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Mitwirkendes Verschulden


Definition und Begriff des Mitwirkenden Verschuldens

Das Mitwirkende Verschulden ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Zivilrecht. Es beschreibt die Konstellation, in welcher der Geschädigte einer Schadensersatzforderung den Schaden ganz oder teilweise mitverursacht oder dessen Entstehung bzw. Umfang mitbegünstigt hat. Die Rechtsfolge besteht darin, dass der Ersatzanspruch des Geschädigten nach Maßgabe seines eigenen Verursachungs- und Verschuldensbeitrages gekürzt werden kann.

Der Begriff findet insbesondere Anwendung im Bereich der Haftung wegen Pflichtverletzungen (§§ 280 ff. BGB), im Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) sowie im vertraglichen Schadensersatzrecht, etwa bei der Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten.

Gesetzliche Verankerung

§ 254 BGB als zentrale Norm

Das Mitwirkende Verschulden ist maßgeblich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt. Die zentrale Vorschrift bildet § 254 BGB (Mitverschulden):

„Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.“

Weitere Normen und Anwendung im Sachenrecht

Auch außerhalb des § 254 BGB finden sich entsprechende Regelungen im Versicherungsrecht (§ 81 VVG), im Sachenrecht (z. B. § 839 BGB) sowie im Arbeitsrecht. Der Grundgedanke des Mitwirkens am Schaden ist somit ein allgemeiner Rechtsgedanke im deutschen Zivilrecht.

Voraussetzungen des Mitwirkenden Verschuldens

1. Eigenes Verhalten des Geschädigten

Voraussetzung ist stets ein pflichtwidriges Verhalten des Geschädigten selbst. Dieses Verhalten muss vorwerfbar sein, das heißt, es muss ein rechtswidriges und fahrlässiges oder vorsätzliches Handeln oder Unterlassen darstellen.

2. Kausalität

Das pflichtwidrige Verhalten des Geschädigten muss kausal für den entstandenen Schaden sein. Es genügt ein Mitverursachungsbeitrag, wobei eine bloß abstrakte Gefahrenerhöhung im Regelfall nicht ausreicht.

3. Mitursächlichkeit für den Schaden

Das Verschulden muss sich auf die Herbeiführung oder Vergrößerung des Schadens auswirken. Hierbei kann sowohl die Entstehung des Primärschadens als auch eine nachträgliche Verschlimmerung (Sekundärschaden) durch mangelnde Schadensminderungspflicht einschlägig sein.

4. Keine vollständige Eigenverursachung

Ist der Schaden ausschließlich durch den Geschädigten selbst verursacht worden, greift das Mitwirkende Verschulden nicht mehr. In diesem Fall entfällt die Haftung des Schädigers gänzlich.

Rechtsfolgen des Mitwirkenden Verschuldens

Anspruchskürzung

Die unmittelbare Rechtsfolge bei Vorliegen eines Mitwirkenden Verschuldens besteht in der Anspruchskürzung. Gemäß § 254 BGB erfolgt die Kürzung des Ersatzanspruchs unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und des Quotenprinzips. Maßgeblich ist der Verursachungs- und Verschuldensanteil beider Parteien.

Anrechnung nach Quoten

Die Ermittlung der jeweiligen Anteile erfolgt regelmäßig im Wege einer Quotenbildung. Die tatsächliche Anspruchshöhe bestimmt sich dann durch den Zahlungsbetrag abzüglich des dem Geschädigten anzulastenden Anteils.

Schadensminderungspflicht

§ 254 Abs. 2 BGB stellt ausdrücklich klar, dass auch die Verletzung der Schadensminderungspflicht, also das Unterlassen zumutbarer Schadensabwehr- oder -begrenzungsmaßnahmen, als mitwirkendes Verschulden Berücksichtigung findet.

Mitwirkendes Verschulden in verschiedenen Bereichen

Vertragsrecht

Im Vertragsrecht spielt das Mitwirkende Verschulden insbesondere bei Pflichtverletzungen eine Rolle. Kommt der Geschädigte etwa einer ihm obliegenden Nebenpflicht nicht nach oder verschuldet den Vertragsschlussfehler mit, so wird der Schadensersatzanspruch nach § 254 BGB gekürzt.

Deliktsrecht

Im Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) ist das Prinzip bei sämtlichen Schadensersatzansprüchen anwendbar. Typische Beispiele betreffen Verkehrsunfälle, bei denen etwa das Tragen oder Nichttragen eines Sicherheitsgurts als mitwirkendes Verschulden am eigenen Schaden beurteilt werden kann.

Produkthaftungsrecht und Umweltrecht

Auch in spezialgesetzlichen Haftungsbereichen, wie dem Produkthaftungsgesetz oder im Umweltrecht, wird das Mitwirkende Verschulden regelmäßig bei der Berechnung von Haftungsquoten berücksichtigt.

Besonderheiten und Sonderprobleme

Anteilige Haftung bei Drittverschulden

Kommt es zu einer Mitverursachung des Schadens durch Dritte, wird das Mitverschulden ebenfalls quotal berücksichtigt (§ 254 BGB analog), etwa bei mehreren Verkehrsteilnehmern.

Mitwirkung minderjähriger oder geschäftsunfähiger Personen

Das Mitwirkende Verschulden kann auch bei minderjährigen oder geschäftsunfähigen Personen zu berücksichtigen sein. Es kommt jedoch auf die Einsichtsfähigkeit und das Alter im Einzelfall an (§ 828 BGB).

Beweislastverteilung

Die Beweislast für das Mitwirken des Geschädigten an der Schadenverursachung trägt regelmäßig der Schädiger, sofern sich aus Umständen oder aus Gesetz nichts Abweichendes ergibt.

Internationale Anwendungsfälle

Im internationalen Privatrecht findet das Prinzip des Mitwirkenden Verschuldens auch in anderen Rechtsordnungen Anwendung, jedoch teilweise mit abweichenden Regelungen und Begrifflichkeiten (z. B. contributory negligence im Common Law).

Rechtsprechung und Praxisbeispiele

Die Rechtsprechung hat zahlreiche Fallgruppen zum Mitwirkenden Verschulden entwickelt. Beispielsweise:

  • Das Unterlassen des Tragens eines Fahrradhelms kann als Mitverschulden bei Kopfverletzungen gelten (BGH, Urteile zu Fahrradhelmen).
  • Bei Verkehrsunfällen wird etwa das Nichteinhalten der Gurtpflicht oder das grobe Fehlverhalten im Straßenverkehr als mitwirkendes Verschulden angesehen.
  • Im Bereich der Bauhaftung wird dem Geschädigten unter Umständen ein Fehlverhalten angerechnet, wenn er offensichtliche Sicherheitsvorkehrungen missachtet hat.

Abgrenzungen

Mitverschulden und vertraglicher Haftungsausschluss

Zu unterscheiden ist das Mitwirkende Verschulden von einem vertraglich vereinbarten Haftungsausschluss. Während der Haftungsausschluss im Vorfeld bestimmte Haftungsrisiken ganz ausschließen kann, reduziert das Mitwirkende Verschulden lediglich den Umfang der bestehenden Ersatzpflicht.

Mitverschulden und Gesamtverschulden

Außerdem ist das Mitverschulden von der Gesamtschuldnerschaft abzugrenzen, bei der mehrere Schädiger gemeinsam für den Schaden haften; das Mitverschulden betrifft demgegenüber die haftungsmindernde Beteiligung des Geschädigten am eigenen Schaden.

Zusammenfassung

Das Mitwirkende Verschulden ist ein bedeutendes Institut des Zivilrechts, das sicherstellt, dass die Verantwortlichkeit für einen entstandenen Schaden nach Anteilen am Verschulden und der Verursachung gerecht verteilt wird. Die Anwendung erfordert stets eine sorgfältige Prüfung der individuellen Beteiligung am Schaden, der Kausalität und des Verschuldensgrades, wobei gesetzliche Grundlagen, richterliche Auslegung und zahlreiche Fallkonstellationen eine differenzierte Bewertung ermöglichen. Das Institut leistet somit einen maßgeblichen Beitrag zur gerechten Risikoverteilung im Schadensersatzrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wie wirkt sich das Mitwirkende Verschulden auf den Umfang des Schadensersatzanspruchs aus?

Das Mitwirkende Verschulden (§ 254 BGB) beeinflusst den Umfang eines bestehenden Schadensersatzanspruchs dahingehend, dass der Betrag, den der Schädiger zu ersetzen hat, anteilig gekürzt wird. Die Kürzung erfolgt nach Maßgabe des Mitverschuldensanteils des Geschädigten, welcher im Rahmen einer Abwägung der jeweiligen Verantwortungsbereiche von Geschädigtem und Schädiger durch das Gericht ermittelt wird. Entscheidend ist, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht wurde. Das Gericht beurteilt dabei sämtliche Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Ursache und das Gewicht des jeweiligen Verschuldens der Beteiligten. Bei festgestelltem Mitverschulden des Geschädigten kann entweder eine prozentuale Kürzung erfolgen oder – wenn ein besonders hohes Eigenverschulden vorliegt – der Anspruch sogar vollständig entfallen.

Welche typischen Fallkonstellationen führen zu Mitwirkendem Verschulden in der Praxis?

Mitwirkendes Verschulden tritt regelmäßig in Fällen auf, in denen der Geschädigte gegen eigene Sorgfaltspflichten oder Obliegenheiten verstößt. Beispiele sind das Nichtanlegen eines Sicherheitsgurtes bei Verkehrsunfällen, die Missachtung von Sicherheitshinweisen, das Nichtverhindern der Schadensausweitung (Schadensminderungspflicht) oder das Unterlassen einer rechtzeitigen Warnung gegenüber dem Schädiger. Auch im Arbeitsrecht, Mietrecht oder bei sportlichen Aktivitäten kann Mitverschulden angenommen werden, wenn der Geschädigte zumutbare Schutzvorkehrungen unterlässt oder objektiv erkennbar gesetzliche oder vertragliche Verhaltenspflichten missachtet.

Wie erfolgt die Abwägung der Verschuldensanteile zwischen Schädiger und Geschädigtem?

Die Abwägung der Verschuldensanteile ist eine richterliche Ermessensentscheidung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Dazu zählen zum Beispiel die Schwere des Verstoßes gegen Sorgfaltspflichten, der Grad des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit), die Möglichkeiten zur Vermeidung des Schadens sowie das Ausmaß der verursachten Gefahr durch die einzelnen Parteien. Die prozentuale Gewichtung kann von einer geringfügigen Kürzung bis hin zum vollständigen Ausschluss des Ersatzanspruchs reichen. Die konkrete Berechnung erfolgt häufig auf Basis der durch Sachverständigengutachten oder Zeugenaussagen festgestellten Sachlage.

Gilt Mitwirkendes Verschulden auch gegenüber Dritten oder nur im Verhältnis zwischen Schädiger und unmittelbar Geschädigtem?

Mitwirkendes Verschulden findet grundsätzlich im direkten Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem Anwendung. Allerdings kann es auch in Fällen relevant werden, in denen ein Dritter als mittelbarer Anspruchsteller (z.B. bei der gesetzlichen oder vertraglichen Haftungskette) auftritt. In diesen Konstellationen kann das Mitverschulden des ursprünglich Geschädigten (z.B. eines Versicherungsnehmers bei Schadensregulierung durch den Versicherer) dem Dritten meist zugerechnet werden und entsprechende Anspruchskürzungen nach sich ziehen. Voraussetzung ist stets, dass das Eigeneinwirken auf den Schaden als ursächlich und zurechenbar feststellbar ist.

Welche Rolle spielt das Mitwirkende Verschulden bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegenüber Haftpflichtversicherungen?

Haftpflichtversicherungen prüfen im Schadensfall systematisch, ob und in welchem Umfang ein Mitverschulden des Geschädigten gegeben ist. Wird ein solches festgestellt, sind sie gemäß § 254 BGB berechtigt, eigene Leistungen anteilig zu kürzen oder im Falle eines vollständigen Eigenverschuldens sogar abzulehnen. Die Geltendmachung von Mitverschulden durch die Versicherung im Regulierungsverfahren ist daher ein häufiger Streitpunkt. Der Versicherungsnehmer muss im Streitfall darlegen und beweisen, dass ihn kein oder nur ein geringes Eigenverschulden trifft. Schadensminderungsobliegenheiten und Informationspflichten gegenüber der Versicherung können die Anwendung von § 254 BGB zusätzlich beeinflussen.

Wie verhält sich das Mitwirkende Verschulden zu eventuellen vertraglichen Haftungsbeschränkungen?

Vertragliche Haftungsbeschränkungen können die Anwendung von § 254 BGB nicht vollständig abbedingen. Auch wenn beispielsweise im Rahmen eines Vertrages eine Haftung für bestimmte Schäden ausgeschlossen wurde, bleibt das Prinzip des Mitwirkenden Verschuldens als zwingendes gesetzliches Korrektiv bestehen. Das bedeutet, dass die Haftung stets zu prüfen ist und eine Anspruchskürzung erfolgen kann, wenn der Geschädigte zum Schaden beigetragen hat, selbst wenn der Schadensersatz dem Grunde nach vertraglich eingeschränkt wurde. Dies dient der Wahrung des Prinzips von Treu und Glauben sowie des Gedankens der fairen Risiko- und Lastenverteilung.

In welchen Fällen führt die Annahme von Mitwirkendem Verschulden zum vollständigen Ausschluss eines Schadenersatzanspruchs?

Ein vollständiger Ausschluss des Schadenersatzanspruchs wegen Mitverschuldens kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn das Eigenverschulden des Geschädigten so schwer wiegt, dass es die Ursache des gesamten Schadens ist oder das Verschulden des Schädigers im Verhältnis dazu völlig zurücktritt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Geschädigte besonders grob fahrlässig oder vorsätzlich seine eigenen Sorgfaltspflichten verletzt hat und der Schaden ohne dieses Verhalten nicht eingetreten wäre. Ein völliger Haftungsausschluss ist allerdings stets unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sorgfältig zu begründen.