Begriff und rechtliche Grundlagen der Krankheit des Arbeitnehmers
Die Krankheit des Arbeitnehmers ist ein zentraler Begriff im deutschen Arbeitsrecht und hat vielfältige rechtliche Implikationen. Sie bezeichnet einen Zustand, in dem der Arbeitnehmer aufgrund eines regelwidrigen körperlichen oder geistigen Gesundheitszustands vorübergehend oder dauerhaft außerstande ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit ordnungsgemäß zu verrichten. Die genaue Definition, die Pflichten und Rechte von Arbeitnehmer und Arbeitgeber sowie die Folgen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit sind in mehreren Rechtsvorschriften geregelt, insbesondere im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG).
Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit
Definition der Arbeitsunfähigkeit
Nach der Rechtsprechung liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufgrund seines Gesundheitszustandes nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit ausüben kann. Maßgeblich ist hierbei stets die konkrete Tätigkeit des Arbeitnehmers. Geringfügige Beschwerden, die die Erfüllung der Arbeitspflicht nicht beeinträchtigen, erfüllen diese Voraussetzungen nicht.
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
Die Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch eine ärztliche Bescheinigung, die sogenannte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), nachgewiesen. Diese Bescheinigung stellt eine wesentliche Voraussetzung für die Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche dar und muss dem Arbeitgeber ab dem vierten Kalendertag der Erkrankung vorgelegt werden. Der Arbeitgeber kann die Vorlage jedoch auch früher verlangen.
Rechte und Pflichten der Parteien während der Krankheit
Anzeige- und Nachweispflichten des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Die Vorlage der AU dient als Nachweis der Erkrankung. Bei Verstößen gegen diese Pflichten kann eine Abmahnung oder Entgeltkürzung erfolgen.
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers
Während der Krankheit des Arbeitnehmers bleibt der Arbeitgeber zur Rücksichtnahme und Fürsorge verpflichtet. Hierzu gehört insbesondere die Wahrung des Datenschutzes in Bezug auf Gesundheitsdaten und die Unterlassung unzulässiger Nachforschungen zur Krankheitsursache.
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Anspruch und Voraussetzungen
Nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 Abs. 1 EFZG) haben Arbeitnehmer bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Die Voraussetzung ist ein bestehendes Arbeitsverhältnis von wenigstens vier Wochen. Eigenes Verschulden, wie z. B. Alkoholeinfluss, kann den Anspruch ausschließen oder mindern.
Höhe und Dauer der Entgeltfortzahlung
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das Arbeitsentgelt in Höhe des zuletzt gezahlten regelmäßigen Arbeitslohns für maximal sechs Wochen fortzuzahlen. Bei erneut auftretender Erkrankung derselben Art (Wiederholungserkrankung) innerhalb von zwölf Monaten kann die Entgeltfortzahlung zeitlich begrenzt sein.
Übergang auf Krankengeld
Nach Ablauf von sechs Wochen gewährt die gesetzliche Krankenversicherung ggf. Krankengeld, sofern eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit besteht. Die Höhe und Dauer des Krankengeldes richten sich nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB).
Besonderheiten bei längerer oder wiederholter Erkrankung
Langzeiterkrankung und betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Bei längerer oder wiederholter Krankheit sieht § 167 Abs. 2 SGB IX ein betriebliches Eingliederungsmanagement vor. Ziel ist die Wiedereingliederung des Arbeitnehmers und die Vermeidung weiterer Krankheitszeiten. Arbeitgeber sind verpflichtet, frühzeitig Maßnahmen einzuleiten, um die Rückkehr des Beschäftigten zu fördern.
Umsetzung des BEM
Das BEM ist freiwillig, der Arbeitgeber muss es dem Arbeitnehmer jedoch aktiv anbieten. Die Durchführung erfolgt im Dialog mit dem Arbeitnehmer, ggf. unter Beteiligung der Interessenvertretung.
Kündigung wegen Krankheit
Voraussetzungen und Grenzen
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Erforderlich ist eine negative Gesundheitsprognose, eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und eine umfassende Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers. Die Pflicht zur Durchführung eines BEM ist zu berücksichtigen.
Formen der krankheitsbedingten Kündigung
- Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen: Bei häufigen Kurzerkrankungen muss eine negative Prognose bestehen, dass sich die Fehlzeiten auch künftig erheblich fortsetzen werden.
- Kündigung wegen langanhaltender Erkrankung: Bei Dauererkrankung über einen Zeitraum von voraussichtlich über zwei Jahren kann eine Kündigung gerechtfertigt sein, wenn keine Aussicht auf baldige Genesung besteht.
Datenschutz und arbeitsrechtliche Schweigepflichten
Umgang mit Gesundheitsdaten
Gesundheitsdaten sind besonders schützenswert. Arbeitgeber dürfen nur Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit erlangen, nicht aber von Diagnosen. Der Schutz personenbezogener Daten ergibt sich aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
Mitwirkung der Sozialversicherungsträger
Meldepflichten und Zusammenarbeit
Im Rahmen der Arbeitsunfähigkeit besteht eine Meldepflicht gegenüber den zuständigen Sozialversicherungsträgern (Krankenkasse, Rentenversicherung). Zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Sozialversicherungsträgern erfolgt ein umfassender Austausch zur Sicherstellung der Leistungsansprüche, zum Beispiel für Krankengeld oder Maßnahmen zur Rehabilitation.
Krankheit und Urlaub
Auswirkungen der Krankheit auf den Urlaubsanspruch
Erkrankt der Arbeitnehmer während des Urlaubs, ruht der Urlaubsanspruch für die Dauer der nachgewiesenen Arbeitsunfähigkeit. Voraussetzung ist die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung. Nicht genommener Urlaub verfällt grundsätzlich erst nach Ablauf des Übertragungszeitraums, sofern der Arbeitnehmer aus krankheitsbedingten Gründen an der Wahrnehmung des Urlaubs gehindert war.
Zusammenfassung
Die Krankheit des Arbeitnehmers ist ein vielschichtiger Rechtsbegriff, der zahlreiche Rechte und Pflichten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit sich bringt. Von der Nachweis- und Anzeigepflicht über die Entgeltfortzahlung, den Anspruch auf Krankengeld, das betriebliche Eingliederungsmanagement bis hin zu Fragen der Kündigung und des Datenschutzes sind zahlreiche gesetzliche Regelungen zu beachten. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Thema sichert sowohl die Interessen der Beschäftigten als auch die Rechtssicherheit der Arbeitgeber.
Häufig gestellte Fragen
Muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit melden und wie schnell muss dies erfolgen?
Der Arbeitnehmer ist nach § 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Zögern, in der Regel spätestens zu Beginn der regulären Arbeitszeit am ersten Krankheitstag. Über das Kommunikationsmittel (z. B. Telefon, E-Mail) schreibt das Gesetz zwar nichts vor, jedoch muss sichergestellt sein, dass der Arbeitgeber tatsächlich informiert wird und eine Vertretungsregelung organisieren kann. Eine verspätete Krankmeldung kann arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, etwa eine Abmahnung oder im Wiederholungsfall sogar eine Kündigung nach sich ziehen.
Wann muss eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Krankschreibung) vorgelegt werden und wie lange gilt sie?
Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, spätestens am vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen, die voraussichtliche Dauer sowie die Erstfeststellung der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Der Arbeitgeber kann jedoch berechtigt sein, die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag zu verlangen, was regelmäßig im Arbeitsvertrag, in Betriebsvereinbarungen oder einzelnen Weisungen geregelt sein kann. Die Bescheinigung selbst muss bis spätestens zum Ende des dritten Kalendertages vorliegen, wobei auch Wochenenden und Feiertage mitgerechnet werden.
Besteht während der Krankheit Kündigungsschutz?
Während der Krankheit besteht kein besonderer gesetzlicher Kündigungsschutz, das heißt, Kündigungen sind während einer krankheitsbedingten Abwesenheit grundsätzlich möglich. Allerdings sind dabei strenge Vorgaben zu beachten: Die Kündigung darf nicht allein wegen der Krankheit erfolgen, sondern es bedarf einer krankheitsbedingten Kündigung, die bestimmten Voraussetzungen unterliegt. Insbesondere ist das Kündigungsschutzgesetz zu beachten, sofern es Anwendung findet. Arbeitgeber müssen darlegen, dass die Prognose eine erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit ergibt und betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt sind. Auch eine personenbedingte Kündigung unterliegt der Sozialauswahl und Interessensabwägung.
Kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern?
Der Arbeitgeber kann die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verweigern, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit schuldhaft selbst verursacht hat, etwa bei einer durch absichtliches Verhalten herbeigeführten Krankheit (z. B. Teilnahme an einer Schlägerei). Auch bei verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit oder nicht rechtzeitiger Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann der Anspruch auf Lohnfortzahlung gefährdet sein. Des Weiteren entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach sechswöchiger ununterbrochener Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit, ab dann besteht gegebenenfalls Anspruch auf Krankengeld durch die Krankenkasse.
Darf der Arbeitgeber einen medizinischen Dienst einschalten?
Der Arbeitgeber hat nach § 275 Abs. 1a SGB V die Möglichkeit, in Zweifelsfällen eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) zu veranlassen. Dies gilt insbesondere, wenn er Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit oder deren Dauer hat. Der Arbeitgeber initiiert diese Überprüfung über die zuständige Krankenkasse des Arbeitnehmers, welche wiederum den MDK beauftragt. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, an der Begutachtung mitzuwirken, andernfalls kann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung ebenfalls entfallen oder zurückgefordert werden.
Welche Pflichten hat der Arbeitnehmer während der Krankheit abgesehen von der Meldung?
Neben der Melde- und Nachweispflicht ist der Arbeitnehmer verpflichtet, alles zu unterlassen, was die Genesung verzögern oder behindern könnte (Obliegenheit zur Genesungsförderung). Dies umfasst angemessenes Verhalten im Rahmen der ärztlichen Anweisungen, die Einhaltung von Ruhe und Schonung sowie gegebenenfalls die Inanspruchnahme empfohlener Heilbehandlungen. Auch Ausübung von Nebentätigkeiten, Reisen oder öffentliche Aktivitäten, die dem Genesungsprozess abträglich sind oder den Eindruck erwecken, dass keine Arbeitsunfähigkeit besteht, können arbeitsrechtlich problematisch sein und zur Abmahnung oder Kündigung führen.
Wann muss der Arbeitnehmer nach Krankheit die Arbeit wieder aufnehmen?
Sobald die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit abgelaufen ist, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, die Arbeit zum nächsten regulären Dienstbeginn wieder aufzunehmen, sofern zwischenzeitlich keine neue oder fortbestehende Krankheit vorliegt. Eine eigenmächtige Verlängerung der Krankmeldung ist nicht zulässig. Bei längerer Abwesenheit empfiehlt sich die Kontaktaufnahme zum Arbeitgeber vor Wiederaufnahme – etwa, wenn eine Wiedereingliederungsmaßnahme nach dem so genannten „Hamburger Modell“ geplant ist. In bestimmten Branchen oder Betrieben können zudem betriebliche Wiedereingliederungsmaßnahmen vorgesehen sein.