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Maßgeblichkeit der Handelsbilanz


Maßgeblichkeit der Handelsbilanz

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz ist ein zentrales Grundprinzip des deutschen Bilanzrechts, das die enge Verknüpfung zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz beschreibt. Nach diesem Prinzip sind die Wertansätze und Ansatzgrundsätze der Handelsbilanz grundsätzlich auch für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung maßgeblich, es sei denn, steuerliche Vorschriften bestimmen ausdrücklich etwas anderes. Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz bildet somit die Grundlage für die Erstellung der Steuerbilanz und beeinflusst maßgeblich die steuerliche Bemessungsgrundlage.

Historische Entwicklung und Rechtsgrundlagen

Ursprung im deutschen Bilanzrecht

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz beruht ursprünglich auf § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Bereits mit Einführung der steuerlichen Buchführungspflicht wurde festgelegt, dass Gewerbetreibende, die im Rahmen ihres Handelsgewerbes Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, diese Grundsätze auch bei der steuerlichen Gewinnermittlung zu berücksichtigen haben.

Aktuelle gesetzliche Regelung

Nach geltendem Recht ist § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblich:

„Für den Gewinn, der nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln ist, sind die handelsrechtlichen GoB (Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung) für den Jahresabschluss maßgebend, soweit das Steuerrecht keine abweichenden Vorschriften trifft.“

Dies wird als umgekehrte Maßgeblichkeit bezeichnet: Die steuerlichen Vorschriften können von den handelsbilanziellen Grundsätzen abweichen, jedoch gilt im Grundsatz das, was in der Handelsbilanz gilt, auch für die Steuerbilanz.

Grundprinzipien und Ausnahmen

Grundsatz der Maßgeblichkeit

Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Vermögensgegenstände, Schulden, Aufwendungen und Erträge so in der Steuerbilanz anzusetzen, wie sie zuvor in der Handelsbilanz behandelt wurden. Dies gilt sowohl für den Ansatz (Ob ein Wirtschaftsgut überhaupt bilanziert wird?) als auch für die Bewertung (Mit welchem Wert wird ein Wirtschaftsgut bilanziert?).

Durchbrechung der Maßgeblichkeit

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz gilt nicht uneingeschränkt. Sie wird durch steuerliche Vorschriften durchbrochen, sobald spezielle steuerliche Ansatz- oder Bewertungsvorschriften greifen. Typische Beispiele für Durchbrechungen sind:

  • Abweichende Abschreibungsregeln: Steuerliche Vorschriften zur Abschreibung, etwa bei geringwertigen Wirtschaftsgütern (§ 6 Abs. 2 EStG) oder der degressiven und linearen AfA, können von den handelsrechtlichen Regeln abweichen.
  • Bewertungswahlrechte: In der Handelsbilanz bestehende Wahlrechte, wie das Wahlrecht zur Bildung von Rückstellungen, müssen in der Steuerbilanz meist ausgeübt werden oder sind nach steuerlichen Maßstäben nicht zulässig (§ 5 Abs. 6 EStG).
  • Ansatzverbote: Einige in der Handelsbilanz zwingend anzusetzenden Bilanzposten dürfen steuerlich gar nicht angesetzt werden (z. B. das Aktivierungsverbot für bestimmte selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens nach § 5 Abs. 2 EStG).

Umgekehrte Maßgeblichkeit

Neben der originären Maßgeblichkeit existiert das Prinzip der umgekehrten Maßgeblichkeit. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG sind steuerliche Wahlrechte und Bewertungsgebote nur dann in der Steuerbilanz wirksam, wenn sie auch in der Handelsbilanz ausgeübt wurden.

Bedeutung in der Praxis

Einfluss auf die Bilanzpolitik

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz hat erhebliche Bedeutung für die Bilanzpolitik von Unternehmen. Bilanzielle Gestaltungen im handelsrechtlichen Abschluss wirken sich direkt auf die steuerliche Gewinnermittlung aus, sofern das Steuerrecht keine abweichenden Vorschriften vorsieht. Dadurch können bestimmte Gestaltungen, z. B. Rückstellungsbildungen oder Einzelwertberichtigungen, doppelt relevant werden.

Anforderungen an die Rechnungslegung

Unternehmen, die sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich bilanzieren, müssen sicherstellen, dass die handelsbilanziellen Wertansätze und Ausübungen von Wahlrechten mit den steuerrechtlichen Vorgaben konform gehen. Die enge Verbindung beider Bilanzwerke vereinfacht einerseits die Erstellung von Jahresabschlüssen, erhöht jedoch auch die Komplexität bei der Berücksichtigung von Durchbrechungen und Besonderheiten des Steuerrechts.

Anwendungsbereich der Maßgeblichkeit

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz gilt für alle bilanzierenden Unternehmen, die nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG ihren Gewinn mittels Betriebsvermögensvergleich ermitteln. Einzelkaufleute, Personen- und Kapitalgesellschaften sind hiervon in unterschiedlichem Umfang betroffen.

Maßgeblichkeit und internationale Rechnungslegung

Abgrenzung zur internationalen Bilanzierung

Das Prinzip der Maßgeblichkeit ist ein Spezifikum des deutschen Bilanzrechts und findet bei der internationalen Rechnungslegung nach International Financial Reporting Standards (IFRS) keine Anwendung. Nach IFRS aufgestellte Abschlüsse bilden keine Grundlage für die Steuerbilanz nach deutschem Recht; auch die Maßgeblichkeit der IFRS-Bilanz ist ausdrücklich ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1a EStG).

Bedeutung für kapitalmarktorientierte Unternehmen

Unternehmen, die ihren Konzernabschluss nach IFRS aufstellen, müssen ergänzend weiterhin einen HGB-Einzelabschluss erstellen, der als Grundlage für die Steuerbilanz dient. Die Steuerbemessungsgrundlage beruht nach wie vor auf der Handelsbilanz, sofern das Steuerrecht keine gesonderten Ansatz- oder Bewertungsregeln vorgibt.

Kritik und Entwicklungstendenzen

Vorteile und Nachteile des Maßgeblichkeitsprinzips

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz vereinfacht für viele Unternehmen die Erstellung der Steuerbilanz, da nicht zwei völlig getrennte Nebenrechnungen geführt werden müssen. Kritisch betrachtet wird die eingeschränkte Bilanzautonomie, da handelsrechtliche Gestaltungen unmittelbare steuerliche Auswirkungen entfalten. Zuletzt gab es weitgehendere Forderungen, Handels- und Steuerbilanz vollständig zu entkoppeln, wie es etwa in anderen Rechtsordnungen üblich ist.

Reformbestrebungen

Im Zuge der Bilanzrechtsmodernisierung (BilMoG) wurde die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für Kapitalgesellschaften in Teilen zurückgedrängt, vor allem durch die stärkere Trennung von Steuer- und Handelsbilanz und neue Bewertungsansätze im HGB. Die Grundstruktur der Maßgeblichkeit wurde jedoch nicht abgeschafft, sondern lediglich in bestimmten Teilbereichen modifiziert.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz ist ein zentrales Ordnungsprinzip im deutschen Bilanz- und Steuerrecht, das die inhaltliche und formale Verbindung zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz herstellt. Sie bleibt trotz zahlreicher Durchbrechungen und Reformen die wesentliche Grundlage für die steuerliche Gewinnermittlung von bilanzierenden Unternehmen. Ihre zukünftige Entwicklung bleibt insbesondere im Lichte zunehmender internationaler Rechnungslegung weiter von Bedeutung für Gesetzgeber und Praxis.

Weiterführende Vorschriften und Literatur

  • § 5 EStG (Einkommensteuergesetz)
  • § 238 HGB ff. (Handelsgesetzbuch)
  • Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)

Die rechtlichen Einzelheiten der Maßgeblichkeit unterliegen einer fortwährenden Entwicklung, weshalb die aktuelle Rechtslage und die einschlägige Kommentierung zu beachten sind.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz?

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz ist im deutschen Steuerrecht hauptsächlich durch § 5 Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) normiert. Dieser Paragraph regelt, dass beim Betriebsvermögen und bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich die Wertansätze, die in der Handelsbilanz gemacht werden, grundsätzlich auch für die Steuerbilanz maßgeblich sind. Ausnahmen hiervon finden sich insbesondere dann, wenn steuerliche Einzelvorschriften entgegenstehen und zwingende steuerrechtliche Vorschriften eine abweichende Bewertung oder Bilanzierung verlangen. Ergänzend zu § 5 EStG muss auch das Handelsgesetzbuch (HGB), dort vor allem die Vorschriften zur Rechnungslegung (§§ 238 ff. HGB), beachtet werden, da diese die handelsrechtliche Basis für die Erstellung der Bilanz bilden. Weiterhin sind noch außersteuerliche Vorschriften und Interpretationen der Finanzverwaltung (z.B. in den Einkommensteuer-Richtlinien und den BMF-Schreiben) relevant, sodass sich in der Praxis eine komplexe rechtliche Verknüpfung verschiedener Normen ergibt.

Welche Ausnahmen von der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz existieren im Steuerrecht?

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz wird durch sogenannte Maßgeblichkeitsdurchbrechungen beschränkt. Solche Ausnahmen bestehen immer dann, wenn spezielle steuerrechtliche Vorschriften eine abweichende Bilanzierung oder Bewertung erfordern. Beispiele sind bestimmte Bewertungsvorschriften des EStG wie etwa § 6 EStG (Steuerliche Bewertung), Vorschriften zum Ansatz latenter Steuern, Vorschriften zu Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG) oder steuerliche Sondervorschriften zu Abschreibungen und steuerlichen Rücklagen. Eine weitere wesentliche Durchbrechung der Maßgeblichkeit bildet das steuerliche Erfordernis der Bildung passiver latenter Steuern gemäß § 274 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG. Solche Abweichungen führen dazu, dass für die Steuerbilanz eigenständige Wertansätze zu bilden sind, welche von der Handelsbilanz abweichen können und insbesondere für steuerliche Gewinnermittlungen maßgeblich sind.

Inwieweit spielt der handelsrechtliche Kontinuitätsgrundsatz bei der Maßgeblichkeit eine Rolle?

Der im Handelsrecht geltende Grundsatz der Bilanzkontinuität nach § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB fordert, dass Bewertungsmethoden von Jahr zu Jahr beibehalten werden, solange keine triftigen Gründe für eine Änderung bestehen. Diese Kontinuität wirkt sich auch auf die steuerliche Bewertung aus, da infolge der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz regelmäßig auch steuerlich dieselben Bilanzierungsmethoden angewendet werden müssen, sofern nicht steuerrechtliche Sonderregelungen eine Änderung erzwingen. Der steuerliche Gewinnermittler darf daher nicht ohne Weiteres von handelsrechtlichen Bewertungs- oder Bilanzierungsgrundsätzen abweichen, sofern keine steuerlichen Vorschriften dies explizit vorsehen. Auch der Wechsel von Ansatz- oder Bewertungsmethoden kann steuerlich nur unter den engen Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Satz 2 EStG erfolgen.

Welche Bedeutung hat der Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit?

Der Grundsatz der umgekehrten Maßgeblichkeit, normiert in § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG a.F. (historisch) und heute in modifizierter Form in § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG, bedeutet, dass handelsrechtlich unter bestimmten Bedingungen steuerrechtlich vorgeschriebene Wertansätze übernommen werden müssen, sofern diese handelsrechtlich zulässig sind. Das bedeutet, dass steuerliche Vorschriften unter bestimmten Umständen einen Rückfluss in die Handelsbilanz bewirken können, allerdings setzt dies eine ausdrückliche steuerliche Regelung voraus. Mit dem BilMoG (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) wurde die umgekehrte Maßgeblichkeit weitgehend abgeschafft, sodass heute – von wenigen Ausnahmen abgesehen, wie z.B. § 6 Abs. 1 EStG hinsichtlich der steuerlichen Sonderabschreibungen – die Handelsbilanz grundsätzlich Vorrang genießt, sofern sie den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht.

Welche Rolle spielt die Maßgeblichkeit beim Ansatz und bei der Bewertung von Rückstellungen?

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz wirkt sich insbesondere auf den Ansatz und die Bewertung von Rückstellungen aus. Handelsrechtlich sind Rückstellungen nach § 249 HGB für ungewisse Verbindlichkeiten und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden, wobei die Bewertung nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung erfolgt. Steuerlich sind nach § 5 Abs. 1 EStG grundsätzlich die handelsrechtlichen Rückstellungen maßgeblich, jedoch enthalten steuerrechtliche Vorschriften, speziell in § 6 EStG, zahlreiche Einschränkungen und Sonderregelungen (z.B. Abzinsungsgebot, Rückstellungsbewertung, Einschränkungen bei bestimmten Rückstellungsarten). Dies führt regelmäßig zur Bildung sogenannter „steuerlicher Rückstellungsspiegel“, in denen Abweichungen systematisch dargestellt werden. Dies gilt insbesondere für Pensionsrückstellungen, Garantierückstellungen und Rückstellungen für drohende Verluste, bei denen steuerlich oft strengere Ansatz- und Bewertungsmaßstäbe gelten als handelsrechtlich.

Inwieweit ist die Maßgeblichkeit bei der Gewinnermittlung durch Einnahmenüberschussrechnung relevant?

Die Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gilt ausschließlich für bilanzierende Unternehmen, die ihren Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG) ermitteln. Für Unternehmer, die den Gewinn mittels Einnahmenüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, besteht keine direkte Maßgeblichkeit der Handelsbilanz. Die Einnahmenüberschussrechnung orientiert sich primär an tatsächlichen Zahlungsvorgängen (Zufluss-/Abflussprinzip), so dass handelsrechtliche Bilanzierungs- und Bewertungsvorschriften keine unmittelbare Auswirkung auf die steuerliche Gewinnermittlung haben. Gleichwohl können handelsrechtliche Grundsätze als Orientierungshilfe herangezogen werden, sie entfalten insoweit aber lediglich eine mittelbare Wirkung.

Wie wirken sich Änderungen im Handelsrecht auf die steuerliche Maßgeblichkeit aus?

Änderungen im Handelsrecht, wie sie beispielsweise durch das BilMoG oder andere Gesetzesnovellen erfolgen, wirken sich grundsätzlich unmittelbar auf die handelsbilanzielle Bewertung und Bilanzierung aus und damit im Grundsatz auch auf die steuerliche Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 EStG. Schadensbegrenzend wirken dabei jedoch die sogenannten Maßgeblichkeitsdurchbrechungen: Wo steuerliche Sondervorschriften bestehen, bleibt es auch nach handelsrechtlichen Änderungen bei steuerlichen Sonderregelungen. Ein bedeutendes Beispiel hierfür ist die Abschaffung der umgekehrten Maßgeblichkeit durch das BilMoG, sodass steuerliche Vergünstigungen oder Wahlrechte keine Rückwirkung mehr auf die Handelsbilanz entfalten. Unternehmen müssen deshalb kontinuierlich prüfen, ob Änderungen im Handelsrecht für die Steuerbilanz übertragbar sind oder wegen steuerrechtlicher Vorschriften gesondert zu behandeln sind.