Definition und Begriffserklärung: Lucrum Cessans
Lucrum cessans ist ein Begriff aus dem Zivilrecht und bezeichnet den entgangenen Gewinn als Teil des Schadensersatzrechts. Der Ausdruck stammt aus dem Lateinischen und bedeutet wörtlich „ausbleibender Gewinn“ oder „aufhörender Nutzen“. Im rechtlichen Kontext wird darunter der Vermögensschaden verstanden, der entsteht, wenn eine Person oder ein Unternehmen infolge eines schädigenden Ereignisses daran gehindert wird, einen erwartbaren und wahrscheinlichen Gewinn zu erzielen.
Systematik im Schadensersatzrecht
Unterscheidung zum damnum emergens
Im Rahmen des Schadensersatzrechts wird zwischen damnum emergens (dem eingetretenen, realen Schaden) und lucrum cessans (dem entgangenen Gewinn) unterschieden. Während damnum emergens den tatsächlich erlittenen Vermögensverlust erfasst, umfasst lucrum cessans die nicht realisierte, aber grundsätzlich mögliche Vermögensmehrung.
Relevanz im nationalen und internationalen Recht
Das Konzept des lucrum cessans findet sich in zahlreichen nationalen Rechtsordnungen wieder und ist auch im internationalen Vertragsrecht sowie im europäischen Schadensersatzrecht von Bedeutung. In Deutschland bildet das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere § 252 BGB, die maßgebliche Grundlage. Im österreichischen Recht ist das Prinzip in § 1323 AGBG geregelt. Auch im schweizerischen Obligationenrecht (§ 42 OR) wird der entgangene Gewinn als ersatzfähiger Schaden anerkannt.
Voraussetzungen für die Anerkennung des lucrum cessans
Die Ersatzfähigkeit von entgangenem Gewinn ist an mehrere Voraussetzungen geknüpft:
1. Schadensereignis
Dem entgangenen Gewinn muss ein schädigendes Ereignis vorausgegangen sein, das rechtswidrig und schuldhaft herbeigeführt wurde, etwa eine Vertragsverletzung, eine unerlaubte Handlung oder eine deliktische Handlung.
2. Kausalität
Es muss ein ursächlicher Zusammenhang (Kausalität) zwischen dem Schadensereignis und dem entgangenen Gewinn bestehen. Das bedeutet, dass der Gewinn ohne das schädigende Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre.
3. Zurechenbarkeit
Der Schaden muss dem Schädiger zurechenbar sein. Hier gelten spezifische Regeln über die Adäquanz und Vorhersehbarkeit des Schadens.
4. Wahrscheinlichkeit der Gewinnerzielung
Nach der Rechtsprechung reicht es aus, wenn feststeht, dass der Gewinn mit wirtschaftlicher Wahrscheinlichkeit erzielt worden wäre. Absolute Sicherheit ist in der Praxis nicht erforderlich. § 252 Satz 2 BGB besagt, dass unter anderem frühere Geschäftsergebnisse oder getroffene Anstalten zur Gewinnerzielung als Indizien dienen können.
Rechtsprechung und Anwendungsbeispiele
Vertragsverletzung
Eine typische Fallgruppe betrifft verletzte Liefer- oder Werkverträge, wodurch einem Unternehmer lukrative Anschlussgeschäfte entgehen. In diesen Fällen kann lucrum cessans als Schadensposition geltend gemacht werden, wenn ausreichend belegt werden kann, dass der Gewinn ohne das schädigende Ereignis höchstwahrscheinlich erzielt worden wäre.
Unerlaubte Handlungen
Auch aus unerlaubten Handlungen wie Sachbeschädigung oder Eingriffen in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb resultiert regelmäßig entgangener Gewinn, etwa wenn eine Produktionsmaschine zerstört wird und der Unternehmer deshalb Aufträge nicht erfüllen kann.
Kartellrecht
Im Kartellrecht wird lucrum cessans häufig bei der Durchsetzung privatrechtlicher Schadensersatzansprüche wegen wettbewerbswidriger Absprachen relevant, wenn Unternehmen durch Kartellverstöße andere Marktteilnehmer vom Gewinn ausschließen.
Anspruchshöhe und Berechnung des entgangenen Gewinns
Bemessungsgrundlagen
Die Ermittlung des entgangenen Gewinns erfolgt in der Regel durch Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage mit der hypothetischen Vermögenslage, die ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Maßgeblich sind konkrete betriebswirtschaftliche Daten, wie Umsatzzahlen, Buchungen, Verträge sowie Marktanalysen und unternehmensinterne Kalkulationen.
Beweislast und Beweiserleichterungen
Der geschädigten Seite obliegt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass und in welchem Umfang ein Gewinn entgangen ist. Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung bieten dabei Beweiserleichterungen: Gemäß § 287 ZPO genügt es, wenn auf Grundlage der vorliegenden Umstände eine Schätzung vorgenommen werden kann.
Grenzen der Geltendmachung
Unrealistische oder nur vage Gewinneinnahmen werden regelmäßig nicht anerkannt. Der geltend gemachte Gewinn muss mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit konkretisierbar sein. Gewinne, die nur auf Spekulationen beruhen, finden keine Berücksichtigung.
Vergleichbare Institute in anderen Rechtssystemen
Common Law
Im Common Law wird das Prinzip als „loss of profit“ bezeichnet und spielt eine zentrale Rolle bei der Ermittlung von Damages im Vertragsrecht. Auch hier werden nur solche Gewinne ersetzt, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erzielt worden wären und deren Anfall dem Schädiger erkennbar war.
Internationales Handelsrecht
Im internationalen Schiedsrecht, etwa beim UN-Kaufrecht (CISG, Art. 74), wird der entgangene Gewinn ausdrücklich als zu ersetzender Schaden anerkannt, ohne auf eine nationale Begriffsbestimmung Bezug zu nehmen.
Bedeutung für die Praxis
Der Ersatzanspruch auf entgangenen Gewinn stellt in der Praxis eine zentrale Anspruchsposition in zivilrechtlichen Streitigkeiten dar. Die genaue Berechnung und der Nachweis des lucrum cessans erfordern meist eine sorgfältige Dokumentation der geschäftlichen Tätigkeit und eine betriebswirtschaftlich fundierte Ermittlung des hypothetisch erzielbaren Gewinns. Insbesondere bei Unternehmen und unternehmerisch geführten Betrieben ist der Ersatz des entgangenen Gewinns regelmäßig von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.
Zusammenfassung
Lucrum cessans bezeichnet den entgangenen Gewinn als ersatzfähigen Vermögensschaden im Zivilrecht. Die Durchsetzung entsprechender Ansprüche hängt von verschiedenen Voraussetzungen, insbesondere dem Nachweis des hypothetisch erzielbaren Gewinns und dessen Kausalität zum Schadensereignis, ab. Der Begriff ist in zahlreichen Rechtsordnungen und auch im internationalen Recht anerkannt und bildet eine wesentliche Komponente im modernen Schadensersatzrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche Voraussetzungen müssen für einen Anspruch auf Ersatz des lucrum cessans vorliegen?
Um einen Anspruch auf Ersatz des lucrum cessans, also des entgangenen Gewinns, im rechtlichen Kontext geltend machen zu können, müssen verschiedene Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein. Zunächst setzt der Anspruch regelmäßig das Vorliegen einer unerlaubten Handlung, einer Vertragsverletzung oder einer sonstigen rechtswidrigen Schädigung voraus, aus der sich eine Schadensersatzpflicht ergibt. Die Geschädigte muss zudem nachweisen, dass ihr tatsächlich ein Vermögensnachteil in Form entgangener Einnahmen entstanden ist, der über den reinen Verlust vorhandener Vermögenswerte (damnum emergens) hinausgeht. Weiterhin ist zu verlangen, dass der entgangene Gewinn auf die schädigende Handlung zurückzuführen und kausal dadurch verursacht wurde. Schließlich muss der entgangene Gewinn auch in seiner Höhe mit ausreichender Sicherheit nachgewiesen oder zumindest schlüssig und nachvollziehbar dargelegt werden (§ 252 BGB, analog in anderen Rechtsordnungen). Insbesondere im Zivilrecht verlangt die Rechtsprechung für den Beweis des lucrum cessans keine absolute, aber eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Gewinns bei ordnungsgemäßem Verlauf.
Wie erfolgt die Berechnung des entgangenen Gewinns im Rahmen des lucrum cessans?
Die Berechnung des entgangenen Gewinns stellt hohe Anforderungen an die Darlegungslast der anspruchstellenden Partei. Grundsätzlich muss der Geschädigte konkret vortragen, wie sich der Schaden entwickelt hätte, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Dieser sogenannte „hypothetische Kausalverlauf“ basiert oft auf betriebswirtschaftlichen Auswertungen, Zahlen aus der Vergangenheit sowie Branchenkennzahlen und Prognosen. Die Berechnung kann beispielsweise auf der Grundlage von Vorjahresumsätzen, bereits getätigten Investitionen oder bestehenden Aufträgen erfolgen. Zusätzlich sind etwaige Aufwendungen, die durch das schädigende Ereignis erspart wurden, abzuziehen (Grundsatz der Vorteilsausgleichung). In der gerichtlichen Praxis ist anerkannt, dass eine exakte Berechnung häufig nicht möglich ist; daher genügt auch eine Schätzung des Gerichts gemäß § 287 ZPO (bzw. vergleichbarer Vorschriften in anderen Rechtsordnungen), sofern eine hinreichende Tatsachengrundlage für die Schätzung geschaffen wurde.
Welche Beweiserleichterungen gibt es im Zusammenhang mit der Geltendmachung des lucrum cessans?
Im Bereich des lucrum cessans ist zu berücksichtigen, dass der Nachweis eines tatsächlich entgangenen Gewinns mit erheblichen Beweisschwierigkeiten verbunden sein kann, da es sich um einen hypothetischen Verlauf handelt. Die Rechtsprechung gewährt daher Beweiserleichterungen, indem sie lediglich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Gewinns verlangt, nicht aber den strikten Nachweis. Gemäß § 252 BGB reicht es, wenn aus dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen des Falles die Erwartung berechtigt ist, dass der Gewinn erzielt worden wäre. Zusätzlich kann das Gericht den Schaden gemäß § 287 ZPO nach freier Überzeugung schätzen, wenn die genaue Höhe nicht ermittelt werden kann. Diese Beweiserleichterungen sollen verhindern, dass dem Geschädigten der Ersatzanspruch völlig versagt wird, nur weil der hypothetische Charakter des Schadens einen lückenlosen Nachweis verhindert.
In welchen Rechtsgebieten spielt der Ersatz des lucrum cessans eine Rolle?
Der Ersatz des entgangenen Gewinns (lucrum cessans) ist ein zentraler Schadensposten im Zivilrecht, namentlich im Vertragsrecht und Deliktsrecht. Auch im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes, wie etwa bei Verletzung von Schutzrechten, spielt die Geltendmachung von entgangenem Gewinn durch die rechtsverletzende Handlung eine erhebliche Rolle. Darüber hinaus finden sich Regelungen zum Ersatz des lucrum cessans im öffentlichen Recht, insbesondere im Bereich des Enteignungsrechts und der Staatshaftung, und im internationalen Recht, etwa im Rahmen der Bestimmung von Schadensersatz bei Vertragsverletzungen nach internationalen Übereinkommen oder Investitionsschutzabkommen. In der Praxis kommt der lucrum cessans vor allem in Wirtschaftsstreitigkeiten, Arzthaftungsprozessen, Verkehrsunfällen und bei Betriebsunterbrechungsschäden zur Anwendung.
Gibt es Besonderheiten beim Anspruch auf lucrum cessans im Unternehmenskontext?
Im Unternehmenskontext ist der Nachweis des entgangenen Gewinns oftmals aufwendiger und erfordert umfassende betriebswirtschaftliche Analysen. Besonderheiten ergeben sich insbesondere bei der Berücksichtigung von Fixkosten, variablen Kosten, Deckungsbeiträgen und der Frage, in welchem Umfang Personal- und Sachaufwendungen während der Schadensperiode fortgelaufen oder eingespart wurden. Darüber hinaus kann es zu Wechselwirkungen mit steuerlichen Aspekten kommen, vor allem im Hinblick darauf, ob Erstattungen oder Versicherungsleistungen auf den Anspruch angerechnet werden müssen. In Konzernstrukturen kann zudem problematisch sein, ob und inwieweit Tochtergesellschaften oder Dritte eigene Ansprüche geltend machen können oder Gewinne konzernintern verrechnet wurden. Im Unternehmenskontext wird der Anspruch daher häufig von Sachverständigengutachten begleitet.
Wie wird mit dem Mitverschulden des Geschädigten beim lucrum cessans umgegangen?
Das Mitverschulden des Geschädigten beeinflusst nach § 254 BGB den Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns und kann zur Kürzung oder sogar zum vollständigen Ausschluss des Anspruchs führen. Maßgeblich ist, ob und inwieweit der Geschädigte durch eigenes Verhalten den Eintritt des Schadens oder dessen Umfang mitverursacht hat bzw. unterlassen hat, ihn zu vermeiden. Bei Betriebsunterbrechungen beispielsweise muss der Unternehmer darlegen, dass er alle zumutbaren Maßnahmen zur Schadensminderung getroffen hat, insbesondere eine Schadensminderungspflicht. Wird ein Mitverschulden anerkannt, verringert sich der Anspruch auf Ersatz des lucrum cessans anteilig in dem Verhältnis, in dem das Mitverschulden für den Schaden ursächlich war.
Welche Unterschiede bestehen zwischen dem reinen Vermögensschaden (damnum emergens) und dem lucrum cessans?
Das Schadensrecht unterscheidet klassischerweise zwischen dem tatsächlich eingetretenen Vermögensverlust (damnum emergens) und dem entgangenen Gewinn (lucrum cessans). Während das damnum emergens den unmittelbaren und messbaren Schaden – etwa die Beschädigung oder den Verlust einer Sache – umfasst, bezeichnet der lucrum cessans den hypothetischen Schadensposten, der in der Nicht-Realisierung eines erwartbaren Vorteils liegt. Juristisch relevant ist diese Unterscheidung, weil sich daraus unterschiedliche Anforderungen an die Darlegung, den Beweis und die Schätzung ergeben: Während das damnum emergens meist exakt beziffert werden kann, hängt das lucrum cessans von künftigen Entwicklungen ab und unterliegt daher spezifischen Nachweis- und Schätzungsregeln. Beide Formen sind jedoch nach deutschem und vielen anderen Schadensrechtssystemen grundsätzlich ersatzfähig, wenn die haftungsrechtlichen Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall vorliegen.