Legal Lexikon

Legalitätsprinzip


Begriff und Definition des Legalitätsprinzips

Das Legalitätsprinzip bezeichnet in der Rechtswissenschaft einen fundamentalen Grundsatz, nach dem staatliche Organe, insbesondere die Strafverfolgungsbehörden, verpflichtet sind, bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ohne eigenes Ermessen tätig zu werden. Der Begriff leitet sich vom lateinischen „legalitas“ (Gesetzmäßigkeit) ab und stellt sicher, dass die Strafverfolgung unabhängig von subjektiven Faktoren allein an objektive gesetzliche Vorgaben gebunden ist. Das Legalitätsprinzip unterscheidet sich damit maßgeblich vom Opportunitätsprinzip, bei dem den Behörden ein Entscheidungsspielraum („Ermessen“) eingeräumt wird. Das Legalitätsprinzip findet seine zentrale Bedeutung vor allem im Strafprozessrecht, hat aber auch Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete.

Rechtsgrundlagen und normative Verankerung

Deutschland

In der deutschen Rechtsordnung ist das Legalitätsprinzip vor allem in § 152 Absatz 2 der Strafprozessordnung (StPO) normiert:
„Sobald die Staatsanwaltschaft genügenden Anlass zur Untersuchung erhält, ist sie verpflichtet, einzuschreiten.“
Dieses Prinzip gilt grundsätzlich für Polizei und Staatsanwaltschaft und begründet deren Pflicht, bei Bekanntwerden eines Anfangsverdachts kraft Gesetzes zu ermitteln und ggf. Anklage zu erheben. Weitere Konkretisierungen finden sich insbesondere in § 160 StPO, der die Ermittlungspflicht der Staatsanwaltschaft regelt.

Österreich

Das österreichische Strafprozessrecht sieht das Legalitätsprinzip in § 2 Strafprozessordnung (StPO) vor. Auch hier wird bei Vorliegen eines Anfangsverdachts ein Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden zwingend vorgeschrieben.

Schweiz

In der Schweizer Rechtsordnung ist das Legalitätsprinzip in Artikel 7 des Strafgesetzbuchs (StGB) und in Artikel 320 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) verankert. Auch in der Schweiz besteht eine Pflicht, eine Straftat zu verfolgen, sobald Behörde oder Staatsanwaltschaft von ihr Kenntnis erlangen.

Anwendungsbereich und Reichweite

Abgrenzung zum Opportunitätsprinzip

Das Legalitätsprinzip ist strikt von dem in bestimmten Bereichen geltenden Opportunitätsprinzip zu unterscheiden. Während Letzteres beispielsweise im Ordnungswidrigkeitenrecht, im Jugendstrafrecht oder bei Bagatelldelikten zur Anwendung kommt, besteht im Anwendungsbereich des Legalitätsprinzips grundsätzlich kein Ermessensspielraum.

Materieller und formeller Anwendungsbereich

Das Legalitätsprinzip gilt insbesondere im Strafrecht und bezieht sich auf die Pflicht zur Verfolgung mutmaßlicher Straftaten. Materiell bedeutet dies die konsequente Anwendung des Strafrechts auf alle bekannten strafbaren Handlungen. Formell verpflichtet es die Staatsanwaltschaft, polizeiliche Ermittlungen zu leiten sowie bei hinreichendem Tatverdacht Anklage zu erheben.

Zweck und Zielsetzung

Das Legalitätsprinzip verfolgt das Ziel, die Gleichheit vor dem Gesetz und die objektive Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu gewährleisten. Es dient der Rechtssicherheit, dem Vertrauensschutz und dem Willkürverbot. Eine einheitliche und konsequente Verfolgung schafft Transparenz, verhindert Korruption und schützt sowohl den Einzelnen vor ungerechtfertigter Strafverfolgung als auch die Allgemeinheit vor Straffreiheit tatsächlicher Täterinnen und Täter.

Ausnahmen und Durchbrechungen

Trotz seiner allgemeinen Gültigkeit kennt das Legalitätsprinzip auch Ausnahmen. Typische Durchbrechungen ergeben sich in bestimmten Teilbereichen:

Geringfügige Straftaten

Bei weniger bedeutenden Straftaten wie Bagatelldelikten kann nach den normierten Voraussetzungen nach dem Opportunitätsprinzip verfahren werden. Im deutschen Recht sind hier insbesondere die §§ 153 ff. StPO zu nennen, die in bestimmten Fällen eine Einstellung des Verfahrens ermöglichen.

Absehen von Verfolgung

In besonderen Konstellationen, etwa bei strafunmündigen oder schuldunfähigen Tätern, kann von einer Strafverfolgung abgesehen werden. Ebenfalls möglich ist eine Durchbrechung bei bestimmten Privatklagedelikten, bei denen die Verfolgung grundsätzlich nicht von Amts wegen erfolgt.

Verhältnis zu anderen Rechtsgrundsätzen

Beachtung von Verfahrensgrundsätzen

Das Legalitätsprinzip steht im engen Zusammenhang mit dem Grundsatz des Nulla poena sine lege (Keine Strafe ohne Gesetz) sowie dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz. Es sichert die Objektivität und Rechtsstaatlichkeit strafprozessualer Abläufe.

Schutz von Bürgerrechten

Durch die Bindung der Strafverfolgungsorgane an das Gesetz schützt das Legalitätsprinzip auch die Bürgerrechte. Es verhindert ungerechtfertigte Eingriffe in die Freiheit des Einzelnen durch rechtswidrige Untersuchungen und sorgt für Transparenz im Umgang mit strafbaren Handlungen.

Internationale Bedeutung

Auch im internationalen Recht und im Recht der Europäischen Union spielt das Legalitätsprinzip eine wesentliche Rolle. Europäische und internationale Menschenrechtsstandards greifen das Prinzip auf, etwa in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und durch zahlreiche internationale Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung und Rechtsstaatlichkeit.

Kritik und aktuelle Entwicklungen

Das Legalitätsprinzip ist seit jeher Gegenstand rechtspolitischer und rechtswissenschaftlicher Debatten. Kritische Stimmen weisen insbesondere auf den hohen Ressourcenaufwand und die Belastung von Strafverfolgungsbehörden hin. Die Einführung diverser Einstellungen von Verfahren soll eine Balance zwischen der konsequenten Strafverfolgung und prozessökonomischen Gesichtspunkten schaffen.

Aktuelle Rechtsreformen und Diskussionen befassen sich vor allem mit digitalen Herausforderungen und Fragen der internationalen und europäischen Zusammenarbeit. Die Anpassung der Ermittlungsinstrumente und die Effizienzsteigerung unter Beibehaltung rechtsstaatlicher Grundsätze sind Schwerpunkte der gegenwärtigen Entwicklung.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Strafprozessordnung (StPO) Deutschland, Österreich, Schweiz
  • Strafgesetzbuch (StGB)
  • Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
  • Literatur zu Allgemeinem und Besonderem Teil des Strafrechts
  • Standardwerke zum Strafprozessrecht

Hinweis: Der vorliegende Artikel dient der umfassenden Information zum Thema Legalitätsprinzip und berücksichtigt den aktuellen Stand der Rechtslage bis zum Jahr 2024.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat das Legalitätsprinzip für die Staatsanwaltschaft?

Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Staatsanwaltschaft in Deutschland und anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen, bei Kenntnis einer verfolgbaren Straftat ein Ermittlungsverfahren einzuleiten (§ 152 Abs. 2 StPO). Der Staatsanwalt hat somit beim Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Straftat keine Wahlfreiheit, sondern ist per Gesetz zur Aufnahme sämtlicher, zur Aufklärung und Ahndung der Straftat erforderlichen Ermittlungen verpflichtet. Dies gewährleistet sowohl ein Gleichbehandlungsgebot hinsichtlich potentieller Straftäter als auch die rechtsstaatliche Kontrolle über staatliches Strafverfolgungshandeln. Das Legalitätsprinzip verhindert eine selektive, willkürliche oder politisch motivierte Strafverfolgung und unterscheidet sich damit grundlegend vom Opportunitätsprinzip, bei dem die Behörde Ermessen hinsichtlich der Strafverfolgung hat.

Gibt es gesetzlich geregelte Ausnahmen vom Legalitätsprinzip?

Das Legalitätsprinzip gilt grundsätzlich umfassend, doch bestehen im Strafprozessrecht klar definierte Ausnahmen. Nach § 153 ff. StPO sieht das Gesetz beispielsweise für Bagatelldelikte und bei geringer Schuld die Möglichkeit vor, von der Strafverfolgung abzusehen (Opportunitätsprinzip). Auch im Bereich der Privatklagedelikte hat die Staatsanwaltschaft ein Verfolgungsermessen. Darüber hinaus existieren im Jugendstrafrecht weitere Ausnahmen zugunsten des Erziehungsgedankens (§§ 45, 47 JGG). Dennoch bleibt der Grundsatz erhalten, dass bei schweren Straftaten und solchen von erheblichem öffentlichen Interesse das Legalitätsprinzip uneingeschränkt gilt.

Wie wirkt sich das Legalitätsprinzip auf das Anzeigeverfahren aus?

Das Legalitätsprinzip hat zur Folge, dass Strafanzeigen grundsätzlich nicht ignoriert oder nach Belieben zurückgestellt werden dürfen. Sobald eine Strafanzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft eingeht, sind diese verpflichtet, auf Plausibilität und hinreichende Anhaltspunkte für eine Straftat zu prüfen. Liegen solche vor, muss zwingend ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Damit wird sichergestellt, dass jede Mitteilung über mutmaßliches strafbares Verhalten staatlich überprüft wird. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn von vornherein erkennbar ist, dass das Verhalten keinen Straftatbestand erfüllt oder offensichtlich unbegründet ist.

Welche Kontrollmechanismen existieren zur Einhaltung des Legalitätsprinzips?

Die Einhaltung des Legalitätsprinzips wird unter anderem durch die gerichtliche Nachprüfung der Einstellung von Verfahren überwacht. Beschwerdemöglichkeiten gegen staatsanwaltschaftliche Einstellungsentscheidungen (§ 172 StPO, Klageerzwingungsverfahren) bieten ein rechtliches Korrektiv. Zudem unterliegen Staatsanwälte fachlicher und dienstlicher Aufsicht. Der Grundsatz des Aktenvortrags sowie die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle sichern darüber hinaus die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen im Vorfeld einer Anklageerhebung.

Welche Bedeutung hat das Legalitätsprinzip im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz?

Das Legalitätsprinzip trägt maßgeblich zur Verwirklichung des im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) bei, da es verbietet, einzelne Straftaten oder Straftäter willkürlich von der Strafverfolgung auszunehmen. Jede Straftat muss nach den gleichen gesetzlichen Maßstäben verfolgt werden, unabhängig von der Person des Beschuldigten, dessen gesellschaftlicher Stellung oder anderen Umständen. Damit ist das Legalitätsprinzip ein wesentlicher Baustein eines funktionierenden Rechtsstaats und dient der Vermeidung politisch motivierter oder diskriminierender Strafverfolgung.

Wie unterscheidet sich das Legalitätsprinzip vom Opportunitätsprinzip?

Während das Legalitätsprinzip die Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung aller ihnen bekannt gewordenen Straftaten verpflichtet, räumt das Opportunitätsprinzip diesen ein Ermessen ein, ob sie im Einzelfall Maßnahmen der Strafverfolgung ergreifen wollen oder nicht. Das Opportunitätsprinzip findet sich beispielsweise im angelsächsischen Rechtskreis („prosecutorial discretion“) oder eben in spezifischen Ausnahmefällen des deutschen Rechts (wie etwa § 153 StPO). Das Legalitätsprinzip bezweckt demgegenüber, subjektive Einflüsse bei der Strafverfolgung zu minimieren und eine gleichmäßige Anwendung der Strafgesetze zu garantieren.