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Latente Steuern

Latente Steuern: Begriff, Zweck und rechtliche Einordnung

Latente Steuern sind rechnerische Steueransätze in der Rechnungslegung, die Abweichungen zwischen dem handelsrechtlichen Jahresabschluss und der steuerlichen Gewinnermittlung abbilden. Sie dienen dazu, die Steuerlast periodengerecht zuzuordnen: Steuern werden dort gezeigt, wo die zugrunde liegenden Erträge und Aufwendungen wirtschaftlich entstehen, auch wenn die tatsächliche Steuerzahlung in eine andere Periode fällt. Latente Steuern entstehen aus Differenzen zwischen den Buchwerten von Vermögenswerten und Schulden in der Bilanz und ihren steuerlichen Werten (Steuerbilanzwerten) sowie aus steuerlichen Verlustvorträgen. Sie werden in Form von aktiven latenten Steuern (Steueransprüche) oder passiven latenten Steuern (Steuerverpflichtungen) ausgewiesen.

Entstehungsgründe und Systematik

Temporäre und permanente Differenzen

Latente Steuern beruhen auf temporären Differenzen. Das sind Abweichungen, die sich in künftigen Perioden voraussichtlich umkehren, zum Beispiel durch unterschiedliche Abschreibungsmethoden, Rückstellungsbewertung oder Ansatzverbote/-gebote. Permanente Differenzen (etwa steuerlich nicht abzugsfähige Aufwendungen oder steuerfreie Erträge) führen nicht zu latenten Steuern, da sie sich nicht umkehren.

Steuerliche Verlustvorträge

Aus nicht genutzten steuerlichen Verlusten können aktive latente Steuern entstehen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine künftige Verrechnung mit steuerpflichtigen Gewinnen vorliegen und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Nutzung besteht. Nicht nutzbare oder befristete Verlustvorträge können den Ansatz begrenzen.

Typische Ursachen temporärer Differenzen

Häufige Auslöser sind abweichende Nutzungsdauern und Abschreibungsmethoden, unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe für Vorräte und Rückstellungen, abweichende Ansatzregeln für immaterielle Werte, Leasingbilanzierung, Wertaufholungen und Wertminderungen, sowie Entkonsolidierungs- und Konsolidierungseffekte im Konzern.

Ansatz- und Bewertungsregeln

Ansatzkriterien

Passive latente Steuern werden grundsätzlich angesetzt, wenn voraussichtlich steuerpflichtige Beträge aus temporären Differenzen entstehen. Aktive latente Steuern werden angesetzt, wenn aus temporären Differenzen oder Verlustvorträgen voraussichtlich künftig steuerliche Entlastungen resultieren. Es bestehen Ausnahmen, insbesondere bei der anfänglichen Erfassung bestimmter Geschäftsvorfälle, bei denen weder handelsrechtlicher noch steuerlicher Gewinn oder Verlust entsteht, sowie bei der anfänglichen Erfassung von Geschäfts- oder Firmenwerten nach internationalen Standards.

Bewertung

Latente Steuern werden mit den Steuersätzen bewertet, die für die Periode der erwarteten Umkehr der Differenzen gelten. Maßgeblich sind die am Bilanzstichtag geltenden oder hinreichend angekündigten Steuersätze. Eine Abzinsung erfolgt nicht. Änderungen von Steuersätzen wirken sich auf die Bewertung aus und werden in der Periode der Änderung erfolgswirksam oder, sofern der zugrunde liegende Sachverhalt im Eigenkapital erfasst ist, entsprechend dort berücksichtigt.

Saldierung

Eine Verrechnung aktiver und passiver latenter Steuern ist nur zulässig, wenn eine rechtlich durchsetzbare Möglichkeit zur Verrechnung besteht und die latenten Steuern denselben Steuerkreis (identisches Steuersubjekt und dieselbe Steuerhoheit) betreffen. Ohne diese Voraussetzungen werden sie brutto ausgewiesen.

Nationale und internationale Rechnungslegung

Nationales Bilanzrecht

Im nationalen Einzelabschluss ist die Bildung passiver latenter Steuern grundsätzlich erforderlich, während der Ansatz aktiver latenter Steuern an zusätzliche Voraussetzungen geknüpft sein kann. Dies betrifft insbesondere die Wahrscheinlichkeit künftiger steuerlicher Entlastungen. Im Konzernabschluss sind die Regeln strenger und stärker auf eine vollständige Abbildung temporärer Differenzen ausgerichtet. Eine Saldierung ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Umfangreiche Anhangangaben sind vorgesehen.

Internationale Standards (IFRS)

Nach internationalen Rechnungslegungsstandards werden latente Steuern für sämtliche temporäre Differenzen gebildet, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen (unter anderem bei der Erstansetzung bestimmter Posten und beim Geschäfts- oder Firmenwert). Aktive latente Steuern aus abzugsfähigen temporären Differenzen und Verlustvorträgen werden angesetzt, soweit ihre Nutzung als wahrscheinlich gilt. Latente Steuern werden grundsätzlich als nicht kurzfristig klassifiziert, in der Regel nicht diskontiert und an die Steuersätze der erwarteten Umkehrperiode angepasst. Die Darstellung erfolgt in Übereinstimmung mit dem Ort der ergebnisbezogenen Erfassung des zugrunde liegenden Sachverhalts (Ergebnis, sonstiges Ergebnis oder Eigenkapital).

Unterschiede im Überblick

Wesentliche Unterschiede betreffen die Strenge der Ansatzpflicht, den Umgang mit Verlustvorträgen, die Ausnahmen bei Erstansätzen, die Klassifizierung, sowie Umfang und Tiefe der Anhangangaben. Während internationale Standards eine weitgehende Vollerfassung temporärer Differenzen verlangen, sehen nationale Regeln mitunter Ansatzwahlrechte oder -beschränkungen vor, insbesondere für aktive latente Steuern im Einzelabschluss.

Besondere Sachverhalte

Unternehmenszusammenschlüsse

Bei Zusammenschlüssen führen fair-value-Anpassungen von Vermögenswerten und Schulden zu temporären Differenzen und damit zu latenten Steuern. Diese beeinflussen die Kaufpreisallokation. Nach internationalen Standards werden keine aktiven latenten Steuern auf die anfängliche Erfassung von Geschäfts- oder Firmenwerten gebildet; bei anderen Wertansätzen ist die Bildung üblich.

Beteiligungen und Außenbasisdifferenzen

Differenzen zwischen dem handelsrechtlichen Buchwert einer Beteiligung und ihrer steuerlichen Basis (sogenannte Außenbasisdifferenzen) können zu latenten Steuern führen. Der Ansatz hängt davon ab, ob eine Umkehr wahrscheinlich ist und in wessen Einflussbereich die Ausschüttungs- oder Veräußerungsentscheidung liegt. Steuerliche Sperrfristen, Freibeträge oder Befreiungen beeinflussen die Bewertung.

Neubewertungen und sonstiges Ergebnis

Führen Neubewertungen oder Bewertungsreserven im Eigenkapital zu temporären Differenzen, werden die entsprechenden latenten Steuern konsistent im sonstigen Ergebnis oder direkt im Eigenkapital erfasst. Dadurch wird die Nettodarstellung der betreffenden Reserven gewährleistet.

Konzernabschluss und Konsolidierungseffekte

Im Konzern entstehen latente Steuern häufig aus der Eliminierung von Zwischengewinnen, aus Fair-Value-Anpassungen und aus unterschiedlichen steuerlichen Verhältnissen der einbezogenen Unternehmen. Steuersätze und steuerliche Rahmenbedingungen der jeweiligen Jurisdiktionen sind zu berücksichtigen. Steuerliche Organschaften oder Gruppenbesteuerungen können Ansatz und Saldierung beeinflussen.

Unsichere Steuerpositionen

Unsichere Steuerpositionen betreffen die Beurteilung, ob steuerliche Regelungen in einer bestimmten Weise angewendet werden. Sie können mittelbar die Höhe latenter Steuern beeinflussen, etwa über die Einschätzung der Verrechenbarkeit von Verlustvorträgen oder der Umkehrwahrscheinlichkeit von Differenzen. Die Beurteilung erfolgt eigenständig und wirkt in die Bewertung latenter Steuern hinein.

Darstellung im Abschluss und Anhang

Bilanz und Ergebnisdarstellung

Latente Steuerforderungen und -verbindlichkeiten werden in der Bilanz gesondert ausgewiesen, vorbehaltlich einer zulässigen Saldierung. In der Ergebnisdarstellung umfasst der Steueraufwand sowohl laufende als auch latente Steuern. Erfassungen im sonstigen Ergebnis oder direkt im Eigenkapital erfolgen, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt dort erfasst ist.

Anhangangaben

Typische Angaben beinhalten die Überleitung des theoretischen zum ausgewiesenen Steueraufwand, die Aufgliederung der latenten Steuern nach Ursachengruppen, Veränderungen gegenüber der Vorperiode, Informationen zu nicht erfassten latenten Steueransprüchen, Restlaufzeiten und Bedingungen von Verlustvorträgen, verwendete Steuersätze sowie Angaben zur Saldierung und zu Besonderheiten einzelner Steuerjurisdiktionen.

Wirtschaftliche Bedeutung und Grenzen

Latente Steuern erhöhen die Aussagekraft von Abschlüssen, indem sie die Steuerlast den Perioden zuordnen, in denen die wirtschaftlichen Ursachen entstehen. Sie sind keine unmittelbaren Zahlungsansprüche oder -verpflichtungen, sondern bilanzielle Abbildungen künftiger Steuerwirkungen unter geltendem Recht. Ihre Höhe hängt von Annahmen über künftige Gewinne, Umkehrzeitpunkte und Steuersätze ab und ist daher mit Unsicherheit behaftet. Dauerhafte Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz bleiben unberücksichtigt.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu latenten Steuern

Was unterscheidet latente von laufenden Steuern?

Laufende Steuern sind der tatsächliche Steueraufwand einer Periode basierend auf der Steuererklärung. Latente Steuern bilden künftige Steuerwirkungen aus temporären Differenzen und Verlustvorträgen ab, um die Steuerlast periodengerecht zuzuordnen.

Wann entstehen aktive latente Steuern?

Aktive latente Steuern entstehen aus abzugsfähigen temporären Differenzen oder aus Verlustvorträgen, wenn deren künftige Nutzung nach den maßgeblichen Rechnungslegungsvorschriften hinreichend wahrscheinlich ist.

Warum führen permanente Differenzen nicht zu latenten Steuern?

Permanente Differenzen kehren sich nicht um. Sie verändern die steuerliche Bemessungsgrundlage dauerhaft, ohne in künftigen Perioden eine gegenteilige Wirkung zu entfalten. Daher entsteht kein Bedarf, künftige Steuerwirkungen periodengerecht abzugrenzen.

Wie wirken sich Steuersatzänderungen auf latente Steuern aus?

Latente Steuern werden mit den zum Zeitpunkt der erwarteten Umkehr geltenden Steuersätzen bewertet. Ändert sich der Steuersatz, wird die Bewertung angepasst; die Differenz wird grundsätzlich in der Periode der Änderung ergebniswirksam oder entsprechend im Eigenkapital erfasst.

Werden latente Steuern verzinst oder abgezinst?

Nein. Latente Steuern werden nicht abgezinst und tragen keine Zinsen. Sie sind bilanziell-rechnerische Posten zur Abbildung künftiger Steuerwirkungen, keine Finanzierungstitel.

Welche Rolle spielen Verlustvorträge?

Verlustvorträge können zu aktiven latenten Steuern führen, wenn eine künftige Verrechnung mit steuerpflichtigen Gewinnen nach den rechtlichen Rahmenbedingungen möglich und ausreichend wahrscheinlich ist. Befristungen oder Nutzungsbeschränkungen beeinflussen den Ansatz.

Wie werden latente Steuern im Konzernabschluss behandelt?

Im Konzern werden latente Steuern auch auf Konsolidierungsmaßnahmen (z. B. Zwischengewinne, Fair-Value-Anpassungen) erfasst. Steuersätze und rechtliche Gegebenheiten der betroffenen Steuerjurisdiktionen sind zu berücksichtigen; eine Saldierung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.