Begriff und Bedeutung der Marktbeherrschung
Definition der Marktbeherrschung
Marktbeherrschung bezeichnet im Wettbewerbsrecht die herausgehobene Stellung eines Unternehmens auf einem bestimmten sachlich und räumlich relevanten Markt, welche es diesem Unternehmen ermöglicht, sich in erheblichem Umfang unabhängig von Wettbewerbern, Kunden und Lieferanten zu verhalten. Dabei wird zwischen einzelner und kollektiver Marktbeherrschung unterschieden.
Eine marktbeherrschende Stellung ist rechtlich bedeutsam, da sie mit besonderen Pflichten und Beschränkungen verbunden ist, um einen funktionsfähigen Wettbewerb zu gewährleisten und eine missbräuchliche Nutzung dieser Position zu verhindern.
Relevanz im Wettbewerbsrecht
Die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung bildet eine zentrale Voraussetzung zur Anwendung verschiedener Wettbewerbsnormen im deutschen und europäischen Kartellrecht. Ziel ist es, Monopole oder oligopolartige Strukturen zu kontrollieren, den Wettbewerb zu schützen und Verbraucherinteressen zu wahren.
Rechtsgrundlagen der Marktbeherrschung
Deutsches Recht: § 18 GWB
In Deutschland ist die Marktbeherrschung vor allem im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt. Die maßgeblichen Vorschriften finden sich in § 18 GWB:
- Marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens (§ 18 Abs. 1 GWB): Ein Unternehmen ist marktbeherrschend, wenn es als Anbieter oder Nachfrager auf einem bestimmten Markt ohne wesentliche Wettbewerbsbeschränkungen agieren kann.
- Vermutungen der Marktbeherrschung (§ 18 Abs. 4 GWB): Es wird vermutet, dass ein Unternehmen bei einem Marktanteil von mindestens 40 % marktbeherrschend ist.
- Gemeinschaftliche Marktbeherrschung (§ 18 Abs. 6 GWB): Mehrere Unternehmen können gemeinsam eine marktbeherrschende Position innehaben, wenn zwischen ihnen keine wesentliche Konkurrenz herrscht und sie gemeinsam den Wettbewerb maßgeblich beeinflussen.
Zudem normieren § 19 GWB das Verbot des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung und § 20 GWB das Verbot der Ausnutzung einer relativen oder überlegenen Marktstellung.
Europäisches Recht: Art. 102 AEUV
Das Pendant im europäischen Recht stellt Art. 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dar:
- Wortlaut und Systematik: Art. 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch Unternehmen im Binnenmarkt, sofern dies den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.
- Dabei sind sowohl Einzelunternehmen als auch Zusammenschlüsse von Unternehmen erfasst.
Voraussetzungen und Merkmale der Marktbeherrschung
Relevanter Marktbegriff
Zur Feststellung der Marktbeherrschung ist die Abgrenzung des relevanten Marktes zwingend erforderlich. Dabei wird unterschieden zwischen:
- Sachlich relevanter Markt: Umfasst die Waren oder Dienstleistungen, die aus Sicht der Nachfrager als austauschbar angesehen werden (Substitutionsprodukte).
- Räumlich relevanter Markt: Bezieht sich auf das geografische Gebiet, in welchem die Wettbewerbsbedingungen ausreichend homogen sind.
Faktoren zur Bestimmung der Marktbeherrschung
Die Marktbeherrschung wird anhand einer Vielzahl von quantitativen und qualitativen Kriterien bewertet. Zu den wesentlichen Faktoren zählen:
- Marktanteil: Obergrenzen und Vermutungsregelungen nach § 18 GWB sowie orientierende Schwellenwerte nach der Praxis der EU-Kommission.
- Finanzkraft: Wirtschaftliche Ressourcen, Vertikalintegration und Zugang zu Beschaffungsmärkten.
- Konkurrenzdruck: Anzahl und Stärke der Wettbewerber, Markteintrittsbarrieren, Wechselkosten für Nachfrager.
- Verhalten am Markt: Preisgestaltung, Innovationsgrad, Vertragsbindungen.
- Netzwerkeffekte und regulatorische Rahmenbedingungen.
Einzelmarktbeherrschung vs. Kollektive Marktbeherrschung
- Einzelmarktbeherrschung liegt vor, wenn ein Unternehmen allein eine beherrschende Stellung innehat.
- Kollektive oder gemeinschaftliche Marktbeherrschung (Oligopol) liegt vor, wenn mehrere Unternehmen gemeinsam eine marktbeherrschende Position innehaben, etwa durch abgestimmtes Verhalten oder fehlenden Wettbewerb untereinander.
Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Definition und Formen des Missbrauchs
Ein Missbrauch liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Marktposition verwendet, um den Wettbewerb einzuschränken oder andere Unternehmen zu benachteiligen. Wichtige Missbrauchstatbestände sind:
- Verdrängungspraktiken: Behinderung von Konkurrenten durch aggressive Preissetzung oder sonstige Einschränkungen.
- Ausbeutungspraktiken: Übermäßige Preise gegenüber Kunden, unangemessene Geschäftsbedingungen.
- Diskriminierung: Ungleichbehandlung vergleichbarer Geschäftspartner ohne sachlichen Grund.
- Kopplungs- und Bündelungspraktiken: Zwang zur Abnahme zusätzlicher Produkte/Dienstleistungen.
Die genaue Bestimmung des Missbrauchs erfolgt anhand der Umstände des Einzelfalls und wird von den Wettbewerbsbehörden geprüft.
Rechtliche Folgen und Durchsetzung
- Untersagungs- und Abstellungsanordnungen: Behörden können missbräuchliche Verhaltensweisen untersagen oder Abhilfemaßnahmen anordnen.
- Bußgelder und Schadensersatz: Bei festgestelltem Missbrauch drohen empfindliche Strafen. Geschädigte Unternehmen können zudem Schadensersatz geltend machen.
- Prüfungs- und Meldepflichten bei Zusammenschlüssen: Unternehmen unterliegen bei bestimmten Zusammenschlüssen kartellrechtlichen Prüfungen, wenn die Gefahr der Marktbeherrschung besteht.
Marktbeherrschung im Kontext der Fusionskontrolle
Im Rahmen der Fusionskontrolle wird analysiert, ob durch Zusammenschlüsse marktbeherrschende Stellungen entstehen oder verstärkt werden. Die kartellrechtlichen Prüfungen erfolgen nach § 36 GWB auf nationaler und nach der Fusionskontrollverordnung (VO (EG) Nr. 139/2004) auf europäischer Ebene. Zusammenschlüsse können untersagt werden, wenn sie zu einer erheblichen Behinderung wirksamen Wettbewerbs führen.
Aktuelle Entwicklungen und Praxisbeispiele
Das Verständnis von Marktbeherrschung entwickelt sich stetig weiter, insbesondere im Bereich der Digitalwirtschaft. Moderne Märkte unterliegen besonderen Dynamiken durch Plattformmodelle, Netzwerkeffekte und datenbasierte Geschäftsmodelle. Die Anpassung der Rechtslage, etwa durch das Gesetz zur Digitalen Märkte in der EU (DMA), spiegelt diese Herausforderungen wider.
Zusammenfassung
Marktbeherrschung ist ein zentrales Konzept des Kartell- und Wettbewerbsrechts, das Unternehmen mit besonderer Marktmacht besonderen Pflichten unterstellt. Rechtliche Definitionen, nationale und europäische Vorschriften sowie die darauf aufbauende Behörden- und Gerichtspraxis sorgen dafür, dass Wettbewerb erhalten und Missbrauch unterbunden wird. Die zunehmende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle wird die Dynamik der Marktbeherrschung auch zukünftig maßgeblich prägen.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt aus rechtlicher Sicht eine Marktbeherrschung im Sinne des Kartellrechts vor?
Ob eine Marktbeherrschung gemäß deutschem oder europäischem Kartellrecht vorliegt, beurteilt sich vor allem nach dem jeweiligen Marktanteil eines Unternehmens und seiner Fähigkeit, sich unabhängig von Wettbewerbern, Lieferanten oder Nachfragern im Markt zu verhalten. Nach § 18 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 % hat, wobei darüber hinaus auch weitere sogenannte Kriterien der Marktbeherrschung relevant sind. Dazu zählen etwa die finanziellen Mittel, Zugang zu Beschaffungs- oder Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, das Verhalten der Wettbewerber sowie die Nachfragemacht der Abnehmer. Auf EU-Ebene orientieren sich die Behörden an Art. 102 AEUV, wobei regelmäßig eine Einzelfallprüfung anhand des konkreten Marktes samt aller seiner Strukturen und Besonderheiten erfolgt. Entscheidend ist stets die Fähigkeit, unabhängig von Mitbewerbern und Marktpartnern agieren zu können – dies wird genau analysiert und dokumentiert. Die Schwellenwerte und Indizien dienen lediglich als Anhaltspunkte, ersetzen jedoch nie die umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände des jeweiligen Falles.
Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei missbräuchlicher Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung?
Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung stellt sowohl nach deutschem (§ 19 GWB) als auch nach europäischem (Art. 102 AEUV) Kartellrecht eine gravierende Zuwiderhandlung dar und kann erhebliche Sanktionen nach sich ziehen. Dazu zählen vor allem Bußgelder in teils existenzgefährdender Höhe, wie sie durch die Kartellbehörden des Bundeskartellamts (BKA) bzw. der EU-Kommission verhängt werden können. Darüber hinaus können Wettbewerber sowie Kunden, die von entsprechenden Praktiken betroffen sind, zivilrechtliche Schadensersatzklagen erheben. Typische verbotene Verhaltensweisen umfassen das Erzwingen unangemessener Preise oder Bedingungen, das Hinausdrängen von Mitbewerbern (z. B. durch Preisunterbietungen unterhalb der Selbstkosten), Diskriminierung gleichwertiger Geschäftspartner ohne sachlichen Grund oder das Koppeln von Leistungen. Unternehmen, die gegen diese Verbote verstoßen, müssen nicht nur mit behördlichen Maßnahmen wie Zerschlagungen, Entflechtungen oder Unterlassungsverfügungen rechnen, sondern auch mit zum Teil erheblichen Reputationsschäden.
Wie erfolgt die Abgrenzung des relevanten Marktes bei der Beurteilung von Marktbeherrschung?
Im rechtlichen Kontext ist die Definition des relevanten Marktes ein zentraler Ausgangspunkt jeder Marktbeherrschungsprüfung. Dabei wird zwischen dem sachlich relevanten Markt (welche Produkte oder Dienstleistungen stehen im Wettbewerb?) und dem räumlich relevanten Markt (in welchem geografischen Gebiet findet der Wettbewerb statt?) unterschieden. Die Abgrenzung erfolgt nach den sogenannten Substituierbarkeitserwägungen: Welche Produkte oder Dienstleistungen kann der Kunde als Austauschprodukt bei geringfügigen Preisänderungen alternativ erwerben oder nutzen? Auch Nachfrage- und Angebotsersatz werden betrachtet. In der Praxis wenden Behörden Methoden wie den SSNIP-Test („Small but Significant and Non-transitory Increase in Price“) an, um zu überprüfen, wie Kunden auf hypothetische Preissteigerungen reagieren würden. Die eindeutige Marktabgrenzung ist entscheidend, da etwaige Marktanteile und somit die Beurteilung einer etwaigen Marktbeherrschung immer auf das definierte Marktgebiet bezogen werden.
Welche Rolle spielen Zusammenschlüsse (Fusionen) im Zusammenhang mit Marktbeherrschung?
Im kartellrechtlichen Kontext können Unternehmenszusammenschlüsse (etwa Fusionen, Übernahmen oder Joint Ventures) dazu führen, dass marktbeherrschende Stellungen erst entstehen oder verstärkt werden. Nach § 36 Abs. 1 GWB und der EU-Fusionskontrollverordnung ist ein Zusammenschluss zu untersagen, wenn durch ihn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Die zuständigen Wettbewerbsbehörden – in Deutschland das Bundeskartellamt, auf EU-Ebene die Europäische Kommission – prüfen daher im Rahmen der Fusionskontrolle vorab, ob die geplante Transaktion eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs, insbesondere durch die Schaffung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, zur Folge hätte. Hier wird insbesondere das Zusammenspiel der Marktanteile, potenzieller Marktzutrittsschranken, Innovationsdynamik sowie das Verhalten der Marktteilnehmer gesamtheitlich bewertet.
Welche Beweislastregeln gelten im Zusammenhang mit Marktbeherrschung?
Die Frage der Beweislast ist im deutschen und europäischen Kartellrecht zentral bedeutsam. Grundsätzlich trägt die Kartellbehörde (Bundeskartellamt oder EU-Kommission) die Beweislast für das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung und deren missbräuchliche Ausnutzung. Maßgeblich sind dabei objektiv überprüfbare Tatsachen wie Marktanteile, wirtschaftliche Machtpositionen, Markteintrittsbarrieren oder Verhaltensweisen. Die Behörde muss auch nachweisen, dass die von ihr beanstandeten Verhaltensweisen tatsächlich eine missbräuchliche Ausnutzung der Marktposition darstellen. Allerdings bestehen bei bestimmten Marktanteilsschwellen (z. B. über 40 % laut § 18 Abs. 4 S. 1 GWB) gesetzliche Vermutungen zugunsten einer Marktbeherrschung, die allerdings widerlegbar sind. Das heißt, das betroffene Unternehmen kann Gegenbeweis erbringen, dass trotz des Marktanteils keine marktbeherrschende Stellung vorliegt.
Welche Abwehrmöglichkeiten haben Unternehmen, denen Marktbeherrschung und Missbrauch vorgeworfen wird?
Unternehmen, denen von Kartellbehörden oder Wettbewerbern Marktbeherrschung oder deren Missbrauch vorgeworfen wird, haben diverse rechtliche Abwehrmöglichkeiten. Sie können insbesondere im Verwaltungsverfahren (z. B. vor dem Bundeskartellamt oder der EU-Kommission) ausführlich Stellung nehmen, Beweise vorlegen und Gegengutachten einholen. Im Rahmen eines sogenannten „Commitment“-Verfahrens können Unternehmen selbst Verpflichtungszusagen anbieten, um das Verfahren beizulegen, sofern diese geeignet sind, die wettbewerblichen Bedenken auszuräumen. Gegen behördliche Entscheidungen können Rechtsmittel eingelegt werden, beispielsweise Beschwerden zum Oberlandesgericht Düsseldorf gegen Entscheidungen des Bundeskartellamts oder Klagen vor dem Gericht der Europäischen Union gegen Kommissionsbeschlüsse. Darüber hinaus können Unternehmen gegen zivilrechtliche Schadensersatzforderungen durch wettbewerbsrechtliche Einreden verteidigen, etwa durch Nachweis eines fehlenden Schadens oder fehlender Kausalität. In engen Grenzen ist auch eine Rechtfertigung des Verhaltens denkbar, wenn etwa Effizienzgründe vorliegen.
Welche Unterschiede bestehen zwischen der Bewertung von Marktbeherrschung im deutschen und im europäischen Recht?
Obwohl deutsche und europäische Regelungen inhaltlich vielfach abgestimmt sind, existieren einige bedeutsame Unterschiede. Während das deutsche Recht (§§ 18 ff. GWB) teils explizite Schwellenwerte und gesetzliche Vermutungen bezüglich Marktanteilen kennt, setzt das europäische Recht (Art. 102 AEUV) stärker auf eine einzelfallbezogene Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände und verzichtet auf starre Marktanteilsschwellen. Auch die Zuständigkeiten und Verfahren unterscheiden sich: Während das Bundeskartellamt für Märkte mit vorrangig nationaler Bedeutung zuständig ist, greift die EU-Kommission ab bestimmten Umsatzschwellen oder bei unionsweiter Auswirkung des Wettbewerbsverhaltens ein. Zudem kann die europäische Kommission auch gegen marktbeherrschende Unternehmen vorgehen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, sofern deren Verhalten den Wettbewerb im Binnenmarkt spürbar beeinträchtigt. Schließlich sind auch die Sanktionsmöglichkeiten und die Reichweite behördlicher Eingriffe in Details unterschiedlich ausgestaltet.