Definition und rechtliche Einordnung des Lohnvorschusses
Lohnvorschuss bezeichnet im deutschen Arbeitsrecht die vorzeitige Auszahlung eines Teils des noch nicht verdienten Arbeitsentgelts an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Anspruch auf Lohnvorschuss ist im deutschen Recht nicht ausdrücklich geregelt, kann sich aber aus gesetzlichen Vorschriften, Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder aus dem Arbeitsvertrag ergeben. Das Instrument des Lohnvorschusses dient dazu, Beschäftigten in besonderen finanziellen Notlagen einen begrenzten Vorschuss auf das zu erwartende Arbeitsentgelt zur Verfügung zu stellen.
Gesetzliche Grundlagen
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und Arbeitsvertragsrecht
Eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Gewährung eines Lohnvorschusses sieht das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) nicht vor. Nach § 614 BGB ist das Arbeitsentgelt grundsätzlich nach Erbringung der Arbeitsleistung zu zahlen (Grundsatz der Nachleistungspflicht des Arbeitgebers). Gleichwohl gibt es unter bestimmten Umständen aus dem Wiedergutmachungsgedanken (§ 242 BGB – Treu und Glauben) eine Verpflichtung, einen angemessenen Lohnvorschuss zu gewähren, insbesondere in Fällen der unverschuldeten Notlage der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers.
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen
Zahlreiche Tarifverträge enthalten spezielle Bestimmungen zum Lohnvorschussrecht, die Voraussetzungen, Umfang und Rückzahlungsmodalitäten detailliert regeln. Auf betrieblicher Ebene können Betriebsvereinbarungen den Anspruch auf Lohnvorschuss sowie dessen Modalitäten kodifizieren und einschränken oder erweitern.
Voraussetzungen für einen Lohnvorschuss
Notlage des Arbeitnehmenden
Ein häufiger Anlass für die Gewährung eines Lohnvorschusses ist das Vorliegen einer unverschuldeten, wirtschaftlichen Notlage. Die Rechtsprechung erkennt eine Pflicht zur Zumutbarkeit für Arbeitgeber an, wenn der Arbeitnehmer unverschuldet in eine ernste finanzielle Notlage gerät und keine zumutbare andere Möglichkeit der Abhilfe besteht.
Höhe des Lohnvorschusses
Die Höhe des Lohnvorschusses ist meist auf die bereits verdiente, aber noch nicht ausgezahlte Arbeitsleistung beschränkt. Der Lohnvorschuss überschreitet in der Praxis selten den Betrag, der dem Arbeitnehmer für den laufenden Abrechnungszeitraum zusteht. Überschreitet der Vorschuss diesen Betrag, so handelt es sich in der Regel um ein Darlehen, für das gesonderte Vereinbarungen getroffen werden müssen.
Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers
Sofern keine abweichenden tariflichen oder betrieblichen Regelungen bestehen, entscheidet der Arbeitgeber nach pflichtgemäßem Ermessen über die Gewährung des Vorschusses. Die Ablehnung darf nicht willkürlich oder diskriminierend erfolgen.
Abgrenzung zwischen Lohnvorschuss und Arbeitgeberdarlehen
Im Unterschied zum Lohnvorschuss bezeichnet das Arbeitgeberdarlehen die Auszahlung eines Geldbetrages, der nicht über bereits erbrachte Arbeitsleistungen abgedeckt ist und über einen längeren Zeitraum zurückgezahlt werden muss. Während der Vorschuss regelmäßig mit der nächsten Lohnabrechnung verrechnet wird, bedarf das Darlehen einer gesonderten Regelung mit Rückzahlungsmodalitäten wie Laufzeit, Zinsen und Fälligkeit.
Rückzahlung und Verrechnung
Verrechnung mit dem nächsten Arbeitsentgelt
Der gewährte Lohnvorschuss wird grundsätzlich mit dem nächsten fällig werdenden Arbeitsentgelt verrechnet. Hierbei darf die Pfändungsfreigrenze nicht unterschritten werden (§ 850c ZPO, Schutz vor Existenzgefährdung des Arbeitnehmers).
Rückzahlungspflicht bei Arbeitsverhältnisende
Endet das Arbeitsverhältnis vor Verrechnung des Lohnvorschusses, besteht eine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich des zu viel gezahlten Betrags. Auch hierbei gilt der Schutz nach den Vorschriften der Lohnpfändung.
Lohnvorschuss im Kontext des Insolvenzrechts
Wird über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet, beeinflusst dies auch bestehende Vorschussansprüche. Arbeitnehmer bleiben für bereits verdiente, aber noch nicht ausgezahlte Vorschüsse grundsätzlich Insolvenzgläubiger. Hinsichtlich nicht verdienter Vorschüsse besteht ein Rückforderungsanspruch der Insolvenzmasse.
Steuerliche Behandlung des Lohnvorschusses
Lohnvorschüsse stellen steuerlich Arbeitslohn dar, und zwar zum Zeitpunkt der tatsächlichen Auszahlung (§ 38a Abs. 1 S. 2 EStG). Sozialversicherungsbeiträge sind ebenfalls nach der tatsächlichen Zahlung zu berechnen und abzuführen.
Lohnvorschuss im internationalen Kontext
Ob und in welchem Umfang ein Anspruch auf Lohnvorschuss besteht, ist in anderen Ländern unterschiedlich geregelt. In vielen Rechtssystemen ist eine ausdrückliche Regelung in Tarifverträgen oder im Gesetz vorgesehen, während in anderen die Gewährung vollständig im Ermessen des Arbeitgebers liegt.
Zusammenfassung
Der Lohnvorschuss ist ein arbeitsrechtliches Gestaltungsmittel zur Überbrückung kurzfristiger finanzieller Engpässe auf Seiten der Arbeitnehmer. Zwar besteht kein originärer Anspruch aus dem BGB, doch kann sich durch Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen oder Treu und Glauben ein Recht auf Lohnvorschuss ergeben. Die Ausgestaltung sowie die Modalitäten der Rückzahlung unterliegen dem allgemeinen Arbeitsrecht und finden speziell im Zusammenhang mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder Insolvenz des Arbeitgebers besondere Beachtung. Steuerrechtlich gilt der erhaltene Lohnvorschuss als regulärer Arbeitslohn.
Siehe auch
- Arbeitsentgelt
- Betriebsvereinbarung
- Tarifvertrag
- Insolvenz des Arbeitgebers
Quellen:
- Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
- Tarifvertragsgesetz (TVG)
- Zivilprozessordnung (ZPO)
- Einkommenssteuergesetz (EStG)
- Bundesarbeitsgericht (diverse Entscheidungen)
Häufig gestellte Fragen
Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Lohnvorschuss?
Ein Anspruch auf Lohnvorschuss besteht im deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich nur in Ausnahmefällen. Die wichtigste gesetzliche Grundlage hierfür ist § 616 BGB, nach dem ein Arbeitnehmer unter bestimmten Umständen einen Vorschuss verlangen kann. Voraussetzung ist zunächst, dass der Arbeitnehmer aus wichtigen, unverschuldeten Gründen in eine wirtschaftliche Notlage geraten ist, beispielsweise durch Krankheit, verspätete Lohnzahlung oder unvorhergesehene Ausgaben, und andernfalls seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten kann. Ein bloßer Wunsch nach schneller Auszahlung genügt nicht. Darüber hinaus muss das Arbeitsverhältnis weiterhin bestehen, da ansonsten die Grundlage für den Vorschuss entfällt. Häufig trifft der Anspruch nur auf den bereits verdienten, aber noch nicht ausgezahlten Lohnbestandteil zu. In Unternehmen können zudem tarifvertragliche, betriebliche oder einzelvertragliche Regelungen existieren, die weitergehende Ansprüche eröffnen oder einschränken. Arbeitgeber sind hingegen bei fehlender Vereinbarung nicht verpflichtet, Vorschüsse auszuzahlen, es sei denn, entsprechende gesetzliche, tarifliche oder vertragliche Verpflichtungen bestehen. Der Arbeitgeber darf die Auszahlung eines Lohnvorschusses außerdem ablehnen, wenn er nach sorgfältiger Prüfung des Einzelffalls berechtigte Zweifel an der Notwendigkeit oder der Anspruchsberechtigung des Arbeitnehmers hat.
Wie wirkt sich ein Lohnvorschuss auf die Sozialabgaben und Lohnsteuer aus?
Lohnvorschüsse gelten sozialversicherungsrechtlich und steuerlich als Teil des Arbeitslohns. Das bedeutet, dass sie in dem Monat als Arbeitsentgelt berücksichtigt werden, in dem die Auszahlung erfolgt. Daraus folgt, dass die Vorschusszahlung bei der Berechnung von Sozialabgaben (Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) sowie bei der Lohnsteuerveranlagung bereits im Zeitpunkt der Vorschusszahlung verbeitragt und versteuert werden muss. In der Lohnabrechnung muss der Arbeitgeber somit darauf achten, den Vorschuss als gezahlten Lohn auszuweisen und entsprechende Abgaben korrekt abzuführen. Bei späteren regulären Lohnzahlungen im selben Abrechnungszeitraum wird der bereits gezahlte Vorschuss angerechnet, sodass der Restlohn entsprechend gemindert ausgezahlt wird. Werden Vorschüsse regelmäßig gezahlt, verlangt die Sozialversicherung eine fortlaufende und genaue Dokumentation.
Gibt es eine gesetzliche Obergrenze für einen Lohnvorschuss?
Das Gesetz legt keine explizite Höchstgrenze für die Höhe eines Lohnvorschusses fest. In der Praxis ist jedoch zu beachten, dass ein Lohnvorschuss grundsätzlich nur den bereits erarbeiteten Lohn umfasst – also den Lohn für die Zeit, die der Arbeitnehmer bis zum Zeitpunkt der Vorschussgewährung bereits geleistet hat. Ein Vorschuss auf zukünftige, noch nicht erbrachte Arbeitsleistung ist ohne ausdrückliche vertragliche Regelung oder betriebliche Übung in der Regel nicht zulässig und birgt Haftungsrisiken für den Arbeitgeber. Im Übrigen können betriebliche Vereinbarungen, Tarifverträge oder interne Richtlinien bestimmte Grenzen vorsehen, beispielsweise als Prozentsatz des Monatslohns oder in Form von Höchstbeträgen. Arbeitgeber sollten bei der Entscheidung über die Höhe eines Vorschusses prüfen, ob damit ein unzulässiges Risiko, etwa im Falle vorzeitiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses, verbunden ist.
Welche Risiken bestehen für Arbeitgeber bei der Gewährung von Lohnvorschüssen?
Die Gewährung eines Lohnvorschusses ist für Arbeitgeber mit bestimmten Risiken verbunden. Das größte Risiko stellt die Möglichkeit dar, dass das Arbeitsverhältnis vor Auszahlung des regulären Gehalts, auf das der Vorschuss angerechnet werden sollte, beendet wird – etwa durch Kündigung, Aufhebungsvertrag oder fristlose Entlassung. In diesen Fällen könnte der Arbeitgeber Schwierigkeiten haben, den ausgezahlten Vorschuss vom Arbeitnehmer zurückzufordern, insbesondere wenn dieser wirtschaftlich nicht leistungsfähig ist. Ein weiteres Risiko besteht in der korrekten Abwicklung der Lohnsteuer und Sozialabgaben. Fehler hierbei können zu Nachzahlungen und Bußgeldern führen. Deshalb empfiehlt es sich, die Gewährung eines Lohnvorschusses stets schriftlich zu dokumentieren und eindeutig mit dem Arbeitnehmer zu vereinbaren, zu welchen Bedingungen, in welcher Höhe und auf welche künftigen Gehaltsansprüche der Vorschuss angerechnet wird.
Welche rechtlichen Besonderheiten gelten bei wiederholten Lohnvorschüssen?
Werden Lohnvorschüsse wiederholt und regelmäßig gewährt, kann sich daraus nach einiger Zeit eine sogenannte „betriebliche Übung“ entwickeln. Dies bedeutet, dass Arbeitnehmer aufgrund der bisherigen Handhabung einen Anspruch auf zukünftige Vorschusszahlungen erlangen könnten, auch wenn eine ausdrückliche vertragliche Regelung fehlt. Die arbeitsrechtliche Rechtsprechung sieht eine solche Übung in der Regel dann als gegeben an, wenn ein Verhalten drei Jahre in Folge ohne Vorbehalt wiederholt wird. Für den Arbeitgeber kann dies bedeuten, dass auch künftig Vorschüsse zu zahlen sind, sofern er der Praxis nicht rechtzeitig und klar widerspricht. Zur Vermeidung einer betrieblichen Übung empfiehlt es sich, bei jeder Vorschusszahlung ausdrücklich schriftlich darauf hinzuweisen, dass es sich um eine einmalige und freiwillige Leistung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht handelt.
Elterngeld und Lohnvorschuss: Welche Besonderheiten sind zu beachten?
Erhält der Arbeitnehmer im Bemessungszeitraum für das Elterngeld einen Lohnvorschuss, ist rechtlich zu beachten, dass dieser – sofern er originär ein Gehaltsbestandteil und nicht als Darlehen deklariert ist – als laufender Arbeitslohn gilt und damit im Elterngeldantrag berücksichtigt wird. Das wirkt sich unmittelbar auf die Berechnung des Elterngeldes aus, da das Elterngeld auf Basis des Nettoeinkommens vor der Geburt berechnet wird. Hier können Vor- oder Nachteile entstehen, je nachdem, ob der Vorschuss zu einer erhöhten oder verminderten Auszahlung im jeweiligen Bemessungsmonat führt. Bei einer Rückzahlung oder Verrechnung des Vorschusses im Folgemonat ist zudem auf eine korrekte und transparente Dokumentation gegenüber den Elterngeldstellen zu achten, um Rückfragen oder Nachforderungen vorzubeugen.