Definition und Bedeutung des Leistungsbestimmungsrechts
Das Leistungsbestimmungsrecht ist ein zentraler Begriff im Schuldrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und beschreibt das Recht, Art, Umfang, Zeit oder Ort einer zu erbringenden Leistung innerhalb eines Schuldverhältnisses einseitig durch einen der Vertragsparteien oder einen Dritten zu bestimmen. Dieses Recht beeinflusst maßgeblich die inhaltliche Konkretisierung von Pflichten aus Schuldverhältnissen. Das Leistungsbestimmungsrecht gewinnt insbesondere bei Rahmenverträgen und Dauerschuldverhältnissen sowie bei Verträgen mit unbestimmten Leistungsinhalten Bedeutung.
Gesetzliche Grundlagen
§ 315 BGB – Bestimmung der Leistung durch eine Partei
Das deutsche Zivilrecht normiert das Leistungsbestimmungsrecht insbesondere in § 315 BGB. Danach kann die Bestimmung der Leistung grundsätzlich auch einem der Vertragspartner oder einem Dritten überlassen werden. Diese Bestimmung muss „nach billigem Ermessen“ erfolgen. Dies bietet einen angemessenen Interessenausgleich und unterwirft das Bestimmungsrecht erheblichen rechtlichen Schranken. Für den Fall, dass eine Bestimmung nicht nach billigem Ermessen erfolgt, kann sie gemäß Abs. 3 des § 315 BGB durch Urteil getroffen werden.
§ 316 BGB – Bestimmung der Gegenleistung
Ergänzend legt § 316 BGB fest, dass wenn die Bestimmung nur noch über die Gegenleistung erfolgen muss, die Ausübung des Bestimmungsrechts durch den Gläubiger erfolgt, sofern nichts anderes vereinbart wurde.
Arten des Leistungsbestimmungsrechts
Einseitige Leistungsbestimmung
Bei einer einseitigen Leistungsbestimmung wird die Entscheidung über den Leistungsinhalt, Leistungszeitpunkt oder Leistungsort einer Vertragspartei überlassen. Beispiele sind flexible Arbeitszeiten, variable Vertragsmengen und Auswahlrechte bei Gattungsschulden.
Leistungsbestimmung durch Dritte
Häufig wird die Leistungsbestimmung auch einem unabhängigen Dritten übertragen, etwa einem Schiedsrichter im Sport- oder Bauvertragswesen, oder einem Sachverständigen in technischen Lieferungssituationen. Juristisch handelt es sich dabei um eine Auslagerung der Entscheidungsbefugnis aus dem Vertragsverhältnis heraus.
Mitwirkungspflicht beim Schuldner
Auch kann das Leistungsbestimmungsrecht im Rahmen von Mitwirkungsrechten des Schuldners bestehen, beispielsweise beim Auswahlrecht bezüglich Lieferfristen oder Zahlungsmethoden. Es verbleibt jedoch grundsätzlich das Recht auf Kontrolle der Bestimmung nach billigem Ermessen.
Inhalt und Umfang des Bestimmungsrechts
Leistungsinhalt
Das Leistungsbestimmungsrecht bezieht sich auf den konkreten Inhalt der geschuldeten Leistung, sofern dieser im Vertrag nicht abschließend geregelt wurde oder variabel ausgestaltet ist. Dies ist häufig bei Rahmenverträgen, Optionen oder flexiblen Preisgestaltungen der Fall.
Leistungszeit und Leistungsort
Verträge können ebenfalls dem Gläubiger oder einem Dritten die Befugnis einräumen, Leistungstermine oder den Liefer- bzw. Leistungsort nach eigenem Ermessen festzulegen.
Umfang der Leistung
Bei unbestimmter Mengenvereinbarung, beispielsweise bei Sukzessivlieferverträgen, kann ein Leistungsbestimmungsrecht über die jeweiligen Abrufmengen eingeräumt werden.
Rechtliche Schranken und Kontrolle der Leistungsbestimmung
Billiges Ermessen
Die gesetzliche Schranke ergibt sich maßgeblich aus der Pflicht zur Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts nach „billigem Ermessen“, was eine Abwägung der beiderseitigen Interessen verlangt. Insbesondere dürfen sachfremde Erwägungen, Willkür oder Diskriminierung keine Rolle spielen.
Gerichtliche Überprüfbarkeit
Ist die getroffene Bestimmung zwischen den Parteien streitig, prüft das Gericht, ob das billige Ermessen gewahrt wurde. Bei Verstoß kann das Gericht die Bestimmung selbst vornehmen oder anpassen (§ 315 Abs. 3 BGB).
Vereinbarungsfreiheit
Im Rahmen der Vertragsfreiheit kann das Bestimmungsrecht im Vertrag ausgestaltet und modifiziert werden, insofern keine gesetzlichen Verbote, Sittenwidrigkeit oder treuwidrige Benachteiligung vorliegt. Einschränkungen können zudem durch das AGB-Recht (§§ 305 ff. BGB) entstehen, wenn eine unangemessene Benachteiligung einer Vertragspartei erfolgt.
Praxistypische Anwendungsbereiche
Arbeitsrecht
Im Arbeitsrecht hat der Arbeitgeber oft ein Leistungsbestimmungsrecht bezüglich der Zuweisung von Aufgaben (Direktionsrecht), des Arbeitsortes und der Arbeitszeit. Auch das Weisungsrecht ist eine Ausprägung des Leistungsbestimmungsrechts.
Mietrecht
Im Mietrecht kann das Leistungsbestimmungsrecht beispielsweise bedeuten, dass der Mieter unter mehreren zur Verfügung stehenden Lagern oder Flächen frei wählen darf.
Kauf- und Lieferverträge
Im Rahmen von Sukzessivlieferverträgen oder bei Verträgen über Gattungswaren besteht häufig ein Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich Menge, Qualität oder Umfang der geschuldeten Leistung.
Unterschiede zu ähnlichen Rechtsinstituten
Das Leistungsbestimmungsrecht unterscheidet sich von der Leistungswahl (Wahlrecht, § 262 BGB) dadurch, dass bei letzterem zwischen verschiedenen, bereits bestimmten Leistungen gewählt wird, wohingegen die Leistungsbestimmung ein noch nicht konkretisierter Inhalt betrifft. Auch das Anweisungsrecht an Dienstleister ist vom Leistungsbestimmungsrecht abzugrenzen, insbesondere wenn dieses in Form von bloßen Organisationsanweisungen ausgestaltet wird.
Zusammenfassung
Das Leistungsbestimmungsrecht ist ein funktional wichtiges schuldrechtliches Gestaltungsrecht, mit dessen Hilfe die Parteien die Flexibilität eines Vertrags aufrechterhalten und auf unvorhersehbare Gegebenheiten reagieren können. Aufgrund der gesetzlichen Schranken, insbesondere dem Gebot des billigen Ermessens und der gerichtlichen Kontrollierbarkeit, bietet es beiden Parteien Schutz vor Benachteiligung und sichert einen fairen Interessenausgleich. Seine Relevanz zeigt sich in einer Vielzahl von Vertragstypen quer durch das Zivilrecht.
Häufig gestellte Fragen
Wer übt das Leistungsbestimmungsrecht im Schuldverhältnis aus und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Das Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 BGB kann grundsätzlich sowohl vom Gläubiger als auch vom Schuldner oder einem Dritten ausgeübt werden, sofern dies im Schuldverhältnis vereinbart oder gesetzlich vorgesehen ist. Voraussetzung für die Ausübung ist zunächst das Bestehen einer sogenannten „bestimmungsbedürftigen Leistung“. Das heißt, die zu erbringende Leistung muss in der Weise bestimmt sein, dass ihre Einzelheiten durch eine spätere Bestimmung einer Partei oder eines Dritten konkretisiert werden müssen. Gesetzliche Grundlage hierfür sind regelmäßig die §§ 315, 316 BGB, wonach eine Partei die „Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen“ zu treffen hat, sofern dies nicht ausdrücklich anderweitig vereinbart wurde. Die Partei, die das Leistungsbestimmungsrecht innehat, ist dabei verpflichtet, bei ihrer Entscheidung nicht einseitig nur ihre eigenen Interessen zu verfolgen, sondern muss die widerstreitenden Interessen beider Parteien angemessen berücksichtigen.
Wie wird die „Billigkeit“ der Leistungsbestimmung juristisch überprüft?
Die Billigkeit im Sinne von § 315 BGB verlangt, dass die festgelegte Leistung einer angemessenen Interessenabwägung beider Vertragsparteien entspricht. Bei Meinungsverschiedenheiten über die Billigkeit der Leistungsbestimmung unterliegt diese einer gerichtlichen Nachprüfung. Das Gericht prüft sodann, ob die bestimmte Leistung das Interesse des Bestimmungsberechtigten unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Teils erkennbar unverhältnismäßig bevorzugt, etwa durch grob unangemessene Preise oder Bedingungen. Gegebenenfalls wird die Leistungsbestimmung durch das Gericht selbst ersetzt; dies ist in § 319 Abs. 1 S. 2 BGB ausdrücklich geregelt. Die gerichtliche Kontrolle stellt sicher, dass das Leistungsbestimmungsrecht nicht zur unfairen Benachteiligung der anderen Vertragspartei missbraucht wird.
Welche Rechtsfolgen hat eine unbillige Leistungsbestimmung?
Erweist sich eine Leistungsbestimmung als unbillig, ist sie gemäß § 315 Abs. 3 BGB unverbindlich. Der Gläubiger oder Schuldner kann in diesem Fall verlangen, dass die Bestimmung durch Urteil festgesetzt wird („Leistungsklage“). Das Gericht kann dann eine eigene, der Billigkeit entsprechende Festlegung der Leistung vornehmen. Bis zu dieser gerichtlichen Klärung besteht Unsicherheit hinsichtlich des Umfangs der Leistungspflicht, was ggf. auch Auswirkungen auf etwaige Leistungs- oder Verzugsklagen hat. Es bleibt zu beachten, dass trotz unverbindlicher Leistungsbestimmung das Schuldverhältnis an sich bestehen bleibt; nur der Inhalt der Leistung wird durch richterliche Entscheidung festgesetzt.
In welchen Vertragstypen wird das Leistungsbestimmungsrecht typischerweise vereinbart?
Das Leistungsbestimmungsrecht findet sich in der Praxis vor allem in Dauerschuldverhältnissen und Verträgen mit variablen Leistungsinhalten. Typische Beispiele sind Mietverträge hinsichtlich der Anpassung von Nebenkosten oder von Betriebskostenpauschalen, Bauverträge zur Konkretisierung von Ausführungsdetails, aber auch Arbeitsverträge, soweit der Arbeitsort, die Arbeitszeit oder Tätigkeiten zu bestimmen sind. Ebenso begegnet das Leistungsbestimmungsrecht im Kaufrecht, wenn Partei den genauen Lieferumfang, die Beschaffenheit oder Ähnliches erst nach Vertragsschluss näher festgelegt. Das Institut findet auch außerhalb des BGB Anwendung, etwa im Versicherungsrecht oder im öffentlichen Vertragsrecht.
Kann das Leistungsbestimmungsrecht vertraglich ausgeschlossen oder modifiziert werden?
Das Leistungsbestimmungsrecht ist grundsätzlich dispositiv, das heißt, die Vertragsparteien können es durch ausdrückliche oder konkludente Vereinbarungen ausschließen oder inhaltlich abändern. Möglich ist zum Beispiel eine Vereinbarung, dass die Leistungsbestimmung nicht nach billigem Ermessen, sondern nach einem anderen Kriterium erfolgen soll (zum Beispiel nach Marktpreisen, nach neutralen Schiedsstellen o.Ä.). Auch kann vereinbart werden, dass beide Parteien gemeinsam die bestimmungsbedürftige Leistung festlegen oder dass ein bestimmter Dritter damit betraut wird. Ein vollständiger Ausschluss der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Billigkeit im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB ist allerdings nicht zulässig, da dies eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB (AGB-Kontrolle) darstellen würde.
Welche Besonderheiten gelten bei der Leistungsbestimmung durch einen Dritten?
Soll die Leistungsbestimmung durch einen Dritten erfolgen, gelten die Vorschriften der §§ 317 ff. BGB. Der Dritte ist im Rahmen der übertragenen Bestimmung befugt, Inhalt, Umfang oder Art der Leistung verbindlich festzusetzen. Auch hier gilt der Grundsatz der Billigkeit; die Entscheidung des Dritten ist – sofern nicht ausdrücklich Unverbindlichkeit vereinbart wurde – bindend, es sei denn, sie ist „offenbar unbillig“ (§ 319 Abs. 1 S. 1 BGB). Bei Unbilligkeit kann wiederum die gerichtliche Ersatzbestimmung verlangt werden. Zudem haftet der Dritte unter Umständen, wenn er seine Aufgabe schuldhaft verletzt; dies betrifft insbesondere Fälle offenkundiger Parteilichkeit oder grober Pflichtwidrigkeit.