbrecht zwar berechtigt, den Nachlass nach dem Erbfall zu verwalten und zu nutzen, doch unterliegt seine Verfügungsmacht entscheidenden gesetzlichen Beschränkungen zugunsten des Nacherben. Nach § 2113 BGB darf der Vorerbe grundsätzlich keine Verfügungen treffen, die die Rechte des Nacherben beeinträchtigen, insbesondere keine unentgeltlichen Verfügungen vor Eintritt des Nacherbfalls tätigen. Ausnahmen gelten jedoch, wenn ihm durch den Erblasser die sogenannte „befreite Vorerbschaft“ eingeräumt wurde, die bestimmte Verfügungen über Nachlassgegenstände ermöglicht. Nacherben können zudem die Rückgabe bestimmter Gegenstände oder deren Wertersatz fordern, sollten durch Handlungen des Vorerben Nachteile entstehen. Auch Sicherungen wie die Eintragung eines Nacherbenvermerks im Grundbuch sorgen dafür, dass der Nacherbe sein Recht nach Eintritt des Nacherbfalls effektiv durchsetzen kann.

Welche Möglichkeiten bestehen zur Sicherung der Rechte des Nacherben während der Vorerbschaft?

Zur Sicherung der Rechte des Nacherben sieht das Gesetz eine Reihe von Maßnahmen vor. Am bedeutendsten ist der Nacherbenvermerk im Grundbuch gemäß § 51 GBO, durch den Grundstücksverfügungen des Vorerben transparent gemacht und der Rechtserwerb Dritter erschwert werden. Der Nacherbe kann zudem vom Vorerben Verzeichnisse über die Nachlassgegenstände verlangen (§ 2121 BGB) und Auskunftsrechte geltend machen. Bei drohender Beeinträchtigung kann der Nacherbe auch die Bestellung eines Nachlasspflegers oder geeignete gerichtliche Maßnahmen (wie einstweilige Verfügungen) anregen. Die regelmäßige Rechnungslegung des Vorerben dient ebenfalls der Kontrolle und dem Schutz der Interessen des Nacherben.

Welche steuerlichen Konsequenzen ergeben sich aus einer Nacherbschaft?

Die Nacherbschaft wird für steuerliche Zwecke als eigenständiger Erwerb betrachtet. Dies bedeutet, dass sowohl der Vorerbe als auch der Nacherbe jeweils gesondert erbschaftsteuerpflichtig werden, sobald sie über den Nachlass verfügen. Der Vorerbe besteuert den Erwerb mit Eintritt des Erbfalls, der Nacherbe mit Eintritt des Nacherbfalls. Für die Bewertung und Freibeträge wird beim Nacherben grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Nacherbfalls abgestellt. Kompliziert wird die steuerliche Behandlung, wenn der Vorerbe und der Nacherbe in unterschiedlichen Steuerklassen stehen oder sich der Wert des Nachlasses zwischen den beiden Ereignissen erheblich verändert.

Wie kann der Vorerbe die Nacherbschaft beeinflussen oder umgehen?

Der Vorerbe kann grundsätzlich die Einsetzung der Nacherbfolge nicht beeinflussen oder aufheben, da diese auf der verbindlichen Verfügung des Erblassers basiert. Versuche, den Nachlass dem Zugriff des Nacherben zu entziehen – z.B. durch unentgeltliche Übertragungen oder Schenkungen – sind gemäß § 2113 BGB im Regelfall unwirksam bzw. führen zu Rückforderungsansprüchen des Nacherben. Nur bei befreiter Vorerbschaft sind modifizierte Verfügungen möglich, auch dann aber im Rahmen der gesetzlichen Grenzen. Abhilfe kann lediglich eine Neugestaltung der Erbfolge zu Lebzeiten des Erblassers schaffen; nach dessen Tod sind die getroffenen Anordnungen bindend.

Was geschieht mit Vermächtnissen oder Auflagen, die durch den Erblasser angeordnet wurden?

Vermächtnisse oder Auflagen, die im Testament zugunsten Dritter oder zur Erfüllung bestimmter Zwecke vorgesehen sind, belasten regelmäßig nicht nur den Vorerben, sondern grundsätzlich beide Erben (also Vorerbe und Nacherbe). Soweit der Vorerbe das Vermächtnis noch nicht erfüllt hat, bleibt der Anspruch auch gegenüber dem Nacherben bestehen (§ 2174 BGB). Hat der Vorerbe das Vermächtnis erfüllt, kann der Nacherbe dieses grundsätzlich nicht mehr rückgängig machen, muss jedoch sicherstellen, dass der Nachlass insgesamt pflichtgemäß verwaltet wurde. Besonderheiten gelten, wenn der Erblasser ausdrücklich eine Belastung nur des Vorerben oder nur des Nacherben vorgesehen hat.

Können Pflichtteilsansprüche durch die Anordnung einer Nacherbschaft beeinflusst werden?

Die Einsetzung von Vorerben und Nacherben ändert nichts am grundsätzlichen Pflichtteilsanspruch der pflichtteilsberechtigten Personen (§§ 2303 ff. BGB). Berechnungsgrundlage ist das gesamte Vermögen, das im Zeitpunkt des Erbfalls zum Nachlass gehört, also inklusive der für die Nacherbschaft vorgesehenen Güter. Der Pflichtteilsanspruch ist eine Geldforderung gegen den oder die Erben – auch wenn Vorerbe und Nacherbe gemeinsam zum Kreis der Erben gehören, richtet sich der Anspruch gegen den Vorerben als momentanen Nachlassinhaber. Die Pflichtteilsberechtigten können dadurch nicht vollständig „von der Erbfolge ausgeschlossen“ werden.