Begriff und wirtschaftsrechtliche Grundlagen der Marktbeherrschung
Definition der Marktbeherrschung
Marktbeherrschung bezeichnet im Wettbewerbsrecht die Situation, in der ein oder mehrere Unternehmen in der Lage sind, sich unabhängig von anderen Marktteilnehmern, insbesondere von Wettbewerbern, Lieferanten oder Nachfragern, auf dem relevanten Markt in erheblichem Umfang frei von wettbewerblichem Druck zu verhalten. Diese überlegene Marktstellung kann erhebliche Auswirkungen auf die Marktstruktur und die Wettbewerbsverhältnisse haben.
Relevante Rechtsquellen
Die rechtliche Bewertung der Marktbeherrschung findet sich sowohl im deutschen Kartellrecht (insbesondere im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB) als auch im europäischen Wettbewerbsrecht (insbesondere in Art. 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV). Beide Rechtsordnungen verfolgen das Ziel, den Wettbewerb als Grundlage der Marktwirtschaft zu schützen und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen zu verhindern.
Marktbeherrschung nach deutschem Recht
Gesetzliche Regelungen
Im GWB ist die Marktbeherrschung in den §§ 18 und 19 geregelt. Der Gesetzgeber unterscheidet zwischen der Marktbeherrschung einzelner Unternehmen (§ 18 Abs. 1 GWB) und der kollektiven Marktbeherrschung mehrerer Unternehmen (§ 18 Abs. 6 GWB). § 19 GWB normiert das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.
Kriterien der Marktbeherrschung
Bei der Bestimmung der Marktbeherrschung ist auf den sogenannten „relevanten Markt“ abzustellen, der sachlich, räumlich sowie zeitlich abgegrenzt wird. Die Marktmacht eines Unternehmens ergibt sich maßgeblich aus seinem Marktanteil, wird aber auch durch weitere Faktoren, wie etwa Finanzkraft, Zugang zu Bezugs- und Absatzmärkten, technologische Führerschaft, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken sowie das Bestehen oder Fehlen potenzieller Konkurrenz, beeinflusst.
Einzelmarktbeherrschung
Ein einzelnes Unternehmen gilt gemäß § 18 Abs. 4 GWB regelmäßig als marktbeherrschend, wenn sein Marktanteil mindestens 40 % beträgt. Allerdings sind stets die konkreten Marktverhältnisse zu berücksichtigen, da auch Unternehmen mit geringeren Marktanteilen als marktbeherrschend eingestuft werden können, sofern sie mit wettbewerbsrelevanten Vorteilen ausgestattet sind.
Kollektive Marktbeherrschung
Mehrere Unternehmen beherrschen den Markt gemeinsam, wenn keine wesentliche Konkurrenz untereinander besteht und sie sich einheitlich wettbewerbswidrig verhalten können, beispielsweise durch abgestimmte Verhaltensweisen. Auch hier sind Marktanteile, wirtschaftliche und strukturelle Merkmale entscheidend.
Marktbeherrschung im europäischen Wettbewerbsrecht
Normative Grundlagen
Das europäische Wettbewerbsrecht verbietet nach Art. 102 AEUV den Missbrauch einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder einem wesentlichen Teil desselben. Die Definition der Marktbeherrschung im europäischen Kontext entspricht weitgehend der im deutschen Recht, wird jedoch durch die Auslegung der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) konkretisiert.
Feststellung und Bewertung
Die Europäische Kommission und der EuGH prüfen die Marktmacht unter Berücksichtigung von Marktanteilen (bei Anteilen über 50 % wird regelmäßig eine beherrschende Stellung vermutet), wirtschaftlicher Stärke, Zugang zu Einrichtungen oder Ressourcen sowie der Kontrolle über wesentliche Infrastrukturen. Auch tatsächliche Wettbewerbsbedingungen, etwa Marktzutrittsschranken und die strukturelle Beschaffenheit des Marktes, werden berücksichtigt.
Missbrauchsverbot und Rechtsfolgen
Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen
Ein marktbeherrschendes Unternehmen ist nicht per se durch seine Stellung verboten; untersagt ist gemäß § 19 GWB und Art. 102 AEUV jedoch der Missbrauch dieser Machtposition. Zu den missbräuchlichen Verhaltensweisen zählen insbesondere:
- das Erzwingen unangemessen hoher Preise („Preismissbrauch“)
- die Ausbeutung von Nachfragern oder Lieferanten
- die Verdrängung von Wettbewerbern durch Behinderung („Behinderungsmissbrauch“)
- das Abschotten von Märkten für andere Unternehmen
- die unbillige Einschränkung von Produktion sowie Innovation
Sanktionen und Rechtsfolgen
Verstöße gegen das Missbrauchsverbot können erhebliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Dazu zählen Bußgelder, die Anordnung zur Unterlassung bestimmter Praktiken sowie kartellrechtliche Auflagen, wie Entflechtungsmaßnahmen oder die Verpflichtung zur Bereitstellung von Zugang zu bestimmten Infrastrukturen. Geschädigte Marktteilnehmer können zivilrechtliche Ansprüche, einschließlich Schadenersatz, geltend machen.
Marktabgrenzung als Voraussetzung für die Beurteilung der Marktbeherrschung
Sachliche, räumliche und zeitliche Marktabgrenzung
Vor der Feststellung, ob ein Unternehmen marktbeherrschend ist, muss der relevante Markt klar eingegrenzt werden. Dabei wird zwischen folgenden Dimensionen unterschieden:
- Sachliche Marktabgrenzung: Bestimmung, welche Produkte oder Dienstleistungen als Austauschgüter betrachtet werden.
- Räumliche Marktabgrenzung: Untersuchung des geografischen Gebiets, auf dem Wettbewerb stattfindet.
- Zeitliche Marktabgrenzung: Analyse, ob und in welchem Zeitraum ein Markt existiert oder saisonalen Schwankungen unterliegt.
Bedeutung der Marktbeherrschung im Fusionskontrollrecht
Marktbeherrschung ist ein zentrales Kriterium bei der Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen. Nach § 36 GWB ist die Freigabe eines Zusammenschlusses zu versagen, wenn durch die Fusion eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Auch im europäischen Recht wird anhand des „SIEC-Tests“ (Significant Impediment to Effective Competition) geprüft, ob die Wettbewerbsstruktur durch den Zusammenschluss erheblich beeinträchtigt wird.
Zusammenfassung und Ausblick
Marktbeherrschung stellt einen zentralen Begriff im Kartell- und Wettbewerbsrecht dar. Ihre rechtliche Bewertung erfordert eine differenzierte Analyse sämtlicher Marktstrukturen sowie der spezifischen Stellung eines Unternehmens auf dem relevanten Markt. Sowohl deutsche als auch europäische Rechtsvorschriften zielen auf die Verhinderung des Missbrauchs dieser Machtposition ab, um einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb zu gewährleisten. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Marktabgrenzungs- und Beurteilungskriterien trägt dazu bei, Marktstrukturen und Wettbewerbsfähigkeit regelmäßig zu überprüfen und anzupassen.
Häufig gestellte Fragen
Wann gilt ein Unternehmen nach deutschem Recht als marktbeherrschend?
Ob ein Unternehmen als marktbeherrschend gilt, richtet sich in Deutschland insbesondere nach § 18 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Marktbeherrschung ist gegeben, wenn ein Unternehmen keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern eine überragende Marktstellung innehat. Hierbei wird regelmäßig auf verschiedene Kriterien abgestellt, darunter der Marktanteil, die Finanzkraft, der Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten, die Verflechtungen mit anderen Unternehmen, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken sowie das Verhalten der Wettbewerber. Nach der gesetzlichen Vermutung gemäß § 18 Abs. 4 GWB wird ein Marktanteil von mindestens 40 % als Indiz für Marktbeherrschung angesehen, wobei diese Vermutung widerlegbar ist. Zusätzlich werden neben quantitativen Kriterien auch qualitative Aspekte berücksichtigt, wie etwa die Marktstruktur, das Vorhandensein potenzieller Wettbewerber oder Innovationstätigkeit innerhalb des Marktes. Bei der Feststellung der Marktbeherrschung sind zudem stets die konkreten Marktverhältnisse und -abgrenzungen entscheidend.
Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Feststellung von Marktbeherrschung?
Die Feststellung der Marktbeherrschung entfaltet eine erhebliche rechtliche Relevanz, da sie dem Unternehmen besondere Pflichten auferlegt und seine Handlungsfreiheit maßgeblich einschränkt. Nach §§ 19, 20 GWB ist es marktbeherrschenden Unternehmen untersagt, ihre Marktmacht zu missbrauchen. Missbräuchliches Verhalten kann verschiedene Formen annehmen, darunter das Erzwingen unangemessener Preise oder Geschäftsbedingungen, die diskriminierende Behandlung von Handelspartnern, die Behinderung des Wettbewerbs sowie die Auferlegung unbilliger Kauf- oder Verkaufsbedingungen. Verstöße gegen diese Vorschriften können von der zuständigen Kartellbehörde, in der Regel dem Bundeskartellamt, verfolgt und mit empfindlichen Sanktionen wie Geldbußen oder Verfügungen zur Beseitigung des Missbrauchs geahndet werden. Zudem können betroffene Marktteilnehmer zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz geltend machen.
Wie wird der relevante Markt im Kontext der Marktbeherrschung abgegrenzt?
Die Definition des relevanten Marktes bildet die zentrale Grundlage für die Beurteilung der Marktbeherrschung. Die Marktabgrenzung erfolgt sowohl sachlich als auch räumlich. Sachlich betrachtet umfasst der Markt alle Produkte oder Dienstleistungen, die aus Sicht der Nachfrager (und ggf. Anbieter) aufgrund ihrer Eigenschaften, ihres Preises und ihres Verwendungszwecks als austauschbar angesehen werden. Räumlich wird der Markt entsprechend der tatsächlichen und potenziellen Wettbewerbsbedingungen innerhalb eines geografisch relevanten Gebiets abgegrenzt – das kann lokal, national oder international sein. Methodisch wird in der Praxis häufig auf das sogenannte Hypothetische Monopolistentest (SSNIP-Test) zurückgegriffen: Dabei wird geprüft, ob ein hypothetischer Monopolist auf dem betroffenen Markt die Preise spürbar (i.d.R. 5-10 %) über einen längeren Zeitraum erhöhen könnte, ohne erhebliche Umsatzeinbußen durch Abwanderung der Nachfrager befürchten zu müssen. Beide Dimensionen – sachlich und räumlich – sind für eine fundierte Marktbeherrschungsprüfung unverzichtbar.
Welche Bedeutung haben Marktanteile für die Beurteilung der Marktbeherrschung?
Marktanteile stellen ein zentrales, aber nicht alleiniges Kriterium für die Feststellung der Marktbeherrschung dar. Sie dienen zunächst als Anhaltspunkt für die Machtposition eines Unternehmens. Ein hoher Marktanteil geht häufig mit erheblichem Einfluss auf Wettbewerbsbedingungen einher. Nach deutschem Kartellrecht (§ 18 Abs. 4 GWB) wird ab einem Marktanteil von 40 % die Marktbeherrschung vermutet, wobei diese Vermutung durch weitere Umstände bestätigt oder widerlegt werden kann. Auch die Verteilung der Marktanteile unter den übrigen Wettbewerbern, deren relative Stärke, die Anzahl und Eintrittsmöglichkeiten neuer Marktteilnehmer sowie die Marktstruktur spielen eine bedeutende Rolle. Besonders relevant wird dies in Oligopolmärkten, in denen einige wenige Unternehmen gemeinsam eine marktbeherrschende Stellung haben können (kollektive Marktbeherrschung). Nichtsdestotrotz wird die eigentliche Marktbeherrschung immer anhand einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Marktverhältnisse festgestellt.
Welche Rolle spielen Zusammenschlüsse und Übernahmen im Kontext der Marktbeherrschung?
Fusionen und Übernahmen unterliegen im deutschen und europäischen Kartellrecht einer besonderen Kontrolle, um die Entstehung oder Verstärkung von Marktbeherrschung zu verhindern. Nach §§ 35 ff. GWB sowie der Europäischen Fusionskontrollverordnung müssen bestimmte Zusammenschlüsse vorab bei den zuständigen Wettbewerbsbehörden angemeldet und geprüft werden. Die Behörden untersuchen, ob infolge des Zusammenschlusses eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Ziel ist es, eine zu hohe Marktkonzentration und den daraus resultierenden Wegfall oder die erhebliche Einschränkung wirksamen Wettbewerbs zu verhindern. Werden wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen identifiziert, können Genehmigungen versagt oder mit Auflagen und Bedingungen versehen werden. Dadurch stellen Fusionskontrollverfahren ein zentrales Instrument zur Prävention marktbeherrschender Strukturen dar.
Gibt es Ausnahmen für marktbeherrschende Unternehmen im Gesetz?
Das Kartellrecht kennt grundsätzlich keine generelle Rechtfertigung für missbräuchliches Verhalten marktbeherrschender Unternehmen. Allerdings kann im Einzelfall eine objektive Rechtfertigung vorliegen, etwa wenn die Wettbewerbseinschränkung zur Erreichung betriebswirtschaftlich sinnvoller Ziele notwendig oder im Interesse der Verbraucher ist. Das GWB enthält zudem spezielle Regelungen für bestimmte Branchen und Sektoren, wie etwa Energie- oder Telekommunikationsmärkte, die teils abweichende Vorgaben vorsehen. Ferner sind wettbewerbsbeschränkende Praktiken zulässig, wenn sie durch eine gesetzliche Ausnahme ausdrücklich gestattet oder durch höherrangiges Recht, beispielsweise im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, gedeckt sind. Diese Ausnahmen werden jedoch eng ausgelegt und unterliegen einer strikten Kontrolle durch die Wettbewerbsbehörden und Gerichte.