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Mündliche Verhandlung


Begriff und Bedeutung der mündlichen Verhandlung

Die mündliche Verhandlung ist ein zentrales Element des gerichtlichen Verfahrens in der deutschen Rechtsprechung. Sie bezeichnet einen Verhandlungstermin vor Gericht, in dem die Beteiligten eines Prozesses ihre Standpunkte, Argumente und Anträge mündlich vortragen. Die mündliche Verhandlung dient der Gewährleistung des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz sowie der Sachverhalts- und Rechtsaufklärung durch das Gericht. Mündliche Verhandlungen sind im Grundsatz öffentlich und finden in nahezu allen Verfahrensarten vor den ordentlichen, den Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichten statt.


Rechtsgrundlagen der mündlichen Verhandlung

Zivilverfahren

Im Zivilverfahren ist die mündliche Verhandlung in den §§ 128 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Die Grundregel findet sich in § 128 Abs. 1 ZPO („Die Verhandlung der Sachen vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Beweisaufnahme erfolgt mündlich.“).

Ablauf im Zivilprozess

Der Ablauf ist dabei durch die Terminbestimmung, die Ladung der Parteien und die Durchführung als Haupttermin klar definiert. Nach Eröffnung der Sitzung trägt das Gericht kurz den Sach- und Streitstand vor (§ 137 ZPO). Die Parteien haben Gelegenheit, ihre Anträge und Argumente zu stellen, Beweisanträge zu formulieren und sich zu den Ausführungen der Gegenseite zu äußern. Zeugen und Sachverständige können geladen und vernommen werden.

Bedeutung im Berufungsverfahren

Auch im Berufungsverfahren (§§ 523 ff. ZPO) ist grundsätzlich eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Das Berufungsgericht kann jedoch unter engen Voraussetzungen mit Zustimmung der Parteien auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Verwaltungsverfahren

In Verwaltungsverfahren ergibt sich die Regelung zur mündlichen Verhandlung insbesondere aus § 101 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Danach entscheidet das Gericht im Regelfall nach mündlicher Verhandlung; ein Verzicht ist durch ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung beider Parteien möglich.

Ablauf vor dem Verwaltungsgericht

Das Gericht bestimmt Termin und Ort, lädt die Beteiligten und erläutert zu Beginn den Sachverhalt. Parteien und Beteiligte können sodann Anträge stellen und Standpunkte erläutern. Oft werden Zeugen gehört und Behördenvertreter befragt. Anschließend folgt die Beratung und Urteilsverkündung, die in der Regel unmittelbar im Anschluss an die mündliche Verhandlung erfolgt.

Arbeitsgerichtsverfahren

In arbeitsgerichtlichen Prozessen ist die mündliche Verhandlung gemäß § 52 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) vorgeschrieben. Die Besonderheit liegt hier in der Zweistufigkeit des Verfahrens, das mit einem Gütetermin beginnt. Kommt es dort zu keiner Einigung, schließt sich die streitige mündliche Verhandlung an.

Sozialgerichtsverfahren

Sozialgerichtsverfahren unterliegen der Regelung des § 110 SGG (Sozialgerichtsgesetz), der stets eine mündliche Verhandlung vorsieht, von der jedoch auch – etwa durch Einverständnis der Beteiligten – abgesehen werden kann.

Strafverfahren

Im Strafverfahren bildet die mündliche Hauptverhandlung den Kern des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens und unterliegt den Vorschriften der Strafprozessordnung (§§ 226 ff. StPO). Hier ist das Unmittelbarkeitsprinzip besonders ausgeprägt: Die Beweisaufnahme erfolgt grundsätzlich nur in der Verhandlung selbst.


Prinzipien der mündlichen Verhandlung

Öffentlichkeitsgrundsatz

Die mündliche Verhandlung ist, mit wenigen Ausnahmen (z.B. Jugendstrafsachen, Schutz von Persönlichkeitsrechten), öffentlich. Jeder hat grundsätzlich Zutritt zu der Verhandlung, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit der gerichtlichen Entscheidung zu sichern (§ 169 GVG).

Unmittelbarkeitsgrundsatz

Ziel ist es, dass das entscheidende Gericht die Prozesshandlungen der Parteien, die Beweisaufnahme und die Argumentation unmittelbar wahrnimmt.

Mündlichkeitsgrundsatz

Dieser Grundsatz verlangt, dass alle wesentlichen Punkte des Verfahrens vor dem Gericht mündlich verhandelt und von den Parteien direkt vorgetragen werden. Ausnahmen sind nur in den ausdrücklich geregelten Fällen zulässig.

Anspruch auf rechtliches Gehör

Die mündliche Verhandlung gewährleistet, dass alle Beteiligten Gelegenheit haben, ihre Argumente und Standpunkte umfassend darzulegen. Dies steht im Einklang mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör.


Funktion und Ablauf der mündlichen Verhandlung

Vorbereitung und Ladung

Gerichte bestimmen einen Verhandlungstermin und laden die Beteiligten zum Termin. Außerdem werden grundlegende Verfahrensfragen, etwa zur Beweisaufnahme, im Vorfeld geregelt.

Eröffnung der Verhandlung

Zu Beginn gibt das Gericht einen Überblick über den Prozessstand und erläutert die wichtigsten Punkte des Verfahrens.

Parteienvortrag und Beweisaufnahme

Die Parteien tragen ihre Argumente, Sachverhalte und Anträge vor. Das Gericht nimmt Beweise auf, indem Zeugen gehört, Sachverständige befragt oder Augenscheinsobjekte besichtigt werden.

Abschluss und Urteilsverkündung

Nach Schluss der Verhandlung erfolgt die Beratung des Gerichts, meist im Anschluss daran die Verkündung des Urteils (§ 310 ZPO, § 117 VwGO).


Abweichungen und Besonderheiten

Verzicht auf mündliche Verhandlung

Unter bestimmten Voraussetzungen können die Parteien auf die mündliche Verhandlung verzichten, etwa wenn nur noch Rechtsfragen zu klären sind oder im schriftlichen Verfahren entschieden wird (§ 128 Abs. 2 ZPO).

Videoverhandlung

Infolge der Digitalisierung sind Video-Übertragungen in gerichtlichen Verhandlungen zunehmend möglich (§ 128a ZPO, § 91a VwGO). Hier können Beteiligte und Zeugen über Videokonferenz teilnehmen.


Rechtsfolgen bei Verstößen gegen die mündliche Verhandlung

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der mündlichen Verhandlung, etwa das Unterlassen einer gebotenen Verhandlung, kann einen Verfahrensfehler darstellen und einen absoluten Revisions- oder Berufungsgrund bilden. Dadurch kann das jeweilige Urteil aufgehoben und das Verfahren an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.


Mündliche Verhandlung in anderen Rechtsordnungen

Auch in anderen europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen ist die mündliche Verhandlung traditionell ein zentrales Element gerichtlicher Verfahren. Gleichwohl gibt es Unterschiede im Umfang, in der Art der Durchführung und im Stellenwert dieses Verfahrensschritts.


Fazit

Die mündliche Verhandlung stellt ein wesentliches Instrument der Rechtsstaatlichkeit und effektiven Rechtsschutzgewährung dar. Sie garantiert die Wahrung des rechtlichen Gehörs und ist integraler Bestandteil zahlreicher Verfahrensordnungen. Durch ihre klare gesetzliche Ausgestaltung, die Festschreibung der Grundsätze und ihre Flexibilität – etwa durch die Möglichkeit der schriftlichen oder digitalen Durchführung – bleibt sie ein unverzichtbares Element der deutschen und europäischen Prozesskultur.

Häufig gestellte Fragen

Wie läuft eine mündliche Verhandlung im Zivilprozess typischerweise ab?

Im Zivilprozess bildet die mündliche Verhandlung das Herzstück des gerichtlichen Verfahrens und ist gesetzlich in den §§ 128 ff. ZPO geregelt. Die Verhandlung beginnt in der Regel mit dem Aufruf der Sache. Das Gericht stellt zunächst die Anwesenheit der Parteien und ihrer Prozessbevollmächtigten fest. Anschließend stellt der Vorsitzende den bisherigen Stand des Verfahrens dar, meist unter Bezugnahme auf die Aktenlage und eingereichte Schriftsätze. Sodann werden Anträge gestellt, beginnend mit dem Kläger, gefolgt vom Beklagten. Beide Parteien erhalten Gelegenheit, ihren Sachvortrag zu erläutern und Beweise anzubieten. Das Gericht kann sodann Beweisaufnahmen, wie Zeugenvernehmungen oder die Verlesung von Urkunden, durchführen. Schließlich folgt die rechtliche Erörterung des Sachverhalts, bei der Gericht und Parteien die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte diskutieren. Die Verhandlung schließt regelmäßig mit den Schlussanträgen und ggf. einer Urteilsverkündung oder Terminierung zur Verkündung.

Welche Rolle spielt der Grundsatz der Öffentlichkeit bei der mündlichen Verhandlung?

Der Grundsatz der Öffentlichkeit zählt zu den tragenden Prinzipien des deutschen Prozessrechts (§ 169 GVG). Er besagt, dass grundsätzlich jede mündliche Verhandlung öffentlich zugänglich ist, um Transparenz und Kontrolle der Gerichtsbarkeit zu gewährleisten. Nur in gesetzlich ausdrücklich bestimmten Fällen – wie zum Schutz von Persönlichkeitsrechten, bei Gefahr für die öffentliche Ordnung oder bei Verfahren mit Minderjährigen – kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden (§ 171b GVG). Im Falle eines Ausschlusses muss dies durch einen öffentlichen Gerichtsbeschluss geschehen. Die Öffentlichkeit umfasst sowohl Medienvertreter als auch interessierte Privatpersonen. Verstöße gegen diesen Grundsatz können zur Rechtswidrigkeit des Verfahrens führen und unter Umständen einen Revisionsgrund begründen.

Wann besteht die Möglichkeit, eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen?

Das deutsche Prozessrecht sieht im Zuge der Digitalisierung Möglichkeiten für eine virtuelle Teilnahme an mündlichen Verhandlungen vor (§ 128a ZPO). Danach kann das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten sowie Zeugen gestatten, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen durchzuführen. Bedingung ist jedoch, dass alle Beteiligten über geeignete technische Ausstattung verfügen und die Identität sowie die Vertraulichkeit sichergestellt werden. Die Durchführung per Videokonferenz bedarf eines richterlichen Beschlusses und ersetzt nicht die Notwendigkeit einer förmlichen Ladung. Rechtsanwälte und Parteien müssen rechtzeitig darauf hinwirken, entsprechende Anträge zu stellen, und es liegt im Ermessen des Gerichts, diesem zu entsprechen.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine Säumnis in der mündlichen Verhandlung nachteilige Folgen haben?

Erscheint eine Partei nicht ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung oder ist nicht ordnungsgemäß vertreten, liegt Säumnis vor (§§ 330 ff. ZPO). Die Konsequenzen unterscheiden sich je nach Sachlage: Im schriftlichen Vorverfahren und im Prozess bis zum ersten Termin kann gegen den säumigen Beklagten ein Versäumnisurteil ergehen, falls der Kläger einen Antrag auf Erlass eines solchen stellt und die Klage schlüssig ist (§ 331 ZPO). Ist der Kläger säumig, so ist die Klage als zurückgenommen anzusehen. Im Haupttermin kann eine Partei Rechte wie das Stellen von Anträgen oder das Einlegen von Rechtsmitteln verlieren. Bestimmte Handlungen – z.B. ein Anerkenntnis – können wirksam nur in der mündlichen Verhandlung erklärt werden. Die Folgen der Säumnis sind regelmäßig nur durch ein rechtzeitig gestelltes Wiedereinsetzungsgesuch abwendbar.

Welche Pflichten und Rechte haben die Parteien während der mündlichen Verhandlung?

Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung sowohl Rechte als auch Pflichten gemäß ZPO. Sie sind verpflichtet, persönlich oder ordnungsgemäß vertreten zu erscheinen. Beide Seiten müssen ihre Tatsachenbehauptungen und Beweisanträge vollständig und rechtzeitig vortragen (vgl. § 282 ZPO). Die mündliche Verhandlung dient der umfassenden Erörterung des Sach- und Streitstandes; die Parteien haben das Recht, direkte Fragen an Zeugen und Sachverständige zu stellen (sog. Fragerecht, vgl. § 397 ZPO analog). Zugleich trifft sie die Mitwirkungspflicht im Rahmen der prozessualen Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO). Des Weiteren können Parteien Schriftsätze verlesen, Urkunden vorlegen und Beweisanträge stellen. Die Parteien können außerdem Vergleichsvorschläge unterbreiten oder anregen, einen gerichtlichen Vergleich zu schließen.

Kann ein Gerichtsurteil auch ohne mündliche Verhandlung ergehen?

Ein Urteil ohne mündliche Verhandlung ist in bestimmten Ausnahmefällen zulässig. Gemäß § 128 Abs. 2 ZPO kann das Gericht mit Zustimmung beider Parteien im schriftlichen Verfahren entscheiden, wenn es den Streit für entscheidungsreif hält. Außerdem ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter engen Voraussetzungen ein Beschluss ohne vorherige mündliche Verhandlung möglich (§§ 937 Abs. 2, 922 Abs. 1 ZPO). Entscheidend ist stets, dass das rechtliche Gehör der Parteien gewahrt bleibt. Im Regelfall ist die mündliche Verhandlung aber zwingend erforderlich, insbesondere im streitigen Zivilverfahren.

Welche Möglichkeiten stehen den Parteien offen, die Beendigung der mündlichen Verhandlung (Schluss der mündlichen Verhandlung) zu beeinflussen?

Der Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 136 ZPO ist ein prozessrechtlich bedeutender Zeitpunkt. Bis zu diesem Moment können die Parteien Tatsachenvortrag nachschieben, Beweisanträge stellen oder Anträge modifizieren. Nach Schluss der Verhandlung ist das nicht mehr ohne Weiteres möglich, da das Gericht seine Entscheidung auf Grundlage des bis dahin vorgetragenen Stoffs zu treffen hat. Die Parteien können aber vor dem Schluss ausdrücklich erklären, noch weiteren Vortrag halten zu wollen oder einen Schriftsatznachlass beantragen, wozu das Gericht regelmäßig Gelegenheit geben sollte. Wird die Verhandlung geschlossen, können neue Tatsachen oder Beweise im Regelfall nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 296a ZPO (nachgelassener Schriftsatz) oder im Wege der Wiedereröffnung (§ 156 ZPO) Berücksichtigung finden.