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Kinderfreibetrag


Kinderfreibetrag – Definition und rechtliche Grundlagen

Der Kinderfreibetrag ist ein zentraler Begriff im deutschen Steuerrecht und dient der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums von Kindern im Rahmen der Einkommensteuer. Er stellt sicher, dass das für ein Kind notwendige Einkommen von der Einkommensbesteuerung ausgenommen wird, und bildet gemeinsam mit dem Kindergeld einen elementaren Bestandteil familienbezogener steuerlicher Entlastung. Der Kinderfreibetrag findet seine gesetzliche Grundlage insbesondere im Einkommensteuergesetz (EStG).


Historische Entwicklung des Kinderfreibetrags

Der Kinderfreibetrag existiert seit den Anfängen der Einkommensteuer und wurde wiederholt entsprechend der wirtschaftlichen Entwicklung und höchstrichterlichen Rechtsprechung angepasst. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht hat die Bedeutung des Kinderfreibetrages zur Sicherung des Existenzminimums und die Notwendigkeit einer verfassungsgemäßen Ausgestaltung mehrfach betont (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1990, Az. 1 BvL 20/84).


Rechtliche Regelung im Einkommensteuergesetz

Zweck und Systematik

Gemäß § 32 Abs. 6 EStG wird Kindern für das sächliche Existenzminimum sowie für den Betreuungsbedarf ein Freibetrag gewährt. Dadurch wird das Einkommen, das Eltern mindestens für die Versorgung und Betreuung ihrer Kinder brauchen, steuerfrei gestellt.

Zusammensetzung

Der Kinderfreibetrag setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:

  • Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (§ 32 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 EStG)
  • Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (§ 32 Abs. 6 S. 1 Nr. 2 EStG)

Die genaue Höhe der Freibeträge wird jährlich im Rahmen des Existenzminimumberichts durch die Bundesregierung angepasst und per Gesetz beschlossen.

Anspruchsberechtigung

Anspruch auf den Kinderfreibetrag haben Steuerpflichtige, denen Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 ff. EStG zuzurechnen sind. Dazu zählen leibliche Kinder, Adoptivkinder, Pflegekinder sowie Enkelkinder, sofern sie im Haushalt leben oder maßgeblich unterstützt werden.


Verhältnis zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld

Der Gesetzgeber sieht Kindergeld und Kinderfreibetrag als gleichwertige steuerliche Entlastungsinstrumente. Im Rahmen der sogenannten „Günstigerprüfung“ (§ 31 EStG) wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer automatisch berechnet, welche Variante – Kindergeld oder steuerlicher Kinderfreibetrag – für die Eltern finanziell vorteilhafter ist.

Das Kindergeld wird als regelmäßige Zahlung gewährt, während der Kinderfreibetrag im Zuge der Einkommensteuerveranlagung zum Tragen kommt. Übersteigt die durch den Kinderfreibetrag bewirkte Steuerersparnis das gezahlte Kindergeld, wird die Differenz im Einkommensteuerbescheid berücksichtigt.


Voraussetzungen für die Berücksichtigung des Kinderfreibetrags

Altersgrenzen

Kinder können grundsätzlich bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres berücksichtigt werden. Unter bestimmten Voraussetzungen, z. B. während einer Ausbildung oder bei Behinderung, verlängert sich die Altersgrenze bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 32 Abs. 4 EStG).

Haushaltszugehörigkeit und Betreuung

Ob der Kinderfreibetrag beiden Eltern oder nur einem Elternteil zusteht, hängt von den familiären und betreuungsrechtlichen Verhältnissen ab. Im Regelfall steht der Freibetrag beiden Eltern je zur Hälfte zu. Eine Übertragung auf einen Elternteil ist unter bestimmten Voraussetzungen möglich, z. B. wenn das andere Elternteil keinen Unterhalt zahlt.

Einkommensgrenzen und weitere Voraussetzungen

Seit der Abschaffung der Einkommensgrenzen für volljährige Kinder in Ausbildung (seit 2012) sind weitere Voraussetzungen maßgeblich, wie z. B. der tatsächliche Aufenthalt des Kindes, Ausbildungsstatus oder das Vorliegen einer Behinderung.


Höhe und Anpassung des Kinderfreibetrags

Die Höhe des Kinderfreibetrags wird regelmäßig angepasst und orientiert sich am steuerfrei zu stellenden Existenzminimum des Kindes sowie dem Betreuungsbedarf. Für das Jahr 2024 beträgt der Kinderfreibetrag für jeden Elternteil 3.192 Euro für das sächliche Existenzminimum und 1.464 Euro für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf, insgesamt also 4.656 Euro je Elternteil bzw. 9.312 Euro für beide Eltern zusammen (Stand: 2024).


Festsetzungsverfahren und Günstigerprüfung

Der Kinderfreibetrag wird nicht mit der monatlichen Lohnabrechnung, sondern erst im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigt. Die automatische Prüfung, ob das Kindergeld oder der Kinderfreibetrag zu einer höheren steuerlichen Entlastung führt, erfolgt durch das Finanzamt anhand der übermittelten Daten.


Übertragung und Abweichende Festsetzung

Eine Übertragung des Kinderfreibetrags auf einen Elternteil oder Dritte ist nach § 32 Abs. 6 S. 6 bis 8 EStG möglich, insbesondere in Fällen, in denen einer der Elternteile seiner Unterhaltspflicht nicht nachkommt oder verstirbt. Auch für Stief- und Pflegeeltern bestehen besondere Regelungen.


Kinderfreibetrag bei besonderen Familienkonstellationen

Getrenntlebende und geschiedene Eltern

Für getrenntlebende Eltern gilt, dass der Freibetrag grundsätzlich je zur Hälfte bei beiden Eltern angerechnet wird. Eine vollständige Übertragung auf einen Elternteil ist möglich, sofern dieser das Kind überwiegend betreut und vom anderen Elternteil keine oder nur geringe Unterhaltsleistungen erbracht werden.

Patchwork-Familien, Stiefeltern und Großeltern

Freibeträge können unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Stiefelternteile oder Großeltern übertragen werden, sofern diese das Kind in den Haushalt aufgenommen haben oder für die Betreuung maßgeblich aufkommen.


Rechtsfolgen und Bedeutung in der steuerlichen Praxis

Der Kinderfreibetrag hat erhebliche Auswirkungen auf die Höhe der zu zahlenden Einkommensteuer in familienbezogenen Steuerfällen. Er beeinflusst außerdem – beispielsweise über die Progressionsberechnung – die Höhe von Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag.


Kinderfreibetrag im internationalen Kontext

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten (z. B. Wohnsitz im Ausland) sind die zwischenstaatlichen Abkommen und die Regelungen zur unbeschränkten und beschränkten Steuerpflicht nach §§ 1 und 1 Abs. 3 EStG zu beachten. Ein Anspruch auf den Kinderfreibetrag kann auch für im Ausland lebende Kinder bestehen, sofern sie unterhalten werden und die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind.


Relevante Urteile und Gesetzesänderungen

Die Rechtsprechung, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesfinanzhofs, hat die Ausgestaltung und Höhe des Kinderfreibetrags immer wieder geprägt. Wichtige Entscheidungen betreffen die Sicherstellung des Mindestbedarfs, die Gleichbehandlung von Kindergeld und Freibetrag sowie Regelungen für behinderte oder im Ausland lebende Kinder.


Fazit

Der Kinderfreibetrag ist ein zentrales Instrument deutscher Familienförderung im Steuerrecht und gewährleistet die steuerliche Freistellung des für den Unterhalt und die Betreuung eines Kindes notwendigen Existenzminimums. Die komplexen gesetzlichen Regelungen sorgen für eine an die Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Veränderungen angepasste, möglichst gerechte Ausgestaltung.


Weiterführende Literatur und Quellen

  • Einkommensteuergesetz (EStG), insbesondere §§ 31, 32 und 36
  • Existenzminimumbericht der Bundesregierung
  • Bundesfinanzhof, Urteile zum Kinderfreibetrag
  • Bundesverfassungsgericht: BVerfGE 82, 60 u. a.
  • Amtliche Informationen und Merkblätter des Bundesministeriums der Finanzen (BMF)

Dieser Artikel bietet einen umfassenden, strukturierten Überblick über den Kinderfreibetrag im deutschen Steuerrecht und ist für die Verwendung in einem Rechtslexikon konzipiert.

Häufig gestellte Fragen

Wer hat Anspruch auf den Kinderfreibetrag?

Auf den Kinderfreibetrag haben grundsätzlich die Eltern eines Kindes Anspruch, sofern sie unbeschränkt einkommensteuerpflichtig in Deutschland sind. Dabei ist es unerheblich, ob sie miteinander verheiratet sind, gemeinsam leben oder getrennt. Beide Elternteile steht jeweils die Hälfte des Freibetrags zu. In Ausnahmefällen, etwa wenn das Sorgerecht nur bei einem Elternteil liegt oder der andere Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommt, kann der gesamte Kinderfreibetrag auf einen Elternteil übertragen werden. Auch Adoptiv- und Pflegeeltern können anspruchsberechtigt sein, sofern das Kind dauerhaft bei ihnen im Haushalt lebt und sie für das Kind sorgen.

Wie erfolgt die Berücksichtigung des Kinderfreibetrags im Einkommensteuerbescheid?

Der Kinderfreibetrag wird bei der Berechnung der Einkommensteuer im sogenannten „Günstiger-Prüfungsverfahren“ berücksichtigt. Dabei prüft das Finanzamt automatisch, ob für die Eltern der Bezug von Kindergeld (bzw. vergleichbarer Leistungen) oder die steuerliche Berücksichtigung des Kinderfreibetrags vorteilhafter ist. Übersteigt die Steuerersparnis durch den Kinderfreibetrag den Anspruch auf das Kindergeld, wird der Freibetrag steuerlich angerechnet und in der Berechnung des zu versteuernden Einkommens abgezogen. Kindergeld wird dann in gleicher Höhe wieder zur Steuer hinzugerechnet (sog. Anrechnungsmethode), sodass der tatsächliche steuerliche Vorteil nur dem Mehrbetrag gegenüber dem Kindergeld entspricht.

Für welche Zeiträume kann der Kinderfreibetrag beantragt werden?

Der Kinderfreibetrag kann grundsätzlich immer für das gesamte Kalenderjahr beantragt und gewährt werden, in dem die Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben. Kommt ein Kind während des Jahres zur Welt oder scheiden die Voraussetzungen aus (z. B. durch Wegzug aus Deutschland oder Vollendung des 18. Lebensjahres ohne weiteren Anspruch), wird der Freibetrag anteilig mit dem Bruchteil des Jahres gewährt, für den die Voraussetzungen erfüllt sind. Dies erfolgt in der Regel automatisch im Rahmen der jährlichen Einkommensteuererklärung.

Wie wirkt sich eine Scheidung oder Trennung der Eltern auf den Kinderfreibetrag aus?

Nach einer Trennung oder Scheidung erhalten beide Elternteile grundsätzlich die Hälfte des Kinderfreibetrags, solange sie beide Unterhalt leisten oder das Kind in ihren Haushalten gemeldet ist. Lebt das Kind überwiegend bei einem Elternteil und leistet der andere Elternteil keinen Unterhalt, kann auf Antrag der gesamte Kinderfreibetrag auf den betreuenden Elternteil übertragen werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der andere Elternteil seine Unterhaltspflicht nicht wenigstens zu 75 Prozent erfüllt. Auch bei einer neuen Eheschließung bleibt die Zurechnung des Kinderfreibetrags zum leiblichen Elternteil bestehen, es sei denn, es erfolgt eine Adoption.

Wie verhält sich der Kinderfreibetrag bei volljährigen Kindern?

Der Kinderfreibetrag kann auch für volljährige Kinder gewährt werden, wenn sogenannte „nachrangige“ Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Hierzu zählen insbesondere die laufende Schul- oder Berufsausbildung, ein freiwilliges soziales Jahr oder die Überbrückungszeit zwischen zwei Ausbildungsphasen, die sechs Monate nicht überschreiten darf. Auch arbeitslose volljährige Kinder bis zum 21. Lebensjahr können berücksichtigt werden, sofern sie bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet sind. Die Berücksichtigung erfolgt immer für das jeweilige Kalenderjahr oder den relevanten Abschnitt und endet mit dem Wegfall der Anspruchsvoraussetzungen, spätestens jedoch mit der Vollendung des 25. Lebensjahres.

Welche Nachweise müssen für die Inanspruchnahme des Kinderfreibetrags erbracht werden?

Für die Berücksichtigung des Kinderfreibetrags fordert das Finanzamt geeignete Nachweise, wie etwa eine Geburtsurkunde, Schul- oder Ausbildungsbescheinigungen beziehungsweise Nachweise über Freiwilligendienste oder eine Meldung bei der Agentur für Arbeit. Bei Kindern mit Behinderung ist gegebenenfalls ein Schwerbehindertenausweis oder ein ärztliches Attest beizubringen. Im Falle einer Übertragung des Freibetrags müssen Nachweise zu unterhaltspflichtigen Zahlungen oder der tatsächlichen Betreuung vorgelegt werden. Die Unterlagen sind von den Eltern eigenständig im Rahmen der Einkommensteuererklärung einzureichen oder auf Nachfrage des Finanzamts vorzulegen.

Kann der Kinderfreibetrag auf Großeltern oder Dritte übertragen werden?

Unter bestimmten Umständen kann der Kinderfreibetrag auch auf Großeltern oder andere Dritte übertragen werden, wenn diese das Kind in ihren Haushalt aufgenommen haben und für dessen Unterhalt sorgen. Eine Übertragung ist allerdings grundsätzlich nur möglich, wenn die Eltern ihrer Unterhaltspflicht nicht oder nicht ausreichend nachkommen. Entscheidend ist, dass die Unterhaltslast nachweisbar und dauerhaft beim aufnehmenden Dritten liegt. Die Übertragung erfolgt auf Antrag und wird vom Finanzamt individuell geprüft. Hierfür sind umfangreiche Nachweise erforderlich, die das dauerhafte Zusammenleben und die finanzielle Belastung belegen.