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Minderung der Erwerbsfähigkeit


Begriff und rechtliche Einordnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist ein zentraler Begriff im deutschen Sozialrecht, insbesondere im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Unfallversicherungsrecht (§ 56 SGB VII). Die MdE beschreibt, in welchem Ausmaß die Fähigkeit einer Person, sich durch Arbeit im Erwerbsleben zu betätigen, infolge eines Gesundheitsschadens dauerhaft beeinträchtigt ist. Maßgeblich ist die vergleichende Bewertung der Arbeitsmöglichkeiten eines gesundheitlich Geschädigten mit denen eines gesunden Menschen gleichen Alters und gleicher Bildung. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit entscheidet maßgeblich über die Höhe von Entschädigungsleistungen, insbesondere Renten aus der gesetzlichen Unfallversicherung.


Abgrenzung und Bedeutung der MdE im Rechtskontext

Unterschied zu anderen Begriffen

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist konzeptionell von ähnlichen Begriffen wie der Arbeitsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit und Erwerbsminderung abzugrenzen. Während die Arbeitsunfähigkeit eine vorübergehende Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit beschreibt und die Erwerbsminderung im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Fähigkeit zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt abstellt, betrifft die MdE ausschließlich die Folgen von Gesundheitsschäden infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit.


Rechtlicher Rahmen im Sozialgesetzbuch

Gesetzliche Grundlagen

Die MdE ist vor allem in den §§ 56 ff. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) normiert. Die Vorschriften regeln die Voraussetzungen und die Berechnung der Verletztenrente, die daraus resultierende Höhe der MdE sowie deren Feststellung und Bewertung.

MdE-Bewertung

Die Bewertung der MdE erfolgt anhand von Erfahrungswerten und medizinischen Gutachten, wobei die prozentuale Minderung nach Zehnerschritten angegeben wird. Dabei werden sämtliche gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigt, die im ursächlichen Zusammenhang mit einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit stehen. Die MdE muss voraussichtlich länger als 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls bestehen.

Rentenzahlung und MdE-Grade

Sofern die MdE wenigstens 20 % beträgt, besteht ein Anspruch auf Verletztenrente (§ 56 Abs. 1 SGB VII). Die Höhe der monatlichen Rentenzahlung ist proportional zur festgestellten MdE.


Medizinische und rechtliche Begutachtung

Verfahren der Feststellung

Die Feststellung der MdE erfolgt in einem sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren. Die zuständigen Unfallversicherungsträger beauftragen in der Regel medizinische Gutachter damit, die konkreten Funktionseinschränkungen zu ermitteln und deren Auswirkungen im Erwerbsleben zu beurteilen. Hierbei ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise geboten, die sowohl körperliche als auch psychische Gesundheitsschäden einschließt.

Gutachterliche Abwägung

Die graduelle Festlegung erfolgt auf Basis des hypothetischen Vergleichs eines gesunden mit dem verletzten Menschen. Die tatsächliche berufliche Situation des Geschädigten wird bei der MdE-Bewertung nicht berücksichtigt, sondern ausschließlich seine abstrakte Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.


Besondere Regelungen, Anpassung und Überprüfung

Anpassung der MdE

Die festgestellte MdE ist nicht dauerhaft unabänderlich. Sie unterliegt der Überprüfung und Anpassung, etwa wenn sich der Gesundheitszustand der betroffenen Person erheblich ändert (vgl. § 73 Abs. 3 SGB VII). Die Rentenzahlungen können dementsprechend erhöht, herabgesetzt oder ganz entfallen.

Besondere Konstellationen

In bestimmten Fällen, wie bei Mehrfachverletzungen oder der Kombination verschiedener Gesundheitsschäden, werden die Einzelgrade der MdE addiert, wobei Überschneidungen vermieden werden, um eine Überbewertung zu verhindern. Auch Altersfaktoren und Vorerkrankungen werden im MdE-Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt, sofern sie die durch den Versicherungsfall verursachte Erwerbsminderung beeinflussen.


Zusammenhang zum Leistungsrecht und weiteren Bereichen

Verletztenrente und Zusatzleistungen

Die festgestellte MdE bildet die wesentliche Grundlage für den Anspruch auf eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei schweren Verletzungen, die eine besonders hohe MdE zur Folge haben, können ergänzende Leistungen, etwa Hilfen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder an der Gemeinschaft, beansprucht werden.

Überleitung in andere Sozialleistungsbereiche

Kommt es zu einer dauerhaften Beeinträchtigung, können abhängig vom Einzelfall weitere Leistungsansprüche, wie Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung oder Leistungen nach dem Sozialen Entschädigungsrecht, bestehen. Die MdE dient hierbei häufig als Bezugsgröße oder Bemessungsgrundlage.


Zusammenfassung und weiterführende Hinweise

Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist ein maßgeblicher rechtlicher Faktor für die soziale Absicherung nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten. Sie beeinflusst die Anspruchshöhe und -dauer von Entschädigungsleistungen und ist über besondere gesetzliche Regelungen, insbesondere im Siebten Buch Sozialgesetzbuch, umfassend ausgestaltet. Für Betroffene ist die sachgerechte Feststellung der MdE von erheblicher Bedeutung, da sie wesentlichen Einfluss auf den Lebensunterhalt und die soziale Teilhabe im Falle dauerhafter Gesundheitsschäden hat. Die Überprüfung der MdE und deren Anpassung an sich ändernde gesundheitliche Verhältnisse gewährleisten die fortlaufende Berücksichtigung der tatsächlichen Erwerbsfähigkeit.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) anerkennen zu lassen?

Die Anerkennung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit setzt im rechtlichen Kontext voraus, dass zunächst ein Gesundheitsschaden und eine daraus resultierende Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit vorliegen. Dieser Gesundheitsschaden muss entweder aufgrund eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder – im Falle des Sozialgesetzbuches VII – in anderer Weise im Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen. Die Kausalität zwischen schädigendem Ereignis und eingetretener Beeinträchtigung ist zumeist mittels medizinischer Gutachten nachzuweisen. Die Erwerbsminderung muss darüber hinaus für einen voraussichtlich länger andauernden Zeitraum bestehen und darf keinen nur vorübergehenden Charakter haben. Rechtsgrundlagen sind hierbei insbesondere das SGB VII (§§ 56 ff.) und im Beamtenrecht entsprechend die Versorgungsregeln. Wichtig ist auch, dass die betroffene Person einen Antrag auf Anerkennung stellt, und die jeweiligen Fristen und Mitwirkungspflichten gemäß den anwendbaren Vorgaben einhält. Die Entscheidung über die MdE trifft dann die zuständige Behörde oder der zuständige Sozialversicherungsträger.

Wie wird der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtlich festgestellt?

Die Feststellung der MdE erfolgt nach den Maßstäben des jeweiligen Rechtsgebiets, meist anhand eines ärztlichen Gutachtens, das den Grad der Erwerbsbeeinträchtigung in Prozent ermittelt. Im Sozialrecht richtet sich die Begutachtung nach den Grundsätzen der Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung (sogenannte MdE-Tabellen), die von der gesetzlichen Unfallversicherung genutzt werden. Die MdE drückt aus, in welchem Umfang die Möglichkeit, am allgemeinen Erwerbsleben teilzunehmen, durch den Gesundheitsschaden eingeschränkt ist. Richtungsweisend ist hierbei die sogenannte abstrakte Betrachtungsweise: Es wird generell geprüft, wie sich die Beeinträchtigung auf den gesamten Arbeitsmarkt auswirkt, unabhängig vom konkret ausgeübten Beruf. Das Ergebnis des Gutachtens dient als Grundlage für die Entscheidung des Leistungsträgers, die stets mit einem rechtsmittelfähigen Bescheid erfolgt.

Welche rechtlichen Ansprüche ergeben sich aus einer anerkannten Minderung der Erwerbsfähigkeit?

Die Anerkennung einer MdE kann abhängig vom Grad der Erwerbsminderung und vom anwendbaren Rechtskreis verschiedene Leistungsansprüche auslösen. Im Sozialrecht sind das typischerweise Rentenzahlungen (Verletztenrente nach SGB VII), Heilbehandlungen, Rehabilitationsmaßnahmen oder Schadensersatzleistungen. Im Beamtenrecht wirkt sich eine MdE auf mögliche Versorgungsbezüge aus. Entscheidend ist, dass der jeweilige Grad der MdE bestimmte Leistungsschwellen überschreitet – so besteht beispielsweise ein Rentenanspruch regelmäßig erst ab einer MdE von mindestens 20%. Auch bei privaten Versicherungen, wie der Berufsunfähigkeitsversicherung, kann eine anerkannte MdE zu Leistungsansprüchen führen, wobei hier die vertraglichen Bedingungen maßgeblich sind.

Wie können Betroffene gegen einen ablehnenden Bescheid zur MdE vorgehen?

Wird die Anerkennung einer MdE abgelehnt oder das Ausmaß der MdE niedriger festgesetzt als von der betroffenen Person erwartet, besteht die rechtliche Möglichkeit, gegen den Bescheid Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch ist innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheides schriftlich oder zur Niederschrift bei der zuständigen Stelle einzureichen. Sollte der Widerspruch abgelehnt werden, kann im weiteren Schritt Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Während dieses Verfahrens steht es Betroffenen offen, ergänzende medizinische Gutachten einzureichen und Zeugen zu benennen. Die gerichtliche Prüfung umfasst sowohl die medizinischen als auch die rechtlichen Aspekte der Entscheidung.

Welche Fristen sind im Zusammenhang mit Anträgen und Rechtsmitteln rund um die MdE zu beachten?

Bei der Meldung eines Unfalls oder einer Berufskrankheit und der Antragstellung auf Anerkennung der MdE sind bestimmte gesetzliche Fristen zu beachten. Anträge sollten zeitnah nach dem schädigenden Ereignis gestellt werden, da ansonsten eine Mitwirkungspflichtverletzung vorliegen und die Leistungsbearbeitung verzögert oder versagt werden kann. Für Widersprüche gegen Bescheide gilt grundsätzlich eine einmonatige Frist ab Zugang. Vor Gericht muss die Klage ebenfalls binnen eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Kommt es innerhalb dieser Frist nicht zur Einreichung, kann der Anspruch unter Umständen verwirkt werden, es sei denn, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Fristversäumnis wird beantragt und begründet.

Welche Rolle spielen Gutachten im rechtlichen Verfahren zur Feststellung der MdE?

Gutachten spielen eine zentrale Rolle bei der Feststellung und Bemessung der MdE, da sie die medizinischen Grundlagen für die rechtliche Entscheidung liefern. Sie werden im Auftrag der Unfallversicherungsträger, des Arbeitgebers (im Beamtenrecht), oder der Gerichte von unabhängigen Fachärzten erstellt. Im Gutachten werden sowohl die Art und Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung als auch deren Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit schriftlich dargelegt. Die Gutachten müssen nachvollziehbar, transparent und umfassend begründet sein. Im Streitfall kann ein weiteres (gerichtliches) Gutachten eingeholt werden. Der rechtliche Prüfungsmaßstab bezieht sich auf die Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der medizinischen Einschätzungen, deren Ergebnis die Verwaltung nicht ohne Weiteres abändern kann.

Können bereits anerkannte MdE-Bescheide nachträglich geändert werden?

Bereits ergangene Bescheide können nach den Vorschriften des Sozialverwaltungsrechts (insbesondere §§ 44 ff. SGB X) unter bestimmten Voraussetzungen rückwirkend aufgehoben oder angepasst werden (sogenannte Aufhebung oder Rücknahme eines Verwaltungsakts). Eine Änderung kommt in Betracht, wenn eine wesentliche Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse eintritt, neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bei der ursprünglichen Bescheidung nicht berücksichtigt wurden, oder wenn sich im Nachhinein Fehler in der rechtlichen Bewertung herausstellen. Die Prüfung erfolgt entweder auf Antrag der betroffenen Person oder von Amts wegen durch die Behörde. Ergibt sich durch die Änderung ein höherer oder niedrigerer Grad der MdE, werden die entsprechenden Leistungsansprüche angepasst. Dabei sind bestehende Vertrauensschutzregeln und Rückwirkungsverbot nach Maßgabe des SGB X zu beachten.