Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Kleine Haverei

Kleine Haverei

Kleine Haverei: Begriff und Einordnung

Als Kleine Haverei (auch Partikulare Haverei oder Particular Average) werden Schäden oder Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Seereise bezeichnet, die nur einzelne Vermögensinteressen treffen und nicht gemeinschaftlich von allen an der Reise Beteiligten getragen werden. Typisch ist, dass ein bestimmtes Gut, das Schiff oder einzelne Ausrüstungsteile einen teilweisen Schaden erleiden, ohne dass eine bewusste, gemeinschaftliche Rettungsmaßnahme vorliegt. Im Gegensatz zur Großen Haverei werden die Folgen der Kleinen Haverei grundsätzlich von demjenigen getragen, dessen Interesse unmittelbar betroffen ist; ein allgemeiner Ausgleich zwischen Schiff, Fracht und Ladung findet nicht statt.

Die Kleine Haverei ist ein zentrales Ordnungsprinzip des Seehandels und des Transportversicherungsrechts. Sie bildet die Grundlage dafür, wie zufällige, nicht gemeinschaftlich veranlasste Teilschäden rechtlich eingeordnet, finanziell zugeordnet und versicherungstechnisch abgewickelt werden.

Rechtliche Grundlagen und Systematik

Rechtlich knüpft die Kleine Haverei an die Trennung der Interessen an Bord an: Schiff, Fracht und Ladung sind eigenständige Vermögenspositionen. Entsteht an einem dieser Interessen ein Teilschaden ohne gemeinschaftliche Rettungshandlung, bleibt die finanzielle Verantwortung bei diesem Interesse. Ein allgemeiner Beitragspflichtmechanismus wie bei der Großen Haverei greift nicht.

Die Einordnung als Kleine Haverei hat Folgen für mögliche vertragliche Ansprüche (insbesondere im Fracht- und Charterrecht) sowie für die Versicherungsdeckung (z.B. Güter- oder Kaskoversicherung). Internationale Übereinkünfte und nationale Regelwerke zum See- und Binnentransport sowie Versicherungsbedingungen prägen die Ausgestaltung, ohne dass es hierfür eines gesonderten Ausgleichsverfahrens unter allen Beteiligten bedarf.

Typische Fallgruppen

Schäden an der Ladung

  • Seewasser- oder Nässeeinwirkung auf einzelne Sendungen infolge Sturms
  • Teilverderb, Kontamination oder Bruch einzelner Packstücke
  • Diebstahl oder Verlust einzelner Kolli ohne gemeinschaftliche Rettungsmaßnahme

Schäden am Schiff

  • Beschädigung von Rumpf, Ruder oder Propeller durch Grundberührung
  • Maschinenschäden aufgrund eines einzelnen Ereignisses
  • Verlust oder Beschädigung von Decksgeräten

Aufwendungen

  • Kosten, die nur einem Interesse zugutekommen, etwa Umladung einer einzelnen beschädigten Partie
  • Schadenmindernde Maßnahmen, die ausschließlich eine konkrete Sache betreffen

Beteiligte und ihre Rollen

Je nach Sachverhalt sind verschiedene Beteiligte berührt: Reeder oder Schiffseigentümer, Verfrachter und Befrachter, Absender, Empfänger, Spediteure, Charterer sowie Versicherer (Kasko- und Güterversicherer). Häufig wird ein Havariekommissar oder Sachverständiger eingeschaltet, um den Schaden festzustellen und zu dokumentieren. Anders als bei der Großen Haverei ist regelmäßig keine Dispache (Verteilungsrechnung) erforderlich.

Haftung und Anspruchswege

Ansprüche gegen Verfrachter oder andere Beteiligte

Bei Ladungsschäden kommen vertragliche Ansprüche aus dem Frachtverhältnis in Betracht. Grundsätzlich ist zu prüfen, ob der Schaden während der Obhutszeit entstanden ist und ob Entlastungsgründe vorliegen. Bei Schiffsschäden können vertragliche oder deliktische Ansprüche gegen Dritte relevant werden, etwa nach Kollisionen oder fehlerhaften Arbeiten von Dienstleistern.

Versicherungsrechtliche Deckung

Die Kleine Haverei ist ein klassischer Gegenstand der Transportversicherung. Ladungsschäden werden üblicherweise über Güterversicherungen, Schiffsschäden über Kaskoversicherungen abgewickelt. Umfang und Grenzen der Deckung richten sich nach den vereinbarten Bedingungen, einschließlich etwaiger Selbstbehalte, Ausschlüsse (z.B. gewöhnlicher Schwund, unzureichende Verpackung, innere Verderbnis, Verzögerung) und Obliegenheiten. Nach Regulierung kann der Versicherer auf andere Beteiligte übergehen (Regress).

Regress und Mehrparteienverhältnisse

In komplexen Transportketten können mehrere Parteien beteiligt sein (z.B. Unterfrachtführer, Terminalbetreiber, Lotsen). Nach einer Entschädigung prüft der leistende Versicherer oder Anspruchsberechtigte mögliche Rückgriffe entlang der Vertrags- und Verantwortlichkeitskette. Die Einordnung als Kleine Haverei ändert nichts am Grundsatz, dass der unmittelbare Schadensträger zunächst selbst betroffen ist; Regress setzt passende Haftungsgrundlagen voraus.

Abwicklung und Nachweise

Für die Zuordnung zur Kleinen Haverei ist eine verlässliche Tatsachengrundlage wichtig. Üblich sind Schadensbesichtigungen, Berichte des Havariekommissars oder Surveyors, Logbucheinträge, Stau- und Ladungsdokumente, Lieferscheine sowie Befunde zur Beschaffenheit bei Ablieferung. Beweisfragen betreffen häufig Ursache, Zeitpunkt und Umfang des Schadens. Bei der Kleinen Haverei erfolgt die Abwicklung typischerweise direkt zwischen dem betroffenen Interesse und seinem Vertragspartner oder Versicherer; eine allgemeine Sicherheitsleistung, wie sie bei der Großen Haverei verbreitet ist, wird nicht verlangt.

Abgrenzungen und Sonderthemen

Abgrenzung zur Großen Haverei

Große Haverei setzt eine bewusste, außergewöhnliche Maßnahme zum Schutz von Schiff und gesamter Ladung in einer gemeinsamen Gefahrensituation voraus (z.B. über Bord werfen von Gütern zur Rettung). Die daraus entstehenden Opfer und Kosten werden gemeinschaftlich verteilt. Fehlt diese gemeinschaftliche Rettungshandlung, liegt regelmäßig Kleine Haverei vor und kein Ausgleich zwischen allen Interessen.

Verhältnis zu Bergung, Schlepphilfe und Löschkosten

Aufwendungen für Bergung oder Schlepphilfe können je nach Zweck und Reichweite rechtlich unterschiedlich eingeordnet werden. Dienen sie ausschließlich einem einzelnen Interesse, sind sie der Kleinen Haverei zuzurechnen; betreffen sie gemeinschaftliche Rettung, können sie dem Regime der Großen Haverei oder besonderen Entgelten zugeordnet sein. Maßgeblich sind Zweck, Anlass und Nutznießer der Maßnahme.

Binnenschifffahrt und multimodale Transporte

Das Grundprinzip der Kleinen Haverei – Zuordnung des Schadens zum betroffenen Interesse ohne allgemeinen Ausgleich – findet sich auch in der Binnenschifffahrt. Bei multimodalen Transporten ist eine abschnittsbezogene Betrachtung erforderlich, da unterschiedliche Haftungsregime und Versicherungsbedingungen Anwendung finden können.

Wirtschaftliche Aspekte

Bei der Kleinen Haverei bestimmen Selbstbehalte, etwaige Franchise-Regelungen, Unter- oder Überversicherung sowie Wertmaßstäbe (z.B. Zeitwert) die wirtschaftliche Ergebnisverteilung. Wechselfragen wie Währungsumrechnung, Kosten der Schadenfeststellung und Nebenkosten (Umladung, Zwischenlagerung) sind in der Abrechnung zu berücksichtigen. Mitverschuldensgesichtspunkte einzelner Beteiligter können die Haftungsquote beeinflussen.

Fristen, Verjährung und Gerichtsstände

Ansprüche im Zusammenhang mit Kleiner Haverei unterliegen regelmäßig kurzen Fristen und Verjährungen, insbesondere im Transport- und Seehandelskontext. Zudem enthalten Transportdokumente häufig Klauseln zu anwendbarem Recht, Gerichtsstand oder Schiedsgerichtsbarkeit. Diese Faktoren bestimmen, wo und in welchem zeitlichen Rahmen Ansprüche geltend gemacht werden können.

Häufig gestellte Fragen zur Kleinen Haverei

Was bedeutet Kleine Haverei rechtlich?

Kleine Haverei bezeichnet Teilschäden oder Einzelaufwendungen, die ein bestimmtes Interesse an Bord (Schiff, Fracht oder Ladung) betreffen, ohne dass eine gemeinschaftliche Rettungsmaßnahme vorliegt. Die Folgen werden dem betroffenen Interesse zugeordnet; ein allgemeiner Ausgleich unter allen Beteiligten findet nicht statt.

Worin unterscheidet sich Kleine Haverei von Großer Haverei?

Große Haverei beruht auf einer bewusst ergriffenen, außergewöhnlichen Maßnahme zum Schutz von Schiff und Gesamtladung in einer gemeinsamen Gefahrensituation mit anschließender Verteilung der Opfer und Kosten. Kleine Haverei betrifft demgegenüber zufällige oder einzelne Schäden ohne gemeinschaftliche Rettung und ohne Verteilungsrechnung.

Welche Schäden fallen typischerweise unter die Kleine Haverei?

Typisch sind partielle Ladungsschäden durch Nässe, Bruch oder Kontamination, Verlust einzelner Packstücke sowie Schäden am Schiff wie Rumpf- oder Maschinenschäden infolge eines isolierten Ereignisses. Auch Einzelaufwendungen, die nur einem Interesse zugutekommen, können dazugehören.

Wer trägt die Kosten bei Kleiner Haverei?

Grundsätzlich trägt das betroffene Interesse die Kosten und Schäden selbst. Eine Umlage auf andere Beteiligte erfolgt nicht. Ansprüche können sich jedoch aus Verträgen des Transports oder gegenüber Dritten ergeben; zudem kommt eine Deckung über Transport- oder Kaskoversicherung in Betracht, abhängig von den vereinbarten Bedingungen.

Welche Rolle spielt die Versicherung bei Kleiner Haverei?

Die Versicherung ist häufig der primäre Risiko- und Kostenträger. Güterversicherungen decken regelmäßig Ladungsschäden, Kaskoversicherungen Schiffsschäden. Deckungsumfang, Ausschlüsse, Selbstbehalte und Obliegenheiten bestimmen die Regulierung. Nach Leistung kann der Versicherer gegenüber Verantwortlichen Rückgriff nehmen.

Wie wird ein Schaden der Kleinen Haverei festgestellt und abgerechnet?

Üblich sind Besichtigungen und Berichte von Sachverständigen, ergänzt durch Transport- und Schiffsdokumente. Auf dieser Grundlage erfolgt die Ermittlung von Ursache, Zeitpunkt und Umfang. Eine allgemeine Verteilungsrechnung ist nicht erforderlich; abgerechnet wird zwischen dem betroffenen Interesse und dem jeweiligen Vertragspartner oder Versicherer.

Gibt es Fristen, die bei Kleiner Haverei relevant sind?

Ja. Im Transportbereich gelten regelmäßig kurze Anzeigefristen und Verjährungsfristen. Zudem können Transportdokumente Vorgaben zu Fristen, zuständigem Gericht oder Schiedsgericht enthalten. Diese bestimmen die zeitliche und örtliche Durchsetzung von Ansprüchen.

Gilt das Konzept der Kleinen Haverei auch in der Binnenschifffahrt?

Das Prinzip der Kleinen Haverei – Zuordnung des Schadens zum betroffenen Interesse ohne allgemeinen Ausgleich – wird auch in der Binnenschifffahrt angewandt. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach den einschlägigen Regeln und vereinbarten Vertragsbedingungen des jeweiligen Transportabschnitts.