Maßregelungsverbot
Das Maßregelungsverbot stellt einen zentralen Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts dar und schützt Beschäftigte vor Benachteiligungen infolge der Wahrnehmung ihrer Rechte. Das Verbot gilt als Ausdruck des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes und ist insbesondere in verschiedenen Gesetzen verbindlich geregelt. Ziel des Maßregelungsverbots ist es, die Ausübung gesetzlich verankerter Rechte seitens der Arbeitnehmer ohne Angst vor negativen Konsequenzen durch den Arbeitgeber zu ermöglichen.
Gesetzliche Verankerung des Maßregelungsverbots
Maßregelungsverbot im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
Das Maßregelungsverbot ist normativ insbesondere in § 612a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) geregelt. Dieser Paragraf bestimmt, dass ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb benachteiligen darf, weil dieser Rechte ausübt, die ihm nach Gesetz, Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Individualarbeitsvertrag zustehen. Hintergrund dieses Verbots ist der Schutz der Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und die Absicherung ihrer Rechtsausübung.
Weitere Maßregelungsverbote im Arbeitsrecht
Neben § 612a BGB enthalten auch weitere Gesetze besondere Maßregelungsverbote. Hierzu zählen unter anderem das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und das Mutterschutzgesetz (MuSchG). Sie enthalten jeweils spezifische Bestimmungen, die Arbeitnehmergruppen oder Einzelpersonen vor Benachteiligung und Sanktionen infolge rechtmäßigen Verhaltens schützen.
Inhalt und Anwendungsbereich des Maßregelungsverbots
Voraussetzungen des Maßregelungsverbots
Das Maßregelungsverbot greift immer dann, wenn ein Arbeitnehmer im Zusammenhang mit der Ausübung eines ihm zustehenden Rechts eine Schlechterstellung erfährt. Voraussetzung hierfür ist:
- Rechtsausübung: Der Arbeitnehmer übt tatsächlich ein Recht aus, das auf einem Gesetz, Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einem Arbeitsvertrag beruht.
- Benachteiligung: Als Folge dieser Ausübung erfährt er eine Benachteiligung.
- Kausalzusammenhang: Zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen; die Benachteiligung muss also gerade wegen der Wahrnehmung des geschützten Rechts erfolgen.
Ein klassisches Beispiel ist die Benachteiligung eines Arbeitnehmers, der sein Recht auf Elternzeit nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) wahrnimmt und daraufhin vom Arbeitgeber versetzt oder bei der Beförderung übergangen wird.
Arten von Benachteiligungen
Benachteiligungen im Sinne des Maßregelungsverbots können vielfältige Formen annehmen. Sie reichen von einer Abmahnung, Versetzung, Herabsetzung des Arbeitsentgelts, Nichtbeförderung, Änderung der Arbeitsaufgaben bis hin zu einer (ordentlichen oder außerordentlichen) Kündigung allein wegen der rechtmäßigen Rechtsausübung.
Das Maßregelungsverbot schützt vor allen Nachteilen, die ohne sachlichen Grund als Reaktion auf die Ausübung legitimer Rechte erfolgen.
Schutzbereich des Maßregelungsverbots
Geschützte Personen
Das Maßregelungsverbot schützt grundsätzlich alle Arbeitnehmer. Erfasst sind sämtliche Arbeitnehmergruppen, unabhängig von der Art des Arbeitsverhältnisses, also auch Teilzeitbeschäftigte, Minijobber oder Auszubildende. Ebenso genießen Mitglieder betrieblicher Arbeitnehmervertretungen, wie Betriebsratsmitglieder oder Jugend- und Auszubildendenvertreter, Schutz nach besonderen Maßregelungsverboten in spezialgesetzlichen Regelungen.
Typische Anwendungsfälle
Zu den typischen Anwendungsfällen zählen insbesondere:
- Wahrnehmung von Beteiligungsrechten: Teilnahme an Betriebsratswahlen oder Betriebsversammlungen.
- Inanspruchnahme von Schutzrechten: Mutterschutz, Elternzeit, Pflegezeit.
- Beschwerden gegen Benachteiligung oder Diskriminierung: Etwa nach dem AGG.
- Mitwirkung in Verfahren: Zeugen aussagen, Anzeige von Missständen (Whistleblowing).
- Tarifrechtliche Rechte: Wahrnehmung des Streikrechts oder Aussperrungen.
Durchsetzung des Maßregelungsverbots
Rechtsfolgen bei Verstoß
Bei einem Verstoß gegen das Maßregelungsverbot ergeben sich für den Arbeitgeber unterschiedliche Rechtsfolgen. Unzulässige Maßnahmen, beispielsweise eine Abmahnung oder Kündigung, können von den Arbeitsgerichten für unwirksam erklärt werden. Arbeitnehmer haben in diesem Fall Anspruch auf Beseitigung der Maßregelung, gegebenenfalls auch auf Schadensersatz gemäß § 280 BGB.
Beweislast und Verfahren
Im arbeitsgerichtlichen Verfahren trägt zunächst der Arbeitnehmer die Darlegungslast, glaubhaft zu machen, dass eine Maßregelung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung eines Rechts erfolgte. Der Arbeitgeber muss sodann beweisen, dass die Maßregelung aus anderen, sachlichen Gründen erfolgte.
Abgrenzungen zu anderen Schutzvorschriften
Das Maßregelungsverbot ist von anderen arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften wie dem Benachteiligungsverbot im AGG oder dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz abzugrenzen, überschneidet sich jedoch häufig materiell mit diesen Vorschriften. Während das AGG Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale wie etwa Geschlecht oder Herkunft unterbindet, schützt das Maßregelungsverbot spezifisch vor Nachteilen im Zusammenhang mit der Ausübung legitimer Rechte.
Bedeutung des Maßregelungsverbots in der Rechtsprechung
In der arbeitsgerichtlichen Praxis spielt das Maßregelungsverbot eine erhebliche Rolle. Die Gerichte prüfen regelmäßig, ob Benachteiligungen sachlich gerechtfertigt sind oder einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot darstellen. Dabei wird stets darauf abgestellt, ob ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der ausgeübten Rechtsposition und der erfolgten Maßnahme besteht.
Zweck und Ziel des Maßregelungsverbots
Der maßgebliche Zweck des Maßregelungsverbots ist die Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes für Arbeitnehmer im Betrieb. Es soll die freie und ungehinderte Ausübung der den Beschäftigten zustehenden Rechte gewährleisten, die Wahrnehmung betrieblicher Mitbestimmungsrechte fördern und den Missbrauch von Arbeitgeberpositionen unterbinden. Darüber hinaus trägt das Maßregelungsverbot zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Arbeitsleben bei.
Einordnung im deutschen Arbeitsrecht
Das Maßregelungsverbot bildet eines der grundlegenden Schutzinstrumente im deutschen Arbeitsrecht. Es betont die Bedeutung der Rechtsausübung ohne Angst vor Repressalien und steht im engen Zusammenhang mit dem Arbeitnehmerschutzsystem und demokratischen Grundprinzipien der Betriebe.
Siehe auch:
- Benachteiligungsverbot
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
- Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln das Maßregelungsverbot in Deutschland?
Das Maßregelungsverbot ist im deutschen Arbeitsrecht insbesondere in § 612a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) verankert. Ergänzende Vorschriften finden sich auch in spezialgesetzlichen Regelungen, etwa im Kündigungsschutzgesetz (KSchG) oder im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), die ähnliche Schutzzwecke verfolgen. § 612a BGB verbietet es dem Arbeitgeber, einen Arbeitnehmer wegen der zulässigen Inanspruchnahme von Rechten aus dem Arbeitsverhältnis zu benachteiligen oder zu „maßregeln“. Das Verbot richtet sich sowohl gegen unmittelbare als auch gegen mittelbare Benachteiligungen, die in Ursache und Wirkung mit der Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten stehen. Auch Kollektivvereinbarungen, z.B. Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, dürfen das Maßregelungsverbot weder einschränken noch unterlaufen. Die Vorschrift erfasst rechtsgeschäftliche, tatsächliche und auch organisatorische Maßnahmen des Arbeitgebers.
Welcher Personenkreis ist vom Maßregelungsverbot erfasst?
Das Maßregelungsverbot schützt alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unabhängig von der Art und Dauer ihres Arbeitsverhältnisses, also auch Teilzeitkräfte, befristet Beschäftigte, Auszubildende oder leitende Angestellte. Entscheidend ist, dass die betroffene Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses steht, wozu auch arbeitnehmerähnliche Personen im Sinne von § 5 Abs. 1 ArbGG zählen können. Maßgebend für den Schutz ist ferner, dass die Benachteiligung gerade aufgrund der rechtmäßigen Ausübung von Arbeitnehmerrechten erfolgt. Das Verbot richtet sich ausschließlich an den Arbeitgeber bzw. seine Erfüllungsgehilfen; Dritte außerhalb des Arbeitsverhältnisses sind nicht verpflichtet, das Maßregelungsverbot zu beachten.
Welche Handlungen oder Maßnahmen zählen zu unzulässigen Maßregelungen?
Zu unzulässigen Maßregelungen gehören alle Benachteiligungen, die im ursächlichen Zusammenhang mit der Wahrnehmung zulässiger Rechte durch den Arbeitnehmer stehen. Typische Beispiele sind die Zuweisung schlechterer Arbeitsaufgaben, die Nichtberücksichtigung bei Beförderungen, die Versagung von Fortbildungsmaßnahmen oder abweichende Behandlung bei Entgelterhöhungen. Ebenso zählen die Erteilung von Abmahnungen, Umsetzung auf einen schlechteren Arbeitsplatz, Mobbinghandlungen oder die einseitige Änderung von Arbeitsbedingungen als mögliche Maßregelungen, sofern diese als Reaktion auf die Ausübung eines Rechts – beispielsweise Geltendmachung von Urlaub, Krankmeldung oder Teilnahme an einer Betriebsratswahl – erfolgen. Die Maßnahme muss nicht ausdrücklich als Strafe bezeichnet werden; es genügt, dass sie faktisch eine nachteilige Wirkung im Zusammenhang mit der Rechtwahrnehmung entfaltet.
Was muss der Arbeitnehmer rechtlich nachweisen, um sich auf das Maßregelungsverbot zu berufen?
Im Streitfall trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die wesentlichen Tatsachen, die eine Maßregelung vermuten lassen. Das heißt, er muss darlegen, welches Recht er ausgeübt hat und zu welchem Nachteil es daraufhin gekommen ist. Für den Kausalzusammenhang zwischen Rechtwahrnehmung und Benachteiligung genügt zunächst ein Indizienbeweis, z.B. wenn die Benachteiligung unmittelbar im Anschluss an die Ausübung eines Rechts erfolgt. Der Arbeitgeber kann sich entlasten, indem er beweist, dass die Maßnahme auf sachlichen, nicht aufmaßregelnder Gründen beruht. Die Rechtsprechung verlangt eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalls; Reihenfolge, zeitlicher Zusammenhang und Beweggrund der Maßnahme sind zentrale Bewertungskriterien.
Welche rechtlichen Folgen hat ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot?
Ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot macht die Maßnahme grundsätzlich rechtswidrig und damit unwirksam – etwa im Fall der Kündigung, der Versetzung oder einer arbeitsrechtlichen Abmahnung. Der betroffene Arbeitnehmer kann deren Rücknahme, Beseitigung oder Unterlassung verlangen. Gegebenenfalls ergibt sich auch ein Anspruch auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 612a BGB, falls dem Arbeitnehmer durch die Maßregelung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist. In Einzelfällen kann auch die Einleitung eines Beschwerde- und Beteiligungsverfahrens nach dem Betriebsverfassungsgesetz oder die Einschaltung staatlicher Stellen wie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes angezeigt sein. Zudem sind Kündigungen, die gegen das Maßregelungsverbot verstoßen, in aller Regel sozial ungerechtfertigt und damit nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes angreifbar.
Unterliegt das Maßregelungsverbot Verjährungsfristen?
Das Maßregelungsverbot selbst kennt keine eigenständigen Verjährungsfristen, jedoch unterliegen daraus abgeleitete Ansprüche wie Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 195 ff. BGB. Grundsätzlich gilt hier eine dreijährige Regelverjährung, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden und der Arbeitnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Arbeitsvertragliche oder tarifliche Ausschlussfristen können die Geltendmachung weiter einschränken, weshalb Arbeitnehmer zur Wahrung ihrer Rechte vorrangig auch auf individuelle Fristsetzungen achten sollten.
Können auch Kollektivmaßnahmen des Arbeitgebers gegen das Maßregelungsverbot verstoßen?
Ja, das Maßregelungsverbot findet auch auf kollektive Maßnahmen Anwendung. Werden etwa einzelne Arbeitnehmer(-gruppen) durch eine generelle Organisationsentscheidung oder im Rahmen einer Massenentlassung gezielt wegen der Wahrnehmung ihrer Rechte benachteiligt, stellt dies einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot dar. Entscheidend ist dabei, ob die kollektive Maßnahme selektiv oder mit zielgerichtetem Bezug zur Rechtsausübung bestimmter Arbeitnehmer erfolgt. Der kollektive Charakter der Maßnahme entbindet den Arbeitgeber nicht von der Einhaltung des Maßregelungsverbots. Auch hier hat der einzelne Betroffene die Möglichkeit, sich individuell auf die Schutzfunktion des § 612a BGB zu berufen und gegebenenfalls gerichtlich gegen die Benachteiligung vorzugehen.