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Landwirtschaftsgericht


Begriff und Funktion des Landwirtschaftsgerichts

Das Landwirtschaftsgericht ist eine spezielle Abteilung bei bestimmten Amtsgerichten in Deutschland, die ausschließlich für landwirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zuständig ist. Die Errichtung und Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte ist auf das besondere Bedürfnis zugeschnitten, land- und forstwirtschaftliche Verhältnisse durch rechtliche Verfahren angemessen zu lösen. Entscheidungsgrundlage sind dabei insbesondere das Landwirtschaftsgerichtsgesetz (LwGG) sowie einschlägige Nebengesetze.

Das Hauptziel des Landwirtschaftsgerichts ist es, die spezifischen Strukturen des landwirtschaftlichen Berufsstands sowie die besonderen Anforderungen an die Bewirtschaftung land- und forstwirtschaftlicher Flächen in gerichtlichen Entscheidungsprozessen zu berücksichtigen.


Gesetzliche Grundlagen

Landwirtschaftsgerichtsgesetz (LwGG)

Das Landwirtschaftsgerichtsgesetz (LwGG) ist das zentrale Regelwerk, das die Aufgaben, Aufbau und das Verfahren der Landwirtschaftsgerichte regelt. Neben dem LwGG gelten auch zahlreiche andere Rechtsvorschriften, etwa das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sowie weitere Nebengesetze mit Bezug zum landwirtschaftlichen Sektor.

Zuständigkeit und örtliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit liegt bei bestimmten Amtsgerichten, die dafür als Landwirtschaftsgerichte eingerichtet sind (§ 1 LwGG). Früher bestanden dafür zum Teil eigenständige Gerichte, heute handelt es sich um Abteilungen des Amtsgerichts. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach dem Sitz des Hofes, Grundstücks oder Unternehmens, das im Mittelpunkt der Streitigkeit oder der gerichtlichen Maßnahme steht.


Aufgabenbereiche

Hofrechtliche Angelegenheiten

Das Landwirtschaftsgericht ist vor allem in hofrechtlichen Angelegenheiten nach den Regelungen der Höfeordnung sowie den Landeshöfegesetzen zuständig. Hierzu gehören insbesondere:

  • Hofübergabe: Regelungen zur Übertragung eines Hofes auf einen Nachfolger
  • Auseinandersetzung des Hofvermögens: inkl. Abfindung weichender Erben und Bewertung des Hofes
  • Feststellung der Hofeigenschaft: Feststellung, ob es sich um einen landwirtschaftlichen Hof im Rechtssinn handelt

Landpacht und Pachtstreitigkeiten

Das Landwirtschaftsgericht entscheidet über:

  • Streitigkeiten aus Landpachtverhältnissen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und dem Landpachtverkehrsgesetz (LPachtVG)
  • Zustimmungserfordernisse bei außerordentlichen Kündigungen
  • Fragen der Entschädigung und Vertragsanpassung

Unternehmensnachfolge und Erbrecht

Das Landwirtschaftsgericht entscheidet regelmäßig über Fragen:

  • Der Unternehmensnachfolge im landwirtschaftlichen Betrieb
  • Erbrechtliche Streitigkeiten, sofern es sich um eine sogenannte „Hofnachfolge“ handelt

Landwirtschaftliche Zusammenschlüsse

Ferner ist das Landwirtschaftsgericht in Verfahren über:

  • Genossenschaften und sonstige landwirtschaftliche Zusammenschlüsse
  • Gemeinschaftliche Bodenordnung, Flurbereinigung, Grundabtretungen und Grundstückstausch

Verfahrensrecht

Verfahrensart

Die Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht sind freiwillige Gerichtsbarkeit und keine Zivilprozesse im klassischen Sinne. Dadurch gelten andere Beweisregeln und Ablaufstrukturen (§§ 4, 5 LwGG).

Besetzung der Kammer

Das Landwirtschaftsgericht entscheidet in der Regel als Drei-Personen-Kammer bestehend aus:

  • einem Vorsitzenden Richter
  • zwei landwirtschaftlichen Beisitzern (praktisch erfahrene Landwirte)

Durch diese gemischte Besetzung wird sichergestellt, dass neben den rechtlichen auch die landwirtschaftlichen Besonderheiten Berücksichtigung finden.

Beteiligtenfähigkeit und Beteiligung

Beteiligungsfähigkeit besteht für alle natürlichen und juristischen Personen, die an den jeweiligen landwirtschaftlichen Rechtsverhältnissen interessiert oder beteiligt sind, z. B.:

  • Hofeigentümer
  • Pächter
  • Abkömmlinge und Erben
  • Gemeinschaften

Rechtsmittel

Gegen die Beschlüsse des Landwirtschaftsgerichts sind – je nach Streitsache – Beschwerde oder Rechtsbeschwerde zulässig. Über die Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht in der Besetzung des Landwirtschaftssenats.


Stellung im System der Gerichte

Abgrenzung zu anderen Gerichten

Anders als bei bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten bleibt die Zuständigkeit für landwirtschaftsrechtliche Angelegenheiten dem Landwirtschaftsgericht vorbehalten, auch wenn verwandte Sachverhalte (z. B. dingliche Rechte) berührt werden.

Das Landwirtschaftsgericht zeichnet sich dabei durch seine Spezialisierung auf Angelegenheiten des landwirtschaftlichen Berufsstands sowie die Berücksichtigung ökonomischer, sozialer und traditioneller Aspekte der Landwirtschaft im Rahmen des Verfahrens aus.


Internationale Bezüge

Einrichtungen vergleichbar dem deutschen Landwirtschaftsgericht finden sich in anderen Staaten Europas in unterschiedlicher Ausgestaltung, meist jedoch in Form spezialisierter Spruchkörper oder Kammern für landwirtschaftliche Rechtsstreitigkeiten.


Bedeutung und Aufgaben im 21. Jahrhundert

Das Landwirtschaftsgericht nimmt unverändert eine zentrale Rolle bei der rechtlichen Begleitung struktureller Veränderungen in der Landwirtschaft ein. Dies betrifft insbesondere Fragen der Unternehmensnachfolge, die Anpassung landwirtschaftlicher Verträge an geänderte Bewirtschaftungs- und Marktverhältnisse sowie die Sicherung der Funktionsfähigkeit des landwirtschaftlichen Familienbetriebs.


Literaturhinweise und Weblinks

  • Landwirtschaftsgerichtsgesetz (LwGG)
  • Höfeordnung
  • Landpachtverkehrsgesetz (LPachtVG)

Weitere Informationen bieten die Justizministerien der Länder, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie die Seiten der zuständigen Amtsgerichte mit Landwirtschaftsabteilungen.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist vor dem Landwirtschaftsgericht parteifähig und prozessfähig?

Vor dem Landwirtschaftsgericht sind sowohl natürliche als auch juristische Personen parteifähig, sofern sie selbst Träger landwirtschaftlicher Rechte und Pflichten sein können. Dies umfasst beispielsweise Erben, Pächter, Verpächter, Eigentümer von land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben sowie landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften. Prozessfähigkeit besitzen volljährige Personen und juristische Personen, vertreten durch ihre gesetzlichen Vertreter. Auch Minderjährige können prozessfähig sein, sofern sie die Rechtsgeschäftsfähigkeit im jeweiligen Verfahren besitzen, etwa als Erbe im Rahmen eines Höferechtsverfahrens unter Vertretung durch einen Vormund oder gesetzlichen Vertreter. Juristische Personen wie GmbHs oder Genossenschaften treten durch ihre Organe auf, z. B. durch den Geschäftsführer oder Vorstand. Erbengemeinschaften werden durch einen gemeinschaftlichen Vertreter oder, falls nicht vorhanden, durch alle Miterben gemeinschaftlich vertreten. In spezifischen Fällen, wie der Anfechtung von Entscheidungen über Landpachtverhältnisse, sind auch Gemeinden oder Behörden parteifähig, wenn sie durch spezielle Gesetze dazu berechtigt sind.

Kann gegen eine Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts Rechtsmittel eingelegt werden?

Ja, gegen die Entscheidungen des Landwirtschaftsgerichts können grundsätzlich Rechtsmittel eingelegt werden. Das wichtigste Rechtsmittel ist die Beschwerde, die bei Entscheidungen des Landwirtschaftsgerichts erster Instanz – meist am Amtsgericht angesiedelt – eingelegt wird. Die Beschwerde ist beim zuständigen Oberlandesgericht als Landwirtschaftsgericht zweiter Instanz einzulegen. Die Voraussetzungen und Fristen für die Beschwerde richten sich nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen (LwVG). Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzureichen. Unter bestimmten Voraussetzungen – insbesondere bei grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache oder bei Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung – besteht auch die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Die Begründung der jeweiligen Beschwerde muss alle wesentlichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte umfassen, die eine Überprüfung der angegriffenen Entscheidung rechtfertigen.

Welche Verfahrensgrundsätze gelten vor dem Landwirtschaftsgericht?

Vor dem Landwirtschaftsgericht gelten besondere Verfahrensgrundsätze, die aus dem LwVG und ergänzend aus der Zivilprozessordnung (ZPO) abgeleitet werden. Der Amtsermittlungsgrundsatz stellt das zentrale Prinzip dar: Das Gericht ist verpflichtet, den Sachverhalt von Amts wegen, also unabhängig von den Anträgen und Vorträgen der Parteien, umfassend und vollständig zu ermitteln. Die Parteien sind dennoch zur Mitwirkung verpflichtet, insbesondere zur Vorlage von Urkunden und anderen Beweismitteln. Das Verfahren ist in der Regel nicht öffentlich und auf mündliche Verhandlung und Anhörung der Beteiligten ausgerichtet. Das Gericht kann Zeugen vernehmen, Sachverständige bestellen sowie Augenschein einnehmen. Schriftliche Verfahren sind nur ausnahmsweise zulässig. Darüber hinaus versucht das Gericht stets, eine einvernehmliche Regelung zwischen den Parteien (Güteverhandlung) zu fördern; die streitige Entscheidung ist stets die ultima ratio. Schließlich sind vor dem Landwirtschaftsgericht die Kostenregelungen und die Reihenfolge der Kostentragung besonders geregelt und weichen mitunter deutlich von der Zivilprozessordnung ab.

Welche Arten von Verfahren werden vor dem Landwirtschaftsgericht geführt?

Das Landwirtschaftsgericht befasst sich ausschließlich mit sogenannten Landwirtschaftssachen gemäß § 1 LwVG, die in einem abschließenden Katalog geregelt sind. Zu den wichtigsten Verfahren zählen die Höfesachen (wie Hofübernahme, Anerkennung als Hof, Auseinandersetzung), Landpachtsachen (u.a. Überprüfung von Landpachtverträgen, Kündigung oder Verlängerung sowie Höhe des Pachtzinses), Verfahren über die Feststellung landwirtschaftlicher Betriebe und Grundstücke, Streitigkeiten über landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaften und genossenschaftliche Belange sowie über öffentlich-rechtliche Maßnahmen im Bereich Preisprüfungen und Agrarmarktordnung. Weitere Verfahren betreffen auslaufende landwirtschaftliche Wohnrechte oder dingliche Rechte an landwirtschaftlichen Grundstücken. Die sachliche Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts ist zwingend; eine Wahlmöglichkeit zu einem anderen Gericht besteht in diesen Angelegenheiten regelmäßig nicht.

Welche Rolle nimmt der landwirtschaftliche Sachverständige im Verfahren ein?

Im Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht kommt dem landwirtschaftlichen Sachverständigen eine erhebliche Bedeutung zu, da viele Sachverhalte eine fachspezifische Bewertung verlangen. Häufig werden Sachverständige beispielsweise bei der Bewertung von landwirtschaftlichen Grundstücken, der Wirtschaftlichkeit von Betrieben, der Höhe von Entschädigungen oder im Rahmen von Pachtsachen wegen der Angemessenheit des Pachtzinses herangezogen. Die Auswahl des Sachverständigen erfolgt durch das Gericht, wobei es in der Regel auf öffentlich bestellte und vereidigte landwirtschaftliche Sachverständige zurückgreift. Die Sachverständigen erstatten schriftliche oder mündliche Gutachten und unterstützen das Gericht bei der Ermittlung von Tatsachen oder der Anwendung von Fachwissen auf den Einzelfall. Die Parteien haben das Recht, auf Mängel der Begutachtung hinzuweisen oder Ablehnungen wegen Besorgnis der Befangenheit geltend zu machen. Das Sachverständigengutachten ist zwar kein Beweismittel sui generis, hat aber regelmäßig erhebliches Gewicht für die gerichtliche Entscheidung.

Welche besonderen Vorschriften gelten im Bereich der Kosten und Gebühren?

Die Kosten und Gebühren des Verfahrens vor dem Landwirtschaftsgericht unterliegen besonderen Regelungen, die im Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) sowie ergänzend im LwVG festgelegt sind. Grundsätzlich gilt, dass jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten (beispielsweise Anwaltskosten) selbst trägt. Die gerichtlichen Kosten werden nach Maßgabe der Kostenentscheidung dem Verlierer oder anteilig nach Quoten auferlegt. Bei besonders förderungswürdigen Verfahren, etwa bei Hofübernahmesachen im Interesse der Erhaltung leistungsfähiger Betriebe, kann das Gericht von einer Auferlegung von Kosten auch gänzlich absehen oder diese besonders niedrig festsetzen. Für die Festsetzung des Streitwerts gibt es im Landwirtschaftsrecht zahlreiche Sondervorschriften, die sich beispielsweise nach dem Wert des streitgegenständlichen Grundstücks, Pachtwert oder sonstigem Gegenstandswert richten. Zudem können Gebühren nach billigem Ermessen des Gerichts unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung festgesetzt werden.

Ist es zwingend erforderlich, sich vor dem Landwirtschaftsgericht anwaltlich vertreten zu lassen?

Eine anwaltliche Vertretung ist vor dem Landwirtschaftsgericht grundsätzlich nicht zwingend vorgeschrieben. Insbesondere in erster Instanz besteht kein Anwaltszwang, sodass die Beteiligten sich selbst vertreten können. Lediglich in bestimmten Ausnahmefällen – beispielsweise im Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesgerichtshof – ist ein Rechtsanwalt erforderlich. Allerdings ist zu beachten, dass die Materie sehr komplex ist und spezifische rechtliche und fachliche Kenntnisse voraussetzt. Es empfiehlt sich daher, insbesondere bei umfangreichen oder wirtschaftlich bedeutsamen Streitigkeiten, sich anwaltlich beraten oder vertreten zu lassen, um Verfahrensfehler und Nachteile zu vermeiden. Bei Bedarf kann das Gericht in der ersten Instanz auch einen Vertreter bestellen, falls ein Mitbeteiligter nicht ausreichend vertreten ist.