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Lieferanten-, Einkaufsfactoring


Lieferanten- bzw. Einkaufsfactoring – Begriff und rechtliche Grundlagen

Definition des Lieferanten-/Einkaufsfactorings

Lieferanten- oder Einkaufsfactoring ist eine eigenständige Form des Factoring, bei der eine Unternehmung (Kunde oder Debitor) ihre Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gegenüber ihren Lieferanten nicht direkt, sondern über einen Factor begleicht. Im Gegensatz zum klassischen Forderungsverkaufsfactoring, bei dem Forderungen eines Unternehmens gegenüber seinen Abnehmern an einen Factor abgetreten werden, stellt beim Einkaufsfactoring der Factor dem Kunden einen verlängerten Zahlungszeitraum zur Verfügung, indem er die Verbindlichkeiten der Kunden gegenüber deren Lieferanten begleicht und sich daran ein Rückzahlungsanspruch gegen den Kunden knüpft.

Wirtschaftliche Tätigkeit und Vertragsparteien

Zu den beteiligten Parteien zählen:

  • Der Einkäufer (Debitor), welcher Waren oder Dienstleistungen von Lieferanten bezieht,
  • der Lieferant als Forderungsinhaber,
  • ein Factor als Intermediär.

Der Einkäufer schließt einen Einkaufsfactoringvertrag mit dem Factor. Der Lieferant erhält die sofortige Zahlung durch den Factor und tritt hierfür den fälligen Gegenwert der Lieferung bzw. Leistung an den Factor ab.

Rechtliche Konzeption und Vertragsstruktur

Factoringvertrag und Rahmenverträge

Das Einkaufsfactoring basiert auf komplexen Vertragsstrukturen, welche im Kern aus:

  • Rahmenvertrag zwischen Factor und Debitor
  • Einzelaufträgen für jede abgetretene Forderung
  • Abtretungsvereinbarungen zwischen Lieferant und Factor

bestehen. Die Übertragung der Forderungen erfolgt regelmäßig durch Zession. Der Factor begleicht die Verbindlichkeiten des Debitors bei Fälligkeit gegenüber dem Lieferanten und erhält im Gegenzug das Recht, die Ausgleichsforderung zu einem vereinbarten späteren Zeitpunkt gegenüber dem Debitor geltend zu machen.

Abtretung (Zession) der Lieferantenforderung

Rechtsgrundlage für das Einkaufsfactoring ist das Abtretungsrecht gemäß §§ 398 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Die Zession der Forderung von Lieferant an Factor bedarf grundsätzlich keiner Zustimmung des Schuldners (hier: Debitor), es sei denn, die Abtretung ist vertraglich ausgeschlossen (§ 399 BGB) oder unterliegt anderen gesetzlichen Beschränkungen (beispielsweise bei Globalzessionen und Sicherungsrechten im Insolvenzfall).

Typische Vertragsinhalte beim Einkaufsfactoring

Zu den zentralen Regelungen zählen:

  • Konditionen der Vorauszahlungen und Zahlungsziele,
  • Konditionen der Weiterbelastung an den Debitor,
  • Abwicklung von Aussonderungsrechten, Retouren und Reklamationen,
  • Vorgehen bei Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz einer Partei,
  • Einbeziehung von Eigentumsvorbehalten nach §§ 449 ff. BGB,
  • Kosten, Gebühren und Zinsberechnung.

Besonderheiten und rechtliche Herausforderungen

Sicherungsrechte und Insolvenzfestigkeit

Bei der Abtretung von Forderungen im Rahmen des Einkaufsfactorings können insolvenzrechtliche Fragestellungen auftreten. Maßgeblich ist, ob die Abtretung wirksam und insolvenzfest erfolgte. Probleme können entstehen im Zusammenhang mit verlängerten Eigentumsvorbehalten, nachträglicher Freigabe der Forderung („Forderungseinziehung durch Dritte“ während der Lieferanteninsolvenz) sowie etwaigen Anfechtungen nach §§ 129 ff. InsO (Insolvenzordnung), insbesondere der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO (vorsätzliche Benachteiligung).

Zahlungszielverlängerung und deren rechtlicher Rahmen

Der Factor gewährt dem Debitor bei Einkaufsfactoring in der Regel ein verlängertes Zahlungsziel. Die rechtliche Zulässigkeit der Zahlungskonditionen bemisst sich an den vertraglichen Absprachen, unterliegt jedoch auch der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB (insbesondere bei AGB). Zudem gelten die gesetzlichen Vorschriften zum Zahlungsverkehr, insbesondere die Regelungen des § 271a BGB im Zusammenhang mit unzulässig langen Zahlungsfristen.

Transparenz, Informations- und Mitwirkungspflichten

Vertraglich ergeben sich für alle Beteiligten vielfältige Informations- und Mitwirkungspflichten, u. a. Offenlegung der Forderungsbestände, Informationspflichten gegenüber dem Factor im Fall von Reklamationen, Gutschriften und Rückabwicklungen sowie die Mitteilung über wesentliche Änderungen bei der Geschäftsabwicklung, Insolvenz oder sonstigen Störungen.

Steuerliche Behandlung des Einkaufsfactorings

Von hoher praktischer Bedeutung sind die steuerlichen Konsequenzen des Einkaufsfactorings. Insbesondere hat die Übertragung von Forderungen umsatzsteuerliche Wirkung. Die Frage, wem der Vorsteuerabzug zusteht und wann eine Umsatzsteuerpflicht entsteht, richtet sich nach den Grundsätzen der umsatzsteuerlichen Behandlung von Lieferungen und Leistungen, sowie nach § 13 UStG (Entstehung der Steuer).

Zins- und Factoringentgelte sind regelmäßig als Finanzierungskosten zu qualifizieren, die ertragsteuerlich als Betriebsausgaben abzugsfähig sind.

Einkaufsfactoring im internationalen Kontext

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind zusätzlich internationale Regelungen zu beachten. Hierzu zählen insbesondere das UN-Kaufrecht (CISG), die Rom I-Verordnung zur Bestimmung des auf Factoringverträge anwendbaren Rechts sowie das UNIDROIT-Übereinkommen über das Factoring. In Mehrstaatenverhältnissen können kollisionsrechtliche Fragestellungen hinsichtlich der Wirksamkeit von Forderungsabtretungen und der Geltendmachung im Ausland erheblich werden.

Rechtspolitische Entwicklung und Marktstandards

Das Einkaufsfactoring unterliegt einer dynamischen Entwicklung, insbesondere aufgrund von Modernisierung der Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2), Digitalisierung der Vertragsabwicklung, regulatorischen Anforderungen an Finanzdienstleister sowie der Markttransparenzvorgaben der Europäischen Union. Im deutschen Recht ist das Einkaufsfactoring bislang nicht eigenständig gesetzlich normiert, sondern fußt auf den allgemeinen Regelungen des Schuld-, Sicherheiten- und Insolvenzrechts.

Zusammenfassung

Lieferanten- bzw. Einkaufsfactoring ist ein komplexes Instrument der Liquiditätsbeschaffung und Zahlungsabwicklung, das sich durch eine spezifische rechtliche Konzeption und vielfältige rechtliche Rahmenbedingungen auszeichnet. Die juristische Behandlung reicht von schuldrechtlichen und sachenrechtlichen Aspekten über insolvenzrechtliche Fragen bis hin zu steuer- wie auch internationalen Rechtsproblemen. Die sorgfältige Vertragsgestaltung und Beachtung der gesetzlichen Rahmenbedingungen ist Grundvoraussetzung für die Wirksamkeit und Rechtssicherheit von Einkaufsfactoring-Vereinbarungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für den Abschluss eines Einkaufsfactoring-Vertrages mit einem Lieferanten erfüllt sein?

Für den Abschluss eines Einkaufsfactoring-Vertrags zwischen einem Käufer (Debitor), dem Factor und dem Lieferanten bedarf es zunächst der rechtlichen Geschäftsfähigkeit aller beteiligten Parteien. Der Vertragsschluss erfolgt auf der Grundlage der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), insbesondere der §§ 145 ff. BGB bezüglich Angebot und Annahme sowie der grundsätzlichen Vertragsfreiheit. Der Lieferant muss rechtlich in der Lage sein, die Forderung wirksam an den Factor abzutreten, was insbesondere bedeutet, dass kein vertragliches oder gesetzliches Abtretungsverbot greift (§ 398 BGB). Weiterhin muss die Forderung selbst hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar und bereits entstanden oder sicher entstehend sein. Bei künftigen Forderungen ist dies nur dann möglich, wenn der Anspruch bereits fest umrissen ist und der Inhalt nachträglich noch konkretisiert werden kann. Ist die Forderung bereits anderweitig abgetreten oder verpfändet, ist der Abschluss mit einem anderen Factor rechtlich nicht wirksam. Darüber hinaus sind die Regelungen zum Datenschutz und zur Geheimhaltung zu beachten, insbesondere wenn Vertragspartner Verbraucher sind; dann greift unter anderem die DSGVO. Schließlich ist – insbesondere im internationalen Kontext – auch auf eventuelle exportkontrollrechtliche Bestimmungen, handels- und steuerrechtliche Vorschriften zu achten, die Einfluss auf die Wirksamkeit und Abwicklung des Factoringvertrags haben können.

Welche rechtlichen Risiken bestehen beim Lieferantenfactoring hinsichtlich Anfechtungs- und Rückforderungsansprüchen im Insolvenzfall des Käufers?

Im Fall der Insolvenz des Käufers besteht für den Factor stets das Risiko, dass Zahlungen, die kurz vor Insolvenzantragstellung erfolgt sind, vom Insolvenzverwalter nach den §§ 129 ff. der Insolvenzordnung (InsO) angefochten werden können. Die sogenannte Insolvenzanfechtung soll verhindern, dass einige Gläubiger vor der Insolvenz besser gestellt werden als andere. Insbesondere Zahlungen innerhalb der letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung (Kongruenzanfechtung, § 130 InsO) und die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit erhöhen das Risiko der Rückforderung durch den Insolvenzverwalter. Für den Factor und indirekt auch für den Lieferanten – insbesondere wenn er mit Rückgriff haftet – bedeutet das eine Unsicherheit hinsichtlich der endgültigen Realisierung der abgetretenen Forderung. Daher sind sichernde Vertragsgestaltungen wichtig, etwa in Form von Rückabwicklungsklauseln, Haftungsbegrenzungen oder entsprechenden Warenkreditversicherungen. Factoringanbieter sollten sorgfältige Prüfprozesse implementieren und gegebenenfalls bei Anzeichen der Krise des Käufers von weiteren Geschäften Abstand nehmen.

Welche gesetzlichen Informations- und Mitteilungspflichten bestehen beim Abschluss und während der Durchführung eines Einkaufsfactoring-Vertrages nach deutschem Recht?

Nach deutschem Recht bestehen für die Parteien die allgemeinen vorvertraglichen Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Der Verkäufer/Lieferant ist verpflichtet, dem Factor bereits vor Vertragsabschluss sämtliche relevanten Informationen zur jeweiligen Forderung vollständig und wahrheitsgemäß zu übermitteln, da bei bewusster oder fahrlässiger Falschinformation eine Haftung wegen Verletzung vorvertraglicher Pflichten droht. Während der Durchführung des Factoringvertrags sind ferner alle Änderungen, zum Beispiel nachträgliche Mängel der Lieferung oder Vereinbarungen zur Reduzierung der Forderung, dem Factor unverzüglich anzuzeigen. Wird die Abtretung dem Käufer angezeigt (Offenes Factoring), so ist dies gesetzlich nicht zwingend vorgeschrieben, aber für die Durchsetzbarkeit der Forderung im Regelfall notwendig. Darüber hinaus greifen je nach Vertragsausgestaltung und Geschäftsbereich auch handels- oder aufsichtsrechtliche Meldepflichten, insbesondere nach dem Geldwäschegesetz (GwG), sowie steuerrechtliche Dokumentationspflichten.

Wie wirkt sich ein wirksames Abtretungsverbot auf die rechtliche Durchsetzbarkeit des Einkaufsfactoring aus?

Ein vertraglich oder gesetzlich vereinbartes Abtretungsverbot (§ 399 BGB) verhindert grundsätzlich die rechtswirksame Übertragung der Forderung vom Lieferanten auf den Factor. Im deutschen Recht ist eine Abtretung trotz Abtretungsverbotes nach § 354a HGB jedoch im Handelsverkehr ausnahmsweise zulässig, sofern es sich um eine Geldforderung aus einem Handelsgeschäft handelt. Diese Vorschrift schützt den Factor insoweit, dass der Erwerb der Forderung nicht an einem (vertraglich vereinbarten) Abtretungsverbot scheitert. Die Leistung an den Factor wirkt aber dann nur befreiend, wenn dieser trotz des Abtretungsverbots gutgläubig ist. Zu beachten bleibt, dass das Abtretungsverbot weiterhin als schuldrechtliche Beschränkung zwischen dem ursprünglichen Gläubiger und dem Schuldner wirkt, sodass der Lieferant sich ggf. schadenersatzpflichtig machen kann, wenn er seinerseits gegen das Abtretungsverbot verstößt. Abschließend ist zu beachten, ob der Anwendungsbereich des § 354a HGB eröffnet ist, was insbesondere bei Geschäften mit Verbrauchern nicht der Fall ist.

Welche Pflichten zur Vertragsgestaltung im Hinblick auf das Datenschutzrecht müssen Lieferant und Factor beachten?

Bei der Abtretung von Forderungen im Rahmen des Einkaufsfactoring werden regelmäßig auch personenbezogene Daten weitergegeben, etwa Name und Anschrift des Kunden, Vertrags- oder Rechnungsdetails. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sind beide Parteien, insbesondere aber der Factor, verpflichtet, die Datenverarbeitung rechtmäßig, transparent und zweckgebunden vorzunehmen (Art. 5 und 6 DSGVO). Je nach Ausgestaltung kann eine sog. Auftragsverarbeitung gemäß Art. 28 DSGVO vorliegen, für die ein separater Vertrag notwendig ist. Zudem ist die betroffene Person (Käufer) über die Datenverarbeitung zu informieren (Art. 13 DSGVO), sofern die Abtretung offengelegt wird, und es müssen angemessene technische und organisatorische Maßnahmen zur Datensicherheit getroffen werden (Art. 32 DSGVO). Datenschutzrechtliche Verstöße können zu empfindlichen Bußgeldern führen, daher empfiehlt sich die Einschaltung eines Datenschutzbeauftragten bei der Vertragsgestaltung und -umsetzung.

Welche steuerrechtlichen Besonderheiten sind beim Lieferantenfactoring zu beachten?

Beim Einkaufsfactoring sind insbesondere die umsatz- und ertragsteuerlichen Aspekte zu berücksichtigen. Die Abtretung der Forderung durch den Lieferanten an den Factor stellt keine umsatzsteuerbare Leistung dar, sondern lediglich eine Forderungsübertragung. Für die Berechnung der Umsatzsteuer ist der ursprüngliche Leistungsvertrag zwischen Lieferant und Käufer maßgeblich; der Factor tritt insoweit „nur“ als neuer Forderungsinhaber auf. Bei Rückforderungen (beispielsweise im Rahmen der Insolvenzanfechtung) sind Korrekturen der Umsatzsteuer nach § 17 UStG vorzunehmen. Auch die Behandlung der Factoringgebühren unterliegt der Umsatzsteuerpflicht. Ertragsteuerlich ist der Erlös aus der Forderungsveräußerung beim Lieferanten im Zeitpunkt der Abtretung als Betriebseinnahme zu erfassen, abzüglich Wertberichtigungen oder Factoringgebühren. Auch ist Klarheit darüber zu schaffen, wer die steuerlichen Pflichten bezüglich der Rechnungsstellung, Mahnung und ggf. der Einziehung wahrnimmt, um Doppelbesteuerung oder steuerliches Risiko zu vermeiden.

Welche Haftungsrisiken bestehen für den Lieferanten nach der Abtretung einer Forderung an den Factor?

Auch nach der Abtretung der Forderung an den Factor haftet der Lieferant regelmäßig für den Bestand sowie die Einredefreiheit der übertragenen Forderung (§ 437 BGB analog). Hat der Factor die Forderung „pro solvendo“ (also nur zum Zwecke der Einziehung) übernommen, bleibt der Lieferant im Ausfallrisiko, sollte der Käufer nicht zahlen. Bei vertraglicher Übernahme des Ausfallrisikos durch den Factor („pro soluto“) haftet der Lieferant im Regelfall lediglich für den rechtlichen Bestand und die Durchsetzbarkeit der Forderung, etwa dass diese nicht bereits anderweitig abgetreten wurde, nicht bestritten ist und nicht mit Einreden oder Einwendungen behaftet ist. Verletzt der Lieferant diese Garantie- bzw. Aufklärungspflichten, kann der Factor im Wege des Schadensersatzes oder durch Rückübertragung der Forderung gegen den Lieferanten vorgehen. Im Übrigen treffen den Lieferanten weiterhin Mitwirkungspflichten, beispielsweise bei der Beitreibung oder im Falle von Rückfragen zur Forderung. Zusätzlich sind vertragliche Regelungen zu Rückgriffsfällen und Freistellungen üblich, die das Haftungsrisiko für den Lieferanten konkretisieren oder begrenzen.