Legal Lexikon

Krankheit


Krankheit im rechtlichen Kontext

Krankheit stellt einen zentralen Begriff in vielfältigen Rechtsgebieten dar. Die rechtliche Definition, Auslegung und Bedeutung von Krankheit haben weitreichende Konsequenzen, insbesondere im Sozial-, Arbeits-, Versicherungs- und Zivilrecht. Der folgende Artikel analysiert umfassend die systematische Einordnung des Krankheitsbegriffs, dessen spezifische Ausgestaltung in verschiedenen Rechtsbereichen und die daraus resultierenden Rechtsfolgen. Dazu werden relevante Gesetze, Verordnungen und einschlägige Rechtsprechung beleuchtet.


Definition und Abgrenzung

Begriffliche Grundlagen

Der Begriff „Krankheit“ ist im deutschen Recht nicht einheitlich kodifiziert, sondern variiert in Abhängigkeit vom jeweiligen Regelungsbereich. Eine allgemein anerkannte Definition liefert das Bundessozialgericht (BSG): Krankheit ist ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand, der Behandlung bedarf oder/oder Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (BSG, Urteil vom 29.01.1985, Az.: 16b/13 RK 13/84). Die Regelwidrigkeit bemisst sich dabei nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Die rechtliche Begrifflichkeit unterscheidet Krankheit von ähnlich gelagerten Zuständen wie „Krankheitsverdacht“, „Arbeitsunfähigkeit“, „Behinderung“ oder „Pflegebedürftigkeit“. Während Krankheit einen aktuell abweichenden Gesundheitszustand beschreibt, ist die Arbeitsunfähigkeit funktional an die konkrete Ausübung einer beruflichen Tätigkeit geknüpft. Behinderung hingegen bezeichnet einen längerfristigen Zustand, der die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt (§ 2 Abs. 1 SGB IX).


Krankheit im Sozialrecht

Auswirkungen im Krankenversicherungsrecht

Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß SGB V ist der Krankheitsbegriff zentral für die Ansprüche auf medizinische Leistungen (§ 27 SGB V). Anspruch auf Krankenbehandlung besteht ausschließlich bei Vorliegen einer Krankheit im Sinne der Sozialgesetzgebung. Hierunter fallen auch psychische Erkrankungen, solange sie behandlungsbedürftig sind.

Spezifische Aspekte:

  • Akute und chronische Krankheiten werden grundsätzlich gleichbehandelt.
  • Präventive Maßnahmen fallen nicht unter den Krankheitsbegriff, es sei denn, eine bestehende Krankheit soll verschlimmert werden.

Relevanz im Bereich der Erwerbsminderung

Für Ansprüche auf Rentenleistungen infolge Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) ist eine krankheitsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit maßgeblich. Die Bewertung erfolgt durch ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs und der individuellen Erwerbsfähigkeit.

Krankheit und Pflegebedürftigkeit

Obwohl Krankheit und Pflegebedürftigkeit vielfach zusammen auftreten, stellt Letztere eine eigenständige Voraussetzung für Leistungen aus der Pflegeversicherung (§ 14 SGB XI) dar. Der Nachweis einer Krankheit allein begründet keinen direkten Anspruch auf Pflegeleistungen.

Unfall- und Berufskrankheiten

Im Kontext der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 7 SGB VII) wird zwischen Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und allgemeinen Krankheiten unterschieden. Eine Krankheit wird zur Berufskrankheit, wenn sie durch besondere berufliche Einwirkungen verursacht wurde und in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) gelistet ist.


Krankheit im Arbeitsrecht

Bedeutung für das Arbeitsverhältnis

Zentrale arbeitsrechtliche Folge einer Krankheit ist die Arbeitsunfähigkeit, die nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts für bis zu sechs Wochen im Krankheitsfall verpflichtet. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dient als Nachweis.

Melde- und Nachweispflichten

Arbeitnehmer sind gem. § 5 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen und spätestens ab dem vierten Tag eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen.

Kündigung und Krankheit

Erkrankungen können ein Grund für eine personenbedingte Kündigung sein, müssen jedoch von erheblicher Dauer oder Häufigkeit sein und betriebliche Interessen schwerwiegend beeinträchtigen. Eine krankheitsbedingte Kündigung wird von den Arbeitsgerichten anhand einer dreistufigen Prüfung (negative Prognose, erhebliche Beeinträchtigung, Interessenabwägung) beurteilt.


Krankheit in der privaten Versicherung

Private Krankenversicherung

In der privaten Krankenversicherung (PKV) sind Krankheitsdefinition und Leistungsvoraussetzungen vertraglich festgelegt. Streitfragen betreffen häufig die Abgrenzung zwischen Krankheit und kosmetischen Eingriffen oder Vorsorgemaßnahmen.

Berufsunfähigkeitsversicherung

Für den Leistungsfall der Berufsunfähigkeitsversicherung ist eine krankheits-, unfall- oder invaliditätsbedingte Beeinträchtigung der Berufsausübung erforderlich. Maßgeblich ist dabei der Gesundheitszustand im Sinne der vertraglichen Bedingungen.

Unfallversicherung

In der privaten Unfallversicherung wird Krankheit regelmäßig von den versicherten Risiken abgegrenzt. Versicherungsleistungen werden meist nur für unfallbedingte Gesundheitsschäden gezahlt, nicht aber für Krankheiten im engeren legalen Sinne.


Krankheit im Zivilrecht und Haftungsrecht

Deliktische Haftung und Krankheit

Im Bereich der deliktischen Haftung (§ 823 BGB) kann Krankheit sowohl als Schadensfolge (zum Beispiel bei Körperverletzung) als auch als anspruchsbegründendes Element auftreten. Der Geschädigte kann Ersatz seiner Heilbehandlungskosten sowie eines etwaigen Verdienstausfalls verlangen.

Krankheit und Geschäftsfähigkeit

Bestimmte schwere psychische Krankheiten können die Geschäftsfähigkeit einer Person einschränken oder aufheben (§ 104 BGB). In der Praxis ist dies häufig relevant bei Fragen zur Wirksamkeit von Verträgen oder Testamenten.


Krankheit im öffentlichen Recht

Krankheit und Meldepflichten

Bestimmte meldepflichtige Krankheiten sind nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) zu melden. Diese Vorgabe dient dem Zweck, die öffentliche Gesundheit zu schützen und Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen.

Krankheit und Schulrecht

Im schulrechtlichen Kontext können Krankheiten zur Befreiung vom Unterricht oder Prüfungen führen. Die Nachweispflichten und Voraussetzungen regeln die jeweiligen landesrechtlichen Schulgesetze.


Rechtsprechung und praktische Bedeutung

Die Rechtsprechung zu Krankheit ist facettenreich und entwickelt unterschiedlich starke Begriffsdefinitionen – stets abhängig vom Einzelfall und vom betroffenen Rechtsgebiet. Regelmäßig entscheiden Sozial-, Arbeits- und Zivilgerichte über die Voraussetzungen und Rechtsfolgen krankheitsbedingter Situationen.


Fazit

Krankheit ist im deutschen Recht ein überaus komplexer Begriff von erheblicher praktischer Bedeutung. Die rechtliche Einordnung variiert je nach Normzweck und Rechtsgebiet. Insbesondere im Sozial-, Arbeits-, Versicherungs- und Zivilrecht ist die genaue Definition des Krankheitsbegriffs entscheidend für die Durchsetzung von Ansprüchen und die Abgrenzung gegenüber anderen statusbegründenden Gesundheitsbedingungen. Die regelmäßige Anpassung und Präzisierung des Krankheitsbegriffs durch Gerichte sorgt für einen dynamischen Rechtsrahmen, der stets mit Blick auf das Schutzziel des jeweiligen Gesetzgebers auszulegen ist.

Häufig gestellte Fragen

Muss ich meinem Arbeitgeber die genaue Krankheit mitteilen?

Arbeitnehmer sind in Deutschland grundsätzlich nicht verpflichtet, ihrem Arbeitgeber die genaue Diagnose oder die Art ihrer Erkrankung mitzuteilen. Nach § 5 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber lediglich unverzüglich mitteilen, dass und wie lange er voraussichtlich arbeitsunfähig bleibt. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist spätestens am vierten Krankheitstag vorzulegen, sofern der Arbeitgeber den Nachweis nicht schon früher verlangen darf. Der Arbeitgeber darf jedoch keine nähere Auskunft über den Gesundheitszustand oder die Diagnose verlangen – diese unterliegt dem Datenschutz und dem Arztgeheimnis. Nur in bestimmten, gesetzlich eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa beim Verdacht auf eine ansteckende Krankheit nach dem Infektionsschutzgesetz, kann eine Meldepflicht gegenüber Behörden bestehen, nicht aber dem Arbeitgeber gegenüber.

Welche Rechte habe ich während einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit?

Während einer durch ärztliches Attest bestätigten Arbeitsunfähigkeit genießen Arbeitnehmer besondere Schutzrechte. Sie haben insbesondere Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall über einen Zeitraum von bis zu sechs Wochen (§ 3 EFZG), sofern sie unverschuldet arbeitsunfähig sind und das Arbeitsverhältnis bereits mindestens vier Wochen besteht. Nach Ablauf der Frist besteht unter Umständen Anspruch auf Krankengeld durch die gesetzliche Krankenversicherung. Arbeitgeber dürfen während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit keine Sanktionen verhängen, etwa eine Abmahnung oder eine Kündigung nur aufgrund der Erkrankung, solange die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Zudem sind Arbeitnehmer während der Erkrankung von der Pflicht zur Arbeitsleistung befreit, müssen aber alles unterlassen, was die Genesung verhindert oder verzögert.

Darf ich während einer Krankheit gekündigt werden?

Grundsätzlich ist eine Kündigung während einer Krankheit nicht ausgeschlossen, allerdings ist sie nur unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich wirksam. Im deutschen Arbeitsrecht ist die krankheitsbedingte Kündigung eine Form der personenbedingten Kündigung. Der Arbeitgeber muss umfangreiche Voraussetzungen erfüllen, um rechtswirksam kündigen zu dürfen: Die Krankheit muss längerfristig andauern oder häufig auftreten und zu erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen führen. Vor einer Kündigung ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 167 SGB IX durchzuführen. Sonderkündigungsschutz besteht insbesondere für Schwangere, schwerbehinderte Menschen und Betriebsratsmitglieder. Liegt eine unzulässige oder sozial nicht gerechtfertigte Kündigung vor, kann der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen.

Was passiert, wenn ich während des Urlaubs krank werde?

Erkrankt ein Arbeitnehmer während des genehmigten Urlaubs und lässt sich dies unverzüglich durch ein ärztliches Attest bescheinigen, werden die Krankheitstage gemäß § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nicht auf den Jahresurlaub angerechnet. Die Urlaubsansprüche bleiben bestehen, da der Erholungszweck während der Krankheit nicht gewährleistet ist. Die Krankheitsmeldung an den Arbeitgeber sowie die Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung müssen ohne schuldhaftes Zögern erfolgen. Die ärztliche Bescheinigung sollte möglichst am ersten Krankheitstag ausgestellt sein, damit der Urlaub rechtswirksam unterbrochen wird. Wichtig ist zudem, dass die Krankheit tatsächlich eine Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte und nicht z.B. lediglich leichte Beschwerden bestanden haben.

Welche Pflichten habe ich als Arbeitnehmer während einer Krankheit?

Tritt eine Arbeitsunfähigkeit ein, liegt die Hauptpflicht des Arbeitnehmers darin, dem Arbeitgeber so früh wie möglich über die Erkrankung und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit zu informieren (§ 5 Abs. 1 EFZG). Spätestens am vierten Tag muss eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt werden, sofern der Arbeitgeber dies nicht früher verlangt. Darüber hinaus ist der Arbeitnehmer verpflichtet, aktiv zur eigenen Genesung beizutragen und alles zu unterlassen, was eine Heilung verzögern oder den Gesundheitszustand verschlimmern könnte (sog. Mitwirkungspflicht). Ein Verstoß gegen diese Pflichten (z.B. verspätete Meldung oder in der Öffentlichkeit offensichtlich genesungswidriges Verhalten) kann arbeitsrechtliche Konsequenzen wie Abmahnungen oder im Extremfall eine Kündigung rechtfertigen.

Wann und wie lange habe ich Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall?

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nach § 3 EFZG für bis zu sechs Wochen (42 Kalendertage) je Krankheitsfall, sofern das Arbeitsverhältnis länger als vier Wochen besteht und die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Bei einer längeren Krankheit beginnt mit jeder neuen, nicht auf demselben Grundleiden beruhenden Krankheit erneut ein Sechs-Wochen-Zeitraum. Bei Folgeerkrankungen, die unmittelbar an die vorherige Erkrankung anschließen und auf demselben Grundleiden beruhen, verlängert sich der Zeitraum nicht – hier besteht nur ein einheitlicher Anspruch. Die Höhe der Lohnfortzahlung entspricht dem vollen, durchschnittlich verdienten Arbeitsentgelt der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Liegt ein Verschulden des Arbeitnehmers an der Krankheit vor (z.B. Selbstverstümmelung), besteht kein Anspruch auf Fortzahlung.