Mehrlieferung: Begriff, Einordnung und Bedeutung
Als Mehrlieferung wird die Lieferung einer größeren Menge als vertraglich vereinbart bezeichnet. Sie tritt vor allem bei Kauf- und Werklieferungsverträgen auf, wenn die gelieferte Stückzahl, das Volumen, das Gewicht oder die Länge die geschuldete Menge überschreitet. Rechtlich handelt es sich um eine Abweichung von der vereinbarten Leistung, die unterschiedliche Folgen je nach Annahme oder Zurückweisung des Überschusses haben kann.
Abgrenzung zu verwandten Konstellationen
- Minderlieferung: Lieferung einer zu geringen Menge.
- Falschlieferung: Lieferung einer anderen als der bestellten Ware.
- Teillieferung: Lieferung in mehreren Portionen, ohne dass die geschuldete Gesamtmenge überschritten wird.
- Unbestellte Lieferung: Zusendung ohne zugrunde liegenden Vertrag; hiervon zu unterscheiden ist die Mehrlieferung im Rahmen einer an sich bestellten Ware.
Rechtsfolgen der Mehrlieferung
Annahme der Mehrmenge
Nimmt die empfangende Partei die Mehrmenge an und nutzt sie, wird der Überschuss regelmäßig wie ein zusätzliches Leistungselement behandelt. Daraus folgt grundsätzlich eine Vergütungspflicht für die überzählige Menge, typischerweise nach dem vereinbarten Stück- oder Einheitspreis oder nach einer üblichen Vergütung, sofern keine ausdrückliche Preisabrede für Mehrmengen besteht. Die Gewährleistungsregeln für die Qualität der Ware gelten auch für die Mehrmenge.
Teilannahme und Zurückweisung des Überschusses
Die empfangende Partei ist berechtigt, die vereinbarte Menge anzunehmen und den Überschuss zurückzuweisen. In diesem Fall trägt regelmäßig die liefernde Partei das Risiko und die Kosten der Rücknahme sowie einer etwaigen Abholung. Für die Mehrmenge geht das Risiko grundsätzlich erst mit Annahme über; für die vereinbarte Menge gelten die allgemeinen Regeln zum Risiko- und Eigentumsübergang.
Schweigen, Verwahrung und Nutzung
Schweigen allein begründet im Regelfall keine Pflicht zur Bezahlung der Mehrmenge. Eine Nutzung, Verarbeitung oder Weiterveräußerung der Mehrmenge kann jedoch als konkludente Annahme gewertet werden, mit den entsprechenden Vergütungsfolgen. Wird der Überschuss vorübergehend verwahrt, können Ansprüche auf Ersatz notwendiger Aufwendungen in Betracht kommen, sofern eine Verwahrung im Interesse der liefernden Partei erfolgt.
Unteilbare oder schwer trennbare Lieferungen
Ist die Leistung unteilbar oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand trennbar (z. B. vordosierte Gebinde, konfektionierte Einheiten), kann die empfangende Partei unter Umständen berechtigt sein, die gesamte Lieferung zurückzuweisen. Ob eine Trennung zumutbar ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Besonderheiten nach Vertragsarten und Beteiligten
Verbraucherverträge (B2C)
Bei Verträgen mit Verbraucherinnen und Verbrauchern bestehen besondere Schutzmechanismen. Unbestellte Waren begründen grundsätzlich keine Zahlungspflicht. Ob der Mehrteil einer bestellten Lieferung als unbestellte Ware einzuordnen ist, richtet sich nach der konkreten Vertragsgestaltung. Im Fernabsatz können Widerrufsrechte eine Rolle spielen; Rückgaben von Mehrmengen werden häufig im Rahmen der allgemeinen Rückabwicklung behandelt.
Handelsgeschäfte (B2B)
Im kaufmännischen Geschäftsverkehr besteht regelmäßig eine Untersuchungs- und Rügeobliegenheit bezüglich Abweichungen in Menge und Art. Unterbleibt eine rechtzeitige Rüge, kann dies je nach Umständen dazu führen, dass die Mehrlieferung als genehmigt gilt. Die Parteien können vertraglich abweichende Toleranzen oder Abrechnungsmodalitäten (z. B. ±-Toleranzen bei Schüttgütern) vereinbaren.
Werk- und Werklieferungsverträge
Bei herzustellenden oder zu liefernden Sachen nach Maß oder Spezifikation kann eine Mehrlieferung auftreten, etwa durch produktionsbedingte Mehrstücke. Wird die Mehrmenge abgenommen, wird sie regelmäßig vergütungspflichtig. Bei individuell gefertigten Waren ist die Rückgabe des Überschusses nicht stets möglich oder zumutbar; die Einordnung hängt von der konkreten Leistungsbeschreibung ab.
Preis- und Abrechnungsfragen
Für akzeptierte Mehrmengen entsteht regelmäßig ein Vergütungsanspruch in Höhe des vereinbarten Einheitspreises oder einer marktüblichen Vergütung. Wird der Überschuss zurückgewiesen, sind Rechnungen anzupassen. Steuerlich ist zu beachten, dass die Besteuerung grundsätzlich an die tatsächlich geschuldete Gegenleistung anknüpft; verweigerte Mehrmengen sind entsprechend zu korrigieren. Versand- und Rücktransportkosten folgen der Risikoverteilung und den vertraglichen Vereinbarungen.
Gefahrtragung, Eigentum und Eigentumsvorbehalt
Beim Überschuss verbleiben Gefahr und Eigentum grundsätzlich bei der liefernden Partei, solange keine Annahme erfolgt. Wird ein Eigentumsvorbehalt vereinbart, erstreckt sich dieser regelmäßig auch auf die Mehrmenge. Bei Zurückweisung der Mehrmenge trifft die liefernde Partei die Pflicht, den Überschuss abzuholen oder eine zumutbare Rücksendemöglichkeit bereitzustellen.
Praktische Konstellationen
Stückschuld und Gattungsschuld
Bei Stückschulden (individuell bestimmte Sache) ist eine Mehrlieferung selten, kann aber etwa bei Zubehörteilen auftreten. Bei Gattungsschulden (Ware nach Art und Menge) ist die Mehrlieferung typischer. Die Rechtsfolgen richten sich in beiden Fällen nach Annahme oder Zurückweisung des Überschusses.
Automatisierte Lieferketten und E-Commerce
In automatisierten Systemen können Rundungs- oder Packeinheitslogiken zu Mehrlieferungen führen. Vertragsklauseln zu Toleranzen, Abnahme und Abrechnung der Mehrmenge sind hier üblich. Für Verbraucherbestellungen gelten ergänzend die verbraucherschützenden Informations- und Rückabwicklungsregeln.
Abgrenzung zur unbestellten Lieferung
Unbestellte Lieferungen erfolgen ohne zugrunde liegenden Vertrag und lösen regelmäßig keine Zahlungspflicht aus. Die Mehrlieferung ist hiervon zu unterscheiden, da sie an eine bestehende Bestellung anknüpft. Ob der Überschuss als unbestellte Ware zu behandeln ist, hängt von der vertraglichen Einordnung und der Trennbarkeit der Mehrmenge ab.
Häufig gestellte Fragen
Ist die empfangende Partei verpflichtet, eine Mehrlieferung anzunehmen?
Eine Verpflichtung zur Annahme besteht grundsätzlich nur in Höhe der vereinbarten Menge. Der Überschuss kann zurückgewiesen werden, sofern keine abweichenden Vereinbarungen bestehen.
Muss die Mehrmenge bezahlt werden, wenn sie genutzt oder weiterverarbeitet wird?
Wird die Mehrmenge genutzt, verarbeitet oder weiterveräußert, gilt dies regelmäßig als konkludente Annahme. Daraus folgt üblicherweise eine Vergütungspflicht nach dem vereinbarten oder üblichen Einheitspreis.
Wer trägt die Kosten für Rücktransport oder Abholung des Überschusses?
Bei berechtigter Zurückweisung des Überschusses trägt regelmäßig die liefernde Partei die Kosten und das Risiko der Rückführung. Abweichendes kann sich aus vertraglichen Regelungen oder Branchengepflogenheiten ergeben.
Welche Rolle spielt die Untersuchungs- und Rügeobliegenheit im Geschäftsverkehr?
Zwischen Kaufleuten besteht gewöhnlich die Pflicht, Lieferungen zeitnah zu prüfen und Abweichungen, einschließlich Mehrmengen, anzuzeigen. Unterbleibt eine rechtzeitige Rüge, kann die Lieferung als genehmigt gelten.
Wie wird die Mehrmenge abgerechnet, wenn kein Einheitspreis vereinbart ist?
Fehlt eine ausdrückliche Preisabrede für Mehrmengen, kommt regelmäßig eine übliche Vergütung in Betracht. Maßgeblich sind dann Marktpreise und branchenübliche Sätze.
Kann eine unteilbare Mehrlieferung vollständig zurückgewiesen werden?
Ist eine Trennung der Mehrmenge objektiv nicht möglich oder unzumutbar, kann die vollständige Zurückweisung in Betracht kommen. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls und die Zumutbarkeit der Trennung.
Gilt der Überschuss als unbestellte Ware?
Der Überschuss ist Teil einer bestellten Lieferung und daher nicht ohne Weiteres als unbestellte Ware einzuordnen. Ob besondere Schutzregeln für unbestellte Waren eingreifen, hängt von der vertraglichen Einordnung und der Selbstständigkeit der Mehrmenge ab.