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Multiple

Multiple: Begriff, Bedeutung und rechtliche Einordnung

Der Begriff Multiple (auch Multiplikator) bezeichnet im Bewertungs- und Transaktionsumfeld einen Faktor, mit dem eine bezogene Kennzahl – etwa Umsatz, EBITDA, EBIT, Gewinn oder Mieteinnahmen – multipliziert wird, um einen Marktwert oder Kaufpreis abzuleiten. Multiples sind damit eine marktorientierte Bewertungsgröße, die auf Vergleichswerten ähnlicher Unternehmen, Vermögenswerte oder Transaktionen beruht. Sie finden in zahlreichen Rechts- und Vertragskontexten Anwendung, insbesondere bei Unternehmens- und Anteilsverkäufen, in kapitalmarktnahen Veröffentlichungen, bei Bewertungen in Auseinandersetzungen, im Steuerkontext sowie in der Rechnungslegung.

Abgrenzung zu anderen Bewertungsansätzen

Multiples gehören zum Marktansatz der Bewertung. Im Unterschied zu barwertorientierten Verfahren (z. B. auf künftigen Zahlungsströmen basierende Ansätze) leiten Multiples Werte aus beobachtbaren Marktdaten ab. Sie sind in der Praxis häufig eine Plausibilisierung oder Ergänzung anderer Verfahren, können aber – je nach Kontext – auch primäre Preis- oder Wertbestimmungsgrundlage sein.

Einsatzfelder von Multiples in Recht und Praxis

Unternehmenskauf und -verkauf (M&A)

Multiples sind bei der Herleitung und Begründung von Kaufpreisen weit verbreitet. Sie beeinflussen die Preisfindung, die Vertragsdefinition zentraler Kennzahlen und die Gestaltung von Anpassungsmechanismen. Übliche Bezugspunkte sind Enterprise-Value-Multiples (z. B. EV/EBITDA) und Equity-Multiples (z. B. Kurs-Gewinn-Verhältnis).

Kaufpreismechanik und Earn-out

In Verträgen können Multiples explizit oder implizit in Earn-out-Regelungen einfließen, bei denen ein Teil des Kaufpreises von künftigen Ergebnissen abhängt. Streitpunkte betreffen häufig die genaue Definition der Bezugsgröße, zulässige Ergebnisbeeinflussungen sowie den Umgang mit Sondereffekten.

Locked-Box und Completion Accounts

Bei Locked-Box-Strukturen ist der Preis zum historischen Stichtag fixiert; Multiples begründen oft die Herleitung dieses Preises. Bei Completion-Accounts-Mechaniken werden Kennzahlen zum Vollzugszeitpunkt bestimmt; Multiples sind dann Hintergrundreferenz für Bandbreiten und Plausibilisierungen.

Kapitalmarkt- und Prospektkommunikation

Bei Börsengängen und Kapitalerhöhungen werden Multiples zur Einordnung der Bewertung und für Peer-Vergleiche verwendet. Dabei sind Transparenz, Nachvollziehbarkeit der Kennzahlen und eine nicht irreführende Darstellung maßgeblich. Kommunikationsfehler können haftungsrelevante Risiken auslösen.

Bewertungen in gesellschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen

In Minderheitenschutz-, Abfindungs- und Streitverfahren können Multiples eine Rolle spielen, etwa zur Plausibilisierung eines Unternehmenswerts. Von Bedeutung sind dabei das Bewertungsziel (Mehrheits- oder Minderheitsanteil), der Bewertungsstichtag, die Marktliquidität und die Vergleichbarkeit der herangezogenen Peer Group.

Steuerliche Bewertungen und Außenprüfung

Multiples werden zur Plausibilisierung von Unternehmens- und Geschäftswerten genutzt, beispielsweise im Rahmen der Ertragsteuern, bei Verrechnungspreisen zwischen verbundenen Unternehmen oder bei der Bewertung immaterieller Werte. Dokumentation und Begründung der Vergleichbarkeit sind hierfür regelmäßig zentral.

Familien- und Erbrecht

Bei Zugewinnausgleich, Pflichtteil und Erbauseinandersetzungen kann der Wert von Unternehmensbeteiligungen strittig sein. Multiples dienen dann als marktbasierte Orientierung. Einzubeziehen sind Stichtag, Einflussmöglichkeiten, Minderheits- bzw. Kontrollprämien sowie Liquiditätsabschläge.

Rechnungslegung und Prüfungsumfeld

Multiples werden als Marktindikatoren zur Plausibilisierung von beizulegenden Zeitwerten, Werthaltigkeitstests oder Angaben zu Bewertungsparametern herangezogen. Wichtig sind konsistente Definitionen der Kennzahlen, der Stichtag und die Ableitung der Peer-Group-Daten.

Immobilien- und Mietfaktoren

Im Immobilienbereich entspricht der Faktor auf Mieteinnahmen funktional einem Multiple. Rechtlich relevant sind transparente Ableitung, Einordnung von Instandhaltungen, Leerstand, Indexierungen, Laufzeiten und die Abgrenzung zwischen Brutto- und Nettoerträgen.

Verrechnungspreise und immaterielle Werte

Bei konzerninternen Transaktionen werden Multiples zur Plausibilisierung von Fremdvergleichspreisen genutzt. Erforderlich sind belastbare externe Vergleichsdaten und eine begründete Zuordnung von Risiko- und Funktionsprofilen.

Rechtliche Anforderungen an die Verwendung von Multiples

Vergleichbarkeit und Datenqualität

Rechtsrelevant ist, ob die einbezogenen Vergleichsunternehmen hinsichtlich Branche, Geschäftsmodell, Größe, Wachstum, Margen, Kapitalstruktur und geografischem Fokus hinreichend ähnlich sind. Unterschiede müssen offengelegt und sachgerecht gewichtet werden.

Transparenz, Definitionen und Dokumentation

Die zugrunde gelegten Kennzahlen (z. B. EBITDA vor/nach IFRS-16-Effekten), Normalisierungen und Bereinigungen sollten klar definiert sein. Dokumentiert werden üblicherweise Datenquellen, Auswahlkriterien der Peer Group, Ausreißerbehandlung und die Herleitung des Multiple-Intervalls.

Kontrollniveau, Synergien und Minderheitsaspekte

Multiples können je nach Kontrollniveau abweichen. Zu unterscheiden sind Werte für Minderheitsanteile ohne Kontrolle, Mehrheitsbeteiligungen mit Kontrollprämie und Transaktionsmultiples, die potenzielle Synergien reflektieren. Eine Vermischung ohne Offenlegung kann zu Fehlinterpretationen führen.

Zeitbezug, Prognosen und Stichtagsprinzip

Ob „trailing“ (vergangene Perioden) oder „forward“ (Prognosezeitraum) verwendet wird, ist rechtlich bedeutsam. Der gewählte Stichtag, außergewöhnliche Marktereignisse und die methodische Behandlung von Zwischenereignissen sollten konsistent und nachvollziehbar sein.

Interessenkonflikte und Governance

Wenn Multiples durch Parteien mit eigenem wirtschaftlichen Interesse abgeleitet werden, sind Verfahren zur Sicherung einer unabhängigen, nachvollziehbaren Bewertungsbasis von Bedeutung. Dazu zählen klare Zuständigkeiten, Offenlegung von Annahmen und die Nachprüfbarkeit der Daten.

Typische Streitpunkte und Beweisfragen

Auswahl der Peer Group

Streitig wird häufig, ob herangezogene Vergleichsunternehmen tatsächlich vergleichbar sind. Branchenwandel, Plattformmodelle, Regionalität oder unterschiedliche Lebenszyklusphasen sind zentrale Diskussionsfelder.

Bereinigung der Bezugsgrößen

„Normalisierte“ Kennzahlen (z. B. EBITDA bereinigt um Sondereffekte) sind verbreitet. Entscheidend ist die sachgerechte Abgrenzung, etwa bei Einmaleffekten, Restrukturierungskosten, pandemiebedingten Sondereinflüssen oder Effekten aus Bilanzierungsänderungen.

Marktschwankungen und Stichtagsvolatilität

Starke Volatilität kann Multiple-Bandbreiten verschieben. Strittig ist dann, ob und wie gleitende Durchschnitte, Medianwerte oder Zeitfenster anzuwenden sind und wie Ausreißer zu behandeln sind.

Öffentliche Kommunikation und Anlegerinformation

Werden Multiples in Präsentationen oder Unterlagen publiziert, ist eine klare, vollständige und nicht missverständliche Darstellung maßgeblich. Unpräzise oder selektive Darstellungen können Haftungsrisiken auslösen.

Risiken und Haftungsbezüge

Irreführende Werbeaussagen

Überzogene oder aus dem Kontext gerissene Multiple-Angaben können als irreführend bewertet werden, insbesondere wenn Bereinigungen, Peer-Auswahl oder Prognoseannahmen nicht transparent sind.

Prospekt- und Informationshaftung

Falsche, unvollständige oder widersprüchliche Multiple-Angaben in Angebotsunterlagen oder investorengerichteten Dokumenten können zu Haftungsansprüchen führen. Zentrale Themen sind Datenherkunft, Rechenweg und Konsistenz.

Organ- und Beraterhaftung im Transaktionsumfeld

Die Herleitung eines angemessenen Preises und die Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen sind für die Organverantwortung bedeutsam. Unzureichende Sorgfalt bei der Multiple-Auswahl kann als Pflichtverstoß gewertet werden.

Steuerliche Risiken

Im Kontext konzerninterner Transaktionen können Multiples Teil der Begründung für Verrechnungspreise sein. Unplausible Ansätze, fehlende Vergleichbarkeitsanalysen oder lückenhafte Dokumentation erhöhen das Risiko späterer Anpassungen und Sanktionen.

Dokumentation und Vertragsklauseln zu Multiples

Definitionen und Kennzahlen im Kaufvertrag

Verträge enthalten häufig präzise Definitionen der relevanten Kennzahlen, etwa zur Behandlung von Leasing, Rückstellungen, außerordentlichen Posten und zur Abgrenzung von periodenfremden Effekten. Dies reduziert Auslegungsspielräume.

Anpassungsmechanismen und Streitbeilegung

Preis-Anpassungsklauseln und Mechanismen zur Streitlösung (z. B. neutrale Gutachtermodelle) adressieren Differenzen über Multiples, Peer-Auswahl und Kennzahlbereinigungen. Wesentlich ist eine klare Allokation von Bewertungsannahmen und Zuständigkeiten.

Synergien, Control Premiums und Earn-out

Verträge sollten erkennen lassen, ob Transaktionsmultiples Synergien reflektieren und ob Kontrollprämien oder Minderheitsabschläge implizit enthalten sind. Bei Earn-outs sind Rechenlogik, Prüfungsrechte und zulässige Managementmaßnahmen typischerweise geregelt.

Internationale Dimension

Branchen- und Länderunterschiede

Multiples variieren nach Rechtsraum und Branche. Unterschiedliche Rechnungslegungsstandards, Kapitalmarkttiefe und Offenlegungspflichten beeinflussen Datengüte und Vergleichbarkeit.

Wechselkurse, Inflation und Makroumfeld

Währungsumrechnung, Inflationsumfeld und Zinsniveau wirken auf die Höhe und Stabilität von Multiples. Für länderübergreifende Vergleiche sind konsistente Umrechnungen und Zeitbezüge maßgeblich.

Abgrenzung zu anderen Bewertungsgrößen

Multiples stehen neben barwert- und substanzorientierten Verfahren. Häufig werden mehrere Ansätze kombiniert, um ein konsistentes Bild zu erhalten. Die Gewichtung hängt vom Bewertungszweck, der Datenverfügbarkeit und der Marktsituation ab.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Multiples

Was bedeutet der Begriff Multiple im rechtlichen Kontext?

Ein Multiple ist ein marktorientierter Faktor, mit dem eine definierte Kennzahl multipliziert wird, um einen Wert oder Preis abzuleiten. Rechtlich relevant ist dies überall dort, wo Werte begründet, verglichen oder kommuniziert werden, etwa in Verträgen, in Bewertungen bei Auseinandersetzungen sowie in kapitalmarktnahen Unterlagen.

In welchen Verträgen werden Multiples typischerweise verwendet?

Multiples finden sich vor allem in Unternehmenskaufverträgen als Begründungsgröße für den Kaufpreis, in Earn-out-Regelungen und in Definitionen von Kennzahlen. Sie können zudem in Gesellschaftervereinbarungen, Bewertungsvereinbarungen und in Finanzierungsdokumenten eine Rolle spielen.

Worin besteht der Unterschied zwischen Equity- und Enterprise-Value-Multiples aus rechtlicher Sicht?

Equity-Multiples beziehen sich auf den Wert des Eigenkapitals, Enterprise-Value-Multiples auf den Unternehmenswert unabhängig von der Kapitalstruktur. Für Verträge und Kommunikation ist entscheidend, welche Bezugsgröße gemeint ist und wie Schulden, liquide Mittel und Minderheitenanteile berücksichtigt werden.

Welche Anforderungen gelten an die Datenbasis für Multiples?

Erwartet wird eine nachvollziehbare Peer-Auswahl, konsistente Definitionen der Kennzahlen, Offenlegung von Bereinigungen und eine Begründung der Bandbreite. Zeitbezug, Stichtag und Datenquellen sollten transparent dokumentiert sein.

Welche Rolle spielen Synergien und Kontrollprämien bei Multiples?

Transaktionsmultiples können Synergien und Kontrollprämien widerspiegeln. Für die rechtliche Einordnung ist maßgeblich, ob diese Effekte beabsichtigt und offengelegt sind und ob der Bewertungszweck Minderheits- oder Kontrollwerte erfordert.

Dürfen Multiples in kapitalmarktorientierten Unterlagen verwendet werden?

Ja, Multiples werden häufig zur Veranschaulichung von Bewertungen genutzt. Sie unterliegen Anforderungen an Klarheit, Vollständigkeit und Nicht-Irreführung. Unpräzise oder selektive Darstellungen können haftungsrelevant sein.

Wie werden Multiples in steuerlichen Zusammenhängen betrachtet?

Multiples dienen der Plausibilisierung von Werten und Preisen, etwa bei konzerninternen Transaktionen oder der Bewertung immaterieller Werte. Zentrale Punkte sind die Fremdvergleichbarkeit der herangezogenen Daten und die Nachvollziehbarkeit der Dokumentation.