Begriff und Einordnung der Konzernhaftung
Die Konzernhaftung bezeichnet die rechtliche Verantwortlichkeit verbunden mit Haftungsrisiken innerhalb eines Konzerns – einem Zusammenschluss mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung. Zentrale Fragestellung ist, inwieweit das herrschende Unternehmen (Muttergesellschaft) für Verbindlichkeiten oder Pflichtverstöße einer abhängigen Gesellschaft (Tochterunternehmen) im Innen- oder Außenverhältnis haftet. Obwohl die Konzernhaftung primär im Gesellschaftsrecht (insb. AktG, GmbHG) verankert ist, finden sich relevante Regelungen auch im Insolvenzrecht, Steuerrecht, Kartellrecht und zunehmend im Bereich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes sowie im internationalen Privatrecht.
Rechtliche Grundlagen der Konzernhaftung
Gesellschaftsrechtliche Regelungen
Aktienrechtliche Konzernhaftung (AktG)
Das Aktiengesetz (AktG) unterscheidet verschiedene Formen von Konzernen:
- Vertragskonzern (§§ 291 ff. AktG)
- Faktischer Konzern (§§ 311 ff. AktG)
- Abhängigkeitsverhältnis (§ 17 AktG)
Besonders bedeutsam ist die Besicherung von Verbindlichkeiten abhängiger Gesellschaften und die Möglichkeit einer Durchgriffshaftung der Muttergesellschaft im Fall einer „existenzvernichtenden Eingriffe“ (§ 317 AktG, Rechtsprechung des BGH). Die §§ 302 ff. AktG enthalten spezielle Ausgleichs- und Ersatzansprüche für Tochtergesellschaften und außenstehende Aktionäre.
GmbH-Konzernrecht
Das GmbH-Gesetz (GmbHG) enthält keine ausdrücklichen Konzernregeln, jedoch werden Grundsätze aus dem Aktienrecht analog herangezogen. Insbesondere die Haftung bei Treuepflichtverletzungen oder sittenwidrigen Beherrschungsverhältnissen wurde durch die Rechtsprechung ausgestaltet. Beispielhaft gelten hier die Grundsätze der Haftung aus „existenzvernichtenden Eingriffen“ und Geschäftsführerhaftung analog zu aktienrechtlichen Konstellationen.
Haftungstatbestände
Durchgriffshaftung
Die sogenannte „Durchgriffshaftung“ (auch: „Haftungsdurchgriff“, „Durchgriffstatbestand“) ermöglicht ausnahmsweise die Inanspruchnahme der Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft, wenn z.B.:
- eine Vermögensvermischung vorliegt,
- der Rechtsträger missbräuchlich als juristische Person genutzt wird,
- existenzvernichtende Eingriffe erfolgten,
- gesetzliche Durchgriffsregelungen bestehen (etwa im Umwandlungsrecht oder bei Verstößen gegen insolvenzrechtliche Pflichten).
Existenzvernichtender Eingriff
Durch die bahnbrechende BGH-Rechtsprechung zu den „existenzvernichtenden Eingriffen“ haftet eine Muttergesellschaft, wenn sie gegen das Trennungsprinzip verstößt, indem Vermögenswerte der Tochter zweckwidrig oder zum Nachteil von Gläubigern entzogen werden (§§ 826 BGB). Hieraus ergibt sich ein deliktischer Haftungsanspruch.
Haftung für beherrschende Einflussnahme
Übernimmt das herrschende Unternehmen im Vertragskonzern Leitungspflichten und übt direkten beherrschenden Einfluss aus (§§ 308, 309 AktG), ist es gegenüber der Tochter zu Ersatz verpflichtet, wenn dieser aufgrund von Weisungen nachteilige Rechtsfolgen entstehen.
Haftung im Insolvenzrecht
Wird über das Vermögen einer Konzerngesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, stellt sich die Frage der Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Gläubigern. Nach herrschender Auffassung bleibt das Trennungsprinzip grundsätzlich gewahrt; eine Durchgriffshaftung bleibt Ausnahmefällen vorbehalten.
Konzernhaftung im Lieferkettenschutzrecht
Mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, in Kraft seit 2023) wurde ein besonderer Haftungstatbestand geschaffen. Unternehmen haben Pflichten zur menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt entlang ihrer Lieferketten. Verletzungen können zu Bußgeldern, Ausschlüssen von öffentlichen Aufträgen und zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen führen. Die Konzernobergesellschaft muss hierbei für eigene sowie für Tochtergesellschaften Sorgfaltspflichten erfüllen und kann, bei Verstößen, zur Verantwortung gezogen werden.
Steuerrechtliche Konzernhaftung
Das Steuerrecht kennt spezifische Haftungstatbestände für Konzerne. Nach § 73 AO (Abgabenordnung) kann eine Konzernmutter für Steuerschulden der Tochter haften, wenn eine organschaftliche Verbindung besteht. Ebenso existieren Durchgriffsmöglichkeiten bei Missbrauch und Steuerhinterziehung.
Europarechtliche und internationale Aspekte
Im europäischen wie internationalen Kontext besteht kein einheitliches Konzernhaftungsregime. Die Europäische Union erkennt die gesellschaftsrechtliche Selbständigkeit der Konzerngesellschaften grundsätzlich an, regelt jedoch in Sonderbereichen gemeinsame Haftungsnormen – etwa im Wettbewerbsrecht (Konzernhaftung für Kartellverstöße, „parental liability“). Hiernach können Konzerne als wirtschaftliche Einheit gesamtschuldnerisch haften.
Im internationalen Recht entscheidet das jeweilige Kollisionsrecht über die Anwendbarkeit nationaler Haftungsregeln, wobei internationale Rechtsprechung (wie durch Europäischer Gerichtshof, EGMR) verbindliche Wirkung entfalten kann.
Aktuelle Entwicklungen und Kritik
Die Konzernhaftung steht fortlaufend im Spannungsfeld zwischen den Interessen von Gläubigerschutz, Haftungsbegrenzung und Rechtssicherheit. Ziel ist, berechtigte Gläubigerinteressen zu schützen, gleichzeitig aber unternehmerische Bewegungsfreiheit zu erhalten. Die Rechtsprechung differenziert zunehmend zwischen Einzelfällen, wobei das Risiko von Missbrauch juristischer Personen verringert, die unternehmerische Tätigkeit gleichwohl nicht unnötig eingeschränkt werden soll. Mit zunehmender Globalisierung und Regulierung steigt die Bedeutung komplexer, grenzüberschreitender Haftungstatbestände, insbesondere im Bereich der Corporate Social Responsibility.
Literaturhinweise und weiterführende Quellen
- Henssler/Strohn (Hrsg.): Gesellschaftsrecht, C.H. Beck, München
- Münchener Kommentar zum AktG, Band 6
- Uwe Hüffer, Aktiengesetz
- Kübler/Assmann: Konzernrecht
- Lutter/Hommelhoff: GmbH-Gesetz
- BGBl. I 2021 Nr. 46: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite dient ausschließlich Ihrer allgemeinen Information über die Rechtslage und deren Entwicklungen zum Thema „Konzernhaftung“ und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen vorliegen, damit eine Konzernhaftung greift?
Im rechtlichen Kontext setzt die Konzernhaftung grundsätzlich das Vorliegen eines Konzernverhältnisses voraus. Ein solches liegt vor, wenn mehrere rechtlich selbstständige Unternehmen unter einheitlicher Leitung zusammengefasst sind, wobei die Einflussnahme typischerweise durch gesellschaftsrechtliche Beteiligungen, Stimmrechtsbindungen oder Beherrschungsverträge ausgeübt wird. Eine Haftung der Muttergesellschaft für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaften kommt primär dann in Betracht, wenn gesetzliche Haftungstatbestände erfüllt sind. Dazu zählen insbesondere die §§ 291 ff. AktG im Falle eines Vertragskonzerns und die Durchgriffshaftung bei Missbrauch der Rechtsform nach allgemeinen Grundsätzen, etwa aus § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung), oder bei Existenzvernichtungshaftung. Zudem können Haftungsbegründungen aus spezialgesetzlichen Normen, wie dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) oder bestimmten Umwelthaftungsgesetzen, entstehen. Es müssen konkrete Verstöße gegen gesetzliche oder vertragliche Pflichten sowie ein Verschulden oder eine Zurechnung der Handlung vorliegen. Die Durchgriffshaftung als absolute Ausnahme erfordert regelmäßig den Nachweis eines Rechtsmissbrauchs oder einer existenzvernichtenden Eingriffshandlung der Muttergesellschaft.
In welchen Fällen kann die Konzernmutter für Verbindlichkeiten einer Tochtergesellschaft einstehen müssen?
Die Konzernmutter haftet nur unter besonderen rechtlichen Voraussetzungen für die Verpflichtungen ihrer Tochtergesellschaften. Im Regelfall gilt die Trennung der Rechtspersönlichkeiten; eine Haftung erfolgt, wenn ein Beherrschungsvertrag abgeschlossen wurde (§ 302 AktG), wodurch die Mutter für die Verluste der Tochter in vollem Umfang einstehen muss. Ebenso kann eine Haftung aus sogenannter Durchgriffshaftung begründet sein, wenn die Muttergesellschaft in unzulässiger Weise die selbständige Rechtspersönlichkeit der Tochtergesellschaft missbraucht, etwa durch Eingriffe in die Geschäftsführung, das Vermögen der Tochter in einer Weise abzieht, dass diese zahlungsunfähig wird („Existenzvernichtungshaftung“). Darüber hinaus können spezialgesetzliche Haftungstatbestände, zum Beispiel im Bereich der Produkthaftung, Umweltrecht oder nach dem LkSG, eine Haftung der Muttergesellschaft statuieren, insbesondere wenn sie eine Verletzung von Organisations- oder Überwachungspflichten zu verantworten hat. In allen Fällen muss eine klare rechtliche Zurechenbarkeit des schädigenden Handelns oder der Pflichtverletzung zur Muttergesellschaft gegeben sein.
Welche Rolle spielt die Durchgriffshaftung im Rahmen der Konzernhaftung?
Die Durchgriffshaftung ist im deutschen Recht eine Ausnahme vom Grundsatz der Haftungsbeschränkung juristischer Personen. Im Konzernkontext kommt sie zur Anwendung, wenn die Muttergesellschaft die formale Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft in unzulässiger Weise missbraucht. Voraussetzung ist insbesondere ein Rechtsmissbrauch, der etwa vorliegt, wenn die Muttergesellschaft die Tochter systematisch aushöhlt (Vermögensentzug), die Tochter zur Durchsetzung eigener Interessen missbraucht oder diese „weisungsabhängig“ geführt wird, ohne Rücksicht auf deren eigene Belange zu nehmen. Die Rechtsprechung zieht dann die Muttergesellschaft für Schäden haftbar, die Gläubigern der Tochter entstehen, insbesondere im Fall der Insolvenz. Klassische Fallgruppen sind die Existenzvernichtungshaftung (BGH-Rechtsprechung), der existenzgefährdende Eingriff und das „Vermögensverschiebungsmodell“. Die Durchgriffshaftung ist jedoch restriktiv anerkannt und stets am Prinzip der Trennung der juristischen Personen auszurichten; allein die Gesellschafterstellung oder die Ausübung der Mutterrechte genügen hierfür nicht.
Gibt es Unterschiede in der Konzernhaftung bei Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung?
Die Grundsätze der Konzernhaftung gelten für verschiedene Rechtsformen, jedoch weisen Aktiengesellschaften (AG) und Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen spezifische Besonderheiten auf. In einer Aktiengesellschaft sind die Regelungen zur Konzernhaftung in den §§ 291 ff. AktG umfassend kodifiziert. Insbesondere im Vertragskonzern sieht das Gesetz die Pflicht der Mutter zur Verlustübernahme und Gläubigerschutzmaßnahmen vor. Im faktischen Konzern können Minderheitsaktionäre Ersatz für Nachteile geltend machen (§ 311 AktG). Bei der GmbH gibt es keine unmittelbaren gesetzlichen Vorgaben zur Konzernhaftung, weshalb hier grundsätzlich auf die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln, die Durchgriffshaftung und die Vorschriften zur Existenzvernichtungshaftung zurückgegriffen wird. Übergreifend gilt, dass die Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaftsform, insbesondere Schutzmechanismen zugunsten von Gläubigern und Minderheitsgesellschaftern, bei der Prüfung einer Konzernhaftung zu berücksichtigen sind.
Welche aktuellen gesetzlichen Entwicklungen beeinflussen das Haftungsregime im Konzernrecht?
In den vergangenen Jahren führte insbesondere die Einführung und Weiterentwicklung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) zu einer Ausweitung konzernrechtlicher Haftungstatbestände. Nach dem LkSG sind Unternehmen mit einer bestimmten Mindestgröße verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette, also auch bei Tochterunternehmen und Zulieferern, zu beachten. Bei Verstößen drohen empfindliche Bußgelder und Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, was faktisch zu einer erweiterten Haftung der Obergesellschaft führt. Weiterentwicklungen finden sich auf europäischer Ebene im Zuge der geplanten bzw. bereits verabschiedeten EU-Richtlinien zur Corporate Sustainability Due Diligence, die eine weitergehende Konzernverantwortlichkeit schaffen. Solche Entwicklungen führen dazu, dass Muttergesellschaften künftig stärker für (auch ausländische) Tochtergesellschaften und deren Geschäftspraktiken verantwortlich gemacht werden können, insbesondere im Sinne präventiver Compliance- und Überwachungspflichten.
Wie sind Grünzüge der Existenzvernichtungshaftung und wann greift sie bei Konzernstrukturen?
Die Existenzvernichtungshaftung ist ein Ausprägungsfall der Durchgriffshaftung. Sie greift ein, wenn der Gesellschafter (häufig ein Mutterunternehmen) das Vermögen der Tochtergesellschaft in einer Weise entzieht, die zur Insolvenz oder Überschuldung führt und dadurch Gläubigerinteressen verletzt werden. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt diese Haftung voraus, dass der Eingriff ursächlich für die Existenzvernichtung ist, die Gesellschaft auf diese Weise nicht mehr in der Lage ist, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, und dem Gesellschafter ein Verschulden vorwerfbar ist. Existenzvernichtende Eingriffe sind beispielsweise unentgeltliche oder nicht marktgerechte Vermögensübertragungen an die Muttergesellschaft oder deren Nahestehende. Die Haftung ist darauf ausgerichtet, Gläubigerschutz in Fällen zu gewährleisten, in denen die rechtliche Selbstständigkeit der Tochtergesellschaft formal besteht, tatsächlich aber durch Eingriffe der Muttergesellschaft ausgehöhlt wurde.
Welche Maßnahmen kann eine Konzernmutter ergreifen, um ihre Haftung zu minimieren?
Zur Minimierung von Konzernhaftungsrisiken ist ein konsequentes Risikomanagement entscheidend. Praktisch bedeutet das, die Selbstständigkeit der Tochtergesellschaften zu wahren, insbesondere durch Einhaltung gesellschaftsrechtlicher Formentrennung, ordnungsgemäße Dokumentation konzerninterner Rechtsbeziehungen und angemessene Eigenkapitalausstattung der Tochtergesellschaften. Außerdem sollten beherrschende Eingriffe nur in zulässigem Maß erfolgen und sämtliche konzerninternen Verträge auf Marktüblichkeit überprüft werden, um Vorwürfe der Existenzvernichtung oder des Rechtsmissbrauchs zu vermeiden. Die Einführung und das Monitoring von Compliance-Programmen ist unverzichtbar, speziell dort, wo gesetzliche Sorgfaltsanforderungen (z.B. nach LkSG) eine gesteigerte Organisations- und Aufsichtspflicht begründen. Zudem sollte auf eine rechtlich belastbare Gestaltung von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen geachtet werden, um etwaige Haftungsfolgen kontrollierbar zu machen. Abschließend ist eine kontinuierliche juristische Kontrolle aktueller Entwicklungen und Risiken im Konzernrecht und angrenzenden Haftungsregimen ratsam.