Begriff und Grundlagen der Kinderpsychotherapie
Die Kinderpsychotherapie bezeichnet die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen zur Linderung seelischer Erkrankungen, Störungen oder Belastungen. Sie stellt einen spezialisierten Teilbereich der Psychotherapie dar und ist hinsichtlich ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz detailliert geregelt.
Rechtliche Rahmenbedingungen der Kinderpsychotherapie in Deutschland
Gesetzliche Grundlagen
Die Durchführung von Kinderpsychotherapie ist in Deutschland rechtlich klar geregelt und unterscheidet sich von der Psychotherapie für Erwachsene hinsichtlich Zulassung, Zugang und Durchführung. Wesentliche Rechtsgrundlagen bilden:
- das Psychotherapeutengesetz (PsychThG),
- das Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) sowie
- die Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Psychotherapeutengesetz (PsychThG)
Das Psychotherapeutengesetz regelt die Voraussetzungen zur Ausübung des Berufs als Psychotherapeutin für Kinder und Jugendliche. Es unterscheidet zwischen:
- Psychologischen Psychotherapeutinnen (für Erwachsene)
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen (KJP)
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen benötigen eine eigenständige Approbation und die erfolgreiche Absolvierung einer entsprechenden Ausbildung. Sie sind berechtigt, Kinder und Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr therapeutisch zu behandeln.
Zulassungsvoraussetzungen
Um Kinderpsychotherapie ausüben zu dürfen, ist eine Approbation nach Abschluss eines Hochschulstudiums im Bereich Psychologie, Pädagogik oder Sozialpädagogik sowie einer anschließenden spezifischen Ausbildung gemäß PsychThG erforderlich.
Nur approbierte Therapeutinnen dürfen Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen. Die Voraussetzung für die Abrechnung ist zudem die Eintragung im Arztregister.
Abgrenzung zu anderen Heilberufen
Psychotherapeutische Behandlungen bei Kindern dürfen nur von approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen oder von Ärztinnen mit Zusatzqualifikation in Psychotherapie durchgeführt werden. Heilpraktikerinnen oder Pädagoginnen dürfen Kinderpsychotherapie nicht durchführen, sofern sie keinen entsprechenden Status besitzen.
Rechte und Pflichten bei der Durchführung von Kinderpsychotherapie
Einwilligung und Aufklärungspflicht
Einwilligungsfähigkeit
Kinder und Jugendliche sind je nach Alter und Einsichtsfähigkeit unterschiedlich einwilligungsfähig. Grundsätzlich bedarf es bis zum vollendeten 14. Lebensjahr der Einwilligung der gesetzlichen Vertreterinnen (i.d.R. der Eltern). Ab dem 15. Lebensjahr können auch Jugendliche selbst in eine Behandlung einwilligen, sofern sie die erforderliche Einsichtsfähigkeit besitzen (§ 1631a BGB).
Aufklärungspflicht
Psychotherapeutinnen sind verpflichtet, die Patientinnen beziehungsweise deren gesetzliche Vertreterinnen umfassend über Behandlungsinhalte, Ziele, Risiken und Alternativen aufzuklären. Die Aufklärung muss altersgerecht und verständlich erfolgen.
Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz
Die Verschwiegenheitspflicht ist in § 203 StGB geregelt. Sie schützt die Privatsphäre der Patientinnen und umfasst sämtliche Informationen, die im Rahmen der Therapie bekannt werden. Ausnahmen bestehen nur bei Gefährdung des Kindeswohls oder einer Entbindung von der Schweigepflicht.
Der Datenschutz folgt den Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und verlangt besonderen Schutz sensibler Gesundheitsdaten.
Finanzierung der Kinderpsychotherapie
Gesetzliche Krankenversicherung
Die Kosten für eine Kinderpsychotherapie werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen, sofern die Therapie von approbierten Leistungserbringenden durchgeführt wird und eine psychische Störung mit Krankheitswert vorliegt. Grundlage hierfür ist die Psychotherapie‐Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses.
Antrags- und Genehmigungsverfahren
Vor Beginn der Therapie ist ein Antrag an die Krankenkasse zu stellen. Hierzu ist in der Regel eine Probatorik (maximal fünf probatorische Sitzungen) möglich, um die Indikation zu klären. Anschließend entscheidet die Krankenkasse nach Vorlage eines Gutachtens über die Bewilligung der Therapie.
Private Krankenversicherung
Private Krankenversicherungen erstatten die Kosten je nach Vertragsbedingungen. Grundlage ist hierbei zumeist die Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP).
sonstige Träger
In besonderen Fällen können die Kosten durch das Jugendamt nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) oder als Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder nach § 35a SGB VIII getragen werden.
Schutz von Kindern und Jugendlichen
Kindeswohl und Mitwirkungspflichten
Psychotherapeutinnen sind verpflichtet, das Kindeswohl zu achten und bei Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung (z. B. bei Misshandlung, Vernachlässigung) gesetzliche Melde- und Mitwirkungspflichten zu beachten. Dies ist in § 4 KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) geregelt.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Kinderpsychotherapie findet vielfach im engen Austausch mit anderen Hilfesystemen wie Jugendhilfe, Schulen, Kinderärztinnen und Familiengericht statt. Die Koordination und Abgrenzung der Kompetenzbereiche ist durch das Kinderschutzgesetz und spezifische Schweigepflichtsentbindungen geregelt.
Kinderpsychotherapie im Kontext von Familienrecht und Gerichtsverfahren
Rolle im familiengerichtlichen Verfahren
Kinderpsychotherapeutinnen können im Rahmen von Sorgerechts- und Umgangsverfahren als sachverständige Personen oder im Rahmen von Umgangspflegschaften tätig werden. Eine Behandlung darf jedoch nicht gegen den Willen des sorgeberechtigten Elternteils erfolgen.
Kindeswille und rechtliche Vertretung
Der Wille des Kindes ist in Gerichtsverfahren angemessen zu berücksichtigen. Das betrifft sowohl die Zustimmung zur Therapie als auch Beteiligungsrechte im familiengerichtlichen Verfahren.
Haftung und Aufsicht
Haftungsfragen
Für Fehler in der Therapie, etwa bei Fehldiagnosen oder Behandlungsfehlern, gelten die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregelungen nach BGB. Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen unterliegen zudem der Aufsicht der zuständigen Landesbehörden.
Berufsaufsicht und Weiterbildungsverpflichtung
Psychotherapeut*innen unterliegen der Berufsordnung der Psychotherapeutenkammern und sind zu regelmäßiger Fort- und Weiterbildung verpflichtet. Verstöße gegen Berufspflichten können berufsaufsichtsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen.
Internationale Aspekte und Besonderheiten in Österreich und der Schweiz
In Österreich und der Schweiz gelten eigenständige bundesgesetzliche Regelungen für die Ausübung der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Insbesondere werden – wie in Deutschland – spezifische Qualifikationen und Berufszulassungen gefordert. Die Kostenübernahme obliegt den jeweiligen Krankenversicherungen nach definierten Bedingungen.
Dieser Eintrag liefert einen umfassenden Überblick zu den rechtlichen Rahmenbedingungen, Rechten und Pflichten sowie Finanzierungsmöglichkeiten der Kinderpsychotherapie im deutschsprachigen Raum mit besonderem Fokus auf Deutschland. Die Kinderpsychotherapie ist ein sensibler, rechtlich klar geregelter Bereich zum Schutz und zur Förderung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist befugt, Kinderpsychotherapie rechtlich durchzuführen?
Kinderpsychotherapie darf in Deutschland nach geltendem Recht ausschließlich von approbierten Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten durchgeführt werden. Diese benötigen eine staatliche Approbation, die sie nach Abschluss eines entsprechenden Hochschulstudiums (in der Regel Psychologie, Pädagogik oder Sozialpädagogik) und einer postgradualen, staatlich anerkannten Ausbildung erhalten. Ärztliche Psychotherapie für Kinder darf darüber hinaus von Ärzten mit der Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“ oder „Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie“ durchgeführt werden. Heilpraktiker dürfen Kinderpsychotherapie nur im Rahmen ihrer Heilpraktikererlaubnis ausüben und unterliegen dabei deutlichen Einschränkungen, etwa in der Behandlung mittels wissenschaftlich anerkannter Psychotherapieverfahren. Die Berufsbezeichnung „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut/in“ ist geschützt und ihre Ausübung ohne Approbation strafbar (§ 132a StGB).
Welche rechtlichen Regelungen gelten bezüglich der Schweigepflicht in der Kinderpsychotherapie?
Die Schweigepflicht ist in der Kinderpsychotherapie besonders umfangreich geregelt (§ 203 StGB, § 15 PsychThG). Grundsätzlich sind Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet – dies gilt uneingeschränkt auch gegenüber den Eltern. Die Schweigepflicht kann jedoch durch eine Schweigepflichtsentbindungserklärung aufgehoben werden, die von den Sorgeberechtigten (bei Kindern unter 14 bzw. 16 Jahren, je nach Landesrecht) erteilt werden muss. Bei Jugendlichen mit ausreichender Einsichtsfähigkeit kann auch deren eigene Schweigepflichtentbindung maßgeblich sein. Ausnahmen von der Schweigepflicht sind in Fällen von akuter Selbst- oder Fremdgefährdung (§ 34 StGB) oder bei bestimmten Meldepflichten (z.B. bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung § 8a SGB VIII) geregelt.
Wie gestaltet sich die Einwilligung in die Kinderpsychotherapie rechtlich?
Die Einwilligung in eine psychotherapeutische Behandlung eines minderjährigen Kindes unterliegt den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches (§§ 1626, 1629 BGB). Bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres entscheiden grundsätzlich die Eltern bzw. Sorgeberechtigten. Ab dem 14. Lebensjahr muss das Kind, sofern es über ausreichend Einsichtsfähigkeit verfügt, selbst einwilligen; dies ist zumindest ergänzend auch weiterhin durch die Sorgeberechtigten erforderlich, insbesondere bezüglich organisatorischer Aspekte und Vergütungsfragen (Gesetzliche Krankenversicherung § 27 SGB V). Liegt ein gemeinsames Sorgerecht vor, müssen grundsätzlich beide Elternteile zustimmen, sofern keine Angelegenheiten des täglichen Lebens betroffen sind. In Konfliktfällen kann ein Familiengericht angerufen werden.
Wer trägt die Kosten für eine rechtlich abgesicherte Kinderpsychotherapie?
In Deutschland werden die Kosten für eine Kinderpsychotherapie in der Regel von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen, sofern die Behandlung von approbierten Psychotherapeuten mit Kassenzulassung durchgeführt und eine sogenannte Indikation (diagnostizierte psychische Störung mit Krankheitswert gemäß ICD-10 oder ICD-11) vorliegt (§ 27 SGB V). Die Antragstellung auf Kostenübernahme erfolgt durch die Therapeuten nach spätestens fünf probatorischen Sitzungen mittels Antrags- und Berichtswesen nach Psychotherapie-Richtlinie (G-BA). Privatversicherte Kinder müssen die Kostenzusage vorab direkt mit der Versicherung klären, hierbei gelten teils andere oder restriktivere Bedingungen. Eigenfinanzierte Therapien („Selbstzahler“) sind rechtlich zulässig, unterliegen aber den gleichen formalen Anforderungen in Bezug auf Indikationsstellung und Datenschutz.
Welche rechtlichen Melde- und Anzeigepflichten bestehen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung?
Nach § 8a SGB VIII sind Psychotherapeuten verpflichtet, Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung (z. B. durch Vernachlässigung, Misshandlung, sexuellen Missbrauch) sorgfältig zu prüfen. Sie müssen abwägen, welche Maßnahmen unter Wahrung der Schweigepflicht geboten sind. Besteht eine erhebliche Gefahr für das Wohl des Kindes, darf die Schweigepflicht durchbrochen und das Jugendamt informiert werden. Der rechtliche Rahmen sieht vor, zunächst (so weit verantwortbar) mit den Sorgeberechtigten zu sprechen und Hilfe anzubieten, bevor eine Meldung erfolgt. In akuten Gefahrensituationen besteht die Pflicht zur unmittelbaren Information der zuständigen Behörden oder Polizei, wobei die Dokumentationspflicht hinsichtlich aller getroffenen Schritte zu beachten ist.
Welche besonderen rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für minderjährige Patient:innen in der Psychotherapie?
Minderjährige haben einen besonderen gesetzlichen Schutzanspruch, der sich unter anderem im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII), im Bundeskinderschutzgesetz sowie im Jugendschutzgesetz widerspiegelt. Die Psychotherapie unterliegt besonderen Vorgaben zum Datenschutz (Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO) und erfordert ein Höchstmaß an Vertraulichkeit. Ebenfalls regeln die Psychotherapie-Richtlinien spezifische Rahmenbedingungen (z. B. Altersgrenzen für Eltern-Kind-Sitzungen, Einbindung der Bezugspersonen, Umgang mit Geschwisterkindern). Zudem enthalten die Musterberufsordnung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sowie entsprechende Landesgesetze detaillierte Anforderungen zum Schutz vor Ausbeutung, Missbrauch und Diskriminierung. Jegliche Form von strafbaren Handlungen (Sexualdelikte, Gewalt) ist strikt untersagt und unterliegt unverzüglicher Anzeige- und Meldepflicht.
Wie und unter welchen rechtlichen Voraussetzungen kann eine Kinderpsychotherapie vorzeitig beendet werden?
Die Beendigung einer therapeutischen Behandlung ist sowohl seitens des Therapeuten als auch der Sorgeberechtigten möglich. Rechtlich bindend ist, dass die Beendigung dem Kindeswohl nicht widersprechen darf. Eine vorzeitige Beendigung durch die Sorgeberechtigten ist stets möglich, allerdings müssen sie darüber informiert sein, welche Folgen dies für den Therapieerfolg und die seelische Gesundheit ihres Kindes haben kann. Der Therapeut kann die Therapie abbrechen, wenn die therapeutische Beziehung nicht mehr tragfähig erscheint, die Indikation entfällt oder bei massiven Verstößen gegen Therapievereinbarungen (z.B. ständiges Fernbleiben). Dabei ist die ordnungsgemäße Dokumentation (Krankenakte gemäß § 630f BGB) und eine angemessene Nachsorge- bzw. Verweisberatung rechtlich vorgeschrieben. Die Kassenärztliche Vereinigung sowie die Berufsaufsicht sind dabei zu informieren, falls rechtliche oder ethisch relevante Verstöße auftreten.