Begriff und Einordnung des Lagervertrags
Ein Lagervertrag ist eine Vereinbarung, durch die ein Lagerhalter die fachgerechte Aufbewahrung und Erhaltung beweglicher Sachen für einen Einlagerer gegen Entgelt übernimmt. Kern des Vertrags ist nicht die Überlassung von Raum, sondern die Obhut über fremde Ware, ihre ordnungsgemäße Lagerung, Verwahrung und – je nach Abrede – begleitende Dienstleistungen wie Wareneingangskontrolle, Kommissionierung oder Auslagerung. Der Lagervertrag wird überwiegend im Geschäftsverkehr eingesetzt, kommt jedoch auch im Bereich der Einlagerung von Privatgütern vor. Er ist vom Mietvertrag (Überlassung von Raum) und vom Transportvertrag (Beförderung) abzugrenzen.
Vertragspartner und Vertragsabschluss
Beteiligte
Typische Parteien sind der Lagerhalter (Betreiber des Lagers) und der Einlagerer (Eigentümer oder Verfügungsberechtigter der Ware). Dritte, etwa Empfänger, können über Weisungen des Einlagerers in den Leistungsablauf einbezogen werden. Legitimation zur Entgegennahme der Ware und zur Auslagerung wird regelmäßig durch entsprechende Dokumente nachgewiesen.
Abschlussform
Der Lagervertrag ist formfrei und kann schriftlich, elektronisch oder konkludent zustande kommen. Im Geschäftsverkehr sind detaillierte Leistungsbeschreibungen und allgemeine Geschäftsbedingungen verbreitet. Als Nachweis kann ein Lagerschein oder eine vergleichbare Lagerbestätigung ausgestellt werden.
Vertragsinhalt und typische Klauseln
Lagergut und Beschaffenheit
Gegenstand ist konkret bezeichnete Ware (Art, Menge, Identifikation, Serien- oder Chargennummern, Verpackung, Zustand). Besondere Eigenschaften wie Verderblichkeit, Empfindlichkeit oder Gefährlichkeit erfordern klare Angaben und geeignete Lagerbedingungen.
Leistungsumfang
Neben der reinen Verwahrung können Annahmeprüfung, Einlagerung, Umlagerung, Kommissionierung, Verpackung, Inventur, Bestandsführung, Etikettierung oder Value-Added-Services vereinbart werden. Weisungen des Einlagerers sind zu beachten, soweit sie durchführbar und zumutbar sind.
Dauer und Beendigung
Der Vertrag kann befristet oder unbefristet ausgestaltet sein. Beendigungsmechanismen umfassen ordentliche Kündigung nach Frist sowie außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund, etwa bei gravierenden Pflichtverstößen oder unzumutbaren Gefahrenlagen. Mit Vertragsende ist die Auslagerung und Herausgabe an den Berechtigten durchzuführen.
Vergütung und Kosten
Das Entgelt kann nach Zeit, Fläche, Gewicht, Volumen oder Wert berechnet werden. Hinzu kommen üblicherweise Kosten für Umschlag, Energie, besondere Lagerbedingungen (z. B. Kühlung), Verwaltung, Inventuren und behördliche Auflagen. Nebenkosten und Fälligkeit sollten klar geregelt sein.
Dokumentation und Nachweise
Im Lagervertrag sind Nachweise über Wareneingang, -bewegungen und -bestand von Bedeutung. Belege wie Lagerschein, Lieferscheine, Bestandsberichte oder elektronische Logbuchdaten dienen der Legitimation und Transparenz. Vereinbarte Reporting-Intervalle und Schnittstellen (z. B. EDI) sichern Prozessklarheit.
Rechte und Pflichten der Parteien
Pflichten des Lagerhalters
Der Lagerhalter hat die Ware sachgerecht zu lagern, zu erhalten und vor Verlust, Vermischung, Verwechslung, Beschädigung und unbefugtem Zugriff zu schützen. Er muss die Ware identifizierbar halten, Bestände dokumentieren, Weisungen beachten, auf Hindernisse hinweisen und bei Gefahr unverzüglich informieren. Die Herausgabe erfolgt an den legitimierten Berechtigten.
Sorgfaltsmaßstab
Angelegt wird der Maßstab ordentlicher, fachgerechter Lagerhaltung. Dazu gehören geeignete Räume, Anlagen und organisatorische Maßnahmen, die Auswahl und Überwachung von Personal, die Einhaltung branchenüblicher Standards und behördlicher Vorgaben sowie ein auf die Ware abgestimmtes Handling.
Pflichten des Einlagerers
Der Einlagerer hat zutreffende Angaben zur Ware zu machen, erforderliche Informationen und Dokumente bereitzustellen, die Ware angemessen zu verpacken und zu kennzeichnen sowie vereinbarte Entgelte und Aufwendungen zu zahlen. Besondere Gefahren und Anforderungen sind offenzulegen. Nach Vertragsende ist die Ware abzuholen.
Zurückbehaltungsrecht und Pfandrecht
Zur Sicherung offener Entgelte und Aufwendungen kann der Lagerhalter die Herausgabe verweigern und ein gesetzliches Sicherungsrecht an der eingelager ten Ware beanspruchen. Das Sicherungsrecht erfasst regelmäßig auch notwendige Nebenkosten und Aufwendungen. Eine Verwertung der Ware ist nach vorheriger Ankündigung und unter Beachtung rechtlicher Vorgaben möglich.
Gefahrtragung und Risiko
Während der Lagerung trägt der Lagerhalter die Obhut für die Integrität der Ware. Unvermeidbare Ereignisse außerhalb seines Einflussbereichs können die Haftung einschränken, soweit keine besonderen Zusagen bestehen. Der Einlagerer trägt Risiken, die aus unrichtigen Angaben, unzureichender Verpackung oder verborgenen Mängeln resultieren.
Haftung
Haftungstatbestände umfassen Verlust, Beschädigung und Verzug bei Ein- oder Auslagerung. Verträge und Geschäftsbedingungen enthalten häufig Haftungsbegrenzungen und Ausschlüsse, die für Fälle von Vorsatz oder grober Pflichtverletzung regelmäßig nicht gelten. Ansprüche können an Rüge- und Ausschlussfristen sowie an Verjährungsfristen geknüpft sein. Sichtbare Schäden sind üblicherweise bei Abnahme zu rügen, verborgene Schäden nach Entdeckung.
Umgang mit besonderen Lagergütern
Gefahrstoffe und verderbliche Ware
Die Einlagerung gefährlicher oder verderblicher Güter erfordert geeignete Einrichtungen und Prozesse, etwa Temperaturführung, Belüftung, Leckagekontrolle, Brandschutz und besondere Dokumentationen. Zulassungen und Sicherheitskonzepte sind zu beachten. Falsche Deklaration kann zu außerordentlicher Vertragsbeendigung und Kostenersatzansprüchen führen.
Fungible Güter, Sammellagerung und Vermischung
Bei vertretbaren Sachen kann Sammellagerung vereinbart werden. Der Einlagerer erhält dann eine wert- oder mengenmäßige Anwartschaft am Gesamtbestand. Die Auslagerung erfolgt durch Zuteilung gleichartiger Ware. Eine Vermischung ohne Vereinbarung ist zu vermeiden, soweit sie die Identität der Ware beeinträchtigt.
Lagerschein und elektronische Dokumente
Der Lagerschein ist ein Beleg über die Übernahme und den Bestand der Ware. Er dient der Legitimation bei der Auslagerung und kann – je nach Ausgestaltung – übertragbar sein. Neben papierhaften Belegen werden elektronische Lagerdokumente und digitale Signaturen eingesetzt. Inhaltlich umfasst der Schein insbesondere Angaben zu Einlagerer, Lagerhalter, Ware, Menge, Zustand, Ort, Datum und etwaigen Vorbehalten.
Unterbringung, Subunternehmer und Ortsverlagerung
Der Lagerhalter kann Leistungen durch sorgfältig ausgewählte Unterlagerer erbringen lassen, solange Vertragstreue und Sicherungsinteressen des Einlagerers gewahrt bleiben. Eine Verlegung des Lagerortes bedarf einer klaren vertraglichen Grundlage oder eines sachlichen Erfordernisses bei Wahrung von Informations- und Schutzinteressen.
Beendigung des Lagervertrags
Rückgabeprozess
Bei Vertragsende oder auf Abruf ist die Ware an den berechtigten Empfänger herauszugeben. Der Nachweis der Berechtigung erfolgt durch vereinbarte Dokumente (z. B. Lagerschein). Übergabezeitpunkte, Avisierung, Kommissionierung und Ladeabläufe sind typischerweise organisatorisch festgelegt.
Nichtabholung
Bleibt die Abholung aus, kann der Lagerhalter die Ware weiterhin auf Risiko und Kosten des Einlagerers verwahren, eine geeignete Frist setzen und – nach Ankündigung – eine Verwertung veranlassen, insbesondere bei verderblicher Ware oder unverhältnismäßigen Lagerkosten. Erlöse werden nach Abzug der gesicherten Forderungen abgerechnet.
Steuerliche und zollrechtliche Bezüge
Lagertätigkeiten unterliegen in der Regel der Umsatzbesteuerung als Dienstleistung. Bei Zolllagern, Freizonen oder sonstigen Sonderverfahren gelten besondere Vorgaben zu Bewilligungen, Bestandsführung und Warenbewegungen. Verantwortlichkeiten für Anmeldungen und Dokumentation sollten vertraglich zugeordnet sein.
Internationale Bezüge
Bei grenzüberschreitender Lagerung sind Rechtswahl, Gerichtsstand und Sprache der Vertragsdokumente von Bedeutung. Unterschiedliche Sicherheits-, Umwelt- und Arbeitsschutzvorgaben des Lagerorts können Einfluss auf Pflichten und Haftung haben. In Logistikketten sind Schnittstellen zu Beförderungs- und Lieferbedingungen zu beachten.
Abgrenzung zu verwandten Vertragstypen
Mietvertrag
Beim Mietvertrag wird Raum oder Fläche überlassen; Obhut und Organisation der Lagerung liegen beim Mieter. Beim Lagervertrag steht die Verwahrung durch den Lagerhalter im Vordergrund. Selbstlagerzentren bewegen sich je nach Ausgestaltung zwischen beiden Modellen.
Verwahrung
Die Verwahrung verpflichtet zur Aufbewahrung einer Sache. Der Lagervertrag ist eine gewerbliche Ausprägung mit erweiterten Organisations- und Dokumentationspflichten sowie typischen Logistikleistungen.
Speditions- und Frachtverträge
Transportverträge betreffen Beförderung und Ablieferung. Lagerung kann als Nebenleistung auftreten (Zwischenlagerung), ist aber vom eigenständigen Lagervertrag zu unterscheiden, insbesondere hinsichtlich Dauer, Obhut und Haftung.
Datenschutz und Informationssicherheit
Bei Lagerprozessen fallen personenbezogene Daten an, etwa zu Ansprechpartnern, Empfängern und Fahrern. Zutrittskontrollen, Videoüberwachung und IT-Systeme müssen mit Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen in Einklang stehen. Rollen- und Berechtigungskonzepte, Protokollierung und Speicherfristen sind zu regeln.
Häufig gestellte Fragen
Was unterscheidet den Lagervertrag vom Mietvertrag?
Beim Lagervertrag übernimmt der Lagerhalter die Obhut über die Ware und organisiert die sachgerechte Verwahrung. Beim Mietvertrag wird lediglich Raum zur Verfügung gestellt, während der Mieter die Verantwortung für Lagerung und Sicherheit trägt.
Wer trägt das Risiko für Verlust oder Beschädigung während der Lagerung?
Der Lagerhalter haftet im Rahmen seiner Obhutspflicht für Verlust oder Beschädigung, soweit diese auf Pflichtverletzungen beruhen. Unvermeidbare Ereignisse außerhalb seines Einflussbereichs können die Haftung begrenzen. Vertragsklauseln regeln häufig Umfang und Grenzen der Haftung.
Kann der Lagerhalter Unterlagerer einsetzen?
Der Einsatz von Unterlagerern ist möglich, wenn Auswahl und Überwachung den vertraglichen Sorgfaltsanforderungen entsprechen und die Interessen des Einlagerers, insbesondere Sicherheit und Transparenz, gewahrt bleiben.
Welche Bedeutung hat der Lagerschein?
Der Lagerschein dokumentiert die Übernahme und den Bestand der Ware. Er legitimiert zur Auslagerung und kann, je nach Ausgestaltung, übertragbar sein. Inhaltlich enthält er wesentliche Angaben zu Ware, Menge, Zustand, Ort und beteiligten Parteien.
Darf der Lagerhalter die Herausgabe verweigern, wenn Entgelte offen sind?
Der Lagerhalter kann die Herausgabe verweigern und sich auf ein Sicherungsrecht an der Ware berufen, solange offene Entgelte und erstattungsfähige Aufwendungen nicht beglichen sind. Dieses Recht dient der Sicherung seiner Forderungen.
Welche Fristen gelten für die Anzeige von Schäden?
Verträge sehen regelmäßig kurze Fristen für die Anzeige sichtbarer und verborgener Schäden vor, die an den Zeitpunkt der Auslagerung oder Entdeckung anknüpfen. Versäumte Rügen können Ansprüche erschweren.
Wie werden Gefahrgüter im Lagervertrag behandelt?
Gefahrgüter erfordern spezielle Angaben, geeignete Einrichtungen und Prozesse sowie die Beachtung behördlicher Vorgaben. Ohne korrekte Deklaration und passende Lagerbedingungen ist eine Einlagerung regelmäßig unzulässig.