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Kommunalverfassungsstreitigkeiten


Begriff und Grundlagen der Kommunalverfassungsstreitigkeiten

Kommunalverfassungsstreitigkeiten sind innergemeindliche Streitigkeiten, die zwischen kommunalen Verfassungsorganen und/oder deren Mitgliedern über Rechte und Pflichten aus der Gemeindeordnung (bzw. aus anderen kommunalen Verfassungsregelungen) geführt werden. Sie dienen der Klärung und Durchsetzung kommunalverfassungsrechtlicher Kompetenzen sowie der Abwehr oder Aufhebung rechtswidriger Eingriffe in diese Zuständigkeiten. Im Zentrum steht dabei die Wahrung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts sowie die Sicherstellung der Funktionstüchtigkeit kommunaler Organe.

Rechtsgrundlagen

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Das Rechtsinstitut der Kommunalverfassungsstreitigkeit findet seine Rechtsgrundlage im bundesrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht der Kommunen gemäß Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Die konkrete Ausgestaltung und Zulässigkeit richten sich nach den Gemeindeordnungen beziehungsweise Kommunalverfassungen der jeweiligen Bundesländer.

Einfachrechtliche Bestimmungen

Die einschlägigen Vorschriften ergeben sich in der Regel aus der Kommunalverfassung des jeweiligen Landes, z.B. § 40 Kommunalverfassung Mecklenburg-Vorpommern (KV M-V) oder den entsprechenden Bestimmungen der Gemeindeordnungen anderer Bundesländer. Die landesrechtlichen Vorschriften unterscheiden sich im Detail, enthalten jedoch regelmäßig vergleichbare Normierungen über die Organisation, Zuständigkeiten und Rechtsstellung der kommunalen Organe.

Streitbeteiligte und Streitgegenstände

Beteiligte am Kommunalverfassungsstreit

An Kommunalverfassungsstreitigkeiten sind regelmäßig zwei verschiedene kommunale Organe oder eines bzw. mehrere ihrer Mitglieder beteiligt. Typisch sind etwa Streitigkeiten zwischen

  • Bürgermeisterin bzw. Oberbürgermeisterin und Gemeinderat,
  • Gemeinderatsmitgliedern untereinander,
  • Ausschüssen sowie deren Einzelmitgliedern und anderen Organen.

Streitigkeiten zwischen gemeindlichen Organen und Dritten (z.B. Bürgerinnen, Unternehmen) sind keine Kommunalverfassungsstreitigkeiten.

Streitgegenstände

Zentrale Streitgegenstände sind insbesondere:

  • Auslegung und Reichweite kommunaler Organbefugnisse,
  • Rechtmäßigkeit von Maßnahmen und Unterlassungen,
  • Durchsetzung von Informationsrechten,
  • Rechtswidrigkeit von Beschlüssen.

Beispiele sind das Verlangen eines Gemeinderatsmitglieds auf Zugang zu Verwaltungsunterlagen oder die Anfechtung von Ratsbeschlüssen durch den Bürgermeister wegen behaupteter Kompetenzüberschreitung.

Zulässigkeit und Verfahren

Gerichtliche Zuständigkeit

Für Kommunalverfassungsstreitigkeiten sind die Verwaltungsgerichte im Rahmen des Kommunalverfassungsstreits zuständig (§ 40 Abs. 2 VwGO per analogia bzw. nach ausdrücklicher Regelung in Ländergesetzen). Das besondere Verfahren unterscheidet sich von der normalen (Allgemeinen) Leistungsklage oder Anfechtungsklage.

Klagearten und Rechtsschutzbegehren

Im Kommunalverfassungsstreit können verschiedene Klagearten relevant werden:

  • Feststellungsklage zur Klärung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechts oder einer Pflicht,
  • Leistungsklage auf Vornahme oder Unterlassung bestimmter Handlungen,
  • ggf. Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz (z.B. im Wege der einstweiligen Anordnung).

Das Rechtsschutzinteresse besteht immer dann, wenn eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung organbezogener Rechte geltend gemacht wird.

Besonderheiten des Rechtsschutzes

Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht keine besonderen Vorschriften für das Kommunalverfassungsstreitverfahren vor. Gleichwohl wird die analoge Anwendung verwaltungsprozessualer Grundsätze akzeptiert. Häufig muss der substantiierte Vortrag zur Kompetenzstreitigkeit erfolgen; eine Popularklage ist ausgeschlossen. Der Streit ist parteifähigen Organen bzw. deren Mitgliedern vorbehalten.

Abgrenzungen

Kommunalverfassungsstreitigkeiten sind klar von anderen Verwaltungsstreitigkeiten zu unterscheiden:

  • Sie sind keine Kommunalaufsichtsstreitigkeiten (diese bestehen zwischen der Gemeinde und der Kommunalaufsichtsbehörde).
  • Sie unterscheiden sich von Organstreitigkeiten auf Landes- oder Bundesebene (die dortigen Organe sind keine kommunalen).
  • Sie sind abzugrenzen von Individualstreitigkeiten mit Außenwirkung (z.B. zwischen Bürgerinnen und Gemeinde).

Rechtliche Folgen und Rechtskraft

Das Urteil im Kommunalverfassungsstreit bindet im Rahmen der Rechtskraftwirkung die streitenden Organe und kann ordnungs- und verwaltungsrechtliche Auswirkungen auf das kommunale Handeln haben. Der Rechtsweg zu den Oberverwaltungsgerichten (bzw. Verwaltungsgerichtshöfen) sowie zum Bundesverwaltungsgericht ist unter den jeweiligen Voraussetzungen eröffnet.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Kommunalverfassungsstreitigkeiten sind von erheblicher Bedeutung für die Funktionsfähigkeit und demokratische Kontrolle innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung. Sie sichern die Gewaltenteilung, klare Kompetenzabgrenzung und rechtsstaatliche Auseinandersetzung auf kommunaler Ebene. Aufgrund der Vielfalt kommunaler Aufgaben und des zumeist politischen Hintergrunds solcher Auseinandersetzungen haben Kommunalverfassungsstreitigkeiten einen hohen praktischen Stellenwert im Verwaltungsrecht.

Literaturhinweise

  • Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf, Kommunalrecht, 15. Aufl., München 2020.
  • Kahl/Waldhoff/Walter, Kommunalrecht, 3. Aufl., Stuttgart 2021.
  • Battis/Gusy, Besonderes Verwaltungsrecht, 15. Aufl., München 2022.

Hinweis: Die genaue Handhabung und Ausgestaltung von Kommunalverfassungsstreitigkeiten kann in den einzelnen Bundesländern voneinander abweichen. Maßgeblich sind stets die spezifischen landesrechtlichen Regelungen sowie die aktuelle Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist im Kommunalverfassungsstreitverfahren vor dem Verwaltungsgericht eigentlich beteiligungsfähig?

Im Kommunalverfassungsstreit unterscheidet sich die Beteiligungsfähigkeit maßgeblich von derjenigen in anderen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Grundsätzlich sind im Kommunalverfassungsstreit Organwalter oder Organe der Gemeinde sowie, je nach Landesrecht, auch deren rechtlich unselbständige Ausschüsse oder Fraktionen beteiligungsfähig. Natürliche Personen sind dagegen grundsätzlich nur dann beteiligungsfähig, wenn sie ein Organ einer Kommune darstellen, z.B. als Bürgermeister, Ratsmitglied bzw. Fraktionsvorsitzende. Zulässig ist die Geltendmachung von organschaftlichen Rechten, soweit diese durch kommunale Gesetze oder Hauptsatzungen eingeräumt sind. Die Beteiligungsfähigkeit ist dabei stets streng auf die streitgegenständlichen, organschaftlichen Kompetenzen bezogen: Streitbefugt sind mithin nur diejenigen Organe, die aus dem Gemeinderecht, insbesondere aus der Gemeindeordnung und den darauf fußenden kommunalen Satzungen, eine unabhängige Rechtsposition ableiten können. Klagebefugt sind auch kommunale Organe gegen andere Organe derselben Körperschaft, nicht aber beliebige Mitglieder der Gemeinde oder außenstehende Dritte.

Gegen welche Akte bzw. Maßnahmen kann sich ein Kommunalorgan im Kommunalverfassungsstreit wenden?

Im Rahmen des Kommunalverfassungsstreits können Kommunalorgane gegen rechtswidrige Akte, Maßnahmen oder Unterlassungen anderer Organe oder Organteile der eigenen Kommune vorgehen, sofern diese die ihnen nach der Gemeindeordnung oder der Hauptsatzung eingeräumten organschaftlichen Rechte oder Zuständigkeiten verletzen. Die Streitgegenstände umfassen insbesondere Beschlüsse, Anordnungen, Weisungen, die rechtswidrige Entziehung von Kompetenzen oder die Verweigerung der ihnen zustehenden Informations- und Mitwirkungsrechte. Ebenso können Unterlassungen, durch die ein Organ an der ordnungsgemäßen Wahrnehmung seiner Aufgaben verhindert wird, Gegenstand sein. Voraussetzung ist stets, dass es sich um einen innerorganisatorischen Streit innerhalb der kommunalen Selbstverwaltung handelt; externer Rechtsschutz ist im Kommunalverfassungsstreit ausgeschlossen.

Welche Klageart ist im Kommunalverfassungsstreit typischerweise statthaft?

Die statthafte Klageart im Kommunalverfassungsstreit bestimmt sich grundsätzlich nach dem Begehren des klagenden Organs. In der Praxis findet überwiegend die sogenannte „allgemeine Leistungsklage“ (§ 43 Abs. 2 VwGO analog) Anwendung, da häufig ein feststellendes oder gestaltendes Urteil über das Bestehen oder Nichtbestehen bestimmter organschaftlicher Rechte oder Pflichten begehrt wird. Je nach Landesrecht sowie gewünschtem Rechtsschutz kommen aber auch die Gestaltungsklage, die Verpflichtungsklage oder die Feststellungsklage in Betracht. Die genaue Klageart bemisst sich am konkreten Streitgegenstand, wobei die herrschende Ansicht in Literatur und Rechtsprechung die analoge Anwendung des Verwaltungsrechtswegs und der VwGO vorsieht, selbst wenn keine ausdrückliche bundesgesetzliche Regelung vorliegt.

Welche Rechtsnormen sind im Rahmen des Kommunalverfassungsstreits maßgeblich?

Die maßgeblichen Rechtsnormen ergeben sich vorrangig aus den jeweiligen Gemeindeordnungen der Bundesländer sowie den kommunalen Hauptsatzungen, die das Innenverhältnis, die Kompetenzen und Rechte der Organe und Organmitglieder regeln. Sekundär sind auch die Verfahrensbestimmungen der VwGO einschlägig, soweit sie analog auf den Kommunalverfassungsstreit Anwendung finden, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt. Die spezifischen verfahrensrechtlichen Besonderheiten sind dabei durch die Rechtsprechung und Anwendung der §§ 40 ff. VwGO entwickelt worden. Weiterhin können landesrechtliche Besonderheiten, wie Klagefristen oder besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen, zu beachten sein. Das materielle Recht stammt regelmäßig aus der Gemeindeordnung, insbesondere aus den Vorschriften zu Zuständigkeiten, Beteiligungsrechten oder Kontrollbefugnissen.

Welche prozessualen Besonderheiten sind im Kommunalverfassungsstreit zu beachten?

Der Kommunalverfassungsstreit ist durch mehrere prozessuale Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens gilt, dass ein Vorverfahren nach § 68 VwGO (Widerspruchsverfahren) in der Regel entbehrlich ist, da es sich um „Nicht-Verwaltungsakte“ im Sinne innerorganisatorischer Streitigkeiten handelt. Die Klage ist direkt beim Verwaltungsgericht zu erheben. Zweitens ist auf die Besonderheit des Rechtsschutzbedürfnisses zu achten: Der kommunalverfassungsrechtliche Streit muss ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse betreffen. Drittens erlaubt die Rechtsprechung eine weite Auslegung der Klagebefugnis zugunsten funktionaler Organe, um effektiven Rechtsschutz im Binnenverhältnis der Kommune zu gewährleisten. Prozessrechtlich ist meist das Kollegialorgan (z.B. Gemeinderat) als Ganzes oder in der jeweiligen Personalunion betroffen, nicht das einzelne Ratsmitglied ohne weitere Vertretungsbefugnis.

Wie verhält sich das Verhältnis zwischen Kommunalverfassungsstreit und Organstreitverfahren vor den Verfassungsgerichten?

Das Verhältnis zwischen Kommunalverfassungsstreit und verfassungsgerichtlichem Organstreitverfahren ist grundsätzlich dadurch geprägt, dass der Kommunalverfassungsstreit nicht unter Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG fällt und damit nicht dem Bundesverfassungsgericht, sondern der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugeordnet ist. Der Organstreit vor den Landesverfassungsgerichten kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, z.B. im Falle einer landesverfassungsrechtlichen Zuweisung oder bei Geltendmachung von Grundrechtsverletzungen mit verfassungsrechtlicher Relevanz. Vorrangig zu prüfen ist immer der kommunalrechtliche Rechtsschutzweg vor der Fachgerichtsbarkeit. Ein Organstreit vor dem jeweiligen Verfassungsgericht ist demgegenüber subsidiär und auf eng umgrenzte Fälle beschränkt, etwa bei Streitigkeiten um subjektiv-öffentliche Rechte mit Verfassungsrang.

Welche Rolle nimmt das Gericht im Kommunalverfassungsstreit ein?

Im Kommunalverfassungsstreit nimmt das Verwaltungsgericht eine besondere Rolle als Schiedsinstanz zwischen den Organen der Selbstverwaltung wahr. Es prüft nicht nur die formelle und materielle Gesetzmäßigkeit der streitigen Maßnahme oder Unterlassung, sondern achtet auch darauf, das Selbstverwaltungsrecht als tragendes Prinzip des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 2 GG) zu wahren. Dabei unterliegt das Gericht keinen sachlichen Bindungen an die Feststellungen und Beurteilungen der Gemeindeorgane – vielmehr ist es verpflichtet, eigenständig und umfassend sowohl die Zuständigkeitsordnung als auch die materiellen Rechte der Organe und Organmitglieder auszulegen sowie einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten. Dies umfasst ggf. Anordnungen zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände innerhalb der Gemeinde, ohne die kommunale Organisation insgesamt zu beeinträchtigen.