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Lasten, prozessuale


Begriffserklärung: Lasten, prozessuale

Unter dem Begriff prozesuale Lasten wird im deutschen Zivilprozessrecht die Gesamtheit der Verpflichtungen und Nachteile verstanden, die mit der Führung eines gerichtlichen Verfahrens einhergehen. Prozessuale Lasten umfassen sämtliche Verpflichtungen, die einer Partei im Rahmen eines Rechtsstreits – insbesondere im Zivilprozess, aber auch im Verwaltungs-, Arbeits-, und Sozialprozess – durch Gesetz oder durch gerichtliche Entscheidung auferlegt werden. Sie bilden einen zentralen Bestandteil des prozessualen Gefüges, da sie maßgeblichen Einfluss auf den Ablauf, die Entscheidungsfindung und damit auf die Durchsetzung bzw. Abwehr von Ansprüchen haben.


Systematik und Einordnung

Abgrenzung zu anderen Lastenbegriffen

Prozessuale Lasten sind strikt zu unterscheiden von materiellen Lasten. Während materielle Lasten auf das materielle Recht (z. B. Eigentum, Grunddienstbarkeiten, Hypotheken) Bezug nehmen und den zivilrechtlichen Güterstand prägen, beziehen sich prozessuale Lasten ausschließlich auf das Verfahrensrecht und die mit der Prozessführung verbundenen Pflichten und Risiken.

Rechtsquellen prozessualer Lasten

Prozessuale Lasten stützen sich insbesondere auf:

  • das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG),
  • die Zivilprozessordnung (ZPO),
  • die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO),
  • das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG),
  • das Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Diese Normen bestimmen den Umfang, den Beginn und das Ende sowie die inhaltliche Ausgestaltung prozessualer Lasten.


Hauptbestandteile prozessualer Lasten

1. Darlegungs- und Beweislast

a) Darlegungslast

Die Darlegungslast bezeichnet die Verpflichtung einer Partei, die für sie günstigen tatsächlichen Umstände in das Verfahren einzuführen, das heißt, den Sachverhalt, auf den sich das Klagebegehren oder die Verteidigung stützen, substantiiert vorzutragen (§ 138 ZPO). Unterlässt einer der Parteien die genügende Darlegung, bleibt dies zum Nachteil dieser Partei (Nichtberücksichtigung des unzureichend vorgetragenen Sachverhalts bei der Entscheidungsfindung).

b) Beweislast

Die Beweislast regelt, welche Partei die Beweisführungslast hinsichtlich der streitigen Tatsachen trägt (§ 286 ZPO). Kann eine Partei einen für sie günstigen, aber bestrittenen Umstand nicht beweisen, erfolgt die gerichtliche Entscheidung zu ihrem Nachteil (Grundsatz: „Wer behauptet, muss beweisen“).

c) Modifikationen

Das Gesetz sieht hiervon abweichende bzw. spezielle Regelungen, wie etwa die Umkehr der Beweislast bei bestimmten Schutzvorschriften oder die Beweiserleichterungen (Anscheinsbeweis, sekundäre Darlegungslast), vor.

2. Verfahrens- und Mitwirkungspflichten

a) Prozessuale Mitwirkungspflichten

Zu den prozessualen Lasten zählen darüber hinaus Mitwirkungspflichten, darunter:

  • Teilnahme an mündlichen Verhandlungen,
  • Beibringung von Beweismitteln,
  • Entgegennahme gerichtlicher Ladungen und Anordnungen,
  • Vorlage von Urkunden oder sonstigen Beweismitteln (§ 142 ZPO).

Die schuldhafte Verletzung dieser Pflichten kann prozessuale Nachteile wie Nachteilsausgleich, Zwangsmittel oder Versäumnisurteile (§ 331 ZPO) nach sich ziehen.

b) Wahrheitspflicht

Jede Partei ist verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen (§ 138 ZPO). Die vorsätzliche Verletzung kann strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (§ 263 StGB – Prozessbetrug, § 154 StGB – Falsche Versicherung an Eides Statt).

3. Kostenlast

Der Begriff der prozessualen Lasten umfasst auch die Kostenlast. Die §§ 91 ff. ZPO regeln, in welchen Fällen und inwieweit eine Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Die Kostenlast kann im Einzelnen betreffen:

  • Gerichtsgebühren,
  • Anwaltskosten,
  • Kosten für Zeugen, Sachverständige und Übersetzer.

Je nach Ausgang des Verfahrens verbleibt die Kostenlast bei den Parteien entweder entsprechend ihrer Obsiegens- und Unterliegensanteile oder, im Falle eines vollständigen Obsiegens einer Partei, vollständig bei der unterlegenen Partei.


Bedeutung prozessualer Lasten im Instanzenzug

Die Zuweisung und Gewichtung prozessualer Lasten bleibt nicht auf die erste Instanz beschränkt. Im Berufungs- und Revisionsverfahren gelten grundsätzlich entsprechende Vorgaben, wobei insbesondere die prozessuale Verantwortung (Prozessführungsbefugnis und -last) durch die Rechtsmitteländerung nochmals verschärft werden kann.


Prozessuale Lasten im internationalen Zivilverfahrensrecht

Auch im internationalen Kontext spielen prozessuale Lasten eine bedeutende Rolle. Insbesondere das internationale Zivilverfahrensrecht (z.B. Brüssel Ia-Verordnung, EuGVVO) und das Recht der Schiedsgerichtsbarkeit greifen auf die institutionalisierte Regelung von Darlegungs- und Beweislast zurück, wobei anerkannte Grundsätze des deutschen Prozessrechts oftmals Anwendung finden.


Rechtsfolgen bei Verletzung prozessualer Lasten

Die Nichtbeachtung prozessualer Lasten hat verschiedene Rechtsfolgen:

  • Versäumnisurteil: Bei Nichterscheinen einer Partei oder fehlender Mitwirkung.
  • Kostennachteile: Bei Verletzung von Kostenpflichten oder mutwilliger Prozessführung.
  • Folgen der Beweislast: Nichtbeweis führt zum Unterliegen im Prozess.
  • Maßnahmen des Gerichts: Ordnungsgelder, Zwangsvollstreckung zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten.

Bedeutung für die gerichtliche Entscheidungsfindung

Die richtige Zuweisung prozessualer Lasten ist für die materielle Gerechtigkeit und die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats von erheblicher Bedeutung. Sie sichert die Effektivität des Rechtsschutzes, die Verfahrensgerechtigkeit und trägt damit maßgeblich zur Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen bei.


Literaturhinweise

  • Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, § 138 – Darlegungs- und Beweislast
  • Zöller, ZPO, Kommentar, Gesamtausgabe
  • Thomas/Putzo, ZPO, Kommentar
  • Münchener Kommentar zur ZPO, Prozessuale Lasten

Zusammenfassung

Prozessuale Lasten erfassen sämtliche Verpflichtungen und Risiken, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens entstehen. Sie umfassen insbesondere Darlegungs- und Beweislast, Kostenpflichten sowie Mitwirkungs- und Wahrheitspflichten. Die Einhaltung und richtige Verteilung dieser Lasten ist unerlässlich für einen geordneten und rechtsstaatlichen Verfahrensgang und trägt maßgeblich zur Sicherung materieller Gerechtigkeit sowie zur Akzeptanz gerichtlicher Entscheidungen bei.

Häufig gestellte Fragen

Wer trägt die Beweislast im Zivilprozess?

Im Zivilprozess gilt grundsätzlich der sogenannte Beibringungsgrundsatz: Jede Partei muss die Tatsachen beweisen, die für sie günstig sind. Das bedeutet, dass der Kläger die Beweislast für alle anspruchsbegründenden Tatsachen trägt, während der Beklagte die Umstände beweisen muss, die anspruchsvernichtend oder -hemmend wirken. Dieser Grundsatz wird auch als „Normallastverteilung“ bezeichnet und ist in § 286 ZPO (Zivilprozessordnung) kodifiziert. Die Beweislast kann jedoch durch Gesetz, Vertrag oder unter bestimmten Umständen aufgrund besonderer rechtlicher Wertungen abweichen, etwa durch eine Umkehr der Beweislast (z.B. beim Verbrauchsgüterkauf gemäß § 477 BGB in den ersten zwölf Monaten). Auch der sogenannte Anscheinsbeweis, bei dem typische Geschehensabläufe eine Beweisführung erleichtern, kann eine faktische Verschiebung der Beweislast bedeuten. Insgesamt ist die korrekte Zuordnung der Beweislast von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Prozesses, da sie bestimmt, welche Partei das Risiko des Nichtnachweises trägt.

In welchen Fällen erfolgt eine Beweislastumkehr im deutschen Zivilprozessrecht?

Eine Beweislastumkehr ist ein gesetzlich angeordneter oder richterrechtlich entwickelter Ausnahmefall von der normalen Beweislastverteilung. Gesetzlich geregelte Beweislastumkehr findet sich etwa im Verbraucherrecht (§ 477 BGB), im Produkthaftungsgesetz (§ 1 Abs. 4 ProdHaftG) oder im Recht der kaufrechtlichen Mängel. Auch im Arbeitsrecht und bei bestimmten vertraglichen Nebenpflichtverletzungen kann sie greifen. Richterrechlich hat sich die Beweislastumkehr unter anderem beim sogenannten Anscheinsbeweis und im Arzthaftungsrecht (bei groben Behandlungsfehlern) etabliert. Ziel solcher Regelungen ist es, dem typischerweise Beweisnot leidenden Anspruchsteller die Durchsetzung seiner Rechte zu erleichtern und ein tatsächliches oder strukturelles Ungleichgewicht der Parteien auszugleichen.

Welche Rolle spielt die Darlegungslast im Zusammenhang mit der Beweislast?

Die Darlegungslast ist der Beweislast vorgelagert und verpflichtet die Partei, alle für ihren Anspruch oder ihre Verteidigung erforderlichen Tatsachen substantiiert vorzutragen. Nur wenn der Sachvortrag ausreichend substantiiert ist, kommt die Beweislast zum Tragen. Die Qualität und Quantität des Sachvortrags ist entscheidend, damit das Gericht überhaupt in die Beweisaufnahme eintritt. Wird die Darlegungslast nicht erfüllt, kann das Gericht die behaupteten Tatsachen als nicht bewiesen ansehen und die entsprechende Partei unterliegt allein aufgrund unzureichenden Vortrags. Die Unterscheidung zwischen Darlegungs- und Beweislast ist daher essenziell für das prozessuale Vorgehen, weil bereits der nicht genügende Sachvortrag zur Klageabweisung führen kann, ohne dass eine Beweisaufnahme erforderlich wird.

Wie wird mit sekundären Behauptungslasten umgegangen?

Die sekundäre Behauptungslast bezeichnet die prozessuale Pflicht der Gegenseite, zu Umständen, die ausschließlich oder weit überwiegend in ihrem Wahrnehmungs- und Einflussbereich liegen, substanziiert Stellung zu nehmen. Dies tritt in Kraft, wenn eine Partei ihrer primären Darlegungslast nachgekommen ist, der Gegner aber über weiterführende Informationen verfügt, die der ursprünglichen Partei nicht zugänglich sind. Wird die sekundäre Behauptungslast nicht erfüllt, kann das Gericht die Behauptungen der beweispflichtigen Partei als zugestanden ansehen. Typische Fälle sind Streitigkeiten aus Mietrecht, Arzthaftungsrecht und Verkehrsunfällen, in denen der Gegner detaillierte Ausführungen zu Abläufen oder Wissen machen muss, das nur ihm bekannt ist. Die sekundäre Behauptungslast beeinflusst damit maßgeblich die prozessuale Wahrheitsfindung und kann im Einzelfall Beweiserleichterungen schaffen.

Welche Besonderheiten gelten bezüglich der Beweislast in Strafverfahren verglichen mit Zivilverfahren?

Im Strafprozess gilt strikt das „in dubio pro reo“-Prinzip, also: Im Zweifel für den Angeklagten. Die Beweislast für die Schuld des Angeklagten liegt allein bei der Staatsanwaltschaft respektive dem Staat. Der Angeklagte ist nie verpflichtet, zu seiner Entlastung beizutragen oder sich zu verteidigen; er genießt die Unschuldsvermutung. Anders als im Zivilprozess, wo zwischen den Parteien ein Wettstreit um die Glaubhaftmachung streitiger Tatsachen besteht, ist im Strafprozess der Angeklagte nicht beziehungsweise nur sehr eingeschränkt zur Mitwirkung verpflichtet. Eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten ist – bis auf wenige, eng begrenzte Ausnahmen wie bestimmte Ordnungswidrigkeitsverfahren – ausgeschlossen. Das Gericht entscheidet letztlich unter voller Beweisaufnahme und sogfältiger Berücksichtigung sämtlicher entlastender wie belastender Umstände.

Was versteht man unter dem Anscheinsbeweis und welche Auswirkungen hat er im prozessualen Kontext?

Der Anscheinsbeweis (prima facie Beweis) ist ein Beweiserleichterungsprinzip, das angewendet wird, wenn nach der Lebenserfahrung bestimmte Tatsachen regelmäßig einen bestimmten Geschehensablauf nahelegen, etwa bei Auffahrunfällen im Straßenverkehr. Bei Vorliegen typischer Geschehensabläufe wird zugunsten einer Partei vermutet, dass sich das streitige Ereignis so zugetragen hat, wie von ihr behauptet. Die Gegenpartei kann diesen Anscheinsbeweis jedoch durch den Vortrag und gegebenenfalls Nachweis atypischer Umstände erschüttern. Der Anscheinsbeweis ändert nicht die eigentliche Beweislast, entbindet die beweisbelastete Partei aber von einem detaillierten Nachweis des Geschehensablaufs und kann entscheidend für den Ausgang des Prozesses sein.

Kann die Beweislast durch vertragliche Abreden verändert werden und welche gesetzlichen Schranken bestehen?

Grundsätzlich ist es im Zivilrecht zulässig, die Beweislast durch vertragliche Vereinbarungen zu modifizieren, etwa zugunsten einer Partei zu erleichtern oder zu erschweren. Eine Ausnahme bilden jedoch zwingende gesetzliche Vorschriften, insbesondere solche zum Schutz schwächerer Vertragsparteien (etwa Verbraucher und Arbeitnehmer). So sind zum Beispiel nach § 309 Nr. 12 BGB in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Beweislastumkehrklauseln zum Nachteil des Verbrauchers unzulässig. Auch im Arbeitsrecht bestehen entsprechende Schutzvorschriften. Unwirksame Klauseln entfalten keinerlei Wirkung, sodass die gesetzliche Beweislastverteilung in Kraft bleibt. Vertragliche Beweislastabreden sind zudem nur dann wirksam, wenn sie klar und verständlich gefasst sind und keine überraschenden oder unangemessenen Benachteiligungen darstellen.