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Mehrwertsteuer


Begriff und rechtliche Grundlagen der Mehrwertsteuer

Die Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) ist eine Verbrauchsteuer, die auf nahezu alle Lieferungen und sonstigen Leistungen erhoben wird, die ein Unternehmen im Rahmen seines Geschäftsbetriebs gegen Entgelt im Inland ausführt. Sie stellt einen zentralen Bestandteil des deutschen und europäischen Steuerrechts dar und ist im Umsatzsteuergesetz (UStG) geregelt. Die Mehrwertsteuer dient der Finanzierung öffentlicher Haushalte und wird vom Endverbraucher getragen, während Unternehmen in der Lieferkette vorsteuerabzugsberechtigt sind.

Rechtsgrundlagen und Gesetzliche Verankerung

Die maßgeblichen gesetzlichen Regelungen zur Mehrwertsteuer finden sich im Umsatzsteuergesetz (UStG). Auf europäischer Ebene ist die Mehrwertsteuer durch die Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem harmonisiert. Das deutsche Umsatzsteuergesetz ist Ausdruck der Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben. Verfassungsrechtlich ist das Aufkommen der Steuer dem Bund zugeordnet (Art. 106 Abs. 3 GG).

Steuergegenstand

Steuerbar sind nach § 1 Abs. 1 UStG:

  • Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt,
  • der Eigenverbrauch von Unternehmern,
  • die Einfuhr von Gegenständen aus dem Drittlandsgebiet,
  • der innergemeinschaftliche Erwerb von Waren.

Steuerpflicht und Steuersubjekt

Steuerpflichtige Personen

Steuersubjekt der Mehrwertsteuer ist der Unternehmer gemäß § 2 UStG. Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt. Die Unternehmereigenschaft ist sowohl bei natürlichen als auch bei juristischen Personen möglich, ebenso bei Personengesellschaften. Nur Unternehmer haben die Pflicht zur Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen und Jahreserklärungen; Privatpersonen sind nicht mehrwertsteuerpflichtig.

Steuerpflichtige Umsätze

Steuerpflichtig sind alle Leistungen, die nicht explizit von der Steuer befreit wurden. Steuerbefreiungen regeln insbesondere §§ 4 ff. UStG (z. B. aus dem Bereich der Heilberufe, Vermietung und Verpachtung, Versicherungsleistungen oder Finanzdienstleistungen).

Systematik der Mehrwertsteuererhebung

Bestimmung der Bemessungsgrundlage

Die Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer ist grundsätzlich das vereinbarte Entgelt (§ 10 UStG). Die Steuer wird auf den Nettopreis eines Umsatzes aufgeschlagen.

Steuersätze

In Deutschland gelten folgende Steuersätze:

  • Standardsteuersatz: 19 %
  • Ermäßigter Steuersatz: 7 % (für bestimmte Güter und Dienstleistungen, z. B. Lebensmittel, Bücher)

Für Umsätze im Zusammenhang mit Immobilien, medizinischen Leistungen, Bildungsangeboten und weiteren, speziell geregelten Sachverhalten können abweichende oder steuerfreie Regelungen gelten.

Erhebung, Anmeldung und Abführung

Entstehung und Abführung der Steuer

Die Steuer entsteht bei Lieferungen und Leistungen in aller Regel mit Ausführung der Leistung bzw. nach vereinbarten Entgelten mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums (§ 13 UStG). Unternehmer sind verpflichtet, die von ihnen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer regelmäßig im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldung und -jahreserklärung an das zuständige Finanzamt abzuführen.

Vorsteuerabzug

Ein zentrales Element des Mehrwertsteuersystems ist der Vorsteuerabzug (§ 15 UStG). Unternehmer können die ihnen von anderen Unternehmen in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen, sofern die Leistung für das eigene Unternehmen erbracht wurde und eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt. Der Vorsteuerabzug verhindert eine mehrfache Belastung ein und derselben Wirtschaftsstufe.

Umsatzsteuer-Voranmeldung und -Erklärung

Die Voranmeldung erfolgt monatlich oder vierteljährlich, abhängig von der Steuerlast im Vorjahr (§ 18 UStG). Die Umsatzsteuerjahreserklärung ist bis zum 31. Juli des Folgejahres elektronisch an das Finanzamt zu übermitteln.

Besondere Besteuerungsformen und Ausnahmen

Kleinunternehmerregelung

Gemäß § 19 UStG können Kleinunternehmer, deren Umsatz bestimmte Schwellenwerte nicht übersteigt (22.000 Euro im Vorjahr, 50.000 Euro im laufenden Jahr), auf die Erhebung und den Ausweis der Umsatzsteuer verzichten. Sie dürfen dann im Gegenzug keinen Vorsteuerabzug geltend machen.

Differenzbesteuerung

Speziell für Wiederverkäufer von Gebrauchtwaren gilt die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG. Hier wird die Besteuerung nur auf die Differenz zwischen Verkaufs- und Einkaufspreis angewendet, um eine übermäßige Steuerbelastung für Gebrauchtwaren zu vermeiden.

Innergemeinschaftliche Lieferungen und Erwerbe

Im Binnenmarkt der EU gelten beim Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten besondere Regeln. Lieferungen an Unternehmen innerhalb der EU sind unter bestimmten Voraussetzungen steuerfrei, der Empfänger muss jedoch den Erwerb bei sich versteuern (sog. Erwerbsteuer).

Rechnungstellung und Dokumentationspflichten

Nach § 14 UStG besteht eine Pflicht zur Ausstellung ordnungsgemäßer Rechnungen für steuerpflichtige Umsätze an andere Unternehmer. Eine ordnungsgemäße Rechnung muss unter anderem folgende Angaben enthalten: Name und Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers, Steuernummer bzw. Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, Rechnungsnummer, Zeitpunkt der Lieferung oder Leistung, Entgelt und Steuerbetrag.

Sanktionen und Folgen bei Verstößen

Verstöße gegen die umsatzsteuerlichen Pflichten (Nichtabgabe, verspätete Abgabe oder fehlerhafte Angaben) können zu Steuerfestsetzungen, Verspätungszuschlägen, Zinsen und im Einzelfall auch zu strafrechtlichen Konsequenzen führen (§§ 26a, 26c UStG; §§ 370, 378 AO).

Mehrwertsteuer im internationalen Kontext

Umsatzsteuer im EU-Binnenmarkt

Die Umsatzsteuer ist innerhalb der Europäischen Union harmonisiert. Dies betrifft insbesondere die Regelungen zu innergemeinschaftlichen Lieferungen, Leistungen sowie das Vorsteuervergütungsverfahren für ausländische Unternehmer.

Umsatzsteuer bei Drittlandsgeschäften

Bei Geschäften mit Drittländern (außerhalb der EU) kommt es auf die Einfuhrumsatzsteuer und die Ausfuhrlieferungen nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 4, 6 UStG an. Gemeinhin sind die Ausfuhren steuerfrei, die Einfuhr hingegen grundsätzlich steuerpflichtig.

Besteuerung von sonstigen Leistungen (Dienstleistungen)

Das Umsatzsteuerrecht unterscheidet zwischen Lieferungen und sonstigen Leistungen. Für grenzüberschreitende Dienstleistungen gelten besondere Ortsbestimmungsregeln (§§ 3a, 3b UStG). Dabei ist zu ermitteln, ob die Leistung im Inland, innergemeinschaftlich oder im Drittland erbracht wird und wo sie zu versteuern ist.

Literaturhinweise und weiterführende Gesetzestexte

  • Umsatzsteuergesetz (UStG)
  • Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie)
  • Abgabenordnung (AO)
  • Bundesfinanzministerium: Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE)
  • BMF-Schreiben zur Mehrwertsteuer

Zusammenfassung:
Die Mehrwertsteuer ist eine bedeutende Verbrauchsteuer mit komplexen gesetzlichen Vorgaben auf nationaler und europäischer Ebene. Sie stellt eine essentielle Finanzierungsquelle für den Staat dar und erfasst nahezu sämtliche Umsätze im Waren- und Dienstleistungsverkehr. Die Kenntnis der umsatzsteuerlichen Pflichten, Rechte und Ausnahmen ist für Unternehmen unerlässlich, um sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich compliant zu agieren.

Häufig gestellte Fragen

Wann entsteht die Umsatzsteuerschuld nach deutschem Recht?

Die Entstehung der Umsatzsteuerschuld richtet sich in Deutschland nach den gesetzlichen Vorgaben im Umsatzsteuergesetz (§ 13 UStG). Grundsätzlich entsteht die Umsatzsteuer mit Ausführung der Leistung, das bedeutet, wenn ein Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung an den Leistungsempfänger erbringt. Bei der sogenannten Soll-Besteuerung, die den Regelfall darstellt, ist sowohl für Lieferungen als auch für sonstige Leistungen der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Leistung abgeschlossen ist – unabhängig davon, wann die Rechnung gestellt oder das Entgelt vereinnahmt wird. Bei der Ist-Besteuerung, die auf Antrag für kleinere Unternehmen und unter bestimmten Voraussetzungen gilt, entsteht die Steuerschuld jedoch erst mit Vereinnahmung des Entgelts. Zu beachten ist, dass für bestimmte Umsätze, wie etwa Anzahlungen oder Leistungen im Zusammenhang mit Grundstücken, abweichende Regelungen gelten können, die ebenfalls im UStG geregelt sind.

Welche Voraussetzungen müssen für den Vorsteuerabzug erfüllt sein?

Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist, dass der Unternehmer selbst zum Vorsteuerabzug berechtigt ist – also eine zum Vorsteuerabzug berechtigte unternehmerische Tätigkeit ausführt – und dass für empfangene Lieferungen oder Leistungen ordnungsgemäße Rechnungen im Sinne des § 14 UStG vorliegen. Die Rechnung muss spezifische Pflichtangaben enthalten, wie Name und Anschrift des leistenden Unternehmers und Leistungsempfängers, eine fortlaufende Rechnungsnummer, das Ausstellungsdatum, Menge und Art der gelieferten Gegenstände oder Umfang und Art der sonstigen Leistungen, den Zeitpunkt der Lieferung oder Leistung, das Entgelt sowie den darauf entfallenden Steuerbetrag und den Steuersatz. Weiterhin muss die Leistung tatsächlich für das Unternehmen bezogen worden sein und für dessen unternehmerische Zwecke eingesetzt werden. Der Vorsteuerabzug ist grundsätzlich im Zeitraum der Rechnungsausstellung und im Empfangsmonat bzw. der Voranmeldung möglich.

Wie werden steuerfreie Umsätze behandelt und welche Pflichten entstehen dabei?

Steuerfreie Umsätze nach deutschem Umsatzsteuerrecht sind im § 4 UStG abschließend aufgeführt. Dabei handelt es sich beispielsweise um bestimmte Leistungen im Gesundheitswesen, Vermietungen und Verpachtungen oder Exportlieferungen in Drittländer. Für steuerfreie Umsätze entfällt die Verpflichtung zur Abführung von Umsatzsteuer; allerdings ist meist auch der damit verbundene Vorsteuerabzug für bezogene Leistungen ausgeschlossen (sogenanntes Vorsteuerabzugsverbot, § 15 Abs. 2 UStG). In Ausnahmefällen können bei sogenannten „optionalen Umsatzsteuerbefreiungen“ Unternehmer auf die Steuerbefreiung verzichten (§ 9 UStG), um den Vorsteuerabzug zu sichern. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dokumentation und zum Nachweis der Steuerbefreiung, z.B. durch Ausfuhrnachweise bei Exporten oder entsprechende Nachweise im Gesundheitsbereich, besteht weiterhin.

In welchen Fällen muss bei Auslandsbeziehungen Umsatzsteuer abgeführt werden?

Ob bei grenzüberschreitenden Leistungen Umsatzsteuer in Deutschland abgeführt werden muss, richtet sich nach dem Ort der Leistung sowie der Art des Umsatzes. Für Lieferungen gilt grundsätzlich das sogenannte Bestimmungslandprinzip – das heißt, bei Lieferungen in EU-Länder an Unternehmer wird die Lieferung regelmäßig als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei gestellt, während die Besteuerung im Bestimmungsland erfolgt (Reverse Charge-Verfahren). Bei sonstigen Leistungen (Dienstleistungen) ist üblicherweise der Ort maßgeblich, an dem der Leistungsempfänger ansässig ist, sofern es sich ebenfalls um einen Unternehmer handelt (§ 3a UStG); in dieser Konstellation greift ebenfalls meist das Reverse Charge-Verfahren. Für Leistungen an Privatpersonen gilt meist das Ursprungslandprinzip. Im internationalen Warenverkehr mit Drittstaaten kommen spezielle Regelungen zu Anwendung, insbesondere die umsatzsteuerfreie Ausfuhrlieferung (§ 6 UStG). Die Abführung der Steuer erfolgt in diesen Fällen nach den jeweiligen Vorgaben des UStG, ergänzt durch europäische Mehrwertsteuerrichtlinien.

Welche Aufzeichnungspflichten bestehen im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer?

Unternehmer sind verpflichtet, sämtliche steuerlich relevanten Geschäftsvorfälle vollständig und systematisch aufzuzeichnen. Dabei sind insbesondere die Vorschriften der §§ 22 und 63 UStDV (Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung) maßgebend. Zu den Mindestaufzeichnungen zählen Angaben über die ausgeführten steuerpflichtigen und steuerfreien Umsätze, den daraus geschuldete Steuerbetrag, erhaltene Anzahlungen, vereinnahmte und verausgabte Steuerbeträge sowie die für das Unternehmen bezogenen Lieferungen und Leistungen mit den jeweiligen Vorsteuerbeträgen. Für innergemeinschaftliche Lieferungen und bestimmte grenzüberschreitende Leistungen sind spezielle Beleg- und Buchnachweise erforderlich. Diese Unterlagen sind gemäß § 147 AO mindestens zehn Jahre aufzubewahren. Fehlerhafte, lückenhafte oder verspätete Aufzeichnungen können zu Nachforderungen und Sanktionen durch die Finanzverwaltung führen.

Welche besonderen Vorschriften gelten für die Rechnungsstellung nach UStG?

Für die Ausstellung von Rechnungen gelten im deutschen Umsatzsteuerrecht umfangreiche Pflichtbestandteile, die in § 14 und § 14a UStG geregelt sind. Eine ordnungsgemäße Rechnung muss neben den vorgenannten Pflichtangaben insbesondere auch spezielle Vermerke enthalten, wenn Leistungen an Unternehmen im EU-Ausland erfolgen (Hinweis auf die Reverse-Charge-Besteuerung), oder bei Anwendung der Differenzbesteuerung oder Steuerbefreiungen. Sondervorschriften bestehen zudem für Kleinbetragsrechnungen (Beträge bis 250 Euro), bei elektronischer Rechnungsausstellung und bei Gutschriften. Werden die Vorschriften nicht eingehalten, besteht kein Anspruch auf den Vorsteuerabzug. Die Rechnung muss spätestens sechs Monate nach Ausführung der Leistung ausgestellt werden. Verstöße gegen die Rechnungspflicht können mit Bußgeldern belegt werden.