Begriff und rechtliche Einordnung der Mehrheit von Schädigern
Die Mehrheit von Schädigern bezeichnet im rechtlichen Kontext eine Konstellation, bei der mehrere Personen für einen einheitlichen Schadenseintritt verantwortlich gemacht werden können. Der Begriff ist insbesondere im Schadensersatzrecht von zentraler Bedeutung und findet sich in verschiedenen gesetzlichen Regelungen, etwa im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) der Bundesrepublik Deutschland sowie in weiteren europäischen und internationalen Rechtsordnungen. Die rechtlichen Folgen für die beteiligten Schädiger sowie für den Geschädigten sind tiefgreifend und prägen die Geltendmachung sowie die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen maßgeblich.
Rechtsgrundlagen
Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
Im deutschen Recht ist die Mehrheit von Schädigern insbesondere in den §§ 830 bis 840 BGB geregelt. Die gesetzlichen Vorschriften differenzieren dabei zwischen verschiedenen Formen des Zusammenwirkens mehrerer Schädiger und ordnen spezifische Rechtsfolgen, insbesondere im Hinblick auf die Innen- und Außenhaftung, an.
- § 830 BGB (Mittäter und Beteiligte): Regelt die Verantwortlichkeit bei gemeinschaftlicher Begehung einer unerlaubten Handlung.
- §§ 840 ff. BGB (Gesamtschuld): Begründen die gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Schadensverursacher.
Anwendbarkeit auf weitere Rechtsgebiete
Die Mehrheit von Schädigern spielt nicht nur im Deliktsrecht (unerlaubte Handlung) eine Rolle, sondern entfaltet auch Wirkung im Kontext der vertraglichen Haftung sowie im Bereich des Umwelthaftungsrechts, Produkthaftungsrechts oder Schadensersatzansprüchen aus besonderen Gesetzeswerken.
Formen der Mehrheit von Schädigern
Mittäterschaft und Beteiligung
Die Mithaftung mehrerer Schädiger setzt ein Zusammenwirken voraus, das in Form gemeinschaftlichen Handelns (§ 830 Abs. 1 Satz 1 BGB) oder Beihilfe (§ 830 Abs. 2 BGB) ausgestaltet sein kann. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Mittätern, Anstiftern und Gehilfen.
Mittäter handeln bewusst und gewollt arbeitsteilig zusammen, während Anstifter oder Gehilfen durch Anregen bzw. Unterstützung eine Begehung durch den Haupttäter ermöglichen oder fördern.
Unabhängige, aber kumulative Schädigung
Auch ohne gemeinsames oder abgestimmtes Vorgehen können mehrere Personen einen Schaden verursachen. Entscheidend ist, dass der Schaden auf das Zusammenwirken der Handlungen zurückzuführen ist (beispielsweise bei mehreren Straßenverkehrsunfällen, die kurz aufeinanderfolgend denselben Schaden bewirken).
Rechtsfolgen der Mehrheit von Schädigern
Außenverhältnis: Gesamtschuldnerische Haftung
Im Verhältnis zum Geschädigten haften mehrere Schädiger regelmäßig als Gesamtschuldner (§ 421 BGB i.V.m. § 840 BGB). Dies bedeutet, dass der Geschädigte jeden Schädiger in Anspruch nehmen und von diesem die vollständige Schadensbegleichung verlangen kann. Der in Anspruch genommene Schädiger kann anschließend im Innenverhältnis Ausgleich von den weiteren Verantwortlichen verlangen.
Innenverhältnis: Ausgleichsansprüche
Im Innenverhältnis zwischen den Schädigern bestimmt sich die Belastung nach dem Maß der jeweiligen Verursachungs- und Verschuldensanteile (§ 426 BGB). Kann der Anteil eines einzelnen Schädigers nicht festgestellt werden, so erfolgt üblicherweise eine Aufteilung zu gleichen Teilen. Sonderregelungen können durch Individualvereinbarungen oder spezifische gesetzliche Regelungen existieren.
Kausalitätsfragen und Beweislast
Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten
Insbesondere bei mehreren Schädigern stellt sich häufig das Problem der Feststellung des konkreten Verursachers. Das Gesetz berücksichtigt diese Situation in § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB: Kann nicht festgestellt werden, welcher von mehreren potentiellen Schädigern den Schaden verursacht hat, so haften alle Beteiligten gesamtschuldnerisch, sofern sie bei einer gefahrgeneigten Tätigkeit gemeinsam gehandelt haben.
Voraussetzungen für eine Haftungsmehrheit
Eine Mehrheit von Schädigern liegt vor, wenn mehrere Personen durch eine oder mehrere Handlungen für den Schaden verantwortlich gemacht werden können und die jeweilige Restwahrscheinlichkeit für eine einzelne Schädigung nicht ausgeschlossen werden kann. Voraussetzung ist ferner, dass die gesetzlichen Haftungsvoraussetzungen jeder einzelnen Person erfüllt sind (insbesondere kausales Verhalten, Rechtswidrigkeit und Verschulden bei Deliktsansprüchen).
Abgrenzungen und Sonderfälle
Alternative Kausalität
Eine Sonderform stellt die sogenannte alternative Kausalität dar. Hierbei ist unklar, welcher von mehreren Schädigern den Schaden tatsächlich verursacht hat, beide Handlungen jedoch grundsätzlich schadensgeeignet waren (klassisches Beispiel: Zwei Jäger schießen gleichzeitig, nur eine Kugel trifft). Auch in diesen Konstellationen ordnet das Gesetz in der Regel eine gesamtschuldnerische Haftung an.
Kumulative und überholende Kausalität
Bei der kumulativen Kausalität führen mehrere voneinander unabhängige Handlungen gemeinsam zum Schaden. Bei der überholenden Kausalität wird ein drohender Schaden durch eine weitere Handlung letztlich tatsächlich herbeigeführt.
Bedeutung in der Praxis
Die rechtliche Konstruktion der Mehrheit von Schädigern hat erhebliche praktische Bedeutung, insbesondere durch die Möglichkeit des Geschädigten, einzelne Schädiger gezielt und vollständig in Anspruch zu nehmen sowie durch die interne Verteilung des Schadensausgleichs. Die Regelungen dienen dem Opferschutz und der effektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.
Internationale Betrachtung
Auch in anderen Rechtsordnungen ist die Haftung mehrerer Schädiger anerkannt, wenn auch mit teils abweichenden Rechtsfolgen hinsichtlich des Umfangs der Haftung oder der Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis. Im europäischen Deliktsrecht und im internationalen Privatrecht werden vergleichbare Prinzipien angewendet, insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten.
Literatur und Rechtsprechung
Deutsche Gerichte, insbesondere der Bundesgerichtshof (BGH), haben zahlreiche Grundsatzentscheidungen zur Mehrheit von Schädigern getroffen und dabei die Grundsätze der Haftung, Ausgleichsansprüche und Beweislastverteilung weiterentwickelt.
Zusammenfassung
Die Mehrheit von Schädigern bildet einen komplexen, rechtlich stark ausdifferenzierten Bereich des Schadensersatzrechts. Die Regelungen dienen sowohl dem Schutz des Geschädigten als auch der gerechten Lastenverteilung unter den Beteiligten. Insgesamt handelt es sich um eine zentrale Struktur im Haftungsrecht, die für zahlreiche praktische Konstellationen von Bedeutung ist und deren Grundsätze sowohl in der Dogmatik als auch in der Anwendung von Gerichten fortlaufend präzisiert werden.
Häufig gestellte Fragen
Wer trägt die Beweislast bei Ansprüchen gegen mehrere Schädiger?
Im Kontext der Mehrheit von Schädigern trägt grundsätzlich der Geschädigte die Beweislast für das Vorliegen eines rechtswidrigen und schuldhaften Verhaltens jedes einzelnen Schädigers sowie für die Ursächlichkeit (Kausalität) zwischen dem schädigenden Verhalten und dem eingetretenen Schaden. Allerdings können sich im Einzelfall Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten ergeben – vor allem dann, wenn zwischen mehreren Schädigern arbeitsteilige Handlungen vorliegen oder die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB erfüllt sind (Beispiel: sogenannte „Alternativkausalität“). In diesem Fall reicht es aus, dass der Geschädigte nachweist, dass der Schaden durch eine Handlung aus dem Kreis der Beteiligten entstanden ist. Wer sodann nicht beweisen kann, dass gerade sein Verhalten keine Ursache gesetzt hat, haftet gesamtschuldnerisch mit den anderen Schädigern. Diese Beweiserleichterung dient dem Opferschutz und stellt eine durch das Gesetz vorgesehene Abweichung von den allgemeinen Beweislastregeln dar.
Wie erfolgt die Haftungsverteilung unter mehreren Schädigern?
Die Haftungsverteilung unter mehreren Schädigern erfolgt nach § 421 BGB grundsätzlich nach den Regeln der Gesamtschuld. Das bedeutet, dass der Geschädigte jeden Schädiger einzeln oder alle gemeinsam auf den vollen Schadensbetrag in Anspruch nehmen kann. Die Schädiger haften dem Geschädigten gegenüber also solidarisch. Im Innenverhältnis – also zwischen den Schädigern selbst – richtet sich die Verteilung des Schadensersatzes nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Grad des Verschuldens (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB). Wer beispielsweise ein höheres Verschulden trägt, muss anteilig mehr Ersatz leisten als ein Mitbeteiligter mit geringerem Verschulden. Kann das Verschulden nicht festgestellt werden oder wiegt es gleich schwer, so erfolgt die Haftung im Zweifel zu gleichen Teilen.
Welche Rolle spielt die Gesamtschuld bei mehreren Schädigern?
Die Gesamtschuld bedeutet im Kontext mehrerer Schädiger, dass der Geschädigte berechtigt ist, von jedem Schädiger den gesamten Schaden zu fordern, bis er vollständig ausgeglichen ist (§ 421 BGB). Dies verschafft dem Geschädigten einen besonderen Schutz, da er nicht selbst das Risiko der Insolvenz oder Zahlungsunfähigkeit eines Schädigers tragen muss. Derjenige Schädiger, der an den Geschädigten gezahlt hat, kann anschließend im Innenausgleich (§ 426 BGB) von den Mitschädigern den auf sie entfallenden Anteil zurückverlangen. Die Details des Ausgleichs richten sich nach Maßgabe des jeweiligen Tatbeitrags und des Grades des Verschuldens.
Was passiert, wenn einer der Schädiger minderjährig oder deliktsunfähig ist?
Ist einer der Schädiger minderjährig oder aus anderen Gründen deliktsunfähig (§§ 827, 828 BGB), so kann er im Außenverhältnis gegenüber dem Geschädigten unter Umständen gleichwohl als Gesamtschuldner haften, etwa nach den Grundsätzen der Haftung für die Überwachungspflicht (§ 832 BGB) oder bei sog. Aufsichtspflichtverletzungen. Im Innenverhältnis trägt jedoch die Verantwortung überwiegend die aufsichtspflichtige Person. Ist der Deliktsunfähige für den eingetretenen Schaden nicht verantwortlich, kann der geschädigte Dritte seine Ansprüche in der Regel nur gegen die übrigen, deliktsfähigen Schädiger geltend machen. Die Haftungsanteile verschieben sich dementsprechend.
Gibt es Besonderheiten, wenn die Schädiger nur fahrlässig gehandelt haben?
Auch bei nur fahrlässigen Handlungen mehrerer Schädiger greift die gesamtschuldnerische Haftung, solange die Voraussetzungen einer gemeinschaftlichen Schädigung gemäß § 830 Abs. 1 BGB vorliegen. Die Fahrlässigkeit muss dabei jedoch für jeden Schädiger individuell nachgewiesen werden. Der Innenausgleich richtet sich auch hier nach dem Verschuldensgrad (§ 426 BGB): Hat zum Beispiel ein Beteiligter grob fahrlässig gehandelt, der andere jedoch nur leicht fahrlässig, so kann dies einen höheren Erstattungsanspruch im Innenverhältnis begründen.
Welche Bedeutung hat der Regress im Innenverhältnis zwischen mehreren Schädigern?
Der Regress im Innenverhältnis (§ 426 BGB) ist von erheblicher Bedeutung, da er die Rückausgleichsansprüche zwischen den Schädigern regelt. Hat ein Schädiger dem Geschädigten den gesamten Schaden bezahlt, kann er von den anderen Schädigern deren anteilige Haftung im Innenverhältnis einfordern. Maßgeblich für die Höhe des jeweiligen Anteils sind insbesondere Umfang und Gewicht des jeweiligen Tatbeitrags und Verschuldensgrades. Kommt es zwischen den Schädigern zum Streit über die Beteiligungsquote, entscheidet im Zweifelsfall das Gericht über die angemessene Verteilung.
Wie wirkt sich eine Mitverursachung des Geschädigten bei einer Mehrheit von Schädigern aus?
Hat der Geschädigte den Schaden mitverursacht, ist dies bei der Bemessung des Ersatzanspruchs nach § 254 BGB zu berücksichtigen. Die Mithaftung des Geschädigten führt dazu, dass die Haftungsquote der Gesamtschuldner entsprechend gemindert wird. Im Verhältnis unter den Schädigern führt die Mitverursachung durch den Geschädigten zu einer anteiligen Reduzierung des Gesamtanspruchs, ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen gesamtschuldnerischen Außenhaftung gegenüber dem Geschädigten. Die genaue Verteilung richtet sich auch hier nach den Umständen des Einzelfalls.