Begriff und Grundidee der Mindestbesteuerung
Mindestbesteuerung bezeichnet rechtliche Mechanismen, die sicherstellen sollen, dass bestimmte Einkommen oder Gewinne zumindest in einem Mindestumfang besteuert werden. Sie verfolgt das Ziel, die Steuerbasis zu sichern, Gestaltungen mit sehr niedriger oder gar keiner Steuerlast zu begrenzen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung zu fördern. Der Begriff wird in zwei Hauptkontexten verwendet: als inländische Beschränkung der Verlustverrechnung und als globale Mindestbesteuerung für Unternehmensgruppen mit internationaler Tätigkeit.
Formen der Mindestbesteuerung
Inländische Mindestbesteuerung durch Verlustverrechnung
Im nationalen Kontext bezeichnet Mindestbesteuerung vor allem die Begrenzung der Verrechnung von Verlusten mit künftigen Gewinnen. Kernidee ist, dass ein Teil eines positiven Einkommens stets der Besteuerung unterliegt, auch wenn aus Vorjahren noch Verluste vorhanden sind.
Wirkungsweise
Verluste aus Vorjahren können grundsätzlich mit künftigen Gewinnen verrechnet werden. Bis zu einer gesetzlich festgelegten Schwelle (typischerweise 1 Million Euro) ist dies regelmäßig unbeschränkt möglich. Darüber hinaus dürfen Verluste nur anteilig genutzt werden (typischerweise bis zu 60 Prozent des den Schwellenwert übersteigenden Gewinns). Dadurch bleibt ein Teil des Gewinns (typischerweise 40 Prozent) steuerpflichtig. Dieses Mindestmaß an Besteuerung soll die dauerhafte Nullbesteuerung trotz hoher Verlustvorträge verhindern.
Betroffene Steuerarten
Die anteilige Verlustverrechnung findet insbesondere bei der Einkommensteuer für betrieblich erzielte Einkünfte und bei der Körperschaftsteuer Anwendung. Eine entsprechende Systematik existiert auch in der Gewerbesteuer. Der Mechanismus betrifft nicht jede Einkunftsart in gleicher Weise, da die jeweiligen Steuergesetze eigenständige Bemessungsgrundlagen, Freibeträge und Anrechnungen kennen.
Zeitliche Aspekte der Verlustnutzung
Verluste können nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen rück- und vorgetragen werden. Der Verlustrücktrag ist der Verrechnung in vergangene Veranlagungszeiträume vorbehalten und betragsmäßig sowie zeitlich limitiert. Der Verlustvortrag wirkt in künftigen Jahren und unterliegt der Mindestbesteuerung. Zeitliche Änderungen und Übergangsregelungen können sich aufgrund von Gesetzesreformen ergeben.
Sonderfragen
Besondere Konstellationen ergeben sich bei Unternehmensverbünden (z. B. Organschaften), Umstrukturierungen oder Rechtsformwechseln. Hier stellen sich Fragen der Zurechnung von Verlusten, der Fortführungsfähigkeit und möglicher Einschränkungen bei Anteilseignerwechseln. Die Mindestbesteuerung wirkt in diesen Fällen zusätzlich zu etwaigen spezialgesetzlichen Verlustnutzungsbeschränkungen.
Globale Mindestbesteuerung (OECD/G20, „Pillar Two“)
Auf internationaler Ebene steht die globale Mindestbesteuerung für ein koordiniertes Regelwerk, das großen, grenzüberschreitend tätigen Unternehmensgruppen eine Mindeststeuerbelastung sichern soll. Kern ist ein weltweit abgestimmter effektiver Mindeststeuersatz von 15 Prozent.
Zielsetzung
Adressiert werden Gewinnverlagerungen in Niedrigsteuergebiete und Wettbewerbsverzerrungen durch sehr niedrige effektive Steuerquoten. Die globale Mindestbesteuerung will die Steuerbasis stabilisieren, den Steuerwettbewerb auf ein tragfähiges Niveau begrenzen und gleiche Rahmenbedingungen für international tätige Unternehmen stärken.
Anwendungsbereich
Betroffen sind in der Regel Unternehmensgruppen mit einem konsolidierten Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro. Maßgeblich ist die Konzernabgrenzung nach einheitlichen Rechnungslegungsstandards und die Zuordnung von Einheiten zu Steuerhoheiten (Jurisdiktionen). Bestimmte Sektoren können ausgenommen oder abweichend behandelt sein, etwa staatliche Einrichtungen oder Pensionsfonds.
Kernmechanismen
- Effektive Steuerquote (ETR): Ermittlung der steuerlichen Belastung auf Jurisdiktionsebene im Verhältnis zu einem standardisierten Gewinngrößenmaß. Unterschreitet die ETR den Mindestwert, entsteht eine Ergänzungssteuer („Top-up Tax“).
- Income Inclusion Rule (IIR): Ergänzungssteuer wird vorrangig auf Ebene der obersten Muttergesellschaft erhoben, um niedrig besteuerte Gewinne verbundener Einheiten zu erhöhen.
- Undertaxed Profits Rule (UTPR): Auffangregel, die verbleibende niedrig besteuerte Gewinne durch anteilige Zurechnung auf andere Konzerneinheiten abschöpft, wenn die IIR nicht vollständig greift.
- Qualified Domestic Minimum Top-up Tax (QDMTT): Inländische Ergänzungssteuer, mit der eine Jurisdiktion selbst die Top-up Tax erhebt, damit das Ergänzungssteueraufkommen im Land der Wertschöpfung verbleibt.
- Substanzbezogener Abzug (Carve-out): Ein festgelegter Prozentsatz von Lohnsumme und materiellen Vermögenswerten mindert die Bemessungsgrundlage der Top-up Tax, um reale Wirtschaftstätigkeit zu berücksichtigen.
Safe Harbors und Übergangsregeln
Vorübergehende Erleichterungen („Safe Harbors“) können die Anwendung der Detailberechnungen vereinfachen, wenn bestimmte Kennzahlen (z. B. aus länderbezogenen Berichten) Schwellenwerte einhalten. Sie sollen den Einstieg in das System erleichtern und die Verwaltungslasten zu Beginn begrenzen.
Verhältnis zu nationalem Recht und EU-Rechtsrahmen
Die EU hat die globale Mindestbesteuerung in Form eines verbindlichen Rahmens umgesetzt. Mitgliedstaaten wenden die Regeln schrittweise an, typischerweise für Geschäftsjahre, die 2024 beginnen (IIR und QDMTT), und ergänzend ab 2025 (UTPR). Nationale Gesetze konkretisieren die technischen Detailvorgaben, die Berechnungslogik und die Erklärungspflichten.
Rechtliche Einordnung und Grundprinzipien
Leistungsfähigkeits- und Nettoprinzip
Das Leistungsfähigkeitsprinzip verlangt eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Tragfähigkeit. Das Nettoprinzip fordert, dass die Steuer grundsätzlich an das Nettoeinkommen anknüpft. Die Mindestbesteuerung greift in dieses Gefüge ein, indem sie trotz vorhandener Verluste einen Teil des Gewinns der Besteuerung vorbehält, und muss daher mit diesen Grundsätzen in Einklang stehen.
Gleichbehandlung und Wettbewerbsneutralität
Mindestbesteuerung verfolgt das Anliegen, gleichartige Sachverhalte gleich zu behandeln und Wettbewerbsverzerrungen durch extrem niedrige Steuerbelastungen zu vermeiden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Regeln nicht zu sachlich unbegründeten Ungleichbehandlungen führen.
Territorialitäts- und Welteinkommensprinzip
Im internationalen Steuerrecht stehen sich das Territorialitätsprinzip (Besteuerung im Ort der Wertschöpfung) und das Welteinkommensprinzip (Besteuerung des Gesamteinkommens) gegenüber. Die globale Mindestbesteuerung kombiniert beide Ansätze: Sie stellt auf Jurisdiktionsebene ab, erlaubt aber ergänzende Besteuerung durch andere Staaten, wenn der Mindeststandard im Quellenstaat nicht erreicht wird.
Rückwirkungsverbot und Vertrauensschutz
Gesetzesänderungen unterliegen den Grundsätzen des Rückwirkungsverbots und des Vertrauensschutzes. Bei Einführung oder Änderung von Mindestbesteuerungsregeln sind Übergangsfristen, Stichtage und Klarheit der Normadressierung von besonderer Bedeutung.
Auswirkungen auf Unternehmen und Verwaltung
Steuererhebung und Bemessungsgrundlage
Die inländische Mindestbesteuerung verändert die zeitliche Verteilung der Steuerlast, indem sie die Nutzung hoher Verlustvorträge streckt. Die globale Mindestbesteuerung greift in die Bemessungsgrundlage durch standardisierte, teils von nationalen Gewinnermittlungsvorschriften abweichende Definitionen ein, um die effektive Steuerquote zu ermitteln.
Compliance- und Berichtspflichten
Die globale Mindestbesteuerung bringt zusätzliche Erklärungspflichten mit sich, etwa eine eigene Mindeststeuererklärung nach standardisiertem Schema sowie erweiterte Datenerhebung zur Berechnung der effektiven Steuerquote. Auf nationaler Ebene bleiben die bisherigen Steuererklärungen und Nachweispflichten zur Verlustverrechnung bestehen.
Wechselwirkungen mit Förderinstrumenten
Steuerliche Förderinstrumente wie Begünstigungen für Forschung und Entwicklung oder Investitionsanreize können die effektive Steuerquote beeinflussen. Im Rahmen der globalen Mindestbesteuerung ist zu beachten, dass die Anrechnung und Qualifizierung nationaler Maßnahmen speziellen Vorgaben folgt, um die Vergleichbarkeit und Mindestbelastung sicherzustellen.
Internationale Koordination und Streitbeilegung
Doppelbesteuerungsrisiken und Entlastungsmechanismen
Die Kombination von IIR, UTPR und QDMTT ist darauf angelegt, Mehrfachbelastungen zu minimieren. Gleichwohl können Abgrenzungsfragen und zeitliche Differenzen zu Überschneidungen führen. Koordinationsmechanismen, Abstimmung zwischen Staaten und standardisierte Prioritätsregeln dienen dem Abbau von Doppelbesteuerungsrisiken.
Informationsaustausch und Transparenz
Ein internationaler Informationsaustausch über standardisierte Berichte und Mindeststeuererklärungen unterstützt die Durchsetzung und Kontrolle. Transparenzanforderungen fördern die Nachvollziehbarkeit und erleichtern die Kooperation der Steuerverwaltungen.
Abgrenzungen und verwandte Konzepte
Mindeststeuersatz vs. effektive Steuerbelastung
Ein nominaler Mindeststeuersatz sagt allein wenig über die tatsächliche Belastung aus. Die globale Mindestbesteuerung knüpft deshalb an eine effektive Steuerquote an, die von den ausgewiesenen Steuern und einem standardisierten Gewinngrößenmaß abhängt. Inländische Mindestbesteuerung durch Verlustbegrenzung wirkt hingegen über die Nutzbarkeit von Verlustvorträgen.
Verwandte Beschränkungen
Regelungen wie die Zinsschranke, Lizenzschranke oder Hinzurechnungsbesteuerung zielen ebenfalls darauf ab, die Erosion der Steuerbasis zu begrenzen. Sie verfolgen jedoch andere Mechanismen und sind nicht Teil der Mindestbesteuerung im engeren Sinn.
Historische Entwicklung und aktueller Stand
Nationale Entwicklung
Die Beschränkung der Verlustverrechnung wurde eingeführt, um nach Phasen hoher Verluste eine dauerhafte Steuerfreistellung künftiger Gewinne zu vermeiden und kontinuierliche Einnahmen sicherzustellen. Seitdem wurde die Systematik punktuell angepasst, die Grundstruktur der Mindestbesteuerung jedoch beibehalten.
Internationale Entwicklung
Im Zuge internationaler Initiativen gegen Gewinnverkürzung und -verlagerung hat sich die globale Mindestbesteuerung als zentrales Reformprojekt etabliert. Die EU und zahlreiche Staaten setzen sie seit 2024 schrittweise um, wobei Detailfragen laufend präzisiert werden.
Häufig gestellte Fragen
Was bedeutet Mindestbesteuerung im nationalen Kontext?
National bezieht sich Mindestbesteuerung auf die anteilige Nutzung von Verlustvorträgen. Verluste können bis zu einer Schwelle vollständig, darüber hinaus nur prozentual mit Gewinnen verrechnet werden. Dadurch bleibt ein Teil des Gewinns steuerpflichtig, auch wenn aus Vorjahren noch Verluste bestehen.
Worin unterscheidet sich die inländische Mindestbesteuerung von der globalen Mindestbesteuerung?
Die inländische Mindestbesteuerung begrenzt die Verlustverrechnung innerhalb eines Steuersystems. Die globale Mindestbesteuerung stellt auf die effektive Steuerquote großer, international tätiger Unternehmensgruppen ab und erhebt bei Unterschreitung eine Ergänzungssteuer, koordiniert zwischen mehreren Staaten.
Gilt die globale Mindestbesteuerung für alle Unternehmen?
Nein. Sie erfasst in der Regel nur Unternehmensgruppen mit einem konsolidierten Jahresumsatz ab 750 Millionen Euro. Kleinere und rein nationale Unternehmen fallen nicht in den Anwendungsbereich der globalen Mindestbesteuerung.
Wie wird die effektive Steuerquote bei der globalen Mindestbesteuerung ermittelt?
Die effektive Steuerquote wird je Jurisdiktion ermittelt, indem standardisiert definierte, im Konzernabschluss abgeleitete Einkünfte den erfassten Ertragsteuern gegenübergestellt werden. Unterschreitet die Quote den Mindestwert, entsteht eine Ergänzungssteuer, gegebenenfalls gemindert um Substanzabzüge.
Kann die Mindestbesteuerung zu Doppelbesteuerung führen?
Das Regelwerk enthält Prioritäts- und Anrechnungsmechanismen, um Mehrfachbelastungen zu vermeiden. Gleichwohl können in Einzelfällen Überschneidungen auftreten, etwa durch zeitliche Abweichungen. Vorgesehene Koordinations- und Ausgleichsregeln zielen auf Begrenzung solcher Effekte.
Welche Funktion hat eine inländische Ergänzungssteuer (QDMTT)?
Die QDMTT ermöglicht es einem Staat, die Ergänzungssteuer auf im Inland erwirtschaftete, niedrig besteuerte Gewinne selbst zu erheben. Dadurch verbleibt das Steueraufkommen im Quellenstaat und muss nicht über IIR oder UTPR in anderen Staaten abgeschöpft werden.
Ab wann gelten die globalen Mindestbesteuerungsregeln in der EU?
In der EU werden die zentralen Regeln typischerweise für Geschäftsjahre angewendet, die 2024 beginnen (IIR und QDMTT). Die ergänzende UTPR greift in der Regel ab 2025. Einzelheiten ergeben sich aus der jeweiligen nationalen Umsetzung.