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Kollektives Arbeitsrecht


Begriff und Bedeutung des Kollektiven Arbeitsrechts

Das Kollektive Arbeitsrecht ist ein zentraler Bestandteil des Arbeitsrechts und regelt die Rechtsbeziehungen zwischen den sogenannten Kollektivparteien – typischerweise Arbeitgebern (beziehungsweise Arbeitgeberverbänden) auf der einen und Arbeitnehmervertretungen, insbesondere Gewerkschaften und Betriebsräten, auf der anderen Seite. Im Gegensatz zum Individualarbeitsrecht, welches das Verhältnis zwischen einzelnen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestimmt, betrifft das Kollektive Arbeitsrecht übergeordnete Regelungen und kollektive Interessenvertretungen. Ziel ist der Schutz und die Förderung sozialer Partnerschaft, Mitbestimmung sowie ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den sozialen Akteuren im Arbeitsleben.

Struktur des Kollektiven Arbeitsrechts

Das Kollektive Arbeitsrecht umfasst drei zentrale Bereiche:

  1. Tarifrecht
  2. Arbeitskampfrecht
  3. Mitbestimmungsrecht

Diese Teilbereiche werden im Folgenden detailliert erläutert.

Tarifrecht

Grundlagen und Definition

Das Tarifrecht beschäftigt sich mit der Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Kollektivvereinbarungen, insbesondere Tarifverträge. Es wird maßgeblich durch das Tarifvertragsgesetz (TVG) geregelt.

Tarifvertragsparteien

Tarifverträge werden zwischen Gewerkschaften (als Vereinigungen von Arbeitnehmern) und Arbeitgeberverbänden oder einzelnen Arbeitgebern abgeschlossen. Beide Seiten gelten als tariffähige Parteien, sofern sie die Voraussetzungen des TVG erfüllen.

Inhalt und Wirkung von Tarifverträgen

Tarifverträge regeln zentrale Arbeitsbedingungen wie Löhne, Arbeitszeiten, Urlaub sowie weitere Rahmenbedingungen von Arbeitsverhältnissen. Sie wirken unmittelbar und zwingend auf die Arbeitsverhältnisse der Tarifgebundenen. Durch sogenannte Allgemeinverbindlicherklärungen können Tarifverträge auch auf Nichtmitglieder erstreckt werden.

Arten von Tarifverträgen

  • Manteltarifverträge: regeln allgemeine Arbeitsbedingungen übergreifend für längere Zeiträume.
  • Lohntarifverträge bzw. Gehaltstarifverträge: betreffen spezifische Entgeltregelungen für kürzere Zeiträume.
  • Firmentarifverträge: gelten ausschließlich für einen Betrieb oder Unternehmen.

Arbeitskampfrecht

Bedeutung und rechtliche Rahmenbedingungen

Das Arbeitskampfrecht ist im Gesetz nicht einheitlich kodifiziert, sondern vorwiegend durch Richterrecht entwickelt. Es betrifft die kollektive Durchsetzung von Interessen, insbesondere durch Streik (seitens der Arbeitnehmer) oder Aussperrung (seitens der Arbeitgeber).

Voraussetzungen für Arbeitskampfmaßnahmen

Arbeitskampfmaßnahmen sind grundsätzlich zulässig, wenn sie sich auf tariflich regelbare Fragen beziehen, von einer tariffähigen Partei getragen werden und das sogenannte Ultima-Ratio-Prinzip beachtet wird. Vor Ergreifung eines Arbeitskampfes müssen in der Regel alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sein, häufig nach Scheitern der Schlichtung.

Zulässigkeit und Schranken

Nicht jeder Arbeitskampf ist rechtmäßig. Unrechtmäßig sind etwa politische Streiks oder (teilweise) Sympathiestreiks sowie Maßnahmen, die gegen Tarifverträge oder Friedenspflichten verstoßen.

Mitbestimmungsrecht

Grundlagen der betrieblichen Mitbestimmung

Das Mitbestimmungsrecht regelt die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer im Betrieb sowie auf Unternehmensebene. Es ist im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und im Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) normiert.

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Das BetrVG etabliert den Betriebsrat als Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Betrieben mit mindestens fünf ständig beschäftigten Arbeitnehmern. Es regelt die Wahl, Zusammensetzung und Befugnisse des Betriebsrates.

Hauptbeteiligungsrechte sind:

  • Mitbestimmungsrechte (z. B. in sozialen Angelegenheiten)
  • Mitwirkungsrechte (z. B. bei personellen Einzelmaßnahmen)
  • Informationsrechte

Mitbestimmung auf Unternehmensebene

Das MitbestG sieht im Rahmen bestimmter Schwellenwerte (ab 500 oder 2.000 Arbeitnehmern) eine Beteiligung der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten von Kapitalgesellschaften vor.

Beteiligung im öffentlichen Dienst

Die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst ist gesondert geregelt, insbesondere durch das Bundespersonalvertretungsgesetz (BPersVG) und entsprechende Landesgesetze.

Rechtsquellen und Geltungsbereich

Gesetzliche Grundlagen

Wichtige Gesetze im kollektiven Arbeitsrecht sind:

  • Tarifvertragsgesetz (TVG)
  • Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
  • Mitbestimmungsgesetz (MitbestG)
  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Personalvertretungsgesetze (BPersVG, LPVG)
  • Diverse Nebengesetze und Rechtsverordnungen

Europarechtliche Bezüge

Das kollektive Arbeitsrecht ist zudem geprägt von europäischen Richtlinien und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, etwa zu Diskriminierungsverboten und zur Förderung der sozialen Dialoge.

Bedeutung und Funktionen des Kollektiven Arbeitsrechts

Zentrale Funktion des kollektiven Arbeitsrechts ist die Schaffung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite. Es gewährleistet sozialen Frieden, fördert die Mitbestimmung und sichert faire Arbeitsbedingungen. Die Kollektivverhandlungen entlasten die Arbeitsgerichte, indem sie Streitigkeiten an die Sozialpartner binden und einheitliche Standards setzen.

Entwicklung und aktuelle Herausforderungen

Historisch entwickelte sich das Kollektive Arbeitsrecht aus der Arbeiterbewegung. Heute steht es vor neuen Herausforderungen wie Digitalisierung, Flexibilisierung der Arbeitswelt, zunehmender Tarifflucht und der Notwendigkeit, Mitbestimmung auch bei internationalen Konzernen sicherzustellen.

Zusammenfassung

Das Kollektive Arbeitsrecht ist ein eigenständiges und hochkomplexes Rechtsgebiet, das maßgeblich zur Regulierung kollektiver Arbeitsbeziehungen beiträgt. Es sichert neben der Vertragsfreiheit des Einzelnen umfassende Mitgestaltungsrechte der Arbeitnehmerseite und bildet die Grundlage für den sozialen Frieden in der Arbeitswelt. Zu seinen Kernelementen zählen das Tarifrecht, das Arbeitskampfrecht sowie das betriebliche und unternehmerische Mitbestimmungsrecht. Die Rechtsnormen und ihre praktische Anwendung unterliegen fortlaufend gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rechte und Pflichten hat der Betriebsrat im Rahmen des kollektiven Arbeitsrechts?

Der Betriebsrat vertritt die Interessen der Arbeitnehmer eines Betriebs gegenüber dem Arbeitgeber und verfügt im kollektiven Arbeitsrecht über umfangreiche Rechte und Pflichten, die sich insbesondere aus dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ergeben. Zu den wichtigsten Rechten zählen das Informationsrecht (§ 80 BetrVG), wonach der Arbeitgeber den Betriebsrat umfassend über Angelegenheiten, die die Arbeitnehmer betreffen, unterrichten muss. Ferner hat der Betriebsrat das Beratungsrecht (§ 92 BetrVG), wodurch er zu bestimmten Maßnahmen, wie bspw. bei geplanten Betriebsänderungen oder Einstellungen, angehört werden muss. Besonders relevant ist das Mitbestimmungsrecht (§ 87 BetrVG), das unter anderem bei sozialen Angelegenheiten wie Arbeitszeitregelungen, Urlaubsgrundsätzen und der Gestaltung von Arbeitsplätzen gilt. Der Betriebsrat kann hierbei in bestimmten Fällen seine Zustimmung verweigern oder erzwingen, dass über strittige Maßnahmen die Einigungsstelle entscheidet. Pflichten des Betriebsrats bestehen u.a. in der Wahrung des Betriebsfriedens, der Verschwiegenheitspflicht über vertrauliche Angelegenheiten (§ 79 BetrVG) sowie der unparteiischen Wahrnehmung seiner Aufgaben im Interesse aller Arbeitnehmer. Auch darf der Betriebsrat seine Rechte nicht missbrauchen und muss stets zum Wohl des Betriebs und der Belegschaft handeln. Eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber im Rahmen der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 BetrVG) ist zwingend geboten.

Wie erfolgt die Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien, und welche rechtlichen Wirkungen resultieren daraus?

Die Tarifbindung ergibt sich im Regelfall durch die Mitgliedschaft der Arbeitsvertragsparteien in den tarifschließenden Parteien, also der Gewerkschaft auf Arbeitnehmerseite und des Arbeitgeberverbandes auf Arbeitgeberseite (§ 3 TVG). Tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen die tarifvertraglichen Normen unmittelbar und zwingend anwenden, ohne dass es einer zusätzlichen vertraglichen Vereinbarung bedarf (§ 4 Abs. 1 TVG). Das bedeutet, dass die Regelungen des Tarifvertrags automatisch Bestandteil des Arbeitsvertrages werden, soweit sie für das jeweilige Arbeitsverhältnis einschlägig sind. Liegt eine Allgemeinverbindlicherklärung gemäß § 5 TVG vor, gilt der Tarifvertrag sogar für alle Arbeitsverhältnisse des Geltungsbereiches im Betrieb, unabhängig von einer Verbandsmitgliedschaft. Rechtswirkungen der Tarifbindung sind insbesondere die Unabdingbarkeit tariflicher Regelungen (Tarifvorrang), also dass einzelvertragliche Abweichungen zum Nachteil des Arbeitnehmers unzulässig sind. Diese rechtliche Bindungswirkung endet grundsätzlich mit dem Austritt aus dem Verband, wobei nachwirkende Tarifregeln gemäß § 4 Abs. 5 TVG bis zur Neuregelung des jeweiligen Gegenstandes wirksam bleiben.

Inwiefern sind Betriebsvereinbarungen im kollektiven Arbeitsrecht rechtsverbindlich und wie ist deren Geltungsbereich geregelt?

Betriebsvereinbarungen sind schriftliche Vereinbarungen zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat (§ 77 BetrVG), die innerhalb eines Betriebs auf kollektive Rechtsverhältnisse angewendet werden. Sie wirken gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend für alle bestehenden und zukünftigen Arbeitsverhältnisse im jeweiligen Betrieb, unabhängig von einer individuellen Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer. Betriebsvereinbarungen sind jedoch nur dort zulässig, wo nicht eine gesetzliche oder tarifvertragliche Regelung besteht, die denselben Sachverhalt abschließend regelt (Sperrwirkung des Tarifvertrags, § 77 Abs. 3 BetrVG). Ihr Geltungsbereich erstreckt sich lediglich auf den jeweiligen Betrieb und endet nicht automatisch bei Wechsel des Arbeitnehmers in einen anderen Betrieb desselben Unternehmens. Rechtsverbindlichkeit entsteht erst mit rechtsgültiger Unterzeichnung beider Parteien. Abweichungen zum Nachteil der Arbeitnehmer sind nichtig, sofern sie Vorgaben aus höherrangigen rechtlichen Normen verletzen.

Unter welchen Voraussetzungen ist ein Streik rechtlich zulässig, und welche Schutzmechanismen bestehen für Streikende?

Ein Streik ist nach deutschem Arbeitsrecht im Grundsatz dann zulässig, wenn er von einer tariffähigen Gewerkschaft getragen wird und das Arbeitskampfziel auf den Abschluss eines Tarifvertrags gerichtet ist (Grundsatz der Tarifbezogenheit). Die Friedenspflicht während laufender Tarifverträge muss beachtet werden, ein Streik darf also frühestens nach Ablauf der Erklärungsfrist oder ggf. nach Scheitern von Schlichtungsbemühungen durchgeführt werden. Bestreikt werden dürfen grundsätzlich nur rechtlich zulässige, also nicht sitten- oder rechtswidrige, sowie erreichbare Ziele. Streikende Arbeitnehmer genießen während des Streiks besonderen Kündigungsschutz (gerechtfertigte Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik ist kein Kündigungsgrund), allerdings entfällt für die Dauer der Streikteilnahme der Anspruch auf Arbeitsentgelt. Gewerkschaftsmitglieder haben unter Umständen Anspruch auf Streikgeld. Arbeitgeber dürfen bestreikte Arbeitsplätze nicht mit „Streikbrechern“ besetzen oder sogenannte „Aussperrungen“ durchführen, sofern nicht eine extreme Verhältnismäßigkeit oder Erforderlichkeit besteht; auch hier gelten jedoch komplexe rechtliche Vorgaben.

Welche Rolle spielt die Einigungsstelle im kollektiven Arbeitsrecht und wie ist deren Verfahren geregelt?

Die Einigungsstelle ist ein zentrales betriebliches Organ zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat in kollektiven Angelegenheiten (§ 76 BetrVG). Sie setzt sich aus einer gleichen Anzahl von Beisitzern beider Seiten sowie einem neutralen Vorsitzenden zusammen. Die Einigungsstelle kann angerufen werden, wenn bei mitbestimmungspflichtigen oder mitwirkungsbedürftigen Tatbeständen (z.B. Arbeitszeitregelung, Einführung technischer Einrichtungen, Sozialplan) keine Einigung erzielt wird. Ihr Spruch ersetzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und wirkt wie eine Betriebsvereinbarung unmittelbar und zwingend für alle Arbeitnehmer des Betriebes. Das Verfahren ist grundsätzlich formlos, die Entscheidung fällt die Einigungsstelle mit Mehrheit. Gegen ihren Spruch ist nur in Ausnahmefällen das Arbeitsgericht im Wege der Beschwerde anrufbar, z. B. wenn eine offensichtliche Überschreitung der Mitbestimmungsrechte vorliegt.

Welche Unterschiede bestehen zwischen Manteltarifvertrag und Verbandstarifvertrag innerhalb des kollektiven Arbeitsrechts?

Ein Manteltarifvertrag regelt die allgemeinen, übergeordneten Arbeitsbedingungen für die betroffenen Beschäftigten einer Branche oder eines Betriebes, etwa zu Arbeitszeiten, Urlaub, Kündigungsfristen oder Eingruppierungsvorschriften. Diese Bestimmungen gelten in der Regel für einen längeren Zeitraum und bieten daher Planungssicherheit. Ein Verbandstarifvertrag wird hingegen zwischen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften abgeschlossen, erfasst also mehrere Betriebe und wirkt verbandsweit. Er kann sowohl Manteltarifvertragsteile als auch spezielle, z.B. Entgelttarifvertragsteile enthalten. Die Unterscheidung ist insoweit relevant, als Manteltarifverträge regelmäßig längere Laufzeiten und umfassendere Regelungen enthalten, während Verbandstarifverträge auch auf betrieblicher Ebene ergänzt oder konkretisiert werden können. Beide Tarifvertragsformen entfalten unmittelbare und zwingende Wirkung für die tarifgebundenen Parteien und deren Mitglieder.

Wie erfolgt die gerichtliche Kontrolle kollektiver Arbeitsrechtsentscheidungen, insbesondere bei Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen?

Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge unterliegen in Deutschland der gerichtlichen Kontrolle durch die Arbeitsgerichte, allerdings nur eingeschränkt. Hinsichtlich Betriebsvereinbarungen prüft das Arbeitsgericht auf Antrag, ob diese formell und inhaltlich rechtmäßig zustande gekommen und geltendes Recht eingehalten worden ist (§ 77 BetrVG, §§ 2a, 96 ArbGG). Individualklagen von Arbeitnehmern können sich dagegen richten, dass eine Betriebsvereinbarung gegen höherrangiges Recht, insbesondere Gesetze oder Tarifverträge, verstößt. Tarifverträge unterliegen als „normsetzende“ Verträge einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle: Die Gerichte überprüfen formelle Voraussetzungen wie Tarifzuständigkeit und Tarifgebundenheit, greifen jedoch inhaltlich grundsätzlich nicht in die tarifliche Regelungsautonomie ein, es sei denn, es liegt eine evidente Sittenwidrigkeit, Diskriminierung oder eine Verletzung zwingenden Rechts vor. Die Kontrolle von Wirkungen erfolgt somit nach dem Grundsatz der Tarifautonomie und dem gesetzlichen Prüfungsmaßstab.