Begriff und Grundlagen des Kohleausstiegs
Definition Kohleausstieg
Der Begriff Kohleausstieg bezeichnet die vollständige oder teilweise Beendigung der Gewinnung und energetischen Nutzung von Steinkohle und Braunkohle. Ziel des Kohleausstiegs ist es, die Treibhausgasemissionen zu senken und zur Einhaltung vereinbarter Klimaschutzziele beizutragen. Im rechtlichen Kontext umfasst der Kohleausstieg insbesondere die Gestaltung, Umsetzung und Nachverfolgung der Maßnahmen zur Stilllegung von Kohlekraftwerken, die Entschädigungsregelungen für betroffene Akteure sowie flankierende Bestimmungen zur Sicherstellung einer stabilen Energieversorgung.
Historischer Hintergrund und rechtliche Entwicklung
Die politische und rechtliche Diskussion um den Kohleausstieg hat ihren Ursprung im gesteigerten Klimaschutzbewusstsein, insbesondere nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens von Paris (Pariser Klimaabkommen) im Jahr 2016. Deutschland verfolgt seitdem das Ziel, den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2038, verbunden mit ambitionierten Treibhausgasminderungspfaden. Grundlage dieses Prozesses bildet insbesondere das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, kurz Kohleausstiegsgesetz, KWasG).
Rechtsrahmen des Kohleausstiegs in Deutschland
Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KWasG)
Wesentliche Inhalte
Das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KWasG), in Kraft getreten am 14. August 2020, regelt umfassend den Ausstieg aus der Kohleverstromung. Es sieht einen nationalen Kohleausstiegspfad vor, wonach die installierte Erzeugungsleistung der Kohlekraftwerke schrittweise reduziert und bis spätestens Ende 2038 vollständig stillgelegt wird. Unter bestimmten Voraussetzungen ist ein früherer Ausstieg bis Ende 2035 möglich.
Stilllegungsfristen und -verpflichtungen
Das KWasG enthält verbindliche Stilllegungsfristen sowohl für Braunkohle- als auch für Steinkohlekraftwerke. Die Regelungen unterscheiden zwischen freiwilligen und verpflichtenden Stilllegungen, festen Stilllegungsdaten sowie der Ankündigung und Anmeldung von Stilllegungen zwecks Koordinierung des Ausgleichs im Strommarkt.
Ausschreibungsverfahren und Entschädigungsmechanismen
Für Steinkohlekraftwerke sieht das Gesetz Ausschreibungsmodelle zur Ermittlung der wirtschaftlich sinnvollsten Reihenfolge der Stilllegungen vor. Betreiber von Kohlekraftwerken können Gebote einreichen, um ihre Anlagen gegen eine staatliche Entschädigung stillzulegen. Die Entscheidungen erfolgen nach Kosten-Nutzen-Prinzip unter Berücksichtigung der Systemsicherheit.
Für die Braunkohleindustrie ist ein separates Entschädigungskonzept vorgesehen. Hier regelt das KWasG zusammen mit öffentlich-rechtlichen Verträgen konkrete Ausgleichszahlungen, die die Investitionsausfälle und Folgekosten abmildern sollen.
Maßnahmen zur Versorgungs- und Netzsicherheit
Das Gesetz stellt sicher, dass der Kohleausstieg nicht zu einer Gefährdung der Versorgungssicherheit führt. Die Bundesnetzagentur überwacht, dass systemrelevante Kraftwerke in Sicherheitsbereitschaft überführt werden können, falls dies zur Wahrung der Netzstabilität erforderlich ist.
Weitere Rechtsvorschriften und Begleitgesetze
Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG)
Als flankierendes Regelwerk zum KWasG wurde das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) eingeführt. Es verfolgt das Ziel, wirtschaftliche und soziale Nachteile für die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen abzufedern. Die Regelungen erstrecken sich auf die finanzielle Förderung des Strukturwandels, Investitionen in Infrastrukturvorhaben, Bildung sowie Innovation und Forschung.
Energiewirtschaftsgesetz (EnWG)
Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) bleibt für die Genehmigung, Stilllegung und Umnutzung von Kraftwerken sowie für die Versorgungssicherheit maßgeblich. Betreiber sind verpflichtet, ihre jeweiligen Übertragungsnetzbetreiber und die Bundesnetzagentur zeitnah über Stilllegungsabsichten zu informieren.
Genehmigungs- und Umweltrecht
Die Beendigung des Kohleabbaus und der Kohleverstromung bringt zahlreiche umweltrechtliche Implikationen mit sich. Die relevanten Vorschriften finden sich insbesondere im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) sowie im Bundesberggesetz (BBergG). Für die Stilllegung, Nachsorge und Rekultivierung sind umfangreiche Genehmigungs- und Monitoringverfahren durchzuführen.
Rechtliche Auswirkungen und Streitfragen
Verfassungsrechtliche Dimensionen
Die Stilllegung von Kohlekraftwerken und der Kohleausstieg als ordnungspolitische Maßnahme berühren zentrale verfassungsrechtliche Prinzipien. Zu nennen sind insbesondere:
- Schutz des Eigentums (Art. 14 GG): Entschädigungsregelungen sind notwendig, wenn nachträglich in bestehende wirtschaftliche Nutzungen eingegriffen wird.
- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Der Kohleausstieg muss angemessen, erforderlich und zumutbar sein.
- Berücksichtigung des Vertrauensschutzes: Langfristige Investitionen der Unternehmen genießen Schutz vor willkürlichen Veränderungen der Rechtslage.
Europarechtliche Vorgaben
Im Kontext des Kohleausstiegs sind auch europarechtliche Vorgaben relevant. Das Europarecht stellt mit der Energiebinnenmarktrichtlinie, dem Emissionsrechtehandelssystem (EU ETS) und der Beihilfekontrolle durch die Europäische Kommission Rahmenbedingungen auf, welche nationale Regelungen steuern und begrenzen.
Entschädigungs- und Ausgleichsansprüche
Die Organisation und Höhe der Entschädigungszahlungen ist weiterhin Gegenstand von Diskussionen und gerichtlichen Überprüfungen. Maßgebliche Kriterien sind die Restlaufzeiten der Anlagen, die Investitionsvolumina, die erzielbaren Gewinne aus dem Weiterbetrieb und die Folgen für Eigentumspositionen.
Beschäftigungs- und Sozialrecht
Der Kohleausstieg wirkt sich wesentlich auf den Arbeitsmarkt in den betroffenen Regionen aus. Beschäftigte der Kohleindustrie erhalten Zugang zu spezifischen Auffangregelungen, darunter Qualifizierungsmaßnahmen und Rentenübergangsmodelle, deren Ausgestaltung im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes geregelt ist.
Rechtliche Verfahren und Überwachung
Verwaltungsverfahren
Die Stilllegungsanordnung eines Kraftwerks stellt einen Verwaltungsakt dar, der unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich angefochten werden kann. Zuständig sind regelmäßig die Landesbehörden im Benehmen mit der Bundesnetzagentur. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit erfolgt gemäß den Regelungen des Umweltrechts, insbesondere durch Beteiligungsverfahren und Umweltverträglichkeitsprüfungen.
Monitoring, Kontrolle und Evaluierung
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sowie die Bundesnetzagentur haben umfangreiche Monitoring- und Berichtsaufgaben. Die Fortschritte des Kohleausstiegs werden regelmäßig evaluiert und dokumentiert. Zudem besteht eine gesetzliche Evaluationsklausel, nach der im Jahr 2026 geprüft wird, ob ein vorgezogener Kohleausstieg auf 2035 realisierbar ist.
Internationale Aspekte und Vergleich
Völkerrechtliche Verpflichtungen
Deutschland hat sich im Rahmen internationaler Klimaabkommen (wie etwa dem Pariser Abkommen) verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und den Energiesektor nachhaltig auszurichten. Der Kohleausstieg trägt dazu maßgeblich bei.
Ausgestaltung in anderen Ländern
Vergleichbare Kohleausstiegspläne bestehen beispielsweise in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, wobei sich die jeweiligen rechtlichen Umsetzungen an nationalen Energiekonzepten und Wirtschaftslagen orientieren.
Fazit
Der Kohleausstieg in Deutschland ist ein rechtsstaatlich und politisch komplexer Transformationsprozess, der durch verschiedene Spezialgesetze, umfangreiche Entschädigungsregelungen und flankierende Maßnahmen zum Strukturwandel geregelt wird. Im Mittelpunkt stehen die Begrenzung von Treibhausgasemissionen, die verfassungsrechtliche Sicherung der Eigentumsrechte, die Gewährleistung einer stabilen Energieversorgung sowie die soziale und wirtschaftliche Abfederung für die betroffenen Regionen. Durch das Zusammenspiel nationaler und europäischer Rechtsvorschriften wird ein geordneter und rechtssicherer Übergang hin zu einer klimafreundlichen Energieversorgung gewährleistet.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen regeln den Kohleausstieg in Deutschland?
Die rechtlichen Grundlagen des Kohleausstiegs in Deutschland finden sich insbesondere im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG), das im Juli 2020 in Kraft getreten ist. Das KVBG regelt die schrittweise Beendigung der Stromerzeugung aus Stein- und Braunkohle bis spätestens 2038, mit der Option einer Vorverlegung auf 2035. Zu den relevanten Regelungen gehören unter anderem Stilllegungspflichten für Betreiber von Kohlekraftwerken, ein Zeitplan zur Reduzierung der Erzeugungskapazitäten, Ausschreibungsverfahren für die Abschaltung von Steinkohlekraftwerken sowie Entschädigungsregelungen für Betreiber von Braunkohleanlagen. Darüber hinaus werden im KVBG flankierende Maßnahmen zum Strukturwandel in den betroffenen Regionen und Rechtsansprüche auf Ausgleichszahlungen geregelt. Daneben sind weitere Gesetze wie das Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen (StStG) sowie europarechtliche Vorgaben, insbesondere Beihilfenkontrolle der Europäischen Kommission, zu beachten.
Welche juristischen Streitpunkte ergeben sich im Zusammenhang mit Entschädigungszahlungen an Kraftwerksbetreiber?
Die Festsetzung und Ausgestaltung der Entschädigungszahlungen an Braunkohlekraftwerksbetreiber waren und sind juristisch umstritten. Im Vordergrund steht dabei die Frage, ob die festgelegten Summen mit dem Verfassungsrecht, hier insbesondere dem Eigentumsschutz des Art. 14 Grundgesetz, vereinbar sind. Zudem stellt sich die Frage, ob die im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz vorgesehenen Entschädigungsregelungen europarechtskonform sind, zum Beispiel im Hinblick auf das Beihilfenrecht der EU (Art. 107 AEUV). Auch die Berechnungsmethoden und die Berücksichtigung eventueller Vorleistungen oder Investitionen der Betreiber sind Gegenstand rechtlicher Auseinandersetzungen. Schließlich spielen Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgrundlagen für die Entschädigungshöhen eine zentrale Rolle bei der rechtlichen Überprüfung.
Wie läuft der ordnungsrechtliche Stilllegungsprozess von Kohlekraftwerken ab?
Der Stilllegungsprozess von Kohlekraftwerken ist im Kohleverstromungsbeendigungsgesetz und ergänzenden energierechtlichen Vorschriften detailliert normiert. Betreiber von Kohlekraftwerken müssen Stilllegungsanzeigen fristgerecht bei der Bundesnetzagentur einreichen. In einem weiteren Schritt prüft die Bundesnetzagentur, ob das jeweilige Kraftwerk als systemrelevant für die Versorgungssicherheit gilt. Ist das nicht der Fall, erfolgt eine verbindliche Untersagung des Weiterbetriebs zu einem bestimmten Stichtag. Im Falle der Systemrelevanz kann eine zeitweise Reservepflicht angeordnet werden. Zudem sind Beteiligungsrechte – wie Anhörungsrechte der Betreiber – sowie Koordinationsmechanismen mit Landesbehörden und Netzbetreibern vorgesehen. Verstöße gegen Stilllegungsvorgaben können als Ordnungswidrigkeiten mit Bußgeldern geahndet werden.
Welche Auswirkungen hat der Kohleausstieg auf bestehende Arbeitsverträge und Mitbestimmungsrechte?
Der Kohleausstieg berührt vielfach auch das Arbeitsrecht. Betriebsbedingte Kündigungen, Sozialpläne und Interessenausgleiche müssen im Kontext der Werksschließungen und Kapazitätsreduzierungen häufig neu ausgehandelt werden. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gewährt Betriebsräten weitreichende Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte im Rahmen von Restrukturierungsprozessen, insbesondere beim Personalabbau. In der Praxis müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam Lösungen entwickeln, oft unter Einbeziehung der Agentur für Arbeit und anderer Institutionen. Zudem sehen die gesetzlichen Begleitregelungen zum Kohleausstieg spezielle Fördermaßnahmen, Härtefallfonds und finanzielle Unterstützungen für von Arbeitslosigkeit betroffene Arbeitnehmer vor.
Gibt es rechtliche Vorgaben zum Umgang mit den Folgelasten des Braunkohlebergbaus?
Mit dem Ende des Braunkohleabbaus stellt sich die Frage der sogenannten Folgelasten, wie Rekultivierung, Grundwasserwiederanstieg und Ewigkeitskosten. Rechtliche Vorgaben hierzu finden sich insbesondere im Bundesberggesetz (BBergG) sowie in landesrechtlichen Anforderungen an die Wiedernutzbarmachung der abgebauten Flächen. Die bergrechtliche Verantwortung für Wiedernutzbarmachung und Gefahrenabwehr bleibt primär beim Betreiber (Verursacherprinzip), gesichert durch Sicherheiten, die vor Aufnahme des Abbaus zu leisten sind. Auch das Umweltrecht, insbesondere das Wasserhaushaltsgesetz und das Naturschutzrecht, finden Anwendung. Offen ist jedoch, in welchem Umfang und für welche Zeiträume der Staat einspringt, wenn Betreiber zahlungsunfähig werden oder Restaufgaben nicht mehr erfüllen können.
Welche Mitwirkungs- und Klagerechte haben Bürger und Umweltverbände im Kohleausstiegsprozess?
Die Beteiligung der Öffentlichkeit und die Klagerechte sind ein essenzieller Bestandteil des Kohleausstiegsprozesses. Betroffene Bürger und anerkannte Umweltverbände verfügen über Mitwirkungsrechte im Rahmen von Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren nach dem Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) sowie dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Sie können Einwendungen gegen geplante Stilllegungen, Rekultivierungsmaßnahmen oder Folgelastregelungen erheben und (zum Teil) auch klageweise durchsetzen. Zwar ist das eigentliche Ausstiegsgesetz ein Parlamentsgesetz, bei dessen Erlass keine Verbandsklagen möglich sind, wohl aber im Rahmen nachgeordneter Verwaltungsakte (beispielsweise zu Kraftwerksstilllegungen oder Sanierungsplanungen). Auch gerichtliche Überprüfungen der Angemessenheit von Entschädigungsregelungen sind möglich.