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Kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht


Begriff und Rechtsgrundlagen des Kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ist ein gesetzlich normiertes Recht, das im deutschen Handelsrecht eine besondere Funktion zur Absicherung von Forderungen im Handelsverkehr erfüllt. Es gewährt Kaufleuten die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen bewegliche Sachen zurückzubehalten, die sich mit Willen eines Geschäftspartners im Besitz des Kaufmanns befinden, bis bestimmte Forderungen erfüllt sind. Die maßgeblichen Vorschriften dazu finden sich in den § 369 bis § 372 des Handelsgesetzbuches (HGB).

Abgrenzung zum Allgemeinen Zurückbehaltungsrecht

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht unterscheidet sich vom allgemeinen Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vor allem in Bezug auf die Voraussetzungen, den Umfang sowie die rechtlichen Wirkungen und dient speziell den Erfordernissen des Handelsverkehrs. Während das allgemeine Zurückbehaltungsrecht jedem Schuldner eines gegenseitigen Vertrages unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, seine Leistung bis zur Gegenleistung zu verweigern, ist das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht eine spezifische Regelung des Handelsrechts und privilegiert Kaufleute durch weitergehende Rechte und Sicherheiten.

Voraussetzungen des Kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

Damit das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht besteht, müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen zwingend eingehalten werden:

1. Beteiligte Personen: Kaufmannseigenschaft

Das Zurückbehaltungsrecht nach § 369 HGB steht ausschließlich Kaufleuten im Sinne des HGB zu. Auf Seiten des Gläubigers – also desjenigen, der das Recht geltend macht – muss die Kaufmannseigenschaft nach den §§ 1 ff. HGB vorliegen. Auf Seiten des Schuldners ist die Kaufmannseigenschaft entbehrlich.

2. Besitz einer beweglichen Sache

Voraussetzung ist, dass sich eine bewegliche Sache, die einem Dritten gehört, mit dessen Willen im Besitz des Kaufmanns befindet. Die Sache muss sich also aufgrund eines rechtlichen Grunds (etwa durch Auftrag, Verwahrung, Lagerung) im Besitz befinden und darf nicht widerrechtlich erlangt worden sein.

3. Fällige Forderung aus dem Handelsgeschäft

Das Zurückbehaltungsrecht kann nur wegen fälliger Forderungen aus der Geschäftsbeziehung geltend gemacht werden. Die Forderung muss aus einem Handelsgeschäft herrühren, also aus Geschäften, die zum Betrieb des Handelsgewerbes gehören (§ 343 HGB). Das Recht erfasst sowohl Forderungen aus dem konkreten Einzelgeschäft als auch aus laufender Geschäftsbeziehung, so etwa aus länger andauernden, gegenseitigen Geschäftsbeziehungen.

4. Zusammenhang zwischen Sache und Forderung

Das Gesetz sieht keine unmittelbare Verknüpfung (Konnexität) von Sache und Forderung vor. Das bedeutet, das Recht besteht auch dann, wenn die zurückbehaltene Sache und die Forderung nicht aus demselben Rechtsverhältnis stammen. Es genügt, dass beide aus der Geschäftsverbindung zwischen den Parteien resultieren.

Umfang und Reichweite des Kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

1. Umfang der Sicherung

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht berechtigt zur Sicherung aller fälligen Forderungen, die im Rahmen der bestehenden Geschäftsbeziehung entstanden sind. Hierzu zählen auch Forderungen aus Kontokorrentverhältnissen, sofern diese sich aus dem Handelsgeschäft ergeben.

2. Ausnahmen und Beschränkungen

Vom Recht ausgenommen sind Sachen, die aufgrund eines eigenständigen Verwahrungsvertrages übernommen wurden, sofern sie ausdrücklich oder stillschweigend von der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ausgeschlossen wurden. Zudem kann das Recht durch vertragliche Vereinbarungen oder gesetzliche Vorschriften etwa im Insolvenzfall eingeschränkt oder ausgeschlossen sein.

3. Geltendmachung und Dauer

Das Zurückbehaltungsrecht kann so lange ausgeübt werden, wie die zu sichernde Forderung fällig und nicht beglichen ist. Mit Begleichung der jeweiligen Forderung entfällt das Recht, die Sache zurückzubehalten.

Rechtsfolgen des Kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

1. Sicherung der Forderung

Durch die Zurückbehaltung der Sache erlangt der Kaufmann eine Druckmittelstellung und kann den Schuldner zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit anhalten. Er ist befugt, die Herausgabe der Sache solange zu verweigern, bis Befriedigung oder angemessene Sicherung seiner Ansprüche erfolgt ist.

2. Verwertungsrecht

Unter den weiteren Voraussetzung des § 371 HGB erhält der Kaufmann unter bestimmten Umständen auch das Recht zur Verwertung der zurückbehaltenen Sache (Pfandverkaufsrecht). Diese Möglichkeit besteht insbesondere, wenn feststeht, dass der Schuldner nicht leistet oder Sicherheiten nicht gewährt werden.

3. Rangverhältnis zu anderen Sicherungsrechten

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht steht im Konkurrenzverhältnis zu anderen Rechten, etwa Eigentumsvorbehalt oder Pfandrechten Dritter. Die rechtliche Durchsetzbarkeit hängt in solchen Fällen von den genauen Umständen und den vertraglichen Absprachen zwischen den Parteien ab.

Kaufmännisches Zurückbehaltungsrecht und Insolvenz

1. Umfang der Sicherung im Insolvenzverfahren

Im Insolvenzverfahren bleibt das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht grundsätzlich bestehen (§ 51 InsO). Der Berechtigte ist jedoch verpflichtet, die Sache zur Insolvenzmasse zu geben, wenn er angemessen gesichert wird. Das Recht dient auch im Insolvenzfall der privilegierten Befriedigung des berechtigten Kaufmanns.

2. Bedeutung im praktischen Handelsverkehr

Im Wirtschaftsverkehr hat das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht bedeutende Sicherungsfunktion und ersetzt häufig vertragliche oder gesetzliche Pfandrechte, welche teilweise strengeren Voraussetzungen unterliegen.

Ausschluss und Beschränkung des Kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts

Das Recht kann durch vertragliche Abreden zwischen den Parteien ausgeschlossen oder beschränkt werden. Dies ist insbesondere bei Lagersachen und Speditionsgütern von Bedeutung, bei welchen häufig gesonderte vertragliche Regelungen zur Anwendung kommen.

Verjährung und Erlöschen des Rechts

Mit der Erfüllung der Forderung oder der Herausgabe der Sache an den Berechtigten erlischt das Zurückbehaltungsrecht. Die Geltendmachung kann durch Ablauf der Verjährungsfrist für die zugrundeliegende Forderung eingeschränkt werden.

Literatur und weiterführende Quellen

Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema empfiehlt sich die einschlägige Literatur zum Handelsrecht, insbesondere Kommentierungen zu den §§ 369-372 HGB sowie Handbücher zum deutschen Sicherungsrecht.


Zusammengefasst ist das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ein zentrales Sicherungsrecht im deutschen Handelsrecht, das Kaufleuten ein effektives Mittel zur Absicherung ihrer Forderungen verschafft. Es ist durch seine gesetzlichen Grundlagen, die weitreichende Absicherung und die besonderen Verwertungsrechte von großer praktischer Bedeutung im Handelsverkehr.

Häufig gestellte Fragen

Wann und unter welchen Voraussetzungen kann das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werden?

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht kann ausgeübt werden, wenn zwischen Kaufleuten beiderseits Handelsgeschäfte im Sinne des § 350 HGB bestehen. Dieses Recht erlaubt es dem Gläubiger, die Herausgabe einer beweglichen Sache oder eines Wertpapiers zu verweigern, bis alle fälligen Forderungen aus der Geschäftsbeziehung erfüllt sind. Voraussetzungen sind, dass die zurückbehaltene Sache mit der Forderung in einem gesetzlichen Zusammenhang steht, das heißt, entweder mit dem Anspruch, für den das Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht wird, aus einem einheitlichen rechtlichen Verhältnis hervorgegangen ist, oder dass ein sogenanntes Kontokorrentverhältnis (laufende Geschäftsbeziehung) besteht. Außerdem darf das Zurückbehaltungsrecht nicht vertraglich ausgeschlossen und die Forderung des Gläubigers muss fällig und durchsetzbar sein. Eine weitere Einschränkung ergibt sich, wenn das Zurückbehalten der Sache einen unverhältnismäßigen Schaden für den Schuldner bedeuten würde (§ 273 Abs. 3 BGB). Die Ausübung ist zudem ausgeschlossen, wenn Treu und Glauben (nach § 242 BGB) entgegenstehen.

Welche Rechtsfolgen ergeben sich durch die Ausübung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts?

Die Ausübung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts führt dazu, dass der Gläubiger berechtigt ist, die Herausgabe der betreffenden Sache rechtmäßig zu verweigern, bis seine berechtigte Forderung beglichen ist. Für die Dauer der Zurückbehaltung trägt der Gläubiger grundsätzlich keine Gefahr für den zufälligen Untergang oder die zufällige Verschlechterung der Sache sofern er die erforderliche Sorgfalt beachtet. Der Schuldner kann die Herausgabe nur dann verlangen, wenn er die ausstehende Verbindlichkeit erfüllt. Der Gläubiger erhält durch das Zurückbehaltungsrecht keine Vorzugsstellung wie beispielsweise ein Pfandrecht, was bedeutet, dass er die Sache nicht verwerten darf, aber ihren Besitz als Druckmittel verwenden kann, um die Begleichung seiner Forderung zu erreichen. Nach Erfüllung der Forderung ist der Zurückbehaltende verpflichtet, die Sache unverzüglich zurückzugeben.

Kann das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht auch gegenüber Dritten oder nur gegenüber dem Vertragspartner geltend gemacht werden?

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht kann grundsätzlich nur gegenüber dem Schuldner der Forderung, d.h. dem Vertragspartner, ausgeübt werden. Ein Zurückbehaltungsrecht gegen Dritte ist im Regelfall nicht zulässig, da es seine Grundlage im schuldrechtlichen Verhältnis zwischen den beiden Vertragsparteien hat. Auch Erben oder Rechtsnachfolger des ursprünglichen Schuldners sind jedoch gebunden, da sie in dessen rechtliche Stellung eintreten. Im Falle einer Abtretung der Forderung muss geprüft werden, ob das Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem neuen Gläubiger geltend gemacht werden kann, was insbesondere dann möglich ist, wenn die Abtretung der Forderung dem Schuldner bekannt ist (§ 404 BGB).

Welche Pflichten und Obliegenheiten treffen den Gläubiger während der Ausübung des kaufmännischen Zurückbehaltungsrechts?

Der Gläubiger, der von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch macht, ist verpflichtet, die zurückbehaltene Sache ordnungsgemäß zu verwahren und vor Schäden zu schützen. Er darf die Sache nicht nutzen oder verwerten, sondern lediglich im Besitz behalten. Kommt es während der Dauer des Zurückbehaltens zu Beschädigungen oder einem Untergang der Sache, so haftet der Gläubiger für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Darüber hinaus muss er Schäden durch Unterlassen der Herausgabe vermeiden, sofern dies im Rahmen des Zumutbaren liegt. Die ordnungsgemäße Verwahrung schließt gegebenenfalls die Versicherung der Sache sowie die rechtzeitige Information des Schuldners über etwaige Gefahren oder Veränderungen des Zustands der Sache mit ein.

Können Forderungen aus demselben oder aus verschiedenen Rechtsgeschäften miteinander zur Begründung des Zurückbehaltungsrechts kombiniert werden?

Beim kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht ist entscheidend, dass die Forderungen in einem sogenannten synallagmatischen Zusammenhang stehen, also aus einem einheitlichen rechtlichen Verhältnis resultieren. Innerhalb laufender Geschäftsverbindungen und insbesondere im Rahmen eines Kontokorrents nach § 355 HGB dürfen jedoch auch Forderungen aus verschiedenen, aber im wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäften kombiniert werden. Voraussetzung ist, dass es sich bei allen betroffenen Forderungen um solche aus der laufenden Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien handelt und diese beidseitig Handelsgeschäfte darstellen. Forderungen aus Fremdverhältnissen oder mit Dritten können hingegen nicht zur Begründung des hier beschriebenen Zurückbehaltungsrechts herangezogen werden.

In welchen Fällen ist das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht ausgeschlossen oder verliert seine Wirkung?

Das Zurückbehaltungsrecht ist ausgeschlossen, wenn ein vertraglicher oder gesetzlicher Ausschluss besteht oder wenn das Behalten der Sache dem Schuldner einen unverhältnismäßigen Schaden zufügen würde (§ 273 Abs. 3 BGB). Weiterhin kann das Recht auf Zurückbehaltung im Falle von Treu und Glauben entfallen, beispielsweise wenn der Gläubiger das Recht missbräuchlich geltend macht. Außerdem erlischt das Zurückbehaltungsrecht mit der vollständigen Erfüllung der gesicherten Forderung oder wenn die Sache aus dem Besitz des Gläubigers ohne dessen Verschulden und gegen seinen Willen verloren geht. Ein weiterer Ausschluss kann vorliegen, wenn die zurückbehaltene Sache unpfändbar oder aus anderen Gründen nicht zur Sicherung der Forderung geeignet ist.

Wie unterscheidet sich das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht von anderen Sicherungsrechten wie dem Pfandrecht?

Das kaufmännische Zurückbehaltungsrecht verschafft dem Gläubiger lediglich ein Recht zum Besitz der Sache bis zur Begleichung offener Forderungen, gibt ihm jedoch keine Verwertungsbefugnis, wie dies beim Pfandrecht gemäß §§ 1204 ff. BGB der Fall ist. Das Pfandrecht berechtigt den Gläubiger, die verpfändete Sache im Falle der Nichtzahlung zu verwerten (d.h. zu verkaufen), um seine Forderung zu befriedigen. Das Zurückbehaltungsrecht ist im Gegensatz dazu ein reines Druckmittel und dient dazu, den Schuldner zur Zahlung zu veranlassen. Im Übrigen kann das Pfandrecht auch über die bloße Forderungssicherung hinausgehen, beispielsweise durch eine dingliche Sicherung, was beim kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht nicht der Fall ist.