Begriff und Einordnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) beschreibt, in welchem Ausmaß die Fähigkeit einer Person, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Erwerbseinkommen zu erzielen, durch die Folgen eines bestimmten Gesundheitsschadens eingeschränkt ist. Der Begriff wird insbesondere dort verwendet, wo es um die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit geht. Die MdE wird in Prozent ausgedrückt und dient als Maßstab für bestimmte Geldleistungen, vor allem in der gesetzlichen Unfallversicherung.
Wesentlich ist der abstrakte Bewertungsmaßstab: Nicht der konkrete Arbeitsplatz oder die tatsächliche Einkommensentwicklung ist entscheidend, sondern die allgemeine Einwirkung des Gesundheitsschadens auf die Erwerbsfähigkeit in einem weiten Spektrum üblicher Tätigkeiten.
Rechtlicher Anwendungsbereich
Gesetzliche Unfallversicherung
Arbeitsunfall und Berufskrankheit
Die MdE spielt eine zentrale Rolle bei Gesundheitsschäden, die auf einen Arbeitsunfall oder eine anerkannte Berufskrankheit zurückgehen. Zunächst wird geklärt, ob ein versichertes Ereignis vorliegt und ob der Gesundheitsschaden hierauf ursächlich zurückzuführen ist. Nur die unfall- oder krankheitsbedingten Folgen werden bei der MdE berücksichtigt.
Verletztenrente und Schwellenwerte
Führt ein Versicherungsfall dazu, dass die Erwerbsfähigkeit über einen längeren Zeitraum – in der Regel über 26 Wochen – gemindert ist und erreicht die MdE einen bestimmten Mindestgrad, kann ein Anspruch auf eine Verletztenrente entstehen. Für die gesetzliche Unfallversicherung ist regelmäßig maßgeblich, ob die MdE mindestens 20 Prozent beträgt. Liegt die MdE darunter, kommen andere Leistungen in Betracht, die jedoch nicht auf der MdE-Bewertung beruhen.
Weitere Rechtsbereiche
Außerhalb der gesetzlichen Unfallversicherung wird der Begriff MdE teils historisch verwendet. In Entschädigungssystemen außerhalb der Unfallversicherung wird heute häufig der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) als Maßstab genutzt. In der privaten Unfallversicherung wird dagegen mit dem Invaliditätsgrad gearbeitet, der nach vertraglichen Regeln festgelegt wird und nicht identisch mit der MdE ist.
Ermittlung der MdE
Medizinische Grundlage
Ausgangspunkt ist eine medizinische Begutachtung. Diese stellt die unfall- oder krankheitsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen fest, ihre Stabilität, Heilungsverlauf und die verbleibenden Einschränkungen. Maßgeblich sind gesicherte Befunde, nicht allein subjektive Beschwerden.
Arbeitsmarktbezogene Abstraktion
Die MdE wird nicht daran gemessen, ob die betroffene Person ihren bisherigen Beruf ausüben kann, sondern daran, wie stark die gesundheitlichen Folgen die Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beeinträchtigen. Entscheidend sind die körperlichen, geistigen und psychischen Leistungsgrenzen in relation zu typischen Tätigkeiten, die üblicherweise in Betracht kommen.
Prozentskala und Bewertungsregeln
- Die MdE wird in Prozent angegeben, meist in Stufen von 10 Prozent.
- Eine MdE von 0 Prozent bedeutet keine messbare Einschränkung; 100 Prozent bedeutet vollständigen Verlust der Erwerbsfähigkeit.
- Mehrere Beeinträchtigungen werden nicht schlicht addiert. Es erfolgt eine Gesamtbewertung, die Überschneidungen und Wechselwirkungen berücksichtigt.
- Vorbestehende Leiden werden herausgerechnet, soweit sie nicht durch das versicherte Ereignis verschlimmert wurden. Eine unfallbedingte Verschlimmerung kann berücksichtigt werden.
- Vorübergehende Beeinträchtigungen werden in die MdE nur einbezogen, wenn sie über einen längeren Zeitraum anhalten. Kurzfristige Akutphasen begründen regelmäßig noch keine dauerhafte MdE.
Begutachtungsverfahren
Die zuständige Unfallversicherung (z. B. Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse) beauftragt in der Regel eine ärztliche Begutachtung. Die versicherte Person kann zu den Befunden Stellung nehmen. Die MdE wird zu einem bestimmten Stichtag festgelegt und kann bei veränderten Verhältnissen später überprüft und angepasst werden. Eine Erhöhung oder Herabsetzung ist möglich, wenn sich der Gesundheitszustand verbessert oder verschlechtert oder neue Erkenntnisse vorliegen.
Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen
MdE und Grad der Behinderung (GdB)
Der GdB beschreibt die Teilhabe-Beeinträchtigung im Alltag und im gesellschaftlichen Leben. Die MdE zielt demgegenüber auf die Fähigkeit, Erwerbsarbeit auszuüben. Beide Werte können unterschiedlich ausfallen, weil sie unterschiedliche Lebensbereiche bewerten.
MdE und Rente wegen Erwerbsminderung
Die Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung beurteilt, ob und in welchem Umfang jemand noch in der Lage ist, irgendeiner Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Kriterien und die Rechtsfolgen unterscheiden sich von der MdE der Unfallversicherung. Eine Anerkennung in einem System führt nicht automatisch zu denselben Ergebnissen im anderen.
MdE und private Invalidität
Private Unfallversicherungen nutzen vertragliche Invaliditätsgrade, häufig anhand fester Gliedertaxen. Diese Bewertungen folgen eigenen Bedingungen und sind nicht mit der MdE gleichzusetzen.
Rechtsfolgen einer festgestellten MdE
Die MdE bildet in der gesetzlichen Unfallversicherung die Grundlage für die Verletztenrente. Deren Höhe orientiert sich am festgestellten MdE-Grad und an den versicherten Referenzeinkünften. Die Zahlung setzt eine länger andauernde Beeinträchtigung voraus und beginnt grundsätzlich nach Ablauf der anfänglichen Heilungsphase. Neben Geldleistungen können Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und Teilhabe gewährt werden; sie sind jedoch nicht unmittelbar von der MdE-Höhe abhängig.
Kausalität und Zurechnung
Für die Berücksichtigung in der MdE-Bewertung ist erforderlich, dass die gesundheitliche Beeinträchtigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das versicherte Ereignis zurückgeht. Wirken mehrere Ursachen zusammen, werden solche Folgen berücksichtigt, die dem Versicherungsfall wesentlich zugeordnet werden können. Eigenständige, nicht versicherte Ursachen bleiben außer Betracht. Vorbestehende Leiden werden nur insoweit angesetzt, als das versicherte Ereignis sie nachweislich verschlimmert hat.
Änderung, Überprüfung und Ende der MdE
Die MdE ist kein unverrückbarer Dauerwert. Sie kann sinken, wenn sich der Gesundheitszustand verbessert oder therapeutische Fortschritte eintreten, und sie kann steigen, wenn Spätfolgen auftreten. Fällt die MdE unter den maßgeblichen Mindestgrad, kann eine laufende Rentenzahlung entfallen. Wird der Mindestgrad wieder erreicht oder überschritten, kann eine Leistung erneut in Betracht kommen. Regelmäßige Überprüfungen sind möglich, insbesondere bei unklarem oder dynamischem Heilungsverlauf.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Minderung der Erwerbsfähigkeit in einfachen Worten?
Die MdE gibt in Prozent an, wie stark die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit die Fähigkeit mindern, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Geld zu verdienen. Sie misst also die allgemeine Beeinträchtigung der Arbeitsmöglichkeiten, nicht nur im bisherigen Beruf.
Wofür wird die MdE rechtlich benötigt?
In der gesetzlichen Unfallversicherung dient die MdE als Grundlage für die Entscheidung, ob und in welcher Höhe eine Verletztenrente gezahlt wird. Sie ordnet die gesundheitlichen Unfall- oder Krankheitsfolgen einem prozentualen Schweregrad zu.
Ab wann kann eine Verletztenrente wegen MdE gezahlt werden?
Voraussetzung ist, dass die Erwerbsfähigkeit über einen längeren Zeitraum, in der Regel über 26 Wochen, gemindert ist und die MdE einen bestimmten Mindestgrad erreicht. In der Unfallversicherung ist hierfür regelmäßig eine MdE von mindestens 20 Prozent maßgeblich.
Wie wird die MdE festgelegt?
Die MdE wird auf Basis ärztlicher Gutachten ermittelt. Bewertet werden die unfall- oder krankheitsbedingten Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen auf typische Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts. Das Ergebnis wird in Prozent angegeben, häufig in 10-Prozent-Stufen.
Unterscheidet sich die MdE vom Grad der Behinderung (GdB) und von der Erwerbsminderung?
Ja. Der GdB bewertet die Teilhabe im Alltag, die MdE die Erwerbsfähigkeit nach einem Versicherungsfall in der Unfallversicherung. Die Erwerbsminderungsrente der Rentenversicherung folgt eigenen Kriterien. Ergebnisse in einem System gelten nicht automatisch im anderen.
Werden Vorerkrankungen bei der MdE berücksichtigt?
Vorbestehende Leiden werden grundsätzlich nicht der MdE zugerechnet, soweit sie nicht durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit verschlimmert wurden. Eine nachweisliche Verschlimmerung durch das versicherte Ereignis fließt in die Bewertung ein.
Kann die MdE später geändert werden?
Ja. Die MdE kann angepasst werden, wenn sich der Gesundheitszustand ändert oder neue medizinische Erkenntnisse vorliegen. Erhöhungen und Herabsetzungen sind möglich; fällt die MdE unter den maßgeblichen Mindestgrad, kann eine laufende Rentenzahlung enden.