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Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen


Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen

Die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen beschreibt die nachträgliche Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung, insbesondere im Falle einer zuvor unterbliebenen, verspäteten oder unvollständigen Beitragsabführung. Dieser Vorgang ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Sozialversicherungsrechts und betrifft hauptsächlich Arbeitgeber, die für ihre Beschäftigten Versicherungsbeiträge zur Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abführen müssen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch eine Nachentrichtung durch die Versicherten selbst erforderlich werden.


Rechtliche Grundlagen

Allgemeine Verpflichtungen zur Beitragszahlung

Im deutschen Sozialrecht sind Arbeitgeber gemäß § 28e SGB IV verpflichtet, die Sozialversicherungsbeiträge für ihre Beschäftigten ordnungsgemäß und rechtzeitig an die zuständigen Einzugsstellen, insbesondere die Krankenkassen, abzuführen. Die gesetzliche Grundlage für die Beitragspflicht selbst finden sich in den §§ 28a ff. SGB IV. Die Beiträge sind jeweils bis zum drittletzten Bankarbeitstag eines Monats fällig.

Pflicht zur Nachentrichtung

Wird festgestellt, dass Sozialversicherungsbeiträge unzulässig nicht, zu niedrig oder nicht rechtzeitig abgeführt worden sind, entsteht eine Verpflichtung zur Nachentrichtung (§ 28p SGB IV). Die Nachentrichtung ist sowohl im Falle eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Verhaltens als auch bei bloßen Irrtümern vorzunehmen.


Anlässe und Auslöser der Nachentrichtung

Beitragsprüfungen

Nachentrichtungspflichten entstehen regelmäßig im Zuge von Beitragsprüfungen, die von den Trägern der Deutschen Rentenversicherung (§ 28p SGB IV) oder im Rahmen der Betriebsprüfungen bei den Arbeitgebern durchgeführt werden. Wird im Rahmen dieser Prüfungen festgestellt, dass Beiträge nicht oder nicht in voller Höhe abgeführt wurden, fordert die zuständige Stelle die Nachentrichtung.

Prüfungen durch die Einzugsstellen

Neben den Rentenversicherungsträgern sind die Krankenkassen als Einzugsstellen zur Überwachung der ordnungsgemäßen Beitragszahlung zuständig (§ 28h SGB IV). Sie können eigene Prüfungen durchführen und Nachzahlungen geltend machen.

Selbstanzeige durch Arbeitgeber oder Versicherte

Sofern der Arbeitgeber oder der Versicherte noch vor einer Entdeckung selbst die Beitragsnachzahlung anregt oder vornimmt, kann dies Auswirkungen auf mögliche Sanktionen oder Strafzuschläge haben, verändert aber die Nachentrichtungspflicht nicht.


Umfang und Berechnung der nachzuentrichtenden Beiträge

Bemessungsgrundlage

Die nachzuentrichtenden Beiträge orientieren sich an den tatsächlichen sozialversicherungspflichtigen Einnahmen des betreffenden Zeitraums. Wurden beispielsweise falsche Angaben zur Beschäftigtenstellung gemacht, sind die Beiträge auch auf alle bislang nicht berücksichtigten Lohnbestandteile zu berechnen.

Zeitraum der Nachentrichtung und Verjährung

Nach § 25 SGB IV verjähren Ansprüche auf Sozialversicherungsbeiträge grundsätzlich nach vier Jahren, bei vorsätzlicher Vorenthaltung nach dreißig Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem die Beiträge fällig wurden.


Folgen und Rechtsfolgen der Nachentrichtung

Zahlungspflicht des Arbeitgebers

Nach § 28g SGB IV kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmeranteile grundsätzlich nicht nachträglich vom Lohn des Arbeitnehmers einbehalten, wenn die Beiträge mehr als drei Monate rückständig sind oder das Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht. In allen anderen Fällen bleibt der Arbeitgeber in der uneingeschränkten Zahlungspflicht.

Säumniszuschläge

Für verspätet gezahlte Beiträge fallen gem. § 24 SGB IV Säumniszuschläge an, die derzeit monatlich 1 % des rückständigen Beitrags betragen. Diese sollen einerseits den Zinsverlust der Versicherungsträger ausgleichen und zugleich einen Anreiz zur pünktlichen Zahlung bieten.

Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechtliche Konsequenzen

Die vorsätzliche oder leichtfertige Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 111 SGB IV bzw. eine Straftat nach § 266a StGB (Vorenthalten und Veruntreuung von Arbeitsentgelt) dar. Eine Nachentrichtung wirkt sich zwar auf die Höhe des Schadens aus, schließt aber eine strafrechtliche Verfolgung nicht zwingend aus.


Besondere Fallkonstellationen der Nachentrichtung

Scheinselbstständigkeit und Statusfeststellungsverfahren

Wird im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV festgestellt, dass ein Auftragnehmer tatsächlich sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, entstehen Pflichtbeiträge, die rückwirkend nachentrichtet werden müssen.

Nachzahlung bei rückwirkender Versicherungspflicht

Auch bei nachträglicher Versicherungspflicht – z. B. nach verspäteter Meldung einer geringfügigen Beschäftigung oder Änderung des Beschäftigungsstatus – muss eine Nachentrichtung der Beiträge erfolgen, sobald die Einzugsstelle hiervon Kenntnis erlangt.


Verfahrensrechtliche Aspekte

Festsetzung und Bescheid

Die zuständigen Stellen setzen die nachzuzahlenden Beiträge durch Verwaltungsakt fest. Der Arbeitgeber erhält einen entsprechenden Beitragsbescheid, gegen den Rechtsbehelfe innerhalb der gesetzlichen Fristen eingelegt werden können.

Rechtsmittel und Widerspruch

Gegen Beitragsbescheide ist der Widerspruch das erste zulässige Rechtsmittel. Im Falle eines ablehnenden Widerspruchsbescheids ist die Klage vor dem zuständigen Sozialgericht möglich.


Bedeutung für die betroffenen Arbeitgeber und Beschäftigten

Die Nachentrichtungspflicht stellt einen erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand dar, insbesondere für Arbeitgeber. Zur Vermeidung von Haftungs- und Strafrisiken ist daher eine kontinuierliche und sorgfältige Beachtung der sozialversicherungsrechtlichen Melde- und Zahlungspflichten von hoher Bedeutung.


Literatur und Weblinks


Dieser Artikel liefert eine umfassende rechtliche Übersicht zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen und ihrer praktischen Bedeutung im deutschen Sozialrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird eine Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen im deutschen Rechtssystem festgestellt?

Die Feststellung der Notwendigkeit einer Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen erfolgt in Deutschland in der Regel durch die Deutsche Rentenversicherung, den Zoll oder die Kranken- bzw. Pflegeversicherungsträger. Diese Institutionen führen regelmäßig Betriebsprüfungen durch, um zu überprüfen, ob alle sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten eines Unternehmens korrekt angemeldet wurden und ob für diese die Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung ordnungsgemäß abgeführt wurden. Wird im Rahmen dieser Prüfungen festgestellt, dass Beiträge nicht oder nicht in der vorgeschriebenen Höhe abgeführt wurden, wird ein sogenannter Nachforderungsbescheid erlassen. Der Arbeitgeber ist dann verpflichtet, die Differenzbeträge einschließlich etwaiger Säumniszuschläge und Zinsen nachzuzahlen. In besonderen Fällen können auch strafrechtliche Ermittlungen, etwa bei vorsätzlichem Beitragsbetrug oder Scheinselbstständigkeit, eingeleitet werden, wobei die Nachentrichtung der Beiträge dennoch unabhängig von der strafrechtlichen Würdigung erfolgt.

Welche Verjährungsfristen gelten im Kontext der Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen?

Für die Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen gilt grundsätzlich eine Verjährungsfrist von vier Jahren, gerechnet ab Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge fällig geworden sind, vgl. § 25 SGB IV. Bei vorsätzlicher Vorenthaltung verlängert sich die Verjährungsfrist auf bis zu dreißig Jahre (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Wurde die Beitragspflicht fahrlässig verletzt, beträgt die Frist zehn Jahre. Die Verjährung wird durch bestimmte Umstände, wie beispielsweise die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder die Durchführung einer Betriebsprüfung, gehemmt, die Frist läuft also während dieser Zeit nicht weiter. Unabhängig von der Verjährung der Beitragseinziehung können jedoch strafrechtlich relevante Handlungen (z. B. Beitragsbetrug) ebenfalls verfolgt werden, was andere, teils längere Verjährungsfristen nach sich ziehen kann.

Wer ist zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet?

Zur Nachentrichtung von Sozialversicherungsbeiträgen ist grundsätzlich der Arbeitgeber verpflichtet (§ 28e SGB IV). Er trägt die rechtliche Verantwortung für die korrekte Anmeldung seiner Beschäftigten zur Sozialversicherung und für die fristgerechte und vollständige Abführung der Beiträge. In Ausnahmefällen kann eine Nachhaftung des Arbeitnehmers eintreten, insbesondere wenn er seinen Mitwirkungspflichten grob schuldhaft nicht nachkommt und dadurch die Feststellung seiner Versicherungspflicht und die Beitragserhebung verhindert. Eine persönliche Inanspruchnahme der Geschäftsleitung ist beispielsweise bei juristischen Personen (etwa einer GmbH) denkbar, sofern diese vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen sozialversicherungsrechtliche Vorschriften verstoßen hat.

In welcher Höhe müssen Nachzahlungen inklusive Nebenleistungen geleistet werden?

Die Höhe der nachzuentrichtenden Sozialversicherungsbeiträge richtet sich nach den seinerzeit gültigen Beitragssätzen sowie den tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelten. Neben den eigentlichen Beiträgen sind insbesondere Säumniszuschläge (§ 24 SGB IV) in Höhe von 1 % des rückständigen Beitrags für jeden angefangenen Monat zu zahlen. Zinsen im Sinne von Verzugszinsen sind nicht vorgeschrieben, soweit Säumniszuschläge verlangt werden. Zusätzlich können Bußgelder und im Fall von vorsätzlichem oder groß fahrlässigem Verhalten Strafzahlungen fällig werden. Sofern Arbeitnehmerbeiträge nicht rechtzeitig einbehalten worden sind, haftet der Arbeitgeber auch für diesen Teil der Beiträge und kann diese nur für die letzten drei Monate rückwirkend vom Lohn des Arbeitnehmers einbehalten (§ 28g SGB IV).

Welche Möglichkeiten gibt es, gegen einen Nachforderungsbescheid vorzugehen?

Ein Nachforderungsbescheid der Sozialversicherungsträger stellt einen Verwaltungsakt dar, gegen den binnen eines Monats nach Zustellung Widerspruch eingelegt werden kann (§ 84 SGG). Der Widerspruch ist schriftlich bei der jeweiligen Behörde zu erheben, die den Bescheid erlassen hat. Bleibt der Widerspruch erfolglos, kann anschließend Klage beim zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Grundsätzlich ist der Bescheid jedoch unabhängig von einem eingelegten Widerspruch zunächst zu erfüllen, es sei denn, es wird ausdrücklich aufschiebende Wirkung beantragt und gewährt. Im Rahmen des Widerspruchs- oder Klageverfahrens kann sowohl die Feststellung der Beitragspflicht als auch deren Höhe und die Rechtsmäßigkeit etwaiger Zuschläge rechtlich überprüft werden.

Können Nachforderungen zur Existenzgefährdung führen und gibt es Möglichkeiten zur Stundung?

Nachforderungen aufgrund nicht geleisteter Sozialversicherungsbeiträge können in gravierenden Fällen zu erheblichen finanziellen Belastungen und sogar zur Existenzgefährdung führen. Die Träger der Sozialversicherung sind in solchen Fällen gesetzlich verpflichtet, die Interessen der Versicherten und die Funktionsfähigkeit der Kassen zu schützen, können aber bei nachgewiesener wirtschaftlicher Notlage des Arbeitgebers Zahlungsaufschub (Stundung), Ratenzahlung oder in Ausnahmefällen auch eine Erlassanfrage gewähren (§ 76 SGB IV). Voraussetzung hierfür ist u. a., dass die Einziehung der Forderung mit erheblichen Härten für den Schuldner verbunden wäre und die Ansprüche dadurch nicht gefährdet erscheinen. Entscheidungen über Stundungen oder Ratenzahlungen sind stets einzelfallabhängig zu treffen und erfordern in der Regel eine umfassende Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Beitragsschuldners.

Inwieweit haften Geschäftsführer oder leitende Angestellte persönlich für nicht abgeführte Beiträge?

Geschäftsführer und andere Organe von juristischen Personen haften gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 266a StGB unter bestimmten Voraussetzungen persönlich für das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen. Wird nachgewiesen, dass Pflichtbeiträge vorsätzlich nicht an die Sozialversicherungsträger abgeführt wurden, kann eine strafrechtliche und zivilrechtliche Haftung der verantwortlichen Leitungspersonen eintreten. Darüber hinaus ist eine persönliche Inanspruchnahme der Organe auch im Sozialverwaltungsrecht vorgesehen, falls diese grob fahrlässig handeln. Die Verantwortlichkeit umfasst in der Regel sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmeranteil. In besonders schwerwiegenden Fällen kann die persönliche Haftung auch dann eintreten, wenn eine Zahlung der Nettoentgelte an die Arbeitnehmer erfolgte, ohne die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen (sogenannte Nettoabredefälle).