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Lieferungskauf


Begriff und rechtliche Einordnung des Lieferungskaufs

Der Lieferungskauf ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Schuldrecht und beschreibt eine besondere Ausprägung des Kaufvertrags, bei dem sich der Verkäufer verpflichtet, die Ware an einen anderen Ort als den Erfüllungsort zu liefern. Das bedeutet, dass nicht der Käufer die Kaufsache beim Verkäufer abholt, sondern der Verkäufer die Ware auf eigene oder fremde Kosten und Gefahr zum Käufer oder zu einem von diesem bestimmten Ort transportieren lässt.

Rechtsgrundlagen für den Lieferungskauf finden sich überwiegend in den §§ 433 ff., 447, 448, 269 und 270 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und, sofern beide Parteien Unternehmer sind, ergänzend im Handelsgesetzbuch (HGB). Der Lieferungskauf gehört zu den sogenannten Versendungskäufen nach deutschem Recht.


Abgrenzung zu anderen Kaufarten

Stückkauf und Gattungskauf

Ein Lieferungskauf kann sowohl ein Stückkauf (Kauf einer konkret bestimmten Sache) als auch ein Gattungskauf (Kauf einer nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Sache) sein. Die Einordnung ist relevant für die rechtlichen Auswirkungen, insbesondere im Hinblick auf Gefahrübergang und Leistungsstörungen.

Versendungskauf

Der Lieferungskauf ist in der Regel ein Versendungskauf im Sinne von § 447 BGB. Sobald der Verkäufer auf Verlangen des Käufers die Ware an einen anderen Ort als den Erfüllungsort verschickt, liegt ein Versendungskauf vor. Abzugrenzen ist der Lieferungskauf daher insbesondere vom Abholungskauf (Holschuld), bei dem der Käufer die Ware am Geschäftssitz des Verkäufers übernimmt.


Rechtliche Hauptpflichten beim Lieferungskauf

Pflichten des Verkäufers

Beim Lieferungskauf übernimmt der Verkäufer die Pflicht, dem Käufer die Kaufsache nicht nur zu übereignen und zu übergeben, sondern sie auch zu dem vereinbarten Ort zu verschicken. Die Art und Weise der Versendung sowie die Modalitäten ergeben sich häufig aus den vertraglichen Vereinbarungen oder den Umständen des Einzelfalls.

Pflichten des Käufers

Der Käufer ist verpflichtet, den Kaufpreis zu zahlen und die Ware am Bestimmungsort anzunehmen. Überdies trägt er ab dem Gefahrübergang (siehe unten) grundsätzlich das Risiko eines zufälligen Untergangs oder einer Verschlechterung der Ware.


Erfüllungsort und Leistungsort

Bestimmung des Leistungsortes

Im Kaufrecht gilt grundsätzlich, dass der Leistungsort (Erfüllungsort) beim Verkäufer liegt (§ 269 Abs. 1 BGB). Wird jedoch eine Lieferung an einen anderen Ort vereinbart (Lieferort), ist zwischen Holschuld, Schickschuld und Bringschuld zu unterscheiden. Beim typischen Lieferungskauf handelt es sich meist um eine Schickschuld, bei der der Verkäufer die Kaufsache versendet, nicht aber persönlich überbracht (Bringschuld).

Auswirkungen auf Vertrag und Gefahrtragungsregelungen

Die Bestimmung von Leistungs- und Lieferort ist entscheidend für die Verteilung der Transportkosten sowie für den Zeitpunkt des Gefahrübergangs.


Gefahrübergang beim Lieferungskauf

Gesetzliche Regelung (§ 447 BGB)

Beim Versendungskauf geht nach § 447 Abs. 1 BGB die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Ware auf den Käufer über, sobald der Verkäufer die Sache an die zur Ausführung der Versendung bestimmte Person (z. B. ein Transportunternehmen) übergibt.

Diese Regelung findet automatisch Anwendung, sofern der Käufer kein Verbraucher ist und keine abweichende Vereinbarung getroffen wurde.

Sonderregelung bei Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB)

Im Verbrauchsgüterkauf (§ 474 BGB) – also beim Kauf einer beweglichen Sache durch einen Verbraucher von einem Unternehmer – geht die Gefahr abweichend erst mit Übergabe der Ware auf den Käufer über (§ 474 Abs. 4 BGB). Damit trägt der Verkäufer das Risiko, bis der Käufer die Ware tatsächlich erhält.


Rechtsfolgen bei Leistungsstörungen

Lieferverzug

Kommt der Verkäufer seinen Lieferpflichten nicht nach, kann der Käufer unter den Voraussetzungen der §§ 280, 286 BGB Schadensersatz verlangen oder vom Vertrag zurücktreten.

Mangelhafte Lieferung

Wird die Ware mangelhaft geliefert, stehen dem Käufer Nachbesserungs-, Rücktritts-, Minderungs- und Schadensersatzansprüche gemäß §§ 434 ff. BGB zu. Die Rügeobliegenheiten bei Handelsgeschäften nach § 377 HGB sind von Unternehmern zu beachten.

Annahmeverzug

Nimmt der Käufer die gelieferte Ware nicht an, kann er in Annahmeverzug geraten (§§ 293 ff. BGB), was insbesondere für die Haftungsverhältnisse und den Gefahrübergang relevant ist.


Kostenregelungen beim Lieferungskauf

Die Kosten der Versendung trägt der Käufer, sofern nichts anderes vertraglich vereinbart wurde (§ 448 Abs. 1 BGB). Enthält ein Kaufvertrag die „frei Haus“-Klausel oder wird Lieferung „ab Werk“ oder „unfrei“ vereinbart, ergeben sich daraus unterschiedliche Pflichten für die Kosten- und Gefahrtragung.


Internationaler Lieferungskauf

Im grenzüberschreitenden Warenverkehr können die Regelungen des UN-Kaufrechts (CISG) zur Anwendung kommen, wenn beide Vertragsparteien ihren Sitz in unterschiedlichen Vertragsstaaten haben. In diesem Fall gelten eigene Bestimmungen bezüglich Lieferpflichten, Vertragsverletzungen und Gefahrübergang (vgl. Art. 31 ff. CISG).


Zusammenfassung

Der Lieferungskauf ist im deutschen Schuldrecht ein vielseitiges Rechtsgeschäft, das wesentliche Besonderheiten hinsichtlich der Leistungsmodalitäten, der Gefahrtragung und der Kostenzuordnung aufweist. Je nach Vertragsgestaltung, Parteistellung (Verbraucher oder Unternehmer) und nationalem bzw. internationalem Kontext kommen unterschiedliche Rechtsfolgen zur Anwendung. Ein umfassendes Verständnis der gesetzlichen Vorgaben ist essenziell für die rechtssichere Ausgestaltung und Abwicklung von Lieferungskäufen in der Praxis.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt beim Lieferungskauf die Gefahr des zufälligen Untergangs der Ware?

Im Rahmen des Lieferungskaufs (häufig im deutschen Recht als Versendungskauf gemäß § 447 BGB geregelt) geht die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung der Ware grundsätzlich mit der Übergabe an den Transporteur auf den Käufer über. Das bedeutet, sobald der Verkäufer die bestellte Ware ordnungsgemäß an ein Transportunternehmen (bspw. Paketdienst, Spediteur) übergibt, trägt der Käufer das Risiko, falls die Ware auf dem Transportweg beschädigt wird oder verloren geht. Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn es sich beim Käufer um einen Verbraucher handelt; dann bleibt es gemäß § 475 Abs. 2 BGB beim sogenannten Verbrauchsgüterkauf, wonach die Gefahr erst mit der Übergabe an den Verbraucher selbst auf diesen übergeht. Zu beachten ist zudem, dass diese Regelung dispositiv ist und durch vertragliche Vereinbarungen zwischen den Parteien dahingehend abgeändert werden kann, dass das Risiko gegebenenfalls erst zu einem anderen Zeitpunkt übergeht.

Wann ist der Kaufpreis beim Lieferungskauf fällig?

Die Fälligkeit des Kaufpreises beim Lieferungskauf richtet sich in erster Linie nach den vertraglichen Vereinbarungen zwischen Käufer und Verkäufer. Fehlen solche Bestimmungen, gilt nach allgemeinem Schuldrecht (§ 271 BGB), dass der Kaufpreis grundsätzlich mit der Übergabe und Verschaffung des Besitzes an der Ware fällig wird, sofern nicht durch Vereinbarung oder Handelsbrauch ein anderer Zeitpunkt bestimmt wurde. Beim Versendungskauf kann es dennoch üblich sein, Vorkasse oder Nachnahme zu vereinbaren. Ergibt sich aus dem Vertrag, dass der Versand erst nach Zahlungserhalt erfolgt (Vorkasse), so ist der Käufer zur Vorleistung verpflichtet. Im Regelfall treten Leistungsverpflichtung (Zahlung) und Leistungserbringung (Lieferung) jedoch gleichzeitig ein, wodurch ein sogenanntes Zug-um-Zug-Verhältnis entsteht.

Welche Rechte hat der Käufer bei Lieferverzug des Verkäufers?

Kommt der Verkäufer im Rahmen des Lieferungskaufs mit der Lieferung der Ware in Verzug, stehen dem Käufer die gesetzlichen Rechte aus §§ 280, 286 BGB zu. Der Käufer kann zunächst auf die ordnungsgemäße Leistung bestehen (Erfüllungsanspruch). Zudem kann er Ersatz des durch den Verzug entstandenen Schadens verlangen, sofern den Verkäufer ein Verschulden trifft. Nach Ablauf einer angemessenen Nachfrist zur Leistung ist der Käufer ferner gemäß § 323 BGB zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt. Alternativ kann anstelle der Leistung Schadensersatz statt der Leistung verlangt werden. Bei einer beidseitigen Handelsfirma (beiderseitiger Handelskauf nach HGB) kann der Käufer, sollte die Ware für einen bestimmten Termin oder Zeitraum fest bestellt sein, unter erleichterten Voraussetzungen vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatz fordern.

Welche Bedeutung kommt den Lieferfristen beim Lieferungskauf zu?

Lieferfristen sind im Lieferungskauf von besonderer Bedeutung, insbesondere weil sie bestimmen, wann der Verkäufer seine Lieferpflicht erfüllen muss. Werden diese Fristen ausdrücklich vereinbart, handelt es sich um verbindliche Vertragsbestandteile. Bei der Nichteinhaltung kann der Käufer nach Ablauf einer zur Nachholung bestimmten Frist Ersatzansprüche geltend machen oder vom Vertrag zurücktreten. Sogenannte „Fixgeschäfte“, bei denen die Einhaltung des Lieferzeitpunkts essenziell für den Vertragszweck ist, ermöglichen es dem Käufer unmittelbar nach Fristversäumnis zurückzutreten, ohne dass eine Nachfrist gesetzt werden muss (§ 376 HGB). Wird keine konkrete Lieferfrist vereinbart, muss die Lieferung „sofort“ bzw. innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen (§ 271 BGB).

Ist der Lieferungskauf verbindlich, wenn die Ware noch nicht existiert (Stück- oder Gattungsschuld)?

Im Lieferungskauf ist zwischen Stück- und Gattungsschulden zu unterscheiden. Bei einer Stückschuld wird ein individualisiertes Einzelstück geschuldet, wohingegen bei einer Gattungsschuld eine Ware nach bestimmten allgemeinen Merkmalen (z.B. „100 kg Weizen der Qualitätsstufe X“) erbracht werden muss. Der Vertrag über die Lieferung nicht existierender, aber bestimmbarer Ware (Gattungsschuld) ist grundsätzlich wirksam. Der Verkäufer muss im Zweifel die Ware beschaffen. Erst wenn die Sache nachträglich tatsächlich nicht mehr beschaffbar ist und dies nicht vom Verkäufer zu vertreten ist, kann er nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit sein. Beim sogenannten „Konzentrationsakt“ (§ 243 BGB) konkretisiert sich die Gattungsschuld auf einen bestimmten Teil, sobald der Verkäufer das zur Leistung seinerseits Erforderliche getan hat, zum Beispiel die ausgewählten Waren für den Versand ausgesondert und dem Transportunternehmen übergeben hat.

Wer trägt die Kosten bei einem Lieferungskauf?

Die Kostenverteilung beim Lieferungskauf richtet sich nach den vertraglichen Abreden sowie nach dispositivem Gesetzesrecht, falls keine Vereinbarungen getroffen wurden. Nach § 448 BGB trägt grundsätzlich der Käufer die Kosten der Versendung, sofern nichts anderes vereinbart ist. Dazu gehören insbesondere Transport- und Verpackungskosten. Der Verkäufer muss jedoch die Kosten der Übergabe selbst tragen (z.B. Aussonderung, Bereitstellung). Im internationalen Handelsverkehr finden häufig die INCOTERMS Anwendung, die die Risiko- und Kostenübergänge ausführlich regeln. Entgegenstehende Allgemeine Geschäftsbedingungen oder abweichende Handelsbräuche können das gesetzliche Modell modifizieren.

Wie ist beim Lieferungskauf mit Mängeln an der gelieferten Ware zu verfahren?

Zeigt sich nach der Lieferung ein Sachmangel, bestimmen sich die Rechte des Käufers nach den §§ 434 ff. BGB. Der Käufer kann zunächst Nacherfüllung verlangen, also entweder die Beseitigung des Mangels (Nachbesserung) oder die Lieferung einer mangelfreien Sache (Ersatzlieferung). Ist die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder nicht möglich, kann der Käufer den Kaufpreis mindern oder nach Setzen einer angemessenen Frist zurücktreten. Darüber hinaus können Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, sofern ein Verschulden seitens des Verkäufers vorliegt. Beim Handelskauf (§ 377 HGB) trifft den Käufer jedoch eine besondere Rügeobliegenheit: Er muss die Ware unverzüglich auf Mängel untersuchen und auftretende Mängel gegenüber dem Verkäufer anzeigen, andernfalls verliert er seine Gewährleistungsrechte. Beim Verbrauchsgüterkauf sind diese Pflichten eingeschränkt, zugunsten des Verbrauchers.