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Medizinprodukte


Begriffsbestimmung und rechtliche Grundlagen von Medizinprodukten

Definition und Abgrenzung

Medizinprodukte sind gemäß europäischer und nationaler Gesetzgebung Produkte, die zur medizinischen Anwendung bestimmt sind und deren Hauptwirkung nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch erzielt wird, sondern primär durch physikalische oder mechanische Wirkungsweisen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln entfalten Medizinprodukte keine primäre biochemische Wirkweise. Zu den Medizinprodukten zählen unter anderem Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Materialien und andere Gegenstände, die für diagnostische, therapeutische oder unterstützende Zwecke in der Humanmedizin eingesetzt werden.

Europarechtliche Grundlagen: Medizinprodukteverordnung (EU) 2017/745 (MDR)

Die zentrale Rechtsgrundlage auf europäischer Ebene bildet die Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation – MDR). Sie trat am 26. Mai 2021 in Kraft und gilt unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Ziel der MDR ist die Harmonisierung der Anforderungen an Sicherheit und Leistungsfähigkeit sowie die Stärkung der Patientensicherheit in der Europäischen Union. Sie ersetzt die vorherigen Richtlinien (Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte und 90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte).

Anwendungsbereich der MDR

Die MDR regelt das Inverkehrbringen, die Inbetriebnahme und die Überwachung von Medizinprodukten. Betroffen sind Hersteller, Händler, Importeure und Benannte Stellen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums. Von der MDR erfasste Produktgruppen umfassen:

  • Medizinische Instrumente (z. B. Skalpelle)
  • Implantate (z. B. Herzschrittmacher)
  • Diagnostische Geräte (z. B. Röntgengeräte)
  • Software mit medizinischer Zweckbestimmung (z. B. Apps zur Überwachung von Vitalparametern)

Sonderregelungen bestehen unter anderem für Sonderanfertigungen, Produkte zur Forschung und für Medizinprodukte zur Eigenanwendung.

Nationale Rechtsgrundlagen: Medizinproduktegesetz (MPG) und Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG)

Mit der Anwendung der MDR wurden nationale Regelungen größtenteils in nachgeordnetes Recht und ergänzende Vorschriften überführt. In Deutschland wird das Medizinprodukterecht insbesondere durch das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPDG) ergänzt. Das frühere Medizinproduktegesetz (MPG) gilt weitgehend nur noch für Übergangsfristen und spezielle Regelungen.

Das MPDG regelt unter anderem nationale Zuständigkeiten der Behörden, das Meldewesen bei Vorkommnissen, die Überwachung des Marktes sowie den Umgang mit Altprodukten im Gesundheitswesen.


Einteilung und Klassifizierung von Medizinprodukten

Klassifizierung nach Risikogruppen

Die MDR schreibt eine Einteilung der Medizinprodukte in vier Risikoklassen vor:

  • Klasse I: Produkte mit geringem Risiko (z. B. Verbandsmaterial)
  • Klasse IIa: Produkte mit mittlerem Risiko (z. B. Zahnarztbohrer)
  • Klasse IIb: Produkte mit erhöhtem Risiko (z. B. Infusionspumpen)
  • Klasse III: Produkte mit höchstem Risiko (z. B. Herzklappen, implantierbare Geräte)

Die Zuordnung erfolgt anhand der beabsichtigten Zweckbestimmung, der Art der Anwendung (invasiv, implantierbar) und der Verweildauer im Körper des Menschen. Die Risikoklasse bestimmt das Umfang der Konformitätsbewertung und die einzubindende Benannte Stelle.

Sonderkategorien

Nicht alle Produkte unterliegen denselben Vorgaben. Für In-vitro-Diagnostika wurde mit der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) ein separates Regelwerk eingeführt. Sonderanfertigungen und Forschungsprodukte werden durch spezifische Artikel genannt und unterliegen erleichterten Vorschriften.


Anforderungen an das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme

Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung

Vor dem Inverkehrbringen müssen Medizinprodukte eine Konformitätsbewertung durchlaufen. Je nach Risikoklasse ist dabei zusätzlich eine Benannte Stelle (zertifizierte Prüforganisation) einzubinden. Im Rahmen der Konformitätsbewertung wird geprüft, ob das Produkt alle grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen der MDR erfüllt.

Nach erfolgreicher Konformitätsbewertung bringt der Hersteller die CE-Kennzeichnung an. Die CE-Kennzeichnung stellt die formale Marktzulassung für das gesamte Europäische Wirtschaftsgebiet dar und signalisiert die Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen.

Technische Dokumentation und Rückverfolgbarkeit

Hersteller sind verpflichtet, eine technische Dokumentation zu führen, in der sämtliche Informationen zu Konstruktion, Herstellung, Prüfungen und Risikoanalysen enthalten sein müssen. Darüber hinaus sorgt die MDR für eine umfassende Rückverfolgbarkeit: Medizinprodukte müssen eine eindeutige Produktidentifikation (Unique Device Identification, UDI) tragen.

Pflichten für Wirtschaftsakteure

Die MDR regelt nicht nur die Pflichten für Hersteller, sondern auch für Importeure und Händler. Sie sind verpflichtet, die Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben durch den Hersteller zu überprüfen und gegebenenfalls zu dokumentieren. Sorgfaltspflichten bestehen beim Umgang mit Reklamationen, Rückrufen und Sicherheitskorrekturmaßnahmen.


Marktüberwachung und Vigilanzsystem

Frühwarnsystem und Meldung von Vorkommnissen

Zur Stärkung der Patientensicherheit sieht die MDR ein verpflichtendes Vigilanzsystem vor. Hersteller und andere Wirtschaftsakteure sind verpflichtet, schwerwiegende Vorkommnisse (z. B. Produktfehler mit Patientengefährdung) sowie Sicherheitskorrekturmaßnahmen unverzüglich den zuständigen Behörden zu melden. In Deutschland ist hierfür das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zentral zuständig.

Maßnahmen der Überwachungsbehörden

Die zuständigen Behörden (in Deutschland vor allem das BfArM und die Landesbehörden) verfügen über umfassende Eingriffsrechte. Diese reichen von der Anordnung von Überprüfungen über Rückrufe einzelner Produkte bis hin zu Betriebsstilllegungen bei schwerwiegenden Verstößen.


Bedeutung für Gesundheitswesen und Wirtschaft

Rolle im Gesundheitssystem

Medizinprodukte sind für Diagnose, Behandlung, Rehabilitation und Prävention unverzichtbar. Die hohe Reglementierung dient der Patientensicherheit und der Sicherung eines funktionierenden Gesundheitssystems.

Wirtschaftliche Bedeutung

Die Herstellung und der Vertrieb von Medizinprodukten stellen einen bedeutenden Wirtschaftszweig dar. Unternehmen sind verpflichtet, sowohl europäische Vorgaben als auch nationale Ausführungsbestimmungen einzuhalten. Die Einhaltung der umfangreichen Regularien ist Voraussetzung für Marktzugang, Haftungsbegrenzung und Unternehmenssicherheit.


Haftungsfragen und Sanktionen

Produkthaftung

Bei Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte gelten die allgemeinen Regeln der Produkthaftung. Nach den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes haftet der Hersteller verschuldensunabhängig für Personen- und Sachschäden, die durch ein fehlerhaftes Medizinprodukt verursacht wurden. Weiterhin können deliktsrechtliche und vertragliche Ansprüche entstehen.

Sanktionen bei Verstößen

Zuwiderhandlungen gegen die MDR und das MPDG können zu behördlichen Maßnahmen, Verkaufsverboten, Produktbeschlagnahmungen sowie zu Bußgeldern führen. Straftatbestände bestehen insbesondere bei Inverkehrbringen gefährlicher oder nicht zugelassener Medizinprodukte.


Ausblick

Mit der Einführung der MDR und der kontinuierlichen Weiterentwicklung der regulatorischen Anforderungen unterliegt der Bereich Medizinprodukte fortlaufenden Veränderungen. Hersteller, Vertreiber und Betreiber sind angehalten, ihre Prozesse und Produkte laufend an aktuelle rechtliche Vorgaben anzupassen. Ziel bleibt der bestmögliche Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Patienten und Anwendern im Gesundheitswesen.

Häufig gestellte Fragen

Wann gilt ein Produkt im rechtlichen Sinne als Medizinprodukt?

Ob ein Produkt im rechtlichen Sinne als Medizinprodukt einzustufen ist, richtet sich nach den einschlägigen gesetzlichen Definitionen, insbesondere nach der europäischen Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR). Ein Produkt gilt dann als Medizinprodukt, wenn es vom Hersteller für bestimmte medizinische Zwecke (z. B. Diagnose, Prävention, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten oder Verletzungen) vorgesehen ist und seine primäre Funktionsweise gewöhnlich nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, sondern primär physikalisch oder mechanisch erfolgt. Die rechtliche Qualifizierung ist auch dann maßgeblich, wenn das Produkt in der Praxis anders verwendet wird, sofern die Zweckbestimmung des Herstellers klar ist. Diese Einordnung hat erhebliche Auswirkungen auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften, die Konformitätsbewertung, das Inverkehrbringen sowie die Überwachung nach dem Inverkehrbringen.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen an die CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten?

Die CE-Kennzeichnung ist in der MDR zwingend vorgeschrieben und kennzeichnet, dass das Produkt sämtliche zutreffenden gesetzlichen Anforderungen der europäischen Union erfüllt. Der Prozess zur Erlangung der CE-Kennzeichnung ist komplex und beinhaltet unter anderem eine klinische Bewertung, eine Risikobewertung, die Erstellung einer technischen Dokumentation sowie gegebenenfalls die Beteiligung einer Benannten Stelle, insbesondere bei Produkten der höheren Risikoklassen. Die CE-Kennzeichnung muss gut sichtbar, leserlich und dauerhaft am Produkt oder dessen Verpackung angebracht werden. Die korrekte CE-Kennzeichnung ist unbedingt erforderlich, damit das Medizinprodukt im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in Verkehr gebracht werden darf. Bei fehlender oder fehlerhafter Kennzeichnung drohen erhebliche rechtliche Konsequenzen bis hin zum Vertriebsverbot und Bußgeldern.

Welche Pflichten treffen Hersteller im Rahmen der Marktüberwachung?

Hersteller sind verpflichtet, ein aktives und systematisches Verfahren zur Marktüberwachung (Post-Market Surveillance, PMS) zu betreiben, das in der MDR detailliert geregelt ist. Hierzu zählt die Sammlung und Auswertung von Informationen über die Erfahrungen mit dem Produkt im realen Einsatz, das Risikomanagement und gegebenenfalls die Einleitung von Korrektur- oder Rückrufmaßnahmen. Die Hersteller müssen ein PMS-System einrichten und dokumentieren, regelmäßig Berichte (wie den Periodic Safety Update Report, PSUR) erstellen sowie schwerwiegende Vorkommnisse und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld an die zuständigen Behörden melden. Die Einhaltung dieser Pflichten ist essenziell, um die fortlaufende Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Medizinprodukte während ihres gesamten Lebenszyklus sicherzustellen.

Wie werden Medizinprodukte rechtlich klassifiziert und welche Auswirkungen hat die Klassifizierung?

Die Klassifizierung von Medizinprodukten erfolgt nach dem Risiko, das sie für Patienten und Anwender darstellen, und ist in Anhang VIII der MDR ausführlich geregelt. Die Klassen reichen von Klasse I (geringes Risiko) bis Klasse III (höchstes Risiko). Die Einstufung basiert auf objektiven Kriterien wie der Dauer und dem Ort der Anwendung, der Invasivität des Produktes und dessen Wirkungsweise. Die rechtliche Klassifizierung bestimmt maßgeblich den Umfang der notwendigen Konformitätsbewertungsverfahren, den Einbezug einer Benannten Stelle sowie die zu führende technische Dokumentation und Überwachung. Ein Fehlklassifizierung kann haftungsrechtliche, aufsichtsrechtliche und vertriebsrechtliche Konsequenzen haben.

Welche rechtlichen Anforderungen gelten im Zusammenhang mit der klinischen Bewertung von Medizinprodukten?

Hersteller sind verpflichtet, für jedes Medizinprodukt eine systematische klinische Bewertung durchzuführen, um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit des Produkts zu belegen. Diese Bewertung muss alle verfügbaren klinischen Daten einschließen, welche durch systematische Literaturrecherche, klinische Prüfungen oder aus Erfahrungen mit vergleichbaren Produkten gewonnen werden können. Die Regularien der MDR stellen hierfür umfassende Anforderungen an Methodik, Dokumentation und regelmäßige Aktualisierung der klinischen Bewertung. Die Benannten Stellen prüfen im Rahmen der Konformitätsbewertung besonders die klinische Bewertung. Bei mangelhafter oder unvollständiger klinischer Bewertung kann die Zulassung eines Produktes versagt oder zurückgenommen werden.

Welche rechtlichen Pflichten bestehen für Wirtschaftsakteure wie Importeure und Händler von Medizinprodukten?

Neben Herstellern unterliegen auch Importeure und Händler spezifischen gesetzlichen Anforderungen nach der MDR. Importeure müssen insbesondere prüfen, ob das Produkt korrekt gekennzeichnet ist, mit einer vollständigen EU-Konformitätserklärung ausgeliefert wurde und die notwendigen Unterlagen vorliegen. Sie sind außerdem verpflichtet, bei Verdacht auf Nichtkonformität oder Risiken die nationalen Behörden zu informieren und gegebenenfalls für Rückrufmaßnahmen zu sorgen. Händler wiederum müssen sicherstellen, dass Lagerungs- und Transportbedingungen eingehalten werden und sie keine Produkte handeln, die offensichtlich nicht regelkonform sind. Bei Verstößen drohen diesen Akteuren Vertriebsverbote und zivil- sowie strafrechtliche Sanktionen.

Wie wird die Verantwortlichkeit für Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte rechtlich geregelt?

Die Haftung für Schäden durch fehlerhafte Medizinprodukte richtet sich insbesondere nach dem Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) sowie den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften. Ein Hersteller haftet verschuldensunabhängig, wenn durch einen Fehler seines Produkts ein Personen- oder Sachschaden entsteht. Fehler können sich auf Konzeption, Fabrikation oder Instruktion beziehen. Auch Importeure und bestimmte Händler können unter bestimmten Voraussetzungen haftbar gemacht werden, etwa wenn sie als Hersteller auftreten oder die Herstelleridentität nicht nachvollziehbar ist. Die Beweislast für das Vorliegen eines Fehlers und den Kausalzusammenhang liegt grundsätzlich beim Geschädigten, wobei bei spezifischen Pflichtverletzungen auch eine Umkehr der Beweislast in Betracht kommt.