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Massearmut


Begriffserklärung: Massearmut

Massearmut ist ein zentraler Begriff im Insolvenzrecht und bezeichnet den Zustand, in dem das vorhandene Vermögen des Schuldners (Insolvenzmasse) nicht ausreicht, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken. Sie spielt insbesondere im Zusammenhang mit der Entscheidung über die (weitere) Durchführung oder Einstellung eines Insolvenzverfahrens eine wesentliche Rolle.

Rechtliche Grundlagen und Einordnung

Insolvenzordnung (InsO)

Die rechtliche Grundlage für Massearmut findet sich primär in der deutschen Insolvenzordnung (InsO), besonders im Rahmen der §§ 26 und 207 InsO.

  • § 26 InsO – Ablehnung mangels Masse: Das Insolvenzgericht kann den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ablehnen, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken.
  • § 207 InsO – Einstellung nach Verfahrenseröffnung: Ist Massearmut erst nach der Verfahrens­eröffnung festzustellen, kann das Verfahren auf Antrag der betroffenen Beteiligten oder von Amts wegen eingestellt werden.

Bedeutung im Verfahrensablauf

Die Feststellung der Massearmut beeinflusst maßgeblich den Ablauf eines Insolvenzverfahrens. Sie kann sowohl vor als auch nach Eröffnung des Verfahrens eintreten:

  • Vor Verfahrenseröffnung: Wird bereits im Vorfeld absehbar, dass die Insolvenzmasse nicht für die Deckung der Verfahrenskosten reicht, erfolgt keine Verfahrenseröffnung.
  • Nach Verfahrenseröffnung: Im Fall fehlender Masse zur Deckung der Kosten kann das Verfahren aufgehoben werden. Auch eine Stilllegung („Ruhen lassen“) ist in bestimmten Konstellationen möglich.

Verfahrenskosten

Zu den Kosten des Insolvenzverfahrens gehören insbesondere:

  • Gerichtskosten
  • Kosten und Vergütung des Insolvenzverwalters bzw. Treuhänders
  • Kosten der Gläubigerversammlung

Die Massearmut betrifft allein diese Verfahrenskosten, nicht jedoch die Quotenerfüllung gegenüber den Insolvenzgläubigern.

Voraussetzungen der Annahme von Massearmut

Prognoseentscheidung des Gerichts

Das Insolvenzgericht hat im Rahmen eines summarischen Prüfungsverfahrens zu prüfen, ob das Schuldnervermögen voraussichtlich zur Kostendeckung ausreicht. Maßgeblicher Zeitpunkt ist in der Regel die Antragstellung beziehungsweise der Zeitpunkt der Entscheidung nach § 207 InsO.

Bedeutung der Eigenanträge und Gläubigeranträge

Sowohl Eigenanträge des Schuldners als auch Gläubigeranträge können von einer Ablehnung mangels Masse betroffen sein, sofern das erforderliche Mindestvermögen nicht festgestellt werden kann.

Rechtsfolgen der Massearmut

Ablehnung der Verfahrenseröffnung

Wird das Verfahren gemäß § 26 InsO mangels Masse nicht eröffnet, bedeutet dies, dass das Insolvenzverfahren nicht durchgeführt wird. Die Gläubiger können ihre Forderungen dann nicht im Rahmen eines geordneten Verfahrens geltend machen.

Einstellung eines laufenden Verfahrens

Kommt es während des laufenden Insolvenzverfahrens zur Feststellung der Massearmut, wird das Verfahren nach § 207 InsO eingestellt, sofern keine Mittel – beispielsweise durch Dritte oder durch Masseunzulänglichkeitserklärungen – bereitgestellt werden.

Eintragung im Schuldnerregister

Die Ablehnung der Verfahrenseröffnung wegen Massearmut wird in das Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen. Diese Eintragung ist mit erheblichen Folgen für die Bonität des Schuldners verbunden und kann die wirtschaftliche Betätigung nachhaltig beeinträchtigen.

Abgrenzung: Masseunzulänglichkeit

Die Massearmut ist von der Masseunzulänglichkeit abzugrenzen. Während bei Masseunzulänglichkeit die Insolvenzmasse nur nicht ausreicht, um die Masseverbindlichkeiten zu decken, jedoch die Kosten des Verfahrens noch bezahlt werden können und das Verfahren fortgeführt wird, führt Massearmut zur Einstellung oder Ablehnung des Verfahrens.

Praktische Bedeutung und Besonderheiten

Drittmittel und Kostenvorschuss

In bestimmten Fällen kann das Verfahren trotz Massearmut durch Einlagen Dritter (Kostenvorschuss, Eigenmittel) ermöglicht werden. § 26 Abs. 1 S. 2 InsO eröffnet die Möglichkeit, dem Antragsteller eine Frist zur Einzahlung eines Kostenvorschusses zu setzen.

Besondere Regelungen für Verbraucherinsolvenzverfahren

Für Verbraucher gilt § 304 InsO ff., wobei die Grundsätze der Massearmut ebenfalls Anwendung finden. Auch hier kann mangels ausreichender Masse eine Verfahrenseröffnung abgelehnt werden.

Internationaler Bezug

Im europäischen Ausland existieren vergleichbare Konzepte zur Massearmut, die funktional die Kostendeckung des Insolvenzverfahrens sicherstellen sollen. Unterschiedliche rechtliche Ausgestaltungen und Schwellenwerte sind jedoch zu beachten.

Rechtsschutz und Beschwerdemöglichkeiten

Gegen Entscheidungen über die Ablehnung der Verfahrenseröffnung oder die Einstellung eines Insolvenzverfahrens wegen Massearmut ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 6 Abs. 1, 34 Abs. 2 InsO) eröffnet. Betroffene Parteien können so gerichtlichen Schutz gegen vermeintlich fehlerhafte Annahmen von Massearmut suchen.

Fazit

Massearmut ist ein zentraler Begriff im deutschen Insolvenzrecht, der maßgeblich darüber entscheidet, ob ein Insolvenzverfahren eröffnet und durchgeführt werden kann. Sie schützt die Justiz und Verfahrensbeteiligten vor nicht finanzierbaren Verfahren, birgt jedoch erhebliche Risiken für Gläubiger und Schuldner. Die korrekte Feststellung und Behandlung der Massearmut unterliegt strengen gesetzlichen Anforderungen und gewährleistet so Rechtssicherheit im Rahmen des Insolvenzverfahrens.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Folgen hat die Feststellung der Massearmut für das Insolvenzverfahren?

Die Feststellung der Massearmut in einem Insolvenzverfahren hat weitreichende rechtliche Konsequenzen für den Ablauf und die Organisation des Verfahrens. Nach § 207 InsO (Insolvenzordnung) bedeutet Massearmut, dass nicht genügend freie Insolvenzmasse vorhanden ist, um die Kosten des Verfahrens (insbesondere Gerichtskosten und die Vergütung des Insolvenzverwalters) zu decken. In einem solchen Fall ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, das Insolvenzgericht unverzüglich über die Zahlungsunfähigkeit der Masse zu informieren. Das Gericht kann daraufhin verschiedene Maßnahmen ergreifen, unter anderem die Einstellung des Verfahrens anordnen, sofern keine Masseunzulänglichkeit vorliegt oder keine Kostendeckung durch die Gläubiger oder Dritte erfolgt. In speziellen Fällen kann das Verfahren aber auch unter Masseunzulänglichkeit weitergeführt werden, wenn ein Kostenvorschuss durch die Gläubiger aufgebracht oder eine Stundung der Verfahrenskosten bewilligt wird. Folge der Feststellung ist auch, dass keine weiteren kostenauslösenden Maßnahmen getroffen werden dürfen, sofern diese die vorhandene Masse übersteigen würden. Die Rechte der Gläubiger, insb. was die Anfechtung oder Durchsetzung von Aussonderungsrechten betrifft, können durch die Feststellung der Massearmut erheblich beeinflusst werden.

Welche Pflichten treffen den Insolvenzverwalter bei Massearmut?

Stellt der Insolvenzverwalter fest, dass Massearmut vorliegt, treffen ihn gem. § 208 InsO erhöhte Mitteilungs- und Handlungspflichten. Zunächst muss er das Insolvenzgericht sowie den Gläubigerausschuss und die bekannten Insolvenzgläubiger unverzüglich und umfassend über die finanzielle Situation der Masse informieren. Der Verwalter hat zudem die Masse besonders sorgfältig zu verwalten und auf kostenauslösende Handlungen zu verzichten, wenn diese die vorhandenen finanziellen Mittel der Masse übersteigen. Er darf aus der überschuldeten Masse grundsätzlich keine neuen Masseverbindlichkeiten begründen. Außerdem müssen die eingehenden Beträge vorrangig zur Begleichung der bereits bestehenden Masseverbindlichkeiten verwendet werden gemäß dem Prioritätsprinzip („Alt vor Neu“). Eine detaillierte und dokumentierte Offenlegung der Vermögenslage gegenüber dem Gericht ist zwingend erforderlich. Schließlich ist der Verwalter gehalten, sämtliche zumutbaren Maßnahmen zur Kostensenkung zu prüfen und umzusetzen, etwa die Beendigung von Mietverträgen, Arbeitsverhältnissen oder anderen Dauerschuldverhältnissen, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Wann kann das Insolvenzverfahren trotz Massearmut fortgeführt werden?

Obwohl die Feststellung der Massearmut regelmäßig zur Einstellung des Insolvenzverfahrens führen kann (§ 207 InsO), gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmefälle, in denen das Verfahren fortgeführt werden darf. Dies ist zum Beispiel dann möglich, wenn die Verfahrenskosten durch einen oder mehrere Insolvenzgläubiger oder durch Dritte gedeckt werden, etwa in Form eines Kostenvorschusses. Möglich ist auch eine Stundung der Kosten nach § 4a InsO, insbesondere bei Verbraucherinsolvenzverfahren. Weiterhin kann das Verfahren fortgeführt werden, wenn abzusehen ist, dass durch noch zu erwartende Zuflüsse zur Masse zumindest die Kosten mittelfristig gedeckt werden können. Der Verwalter muss in jedem Fall lückenlos nachweisen, dass die Finanzierung der weiteren Verfahrensführung gesichert ist. Ohne diese Sicherheiten ist das Insolvenzgericht gemäß seiner Amtsermittlungspflicht gehalten, das Verfahren einzustellen. Insbesondere für die Gläubiger ist es wichtig, rechtzeitig Kostendeckungszusagen zu prüfen, um einen Verfahrensabbruch infolge von Massearmut zu vermeiden.

Wie erfolgt die Befriedigung der Massegläubiger im Fall der Massearmut?

Im Falle der Massearmut wird die Befriedigung der Massegläubiger nach dem sogenannten Prioritätsprinzip vorgenommen. Das bedeutet, dass Massegläubiger, deren Forderungen vor der Anzeige der Massearmut entstanden sind („Altmasseverbindlichkeiten“), vorrangig gegenüber den nachfolgenden („Neumasseverbindlichkeiten“) zu bedienen sind. Entsprechend sind die noch vorhandenen Mittel der Masse in der Reihenfolge der Entstehung der Ansprüche unter den Massegläubigern aufzuteilen. Neu entstehende Masseverbindlichkeiten dürfen grundsätzlich nicht mehr begründet werden. Der Insolvenzverwalter hat ein Verzeichnis über die Masseverbindlichkeiten zu führen und die Gläubiger darüber zu informieren. Sollte die Masse nicht einmal zur vollständigen Deckung der Altmasseverbindlichkeiten ausreichen, erfolgt eine anteilige (quotale) Befriedigung dieser Gläubiger. Insolvenzgläubiger, deren Ansprüche als Insolvenzforderungen registriert sind, bleiben von der Massearmut zunächst unberührt, da sie ohnehin erst nach Begleichung der Masseverbindlichkeiten am Ende des Verfahrens (ggf. quotal) befriedigt werden.

Welche Wirkung hat die Massearmut auf laufende Verträge des Schuldners?

Mit der Feststellung der Massearmut ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, sämtliche bestehenden Dauerschuldverhältnisse und Verträge daraufhin zu überprüfen, ob sie fortgeführt werden können, ohne zusätzliche Masseverbindlichkeiten zu begründen. Sofern durch die Fortführung eines Vertrags eine Kostenauslösung zu Lasten der ohnehin unzureichenden Masse zu erwarten ist, ist er gehalten, laufende Verträge – soweit rechtlich möglich – zu beenden, etwa mittels Kündigung oder durch Nichtaufnahme von Erfüllungshandlungen. Besonders betroffen sind Arbeitsverträge, Miet- und Leasingverhältnisse. Neue Verpflichtungen darf der Verwalter mit Blick auf die Massearmut grundsätzlich nicht eingehen, um die Altmassegläubiger zu schützen. Zusätzlich dürfen keine neuen Verbindlichkeiten begründet werden, die als Neumasseverbindlichkeiten die vorhandene Masse schmälern könnten.

Welche Möglichkeiten haben Insolvenzgläubiger im Falle der Massearmut?

Für Insolvenzgläubiger bedeutet die Feststellung der Massearmut zunächst eine erhebliche Einschränkung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten, da zunächst die Massegläubiger vorgehen. Um eine Einstellung des Verfahrens zu vermeiden, können Insolvenzgläubiger jedoch aktiv werden, indem sie dem Insolvenzverwalter oder dem Gericht Vorschläge zur Kostendeckung machen, etwa durch Vorschüsse oder durch Übernahme der Verfahrenskosten durch einzelne Gläubiger. Daneben besteht die Möglichkeit – allerdings mit Rechtsmitteln – gegen eine Einstellung des Verfahrens vorzugehen, falls sie der Meinung sind, dass eine Deckung der Kosten noch möglich ist oder neue Erkenntnisse über Massezuflüsse vorliegen. Gläubiger behalten außerdem das Aussonderungsrecht an nicht zur Masse gehörenden Vermögensgegenständen und die Möglichkeit zur Absonderung, wenn entsprechende Sicherungsrechte bestehen. In der Praxis empfiehlt es sich für Gläubiger, ihre Rechte frühzeitig zu prüfen und mit dem Insolvenzverwalter Kontakt zu halten, um Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verfahrensgang zu nutzen.

Wer entscheidet letztlich über die Einstellung des Verfahrens wegen Massearmut?

Die Entscheidung über die Einstellung des Insolvenzverfahrens wegen Massearmut obliegt ausschließlich dem Insolvenzgericht (§ 207 InsO). Das Gericht prüft nach Anzeige der Massearmut durch den Insolvenzverwalter, ob die Fortsetzung des Verfahrens möglich und sinnvoll ist und ob Mittel zur Deckung der Kosten zur Verfügung stehen oder in Aussicht gestellt werden können. In Zweifelsfällen kann das Gericht die Beteiligten – insbesondere Verwalter und Gläubiger – anhören, bevor es die Entscheidung trifft. Die Entscheidung wird per Beschluss erlassen und ist anfechtbar. Gläubiger können gegen die Einstellung binnen zwei Wochen nach Bekanntmachung des Einstellungsbeschlusses sofortige Beschwerde einlegen, sofern sie Einwendungen vorbringen können, die eine Fortführung des Verfahrens ermöglichen oder erforderlich machen.